hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 646

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 18/20, Beschluss v. 24.03.2020, HRRS 2020 Nr. 646


BGH 6 StR 18/20 - Beschluss vom 24. März 2020 (LG Nürnberg-Fürth)

Erpresserischer Menschenraub (Tätige Reue: Voraussetzungen).

§ 239a Abs. 4 Satz 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Tätige Reue liegt vor, wenn der Täter das Opfer in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt und zudem auf die erstrebte Leistung verzichtet; hierzu muss er vollständig von der erhobenen Forderung Abstand nehmen. § 239a Abs. 4 StGB setzt keine Freiwilligkeit voraus; es kommt somit auch nicht darauf an, aus welchen Motiven der Täter handelt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 22. Oktober 2019, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch und im Ausspruch über den Vorwegvollzug aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, erpresserischem Menschenraub, versuchter schwerer räuberischer Erpressung und zwei tateinheitlichen Fällen des versuchten Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr und einem Monat und zwei Wochen Freiheitsstrafe angeordnet. Den nicht revidierenden Mitangeklagten hat es wegen derselben Tat und weiterer schwerwiegender Delikte zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen das Urteil gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Eine Revisionserstreckung auf den Nichtrevidenten gemäß § 357 StPO ist nicht veranlasst.

1. Nach den zu Fall C.6 getroffenen landgerichtlichen Feststellungen verkaufte der frühere Mitangeklagte D. an den Geschädigten 95 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5 % THC, das er zuvor von dem Angeklagten zum Weiterverkauf erhalten hatte. Einige Tage später lockten der Angeklagte und D. den Geschädigten unter einem Vorwand auf die Rückbank eines vom Angeklagten geführten zweitürigen Fahrzeugs. Während der anschließenden mindestens zweistündigen Fahrt forderten beide von dem Geschädigten unter der Drohung, ihn anderenfalls umzubringen, die Begleichung von Drogenschulden. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, nahmen sie dem Geschädigten das Mobiltelefon ab und schlugen ihm mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht, der Angeklagte drohte zusätzlich Verletzungen mittels eines durch ein Feuerzeug erhitzten Radkreuzes aus Metall an. Der Geschädigte schlug daraufhin vor, zu seinen in der Nähe wohnenden Eltern zu fahren und diese um Geld zu bitten. Mit dem falschen Hinweis, dass ihr Sohn dem D. wertvollen Goldschmuck gestohlen habe, verlangte der Angeklagte von den Eltern des Geschädigten vergeblich die Zahlung von 2.000 Euro. Beide verließen die Wohnanschrift der Eltern ohne den Geschädigten und nahmen von der weiteren Durchsetzung der Forderung Abstand.

2. Die Überprüfung des angegriffenen Urteils hat hinsichtlich des Schuldspruchs und der Anordnung der Maßregel keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hingegen haben der Strafausspruch und derjenige zum Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe keinen Bestand.

Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Der Strafausspruch weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die Strafkammer hat das Vorliegen tätiger Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB rechtsfehlerhaft nicht erörtert.

Tätige Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB liegt dann vor, wenn der Täter das Opfer in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt und zudem auf die erstrebte Leistung verzichtet; hierzu muss er vollständig von der erhobenen Forderung Abstand nehmen (BGH, Beschluss vom 7. September 2016 - 1 StR 293/16, NStZ 2017, 412; vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 239a Rn. 33 ff.; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 239a Rn. 19 f.). § 239a Abs. 4 StGB setzt keine Freiwilligkeit voraus; es kommt somit auch nicht darauf an, aus welchen Motiven der Täter handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 - 1 StR 152/03, NStZ 2003, 605; Renzikowski in MüKo, StGB, 3. Aufl., § 239a Rn. 97; Eisele, aaO, Rn. 40; Fischer, aaO, Rn. 19).

Dass der Angeklagte und sein Mittäter - naheliegender Weise - in Anbetracht der Erkenntnis fehlender Erfolgsaussicht vom Geschädigten abgelassen haben (vgl. Ausführungen der Kammer zur Rücktrittsprüfung (UA S. 18)), steht der Annahme tätiger Reue mithin nicht entgegen. Auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen von § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB nach den getroffenen Feststellungen der Kammer vor: Der Angeklagte und der Mitangeklagte haben auf das Eintreiben der erstrebten Geldforderung in der Folgezeit vollständig verzichtet (UA S. 21, 25). Obwohl Feststellungen der Kammer dazu fehlen, wie genau die Bemächtigungssituation im oder am Haus der Eltern nach Einweihung der Mutter endete (vgl. UA S. 11, 16, 18), belegen die Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit jedenfalls sicher, dass der Angeklagte und sein Mittäter die „Freilassung“ des Geschädigten gewollt und keine weiteren Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Bemächtigungssituation getroffen haben. Demgegenüber liegen ausweislich der Feststellungen keine Anhaltspunkte für ein den Angeklagten und den Mitangeklagten nicht privilegierungswürdiges Ende der Bemächtigungssituation vor, beispielsweise indem der Geschädigte alleine oder mit Hilfe seiner Eltern die Freiheit zurückerlangen konnte. So bezieht sich die Aufklärung der Mutter ausweislich der Feststellungen auch alleine auf die (versuchte) Betrugstat.

Da der Senat weder einen Einfluss auf die Prüfung der Voraussetzungen des minder schweren Falles (§ 239a Abs. 2 StGB) noch eine Strafrahmenmilderung (§§ 239a Abs. 4 Satz 1, 49 Abs. 1 StGB) wird ausschließen können, ist das Urteil im Strafausspruch insgesamt aufzuheben. (…) Die Aufhebung des Strafausspruches hat auch die Aufhebung der Anordnung über die Dauer des Vorwegvollzugs zur Folge.

Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen - auch zum Strafausspruch - sowie der Schuld- und der Maßregelausspruch können bestehen bleiben, da lediglich Wertungsmängel vorliegen.“

Dem schließt sich der Senat an.

3. Einer Revisionserstreckung gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten bedarf es nicht, weil der Senat auch im Hinblick auf das einbezogene Urteil (Jugendstrafe von acht Monaten) ausschließt, dass die verhängte Jugendstrafe bei Annahme tätiger Reue noch niedriger ausgefallen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - 5 StR 29/14, NJW 2014, 1752). Der Senat konnte hierüber durch Beschluss entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 1995 - 2 StR 572/95, BGHR StPO § 349 Abs. 5 Entscheidung 1).

4. Da das Verfahren sich nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, verweist der Senat die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 646

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 347; StV 2020, 664

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner