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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 491

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 462/20, Beschluss v. 16.02.2021, HRRS 2021 Nr. 491


BGH 2 StR 462/20 - Beschluss vom 16. Februar 2021 (LG Hanau)

Grundsätze der Strafzumessung (strafschärfende Berücksichtigung einer nach der verfahrensgegenständlichen Tat ergangenen Verurteilung); nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (maßgebliche Perspektive bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung).

§ 46 StGB; § 55 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine nach der verfahrensgegenständlichen Tat ergangene Verurteilung darf nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn die dieser Verurteilung zugrundeliegende Straftat nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindlichkeit, Gefährlichkeit oder die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lässt.

2. Für die Frage der nachträglichen Gesamtstrafenbildung kommt es darauf an, welche Straftaten das Gericht, das zuerst eine Strafe verhängt hat, mit hätte aburteilen können, wenn sie ihm bekannt gewesen wären. Der danach entscheidende Richter muss sich bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung in die Lage des Richters versetzen, dessen Entscheidung für eine nachträgliche Einbeziehung in Frage kommt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 7. Mai 2020 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen unter Einbeziehung von zwei weiteren Strafen (aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hanau vom 2. Juli 2019 und dem Urteil des Amtsgerichts Hanau vom 15. Juli 2019) zu drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und im Rahmen einer Bewährungsauflage geleistete gemeinnützige Arbeit mit 13 Tagen Freiheitsstrafe angerechnet. Es hat ferner angeordnet, dass drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Strafkammer hat sich bei der Bemessung aller Einzelstrafen von der Erwägung leiten lassen, dass „der Angeklagte nach dem hiesigen strafwürdigen Geschehen wiederholt strafrechtlich auffällig war“. Eine nach der verfahrensgegenständlichen Tat ergangene Verurteilung darf aber nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn die dieser Verurteilung zugrundeliegende Straftat nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindlichkeit, Gefährlichkeit oder die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2014 - 3 StR 133/14; Senat, Beschluss vom 4. Juni 2019 - 2 StR 202/18). Dies lässt sich den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht entnehmen. Mit Blick auf den Bagatellcharakter der Verurteilung durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Hanau vom 2. Juli 2019 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen liegt dies eher fern. Aber auch unter Berücksichtigung des Urteils des Amtsgerichts Hanau vom 15. Juli 2019 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz erweist sich die genannte Erwägung des Landgerichts als rechtlich durchgreifend bedenklich. Denn das Amtsgericht hat die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt; die Bewährungsauflage, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten, hat der Angeklagte ausweislich der Urteilsgründe vollständig erfüllt und auch die ihm auferlegten Gespräche mit einer Drogenberatung aufgenommen.

2. Die Aufhebung der Einzelstrafaussprüche zieht auch die des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Entgegen den Erwägungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift hat das Landgericht allerdings zutreffend gesehen, dass der ersten Verurteilung des Angeklagten nach den hier abgeurteilten Straftaten (Strafbefehl des Amtsgerichts Hanau vom 2. Juli 2019) keine Zäsurwirkung zukommt, da die zweite Verurteilung (Urteil des Amtsgerichts Hanau vom 15. Juli 2019) eine Tat betroffen hat, die vor der ersten Verurteilung begangen worden war. Für die Frage der nachträglichen Gesamtstrafenbildung kommt es darauf an, welche Straftaten das Gericht, das zuerst eine Strafe verhängt hat, mit hätte aburteilen können, wenn sie ihm bekannt gewesen wären. Der danach entscheidende Richter muss sich bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung in die Lage des Richters versetzen, dessen Entscheidung für eine nachträgliche Einbeziehung in Frage kommt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. November 1986 - 3 StR 499/86; vom 26. März 2003 - 1 StR 79/03 je mwN; Schäfer/Sander/Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1244).

3. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 491

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 168

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede