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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 339

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 459/19, Beschluss v. 16.09.2020, HRRS 2021 Nr. 339


BGH 2 StR 459/19 - Beschluss vom 16. September 2020 (LG Erfurt)

Erörterung des Verfahrensstands mit den Verfahrensbeteiligten (Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche).

§ 202a StPO; § 212 StPO § 243 Abs. 4 StPO; § 257c StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende des Gerichts mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. Sie ist selbst dann zu beachten, wenn es um erfolglos geführte Gespräche geht, in deren Verlauf keine Verständigung zustande gekommen ist.

2. Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden und auf welche Resonanz diese bei den anderen Beteiligten gestoßen sind.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 15. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie in weiterer Tateinheit mit fahrlässigem unerlaubtem Besitz einer verbotenen Waffe und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen in Höhe von 15.885 Euro angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge einer Verletzung von Hinweispflichten des Gerichts Erfolg, so dass es auf die weiteren Rügen nicht ankommt.

I.

Der Rüge liegt nach dem durch den Inhalt des Protokolls der Hauptverhandlung belegten Revisionsvorbringen folgendes Prozessgeschehen zu Grunde:

Der Vorsitzende der Strafkammer stellte nach Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung fest, dass Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung nicht stattgefunden hätten. Daraufhin erklärte der Verteidiger des Angeklagten, dass vor Beginn der Hauptverhandlung zwischen ihm und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ein Gespräch stattgefunden hätte, das zu keinem Ergebnis geführt habe. Anschließend erörterte das Gericht die Sach- und Rechtslage mit den Verfahrensbeteiligten. Die Hauptverhandlung wurde um 09.28 Uhr unterbrochen und um 10.16 Uhr fortgesetzt. In der Zwischenzeit fanden auf Anregung der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers Erörterungen „gemäß § 257c StPO“ statt. Dazu teilte der Vorsitzende mit, dass die Strafkammer im Fall einer geständigen Einlassung des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe mit einem Strafrahmen von sechs bis sechseinhalb Jahren als tat- und schuldangemessen erachte. Eine Absprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung sei aber nicht erfolgt.

Die Revision rügt unter anderem, der Vorsitzende habe nicht mitgeteilt, warum die Verständigung nicht zustande gekommen sei; über Äußerungen der Verfahrensbeteiligten sei im Hinweis des Vorsitzenden nichts ausgesagt worden.

II.

Die Verfahrensrüge hat Erfolg.

1. Die Rüge ist zulässig im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Auf den Inhalt des Gesprächs zwischen dem Verteidiger und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft vor Beginn der Hauptverhandlung kommt es für die Frage der Verletzung einer Hinweispflicht des Gerichts nicht an, weshalb dieser von der Revision nicht dargelegt werden musste. Sie musste auch nicht den Inhalt der Erörterungen während der Unterbrechung der Hauptverhandlung mitteilen. Das war - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - auch nicht soweit erforderlich, dass der Senat erkennen kann, ob es sich um Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung gehandelt hat; denn die Revision hat den Inhalt des Protokolls der Hauptverhandlung vorgetragen, wonach „Gespräche gemäß § 257c StPO geführt wurden“. Daraus ist zu entnehmen, dass es auch nach der Beurteilung des Landgerichts um Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung ging.

2. Bei dieser Verfahrenslage ist § 243 Abs. 4 Satz 2 in Verbindung mit § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO verletzt.

a) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende des Gerichts mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben. Sie ist selbst dann zu beachten, wenn es um erfolglos geführte Gespräche geht, in deren Verlauf keine Verständigung zustande gekommen ist (vgl. Senat, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13, BGHSt 59, 252, 255).

Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden und auf welche Resonanz diese bei den anderen Beteiligten gestoßen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, BVerfGE 133, 168, 215 f.; Senat, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - 2 StR 367/16, NStZ 2017, 244; Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13, NStZ 2014, 601; Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 2 StR 417/18, StV 2019, 377 f.; BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 152; Beschluss vom 25. Februar 2015 - 4 StR 470/14, NStZ 2015, 353).

b) Gemessen daran genügte die Mitteilung des Standpunktes des Gerichts zur Straferwartung im Fall eines Geständnisses sowie des Ausbleibens einer Übereinstimmung unter den Verfahrensbeteiligten den Anforderungen des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO nicht.

c) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler.

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verfahrensfehler und dem Schuldspruch kann nicht ausgeschlossen werden. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung vom 11. März 2019 durch Bezugnahme auf eine Erklärung seines Verteidigers zur Sache eingelassen; dem ist die Strafkammer nur zum Teil gefolgt. In den Terminen vom 5. März und 11. März 2019 hat er sich zu seinem Drogenkonsum geäußert. Diese Einlassung hat die Strafkammer als widerlegt angesehen. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte anders oder weitergehend zur Tat-, Schuld- und Rechtsfolgenfrage ausgesagt hätte, wenn er den nicht offen gelegten Inhalt der Erörterungen in seiner Abwesenheit gekannt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 339

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 180; StV 2021, 412

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner