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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 442

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 420/19, Beschluss v. 26.02.2020, HRRS 2020 Nr. 442


BGH 4 StR 420/19 - Beschluss vom 26. Februar 2020 (LG Bochum)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (Ausschluss der Gesamtstrafenbildung bei Tatbegehung zwischen zwei Vorverurteilungen).

§ 55 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Wurde die neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abgeurteilte Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 21. März 2019 dahin geändert, dass

a) die Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem im Verfahren 96 Ds 574 Js 1566/16 ? 20/18 ergangenen Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen und die hiermit gebildete Gesamtstrafe entfallen, und

b) der Angeklagte zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt wird.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem im Verfahren 96 Ds 574 Js 1566/16 ? 20/18 ergangenen Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen nach Auflösung der dortigen Gesamtstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit zwei Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Gesamtstrafenentscheidung des Landgerichts hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Strafkammer dem am 14. Juni 2018 ergangenen Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen zu Unrecht Zäsurwirkung beigemessen hat.

a) Wurde die neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abgeurteilte Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juni 2016 ? 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275; vom 18. Dezember 2013 ? 4 StR 356/13, NStZ-RR 2014, 74). Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde (vgl. Beschlüsse vom 17. November 2015 ? 4 StR 276/15, StraFo 2016, 82; vom 7. Mai 2013 ? 4 StR 111/13, wistra 2013, 354; Urteil vom 12. August 1998 ? 3 StR 537/97, BGHSt 44, 179, 180 f.; Beschluss vom 22. Juli 1997 ? 1 StR 340/97, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13) oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 2009 ? 5 StR 269/09, Rn. 2; vom 17. Juli 2007 ? 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369 f.; vom 7. Dezember 1983 ? 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193).

3 b) Bei der im angefochtenen Urteil vorgenommenen Gesamtstrafenbildung hat die Strafkammer übersehen, dass die mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 14. Juni 2018 abgeurteilten vier Taten sämtlich vor dem Urteil des Amtsgerichts Witten vom 9. Januar 2018 begangen wurden, durch welches der Angeklagte zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden ist. Die beiden Vorverurteilungen des Angeklagten durch das Amtsgericht Witten vom 9. Januar 2018 und das Amtsgericht Hagen vom 14. Juni 2018 sind daher untereinander gesamtstrafenfähig. Demgegenüber wurde die im angefochtenen Urteil abgeurteilte Tat erst am 8. Februar 2018 und damit zeitlich nach der zäsurbildenden Entscheidung des Amtsgerichts Witten vom 9. Januar 2018 begangen. Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen kommt somit nicht in Betracht.

2. Die im angefochtenen Urteil für die neu abgeurteilte Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten kann gleichfalls nicht bestehen bleiben.

Das bei alleiniger Revision des Angeklagten zu beachtende verfahrensrechtliche Verbot der reformatio in peius aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hat im Falle der fehlerhaften nachträglichen Gesamtstrafenbildung zur Folge, dass dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juni 2016 ? 4 StR 73/16, aaO, S. 276; vom 8. Dezember 1995 ? 2 StR 584/95, StV 1996, 265 [LS]; vom 11. Februar 1988 ? 4 StR 516/87, BGHSt 35, 208, 212; Urteil vom 3. November 1955 ? 3 StR 369/55, BGHSt 8, 203). Die Aufhebung der fehlerhaften Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 14. Juni 2018 führt dazu, dass die in diesem Strafbe4 5 6 fehl verhängte Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen jedenfalls vorübergehend neben der im angefochtenen Urteil ausgesprochenen Freiheitsstrafe bestehen bleibt. Um den aus dem Verschlechterungsverbot resultierenden Anforderungen Rechnung zu tragen, nach denen die Summe aus der im angefochtenen Urteil verhängten Freiheitsstrafe und der Anzahl der Tagessätze aus dem bestehenbleibenden Strafbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 14. Juni 2018 die aufgehobene Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat nicht übersteigen darf (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2013 ? 4 StR 111/13, wistra 2013, 354 f. mwN), setzt der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Freiheitsstrafe für die im angefochtenen Urteil ausgeurteilte gefährliche Körperverletzung auf zwei Jahre und neun Monate herab.

3. Der nur geringe Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 442

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 181

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner