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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1136

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 20/21, Beschluss v. 07.07.2021, HRRS 2021 Nr. 1136


BGH 2 StR 20/21 - Beschluss vom 7. Juli 2021 (LG Aachen)

Konkurrenzen (Abgrenzung Tateinheit und Tatmehrheit: gesonderte Prüfung bei jedem Beteiligten, individuelle Tatförderung, organisatorische Einbindung in die tatausführende Bande, einheitlicher Tatbeitrag, Zweifel); schwere räuberische Erpressung (Abgrenzung zum Raub); Einziehung (Taterträge; gesamtschuldnerische Haftung).

§§ 52, 53 StGB; §§ 253, 255, 250 StGB; § 73 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Lässt sich nicht feststellen, durch wie viele Handlungen im Sinne der §§ 52, 53 StGB der Angeklagte die festgestellten Taten gefördert hat, so ist im Zweifel zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur eine Handlung begangen hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 23. Juni 2020 - soweit es ihn betrifft -

a) im Schuldspruch unter Aufrechterhaltung des Teilfreispruchs dahin abgeändert, dass der Angeklagte des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie des erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,

b) im Strafausspruch dahin abgeändert, dass die Einzelstrafen in den Fällen 14 - 32, 34 - 37, 40 - 43, 53, 54, 57 und 58 der Urteilsgründe entfallen,

c) im Ausspruch über die Einziehung dahin abgeändert, dass aus dem Vermögen des Angeklagten G. ein Geldbetrag von 308.900 Euro, in diesem Umfang gesamtschuldnerisch haftend mit dem Angeklagten T., in Höhe von 108.781 Euro gesamtschuldnerisch haftend mit dem Angeklagten M. und in Höhe von 81.350 Euro gesamtschuldnerisch haftend mit dem gesondert verfolgten Ay., eingezogen wird.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 38 Fällen (Fälle 13 - 43, 55 - 60 und 32a der Urteilsgründe), unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen (Fälle 52 - 54 der Urteilsgründe) sowie erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung (Fall 44 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Zudem hat es angeordnet, dass aus dem Vermögen des Angeklagten ein Geldbetrag von 308.900 Euro, in diesem Umfang gesamtschuldnerisch haftend mit dem Angeklagten T., in Höhe von 100.850 Euro gesamtschuldnerisch haftend mit dem Angeklagten M. und in Höhe von 60.350 Euro gesamtschuldnerisch haftend mit dem gesondert verfolgten Ay. eingezogen wird. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch für den Angeklagten G. ist in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich abzuändern.

a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen 13 - 43, 55 - 60 und 32a der Urteilsgründe sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen 52 - 54 der Urteilsgründe. Jedoch hält die Annahme jeweils selbstständiger, realkonkurrierender Betäubungsmittelstraftaten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

aa) Nach den Feststellungen war der Angeklagte G. bei den Hells Angels MC Charter A. als „Sergeant“ und damit in der Führungsriege tätig. Der nichtrevidierende Mitangeklagte T. war ein im clubinternen Rang deutlich niedriger gestellter „Prospect“, der die Stellung eines „Members“ anstrebte. Anfang des Jahres 2017 betrieb T. zusammen mit dem gesondert verfolgten Ay. im A. Ostviertel auf eigene Rechnung einen schwunghaften Handel mit Marihuana (Fälle 1 - 12 der Urteilsgründe). Ab dem Sommer 2017 übernahmen die Hells Angels die Rauschgiftgeschäfte (Fälle 13 - 33 der Urteilsgründe). Während T. unter Mithilfe des Ay. fortan als Hauptorganisator für Beschaffung, Überwachung und Transport des Rauschgifts jeweils im Einzelfall verantwortlich war, beschränkte sich der Tatbeitrag des Angeklagten G. darauf, diese bei deren Tätigkeiten zu überwachen. G. trat nach außen vornehmlich als „Schutzmacht“ und als „starker Mann“ auf, wenn es Probleme bei Zahlungsschwierigkeiten oder mit abtrünnigen Kunden gab. Einmal organisierte er bei einem Lieferengpass ein Kilogramm Marihuana bei einem marokkanischen Dealer (Fall 33 der Urteilsgründe). Zu einem späteren Zeitpunkt betraute der Angeklagte G. statt des ausgeschiedenen Ay. den Mitangeklagten M. neben T. mit dem Verkauf des Marihuanas aus einer Wohnung in A. (Fall 32a der Urteilsgründe).

Spätestens Anfang Juli 2017 übernahmen die Hells Angels unter Leitung des G. den Handel mit Kokain aus den Räumlichkeiten eines Cafés in A. (Fälle 34 - 43 der Urteilsgründe). Auch hier agierte der Angeklagte G. vornehmlich im Hintergrund als Schutzmacht und Überwacher. Zunächst war neben T. der gesondert verfolgte Ay. in den Kokainhandel eingebunden (Fälle 34 - 38 der Urteilsgründe), nach einem Zerwürfnis wurde dieser durch den Mitangeklagten M. ersetzt (Fälle 39 - 43 der Urteilsgründe).

Darüber hinaus organisierte T. unter Aufsicht des Angeklagten G. unter Ausnutzung der bundesweiten Kontakte der Hells Angels eine Marihuana-Lieferschiene nach H. (Fälle 52 - 60 der Urteilsgründe). Auch in diesem Tatkomplex erschöpfte sich die Rolle des Angeklagten G. im Wesentlichen in der bloßen Überwachung des T. Lediglich in den Fällen 55, 56 und 59 stellte er jeweils sein Fahrzeug zur Abwicklung der Drogengeschäfte zur Verfügung und leistete damit einen konkreten eigenständigen Tatbeitrag.

bb) Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist ein tateinheitliches oder tatmehrheitliches Zusammentreffen bei jedem Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Mittäter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten ? soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt ? als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Eine darüber hinaus gegebene organisatorische Einbindung des Täters in die tatausführende Bande ist in diesen Fällen nicht geeignet, die Einzeldelikte der Tatserie rechtlich zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen. Fehlt es hingegen an einer solchen individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die Mittäter die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 4 StR 582/19; BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 182 f.). Lässt sich nicht feststellen, durch wie viele Handlungen im Sinne der §§ 52, 53 StGB der Angeklagte die festgestellten Taten gefördert hat, so ist im Zweifel zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur eine Handlung begangen hat (BGH, Beschluss vom 3. Juli 2014 - 4 StR 191/14, NStZ 2014, 702).

cc) Nach diesem Maßstab belegen die Urteilsgründe in den Fällen 13 - 32 keinen individuellen, die einzelnen Betäubungsmittelgeschäfte fördernden Tatbeitrag des Angeklagten G. Seine Mitwirkung beschränkte sich darauf, die Mitangeklagten T. und Ay. bei deren Tätigkeit zu überwachen, sodass insoweit für den Angeklagten G. konkurrenzrechtlich nur von einer Tat auszugehen ist.

Im Fall 32a leistete G. einen individuellen Tatbeitrag, indem er aufgrund eines geänderten modus operandi den Verkauf der Betäubungsmittel aus der Wohnung in A. veranlasste und den ausscheidenden Ay. durch M. ersetzte.

Im Fall 33 leistete der Angeklagte G. ebenfalls einen eigenen Tatbeitrag, indem er ein zum Verkauf bestimmtes Kilogramm Marihuana bei einem marokkanischen Dealer bestellte.

In den Fällen 34 - 43 hingegen ist den Feststellungen wiederum ein eigener, die einzelnen Taten konkret fördernder Tatbeitrag des Angeklagten G. nicht zu entnehmen. Da die Taten 34 - 38 jedoch gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Ay. und - nach dem Zerwürfnis mit diesem - die Taten 39 - 43 unter Mitwirkung des Mitangeklagten M. verübt wurden, tragen die Feststellungen insoweit eine Verurteilung wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen.

Hinsichtlich der Fälle 52 - 54 der Urteilsgründe beschränkte sich die Mitwirkung des Angeklagten G. wiederum lediglich auf die Überwachung des T., sodass insoweit von nur einer Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auszugehen ist. Dass die Strafkammer bandenmäßiges Handeltreiben nicht erwogen hat, beschwert den Angeklagten nicht.

In Bezug auf die Taten 55 - 60 der Urteilsgründe ist nur in den Fällen 55, 56 und 59, in denen er sein Fahrzeug zur Abwicklung der Drogengeschäfte zur Verfügung stellte, ein eigener Tatbeitrag des G. belegt. Bei den übrigen Taten 57, 58 und 60 war er lediglich in überwachender Funktion tätig, so dass in diesem Komplex von einem bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in lediglich vier Fällen auszugehen ist.

b) Da ergänzende Feststellungen, welche eine andere Beurteilung der Konkurrenzfrage rechtfertigen könnten, nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

c) Die vom Generalbundesanwalt beantragte Änderung des Schuldspruchs im Fall 44 war nicht veranlasst. Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten G. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung (statt wegen besonders schweren Raubes) ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

aa) Nach den Feststellungen versetzte G. dem Ay. in dem Clubhaus der Hells Angels einen Kopfstoß sowie vier Faustschläge und forderte ihn auf, seine Taschen zu leeren. Aus Angst vor weiteren Repressalien und unter dem Eindruck der Gewaltanwendung legte Ay. Bargeld in Höhe von 350 Euro und sein Mobiltelefon im Wert von 150 Euro auf den Tisch, bevor er weiter misshandelt wurde. Das Mobiltelefon sowie das Bargeld behielten G. und T. für sich.

bb) Für die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das äußere Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten maßgebend (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 390; vom 20. April 1995 - 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 124 f.; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 253 Rn. 15 mwN). Indem der Geschädigte Ay. nach Aufforderung und unter dem Eindruck der erheblichen Gewaltanwendungen seine Taschen leerte und Bargeld sowie Mobiltelefon zum Ausgleich für angeblich veruntreute Drogengelder auf den Tisch des Clubhauses legte, gab er den Gewahrsam an den Gegenständen vollständig auf. Ein Gewahrsamsbruch seitens G. und T. durch die Ansichnahme der Gegenstände war damit nicht gegeben.

2. In Folge der Schuldspruchänderung entfallen in den Fällen 14 - 32, 34 - 37, 40 - 43, 53, 54, 57 und 58 die jeweils verhängten Einzelstrafen. In den Fällen 13, 32a, 33, 38, 39, 44, 52, 55, 56, 59 und 60 bleiben die verhängten Einzelstrafen bestehen. Einer Aufhebung der Gesamtstrafe bedarf es nicht. Der Senat kann ? ausgehend von der Einsatzstrafe von fünf Jahren und acht Monaten ? im Hinblick auf die verbleibenden weiteren zehn Einzelfreiheitsstrafen (einmal drei Jahre, neunmal zwischen fünf Jahre und fünf Jahre sechs Monate) ausschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender Bewertung des Konkurrenzverhältnisses, die den Unrechtsund Schuldgehalt des Tuns des Angeklagten unberührt lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2010 ? 4 StR 374/10, NStZ-RR 2011, 79, 80), auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

3. Auch die hinsichtlich der gesamtschuldnerischen Haftung teilweise fehlerhafte Einziehungsentscheidung hat der Senat in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO berichtigt und das angefochtene Urteil entsprechend geändert (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2014 - 3 StR 314/13).

a) Soweit bei der Berechnung der Einziehung von Taterträgen in einer Höhe von 308.900 Euro für den Angeklagten G. der Fall 43 mit einem Tatertrag von 15.500 Euro unberücksichtigt geblieben ist, beschwert ihn dies nicht.

b) Hingegen war die gesamtschuldnerische Haftung des Mitangeklagten M. falsch berechnet und deshalb entsprechend zu erhöhen. Zwar hat das Landgericht im Fall 38 den bereits im November 2017 erzielten Verkaufserlös in Höhe von 21.000 Euro in Ansatz gebracht, obwohl M. zu diesem Zeitpunkt den gesondert verfolgten Ay. noch nicht als Bandenmitglied ersetzt hatte. Andererseits hat es im Fall 43 vereinnahmte 15.500 Euro unberücksichtigt gelassen und im Fall 32a die gesamtschuldnerische Haftung auf nur 750 Euro statt auf 14.181 Euro festgesetzt. Damit ergibt sich eine gesamtschuldnerische Haftung des M. von insgesamt 108.781 Euro.

c) Auch die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten G. mit dem gesondert verfolgten Ay. ist zu niedrig bemessen. Die Strafkammer hat es versäumt, die der Mitverfügungsgewalt des Ay. unterliegenden Erlöse aus Kokainverkäufen in Höhe von 21.000 Euro aus dem November 2017 (Fall 38) in Ansatz zu bringen. Die gesamtschuldnerische Haftung des Ay. erhöht sich somit auf 81.350 Euro.

4. Angesichts des geringen Erfolges der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1136

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 347

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß