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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 63

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 449/19, Beschluss v. 19.11.2019, HRRS 2020 Nr. 63


BGH 4 StR 449/19 - Beschluss vom 19. November 2019 (LG Halle)

Mittäterschaft (Maßstab).

§ 25 Abs. 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Mittäterschaft liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann vor, wenn ein Tatbeteiligter nicht bloß fremdes Tun fördern will, sondern seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils will. Ob ein Beteiligter dieses enge Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür können gefunden werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen. In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für diese Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Lässt das angefochtene Urteil erkennen, dass der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre.

Entscheidungstenor

1. Der Antrag des Angeklagten S., ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 30. April 2019 zu gewähren, wird als unzulässig verworfen.

Die Revision des Angeklagten S. gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unzulässig verworfen.

Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten S. die Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen.

2. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das vorbezeichnete Urteil, auch soweit es den Angeklagten S. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

3. Auf die Revision des Angeklagten St. wird das vorbezeichnete Urteil im Ausspruch über die Einziehung, auch soweit sie die Aufrechterhaltung der mit Urteil des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 25. April 2018 angeordneten Einziehung betrifft,

a) dahin abgeändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 15.286,11 Euro angeordnet wird,

b) aufgehoben, soweit in Höhe von 70 Euro über eine gesamtschuldnerische Haftung nicht entschieden worden ist.

Die weiter gehende Revision des Angeklagten St. wird verworfen.

Der Angeklagte St. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten D., an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten der besonders schweren räuberischen Erpressung schuldig gesprochen und den Angeklagten S. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, den Angeklagten D. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten und den Angeklagten St. unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 25. April 2018 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat hinsichtlich des Angeklagten St. die Einziehung „des Wertes des Taterlangten“ in Höhe von 15.216,11 Euro aus dem Urteil des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen aufrecht erhalten und hinsichtlich aller drei Angeklagten die Einziehung „des Wertes des Taterlangten“ in Höhe von 70 Euro angeordnet.

Gegen ihre Verurteilung wenden sich alle drei Angeklagte mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen; der Angeklagte S. hat zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt.

1. Der Wiedereinsetzungsantrag und die Revision des Angeklagten S. sind unzulässig, weil der Verteidiger den Schriftsatz vom 25. Juli 2019 nicht unterschrieben hat. Es fehlt mithin an der formgerechten Nachholung der versäumten Handlung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revisionsbegründung muss von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein, § 345 Abs. 2 StPO.

2. Das Rechtsmittel des Angeklagten D. hat, auch betreffend den Angeklagten S., vollen Erfolg. Eine Mittäterschaft ist bei beiden Angeklagten nicht belegt.

a) Gegen 1.30 Uhr in der Nacht fuhr der später Geschädigte mit einem Fahrrad zu einer Tankstelle, um Zigaretten zu kaufen. Die drei Angeklagten bemerkten ihn und riefen ihm zu: „Hey“, „Hallo“, und „Hast du ein Feuerzeug?“ Sie liefen zu dem Geschädigten, um ihn zu berauben. Der Angeklagte St., der in einer Hand eine Bierflasche hielt, holte mit der anderen Hand ein Messer aus der Hosentasche. Er packte den Geschädigten mit seinem Arm um den Hals und nahm ihn in den „Schwitzkasten“. Er hielt ihm das Messer an den Hals und zog ihn in Richtung eines Gebüschs. Dabei sagte er „Gib mir alles, was du hast, sonst steche ich dir in den Hals!“ Die Angeklagten D. und S. unterstützten ihn, indem sie dem Geschädigten sagten, dass er keine Angst zu haben brauche, damit er sich beruhige und die Situation mit dem Messer nicht eskaliere. Der Geschädigte gab St. 70 Euro, mehr Geld führte er nicht mit sich. Der Angeklagte St. drückte ihn zu Boden und drohte, ihn „kalt zu machen“, wenn er zur Polizei gehe. Die Angeklagten S. und D. standen dicht neben dem Angeklagten St., um ihn abzuschirmen und eine eventuelle Flucht des Geschädigten zu verhindern. Auch sie sagten ihm, dass er auf dem Boden liegen bleiben solle. Der Angeklagte St. nahm nun auch das Fahrrad des Geschädigten an sich, und alle drei Angeklagten verließen den Tatort. Ob die Angeklagten S. und D. von der Tatbeute partizipierten, konnte die Strafkammer nicht klären; sie ist jedoch davon überzeugt, dass alle drei Angeklagten von vornherein ein Interesse an der Tatbeute hatten.

Die Angeklagten S. und D. haben bestritten, dass es zu einem Vorfall gekommen ist, bei dem dem Geschädigten Geld und Fahrrad abgenommen wurden. Der Angeklagte St. hat sich auf einen „Filmriss“ berufen.

b) Die getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um die Annahme des Landgerichts zu rechtfertigen, die Angeklagten S. und D. hätten sich in mittäterschaftlicher Begehung und unter Zurechnung der Tatbeiträge des Angeklagten St. der besonders schweren räuberischen Erpressung schuldig gemacht.

aa) Mittäterschaft liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann vor, wenn ein Tatbeteiligter nicht bloß fremdes Tun fördern will, sondern seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils will. Ob ein Beteiligter dieses enge Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür können gefunden werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen. In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für diese Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Lässt das angefochtene Urteil erkennen, dass der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 25. März 2010 - 4 StR 522/09, NStZ-RR 2010, 236; vom 10. Dezember 2013 - 5 StR 387/13, juris Rn. 10 und vom 17. April 2019 - 5 StR 685/18, NStZ 2019, 514, Beschluss vom 6. August 2019 - 3 StR 190/19, juris Rn. 21).

bb) Gemessen daran ist eine Mittäterschaft der Angeklagten S. und D. nicht belegt: Die von den Angeklagten geleisteten Tatbeiträge, die Anhaltspunkte für den Grad ihres Tatinteresses sein könnten, waren gering. Die Angeklagten haben nicht unmittelbar aktiv in das Tatgeschehen eingegriffen, sondern sich darauf beschränkt, dabei zu stehen und auf den Geschädigten beruhigend einzureden. Dieses Verhalten stellt eher eine für Beihilfe typische Unterstützungshandlung dar, das für sich weder auf eine Tatherrschaft noch auf einen Willen hierzu schließen lässt. Die Tat beging der Angeklagte St. alleine; ihre Ausführung und ihr Erfolg waren nach den Feststellungen dem Einfluss und dem Willen der Angeklagten S. und D. entzogen. Eine der Tat vorangegangene Absprache aller drei Angeklagter, den Geschädigten zu berauben, wird in der Beweiswürdigung nicht hinreichend begründet. Dass die Angeklagten S. und D. einen Anteil an der Tatbeute erhielten, ist zudem nicht festgestellt.

cc) Die Sache muss hinsichtlich des Angeklagten D. neu verhandelt und entschieden werden. Die Aufhebung des Urteils ist auf den Angeklagten S. zu erstrecken (§ 357 StPO), weil er sich ebenso wie der Angeklagte D. verhalten hat, der Rechtsfehler mithin bei beiden Angeklagten in gleichem Umfang vorliegt.

3. Das Rechtsmittel des Angeklagten St. hat nur geringen Erfolg in Bezug auf die Einziehungsentscheidung.

a) Die Entscheidung des Landgerichts, die im Urteil vom 25. April 2018 angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen aufrecht zu erhalten, steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Einbeziehung früherer Entscheidungen gemäß § 55 Abs. 2 StGB nicht in Einklang (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2019 - 4 StR 477/18, juris Rn. 17). Die frühere Einziehungsentscheidung ist vielmehr in das neue Urteil einzubeziehen, indem die Beträge aus der früheren und der aktuellen Einziehungsentscheidung zusammengezählt werden. Der Senat hat danach den sich aus der rechtskräftigen Einziehungsentscheidung des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen in Höhe von 15.216,11 Euro und dem Einziehungsbetrag aus der verfahrensgegenständlichen Tat in Höhe von 70 Euro gemäß § 354 Abs. 1 StPO analog auf 15.286,11 Euro festgesetzt.

b) Das Landgericht hat es unterlassen, eine Entscheidung über eine gesamtschuldnerische Haftung für die aus der verfahrensgegenständlichen Tat erlangten 70 Euro zu treffen. Sollte der neue Tatrichter zu der Feststellung gelangen, dass die Angeklagten S. und D. faktische Mitverfügungsgewalt an den 70 Euro oder an Anteilen davon erlangten, wird er eine gesamtschuldnerische Haftung im Tenor auszusprechen haben.

c) Der nur geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels des Angeklagten St. gibt keine Veranlassung, den Angeklagten von der Pflicht zur Übernahme der durch sein Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen auch nur teilweise zu entlasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 63

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 600

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner