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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1230

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 33/21, Beschluss v. 02.06.2021, HRRS 2021 Nr. 1230


BGH 3 StR 33/21 - Beschluss vom 2. Juni 2021 (LG München)

Kriminelle Vereinigung bei einem auf die Begehung von auf Gewinnerzielung ausgerichteten Straftaten Zusammenschluss (organisierte Kriminalität; Betäubungsmittelkriminalität; übergeordnetes gemeinsames Interesse; lediglich gleichlaufende Individualinteressen; Umfang und Ausmaß organisatorischer Strukturen; Gesamtwürdigung).

§ 129 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Tätergruppierungen aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität können unter den Begriff der kriminellen Vereinigung i.S.d. § 129 StGB fallen, sofern der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgt. Das ist bei der gemeinsamen Begehung von Taten, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, allerdings nicht ohne Weiteres der Fall, da gleichgerichtete, von verschiedenen Personen verfolgte Ziele nicht bereits ein übergeordnetes gemeinsames Interesse darstellen. Ansonsten wäre ein solches bei der Verwirklichung eines Bandentatbestandes angesichts des übereinstimmenden Willens zu künftiger Straftatbegehung regelmäßig gegeben und eine Bande würde häufig, wenn nicht gar im Regelfall auch eine Vereinigung darstellen. Daraus ergäbe sich ein weitgehender Gleichlauf von Bande und Vereinigung, der sich nicht in die Gesamtsystematik des materiellen Strafrechts einfügte.

2. Zur Ermittlung des für eine Vereinigung konstitutiven übergeordneten gemeinsamen Interesses können im Rahmen einer Gesamtwürdigung die äußeren Tatumstände herangezogen werden. Hierzu zählen insbesondere der Umfang und das Ausmaß genutzter - gegebenenfalls auch grenzüberschreitender - organisatorischer Strukturen sowie sachlicher Mittel, eine festgelegte einheitliche Willensbildung, eine interne Sanktionierung von Verstößen gegen gemeinschaftliche Regeln, die Anzahl der Mitglieder, ein von den konkreten Personen losgelöster Bestand, eine etwaige Gemeinschaftskasse, die Beanspruchung quasistaatlicher Autorität und die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche oder hoheitliche Akteure.

3. Je ausgeprägter solche Kriterien vorliegen, desto eher lässt sich der Schluss ziehen, dass es den einzelnen Personen - gerade im Bereich allgemeiner, auf Gewinnerzielung ausgerichteter Kriminalität - nicht lediglich um ihre individuellen Vorteile, sondern um weitergehende Ziele geht wie beispielsweise den eigenständigen Fortbestand der Organisation um ihrer selbst willen oder ein spezifisches Machtstreben. Da eine Gesamtbetrachtung geboten ist, müssen allerdings nicht sämtliche Merkmale in besonderer Weise vorliegen. Entscheidend ist, ob sie insgesamt den Schluss auf die Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses und die damit einhergehende vereinigungstypische Dynamik zulassen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 24. Juni 2020 im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung entfällt.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten des „Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie zweier tateinheitlicher Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, diese jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, in weiterer Tateinheit mit drei tateinheitlichen Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, diese Fälle jeweils zudem in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall zudem mit vorsätzlicher Abgabe von Betäubungsmitteln“ für schuldig befunden und ihn zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Die Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Nach den Feststellungen zu dem hier relevanten Teil des Tatgeschehens vereinbarte der Angeklagte, der in M. in großem Umfang mit Cannabis Handel trieb, im Januar 2019 mit zwei Personen aus seinem sozialen Umfeld, dass diese ihn fortan auf unbestimmte Zeit bei seinen Aktivitäten unterstützten, und zwar die eine Person durch eine Mitwirkung bei der Lagerung von Betäubungsmitteln und deren Abgabe an Käufer, die andere durch eine Entgegennahme von Kaufgeldern und deren Weiterleitung an den Angeklagten. Beide sollten hierfür vom Angeklagten durch Erhalt von Cannabis zum Eigenkonsum fortlaufend entlohnt werden. Entsprechend dieser Übereinkunft verkaufte der Angeklagte unter Mitwirkung der beiden Helfer gewinnbringend Haschisch in nicht geringer Menge aus einer Lieferung, die er am 12. Januar 2019 erhalten hatte. Zudem erwarb der Angeklagte nachfolgend in B. erneut eine größere Menge Betäubungsmittel, und zwar Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von 208 Gramm THC und Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 667,3 Gramm THC, und verbrachte diese am 21. Januar 2019 nach M., um sie dort entsprechend der getroffenen Abrede ganz überwiegend gemeinsam mit seinen Helfern gewinnbringend weiterzuverkaufen und ihnen einen geringen Anteil als Tatlohn zu überlassen. Hierzu kam es jedoch nicht, weil der Angeklagte bei seiner Rückkehr aus B. verhaftet wurde.

Insofern hat die Strafkammer eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen zweier tateinheitlicher Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG), jeweils in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) und mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), angenommen.

2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu diesem Tatgeschehen belegen indes keine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Gründung oder mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 StGB.

a) Eine Vereinigung ist nach § 129 Abs. 2 StGB in der Fassung des seit dem 22. Juli 2017 geltenden Vierundfünfzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2440) ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses (vgl. dazu BT-Drucks. 18/11275 S. 11). Danach müssen ein organisatorisches, ein personelles, ein zeitliches und ein interessenbezogenes Element gegeben sein (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 19; Beschluss vom 2. Juni 2021 - 3 StR 61/21, juris Rn. 8; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 14a ff.).

Zwar hat die Legaldefinition den Vereinigungsbegriff im Vergleich zum bisherigen Begriffsverständnis (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 23 mwN) bewusst ausgeweitet, indem die Anforderungen an die Organisationsstruktur und die Willensbildung abgesenkt wurden. Indes muss ein organisierter Zusammenschluss von Personen bestehen, was zumindest eine gewisse Organisationsstruktur sowie in gewissem Umfang instrumentelle Vorausplanung und Koordinierung erfordert. Notwendig ist darüber hinaus das Tätigwerden in einem übergeordneten gemeinsamen Interesse (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 20).

Wie bereits nach der früheren Rechtslage können Tätergruppierungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ebenso wie sonstige Zusammenschlüsse aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität unter den neuen Begriff der kriminellen Vereinigung fallen (vgl. BGH, Urteile vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 21; vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 42; BT-Drucks. 18/11275 S. 11). Dies gilt auch für den Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Erforderlich hierfür ist - neben den weiteren aufgezeigten Voraussetzungen - jedoch, dass der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgt. Lediglich individuelle Einzelinteressen der Mitglieder der Gruppierung genügen nicht. Das gemeinsame Interesse muss insbesondere über die bezweckte Begehung der konkreten Straftaten und ein Handeln um eines persönlichen materiellen Vorteils willen hinausgehen (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 21 ff.; Beschluss vom 2. Juni 2021 - 3 StR 61/21, juris Rn. 9; s. zudem BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 - AK 3/21 und 4/21, NStZ-RR 2021, 136, 137; Urteile vom 14. Juni 2018 - 3 StR 585/17, BGHSt 63, 138 Rn. 22; vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216 Rn. 42; LG Köln, Beschluss vom 9. November 2020 - 101 Qs 72/20, NStZ-RR 2021, 74 ff.; BT-Drucks. 18/11275 S. 11; LKStGB/Krauß, 13. Aufl., § 129 Rn. 40 f.; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 22; SKStGB/Stein/Greco, 9. Aufl., § 129 Rn. 15; SSWStGB/Lohse, 5. Aufl., § 129 Rn. 18).

Ein solches übergeordnetes gemeinsames Interesse liegt bei Zusammenschlüssen zur Verfolgung weltanschaulich-ideologischer, religiöser oder politischer Ziele regelmäßig bereits mit Blick auf diese Zielsetzung vor (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 21 mwN). Bei der gemeinsamen Begehung von Taten, die - wie vorliegend - auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind und damit letztlich vor allem dem jeweils beteiligten Individuum wirtschaftliche Vorteile bringen sollen, ist dies allerdings nicht ohne Weiteres der Fall. Insbesondere bei solchen Taten ist zu beachten, dass gleichgerichtete, von verschiedenen Personen verfolgte Ziele nicht bereits ein übergeordnetes gemeinsames Interesse darstellen. Ansonsten wäre ein solches bei der Verwirklichung eines Bandentatbestandes angesichts des übereinstimmenden Willens zu künftiger Straftatbegehung regelmäßig gegeben und hätte dies zur Folge, dass eine Bande häufig, wenn nicht gar im Regelfall auch eine Vereinigung darstellt. Daraus ergäbe sich ein weitgehender Gleichlauf von Bande und Vereinigung, der sich nicht in die Gesamtsystematik des materiellen Strafrechts einfügte (näher hierzu BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 23 ff.).

Mithin ist aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob sich mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses oder lediglich zur Durchsetzung ihrer jeweiligen - gegebenenfalls gleichgerichteten - Individualinteressen zusammengeschlossen haben. Zur Ermittlung des für eine Vereinigung konstitutiven übergeordneten gemeinsamen Interesses können im Rahmen einer Gesamtwürdigung die äußeren Tatumstände herangezogen werden. Hierzu zählen insbesondere der Umfang und das Ausmaß genutzter - gegebenenfalls auch grenzüberschreitender - organisatorischer Strukturen sowie sachlicher Mittel, eine festgelegte einheitliche Willensbildung, eine interne Sanktionierung von Verstößen gegen gemeinschaftliche Regeln, die Anzahl der Mitglieder, ein von den konkreten Personen losgelöster Bestand, eine etwaige Gemeinschaftskasse, die Beanspruchung quasistaatlicher Autorität und die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche oder hoheitliche Akteure. Je ausgeprägter solche Kriterien vorliegen, desto eher lässt sich der Schluss ziehen, dass es den einzelnen Personen - gerade im Bereich allgemeiner, auf Gewinnerzielung ausgerichteter Kriminalität - nicht lediglich um ihre individuellen Vorteile, sondern um weitergehende Ziele geht wie beispielsweise den eigenständigen Fortbestand der Organisation um ihrer selbst willen oder ein spezifisches Machtstreben. Da eine Gesamtbetrachtung geboten ist, müssen allerdings nicht sämtliche Merkmale in besonderer Weise vorliegen. Entscheidend ist, ob sie insgesamt den Schluss auf die Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses und die damit einhergehende vereinigungstypische Dynamik zulassen (BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, juris Rn. 33).

b) Nach diesen Maßstäben war die Gruppierung des Angeklagten und seiner beiden Helfer zwar eine Bande gemäß § 30a Abs. 1 BtMG, jedoch keine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB. Denn die Bandenmitglieder verfolgten kein übergeordnetes gemeinsames Interesse, sondern jeweils nur ein individuelles Einzelanliegen. Sie agierten allein um des jeweiligen persönlichen materiellen Vorteils willen. So erklärten sich die beiden Helfer zur Mitwirkung bereit, weil sie vom Angeklagten als Entlohnung Betäubungsmittel zum Eigenkonsum erlangen wollten. Keiner der drei hatte ein Interesse an dem Bestand ihres Zusammenschlusses, das über die Begehung der vereinbarten Straftaten hinausging. Zudem wies der Zusammenschluss abgesehen davon, dass jeder Helfer bestimmte Unterstützungsaufgaben für den Angeklagten erfüllen sollte, keine organisatorische Struktur auf, die auf ein übergeordnetes gemeinsames Interesse der Beteiligten hindeuten könnte.

3. Weitergehende Feststellungen, die eine Strafbarkeit gemäß § 129 Abs. 1 StGB begründen könnten, sind nicht zu erwarten. Der Senat ändert den Schuldspruch deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung entfällt. § 265 StPO steht dem nicht entgegen.

4. Der Strafausspruch bleibt von der Schuldspruchberichtigung unberührt. Es ist auszuschließen, dass die Strafkammer eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn sie der Strafzumessung den geänderten Schuldspruch zu Grunde gelegt hätte. Denn sie hat in den Urteilsgründen ausgeführt, sie könne in der Verwirklichung des Tatbestandes der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung keinen relevant über den Bandenhandel hinausreichenden Unrechtsgehalt erkennen und habe daher der tateinheitlichen Verwirklichung dieses Straftatbestandes „im Rahmen der Ahndungszumessung kein eigenes Gewicht beigemessen“.

5. Der geringfügige Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, dem Beschwerdeführer die gesamten Kosten des Rechtsmittels aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1230

Externe Fundstellen: NStZ 2022, 159

Bearbeiter: Christian Becker