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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 670

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 121/20, Beschluss v. 12.05.2020, HRRS 2020 Nr. 670


BGH 2 ARs 121/20 2 AR 63/20 - Beschluss vom 12. Mai 2020

Zuständigkeitsbestimmung durch den Bundesgerichtshof (Zuständigkeit bei pauschaler Schilderung eines Gesamtkomplexes).

§ 13a StPO; § 143 Abs. 1 Satz 2 GVG

Leitsätze des Bearbeiters

1. § 13a StPO setzt eine durch Sachverhaltsmerkmale wie Ort, Zeit und Art der Ausführung sowie durch Bezeichnung eines bestimmten Täters konkretisierte und individualisierte Tat im prozessualen Sinne als Bezugsgegenstand des Verfahrens voraus. Die pauschale Schilderung eines Gesamtkomplexes, der eine Vielzahl lediglich allgemein umschriebener Straftaten umfasst, ist insofern ebenso wenig ausreichend wie die nur abstrakte Bezeichnung eines möglichen Täterkreises.

2. § 143 Abs. 1 Satz 2 GVG ist ungeachtet des mit § 13a StPO übereinstimmenden Wortlauts weiter auszulegen. Soweit gerichtliche Untersuchungshandlungen erforderlich werden, ist gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts zuständig, in dem die nach § 143 Abs. 1 Satz 2 GVG zuständige Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat.

Entscheidungstenor

Der Antrag, gemäß § 13a StPO das zuständige Gericht zu bestimmen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz führt ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Sie ermittelt gegen eine im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan tätige Organisation, die im Verdacht steht, in Deutschland Grundstoffe für die Herstellung von Heroin im Ausland anzukaufen, um dann mit Unterstützung bestechlicher Zollbeamter tonnenweise Rauschgift nach Europa, insbesondere Deutschland zu liefern.

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat beantragt, gemäß § 13a StPO das zuständige Gericht zu bestimmen.

II.

Der Antrag ist zurückzuweisen. Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung durch den Bundesgerichtshof gemäß § 13a StPO liegen nicht vor. Der Generalbundesanwalt hat dazu zutreffend ausgeführt:

„1. § 13a StPO ermöglicht eine Bestimmung des Gerichtsstands, d.h. der örtlichen Zuständigkeit eines Gerichts des ersten Rechtszugs für die Untersuchung und Entscheidung einer Strafsache, wenn es im Geltungsbereich der Strafprozessordnung an einem zuständigen Gericht (§§ 7 ff. StPO) fehlt oder ein solcher nicht ermittelt ist und deutsches Strafrecht nicht offenkundig unanwendbar ist. Die Regelung setzt - ebenso wie die sonstigen Vorschriften über den Gerichtsstand - eine durch Sachverhaltsmerkmale wie Ort, Zeit und Art der Ausführung sowie durch Bezeichnung eines bestimmten Täters konkretisierte und individualisierte Tat im prozessualen Sinne als Bezugsgegenstand des Verfahrens voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1993 - 2 ARs 164/93 -, juris, Rn. 7; Beschluss vom 12. Februar 1997 - 2 ARs 62/97 -, juris Rn. 1; Beschluss vom 12. August 1999 - 3 ARs 9/99 -, juris Rn. 7 f.; Beschluss vom 28. März 2018 - 2 ARs 97/18 -, juris Rn. 2). Die pauschale Schilderung eines Gesamtkomplexes, der eine Vielzahl lediglich allgemein umschriebener Straftaten umfasst (z.B. ‚Kriegsverbrechen im Bosnienkonflikt‘), ist insofern ebenso wenig ausreichend wie die nur abstrakte Bezeichnung eines möglichen Täterkreises (z.B. ‚die US-Verantwortlichen‘, vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1993 - 2 ARs 164/93 -, juris Rn. 9; Beschluss vom 12. August 1999 - 3 ARs 9/99 -, juris, Rn. 7 f.). In vorliegender Sache ist demnach eine Gerichtsstandsbestimmung durch den Bundesgerichtshof gemäß § 13a StPO nicht zulässig. Das gegen Unbekannt geführte Ermittlungsverfahren betrifft nicht eine bestimmte - hinreichend konkretisierte und individualisierte - Tat im prozessualen Sinne, sondern eine unbestimmte Vielzahl lediglich ihrer Art nach eingegrenzten Straftaten eines abstrakt umschriebenen Täterkreises, nämlich nicht näher konkretisierte Planungen unbekannter Mitglieder der Organisation ‚Noorzai‘, zum Zwecke der gewinnbringenden Veräußerung Heroin in nicht geringer Menge herzustellen und hierfür in Deutschland Essigsäureanhydrid zu erwerben und Zollbeamte zu bestechen.

2. Eine Gerichtsstandsbestimmung ist auch nicht erforderlich, um die Ermittlungen fortführen zu können. Gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 GVG in der Fassung des Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr vom 21. Januar 2013 (BGBl. I S. 89) ist die zuerst mit der Sache befasste Staatsanwaltschaft zuständig, wenn es im Geltungsbereich der Strafprozessordnung an einem zuständigen Gericht fehlt oder ein solches nicht ermittelt ist. Diese Vorschrift ist ungeachtet ihres mit § 13a StPO übereinstimmenden Wortlauts ihrem Sinn und Zweck entsprechend weiter auszulegen. Denn der Gesetzgeber wollte mit ihr eine Regelung der staatsanwaltschaftlichen Zuständigkeit ausdrücklich auch für solche Fälle treffen, in denen - wie hier - eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 13a StPO ausscheidet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2018 - 2 ARs 97/18 -, juris Rn. 2; BTDrs. 17/9694, S. 8). Soweit gerichtliche Untersuchungshandlungen erforderlich werden, ist gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts zuständig, in dem die nach § 143 Abs. 1 Satz 2 GVG zuständige Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat. Für das vorliegende Ermittlungsverfahren ist somit die Staatsanwaltschaft Koblenz als erstbefasste Staatsanwaltschaft zuständig. “

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 670

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner