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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 276

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 203/19, Urteil v. 06.11.2019, HRRS 2020 Nr. 276


BGH 2 StR 203/19 - Urteil vom 6. November 2019 (LG Frankfurt am Main)

Beschränkung des Rechtsmittels (Wirksamkeit der Beschränkung auf den Strafausspruch); Täter-Opfer-Ausgleich (Erforderlichkeit eines kommunikativen Prozesses).

§ 46a StGB; § 344 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Wirksamkeit einer Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch setzt grundsätzlich die Tragfähigkeit des Schuldspruchs voraus. Erweist sich dieser als rechtlich bedenklich und ist damit dem Strafausspruch ein zu großer Schuldumfang zugrunde gelegt, kann der Strafausspruch nicht ohne Blick auf den Schuldspruch überprüft werden.

2. Sind durch eine Straftat mehrere Opfer betroffen, muss hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Alternative des § 46a StGB erfüllt sein.

3. Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB ist grundsätzlich ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das ernsthafte Bemühen des Täters Ausdruck seiner Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme ist und das Opfer das Täterbemühen als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Dies erfordert regelmäßig Feststellungen dazu, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit es die Angeklagten H. und S. D. betrifft.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten H. und S. D. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren bzw. zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, wobei es erstere zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft führt - insoweit zu Gunsten der Angeklagten - zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und deckt im Übrigen im Strafausspruch auch Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten auf.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts mieteten die Angeklagten H. und S. D. am 3. Dezember 2017 ein Zimmer für zwei Nächte in einem Hotel in F. Beim Check-In beglichen sie die Rechnung hierfür mit Geld, das ihnen ihr Vater im Glauben, die Angeklagten wollten ein paar Tage Urlaub in K. machen, zur Verfügung gestellt hatte. Dieses nahm der Angestellte des Hotels entgegen und verwahrte es - von den Angeklagten wahrgenommen - in einem Umschlag, der in einer Schublade lag und in dem sich bereits weiteres Bargeld in größerer Menge befand.

Im Hotelzimmer beschlossen die Angeklagten, die Rezeption zu überfallen und den Umschlag mit Bargeld an sich zu nehmen, da ihr eigenes Geld nicht ausreichte, um ihre Partypläne umzusetzen. Sie waren sich einig, dass S. D., der erst kürzlich eine Bewährungsstrafe erhalten hatte, an der unmittelbaren Tatausführung nicht beteiligt sein sollte, riefen den Mitangeklagten Ö. an und überredeten ihn mitzumachen. Zudem wurde der gesondert verfolgte S. A. gebeten, den Angeklagten bei der Flucht behilflich zu sein. Die Angeklagten entschieden, bei der Tat schwarze Kleidung zu tragen und ihre Gesichter mit Schals zu maskieren. Ö. wies die Brüder D. daraufhin, dass ein Tatmittel benötigt würde, um den Portier einzuschüchtern und das eingesetzt werden könnte, sollte sich dieser ihren Forderungen widersetzen oder aus sonst einem Grund nicht alles nach Plan laufen. Man einigte sich auf Pfefferspray, das für den Fall, dass der Portier sich wehren oder sonst etwas schiefgehen würde, benutzt werden sollte, um diesen zu besprühen und so gefügig und/oder widerstandsunfähig zu machen. Keiner der Angeklagten hatte jedoch Pfefferspray bei sich. Ö. erklärte daraufhin, er sei nicht zu einer Tatbeteiligung bereit.

Von ihrem Tatplan aber nahmen die Angeklagten damit nicht endgültig Abstand. Sie liefen zusammen mit Ö. aus dem Hotel in Richtung w. und erwarben dort an einem Kiosk neben Cola und Jack-Daniels auch Pfefferspray. Es wurde vereinbart, den Überfall nun doch durchzuführen und das Spray, wie zuvor besprochen, im „Notfall“ einzusetzen.

Gegen Mitternacht ging S. D. zurück zum Hotel und kontrollierte, dass die Eingangstür geöffnet war. Später konnte er weiter feststellen, dass sich die Tageseinnahmen wie zuvor noch in der Schublade befanden. Daraufhin stürmten H. D. und Ö. gegen 3.15 Uhr in das Hotel und riefen laut „Überfall“. Als der Geschädigte T., der zuvor eingeschlafen war, ruckartig und erschrocken von seinem Stuhl aufstand, sprühte Ö. ihm aus weniger als 40 cm Abstand Pfefferspray in die Augen. Er dachte, der Geschädigte könne sich zur Wehr setzen und wollte ihn widerstandsunfähig machen. Daraufhin drehte sich T. weg, hielt seine Hände schützend vor die brennenden Augen und händigte aus Angst vor weiteren Verletzungen den Schlüssel für die Schublade aus, noch bevor er dazu aufgefordert wurde. H. D. öffnete die Schublade und entnahm den Umschlag mit den Tageseinnahmen in Höhe von 1.614,64 €. Anschließend flüchtete er mit Ö..

T. erlitt durch die Tat Schmerzen in den Augen und Atemnot. Er konnte vorübergehend nichts sehen und war zwei Wochen krankgeschrieben. Der Eigentümerin des Hotels entstand durch den Überfall ein Vermögensschaden in Höhe von 2.225,83 € (1.614,64 € Tageseinnahmen und 611,19 € von der Krankenkasse nicht erstattete Lohnkosten).

Die Brüder D. und der Mitangeklagte Ö. zahlten in Vorbereitung auf die Hauptverhandlung als Schadenswiedergutmachung an die Hoteleigentümerin insgesamt 2.292 €.

2. Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Dabei hat es die vom Mitangeklagten Ö. begangene gefährliche Körperverletzung auch den beiden Angeklagten zugerechnet. Nach ihrer Vereinbarung - Sprühen mit dem Pfefferspray, sollte der Geschädigte das Geld nicht herausgeben, sich wehren oder es sonst zu Schwierigkeiten kommen - hätten die Angeklagten grundsätzlich einen Einsatz des Pfeffersprays gebilligt. Sie hätten auch damit rechnen müssen, dass Ö. das Verhalten des Geschädigten falsch einschätzen und bereits dann sprühen könnte, wenn der Geschädigte lediglich erschrocken von seinem Stuhl aufstünde. Im Rahmen der Ausführungen zur Strafzumessung hat das Landgericht angenommen, dass der „anlasslose Einsatz des Pfeffersprays gegen den Geschädigten T. bei dem Überfall - im Sinne eines Besprühens und lediglich als Drohmittel - nicht geplant“ gewesen sei. Es habe sich vielmehr um eine „spontane Überreaktion“ des Ö. gehandelt, wenngleich die übrigen Angeklagten einen Einsatz des Pfeffersprays im Fall von Komplikationen gebilligt hätten und sie sich die - vorhersehbare - Fehleinschätzung der Situation durch den Mitangeklagten Ö. zurechnen lassen müssten.

3. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung jeweils einen minder schweren Fall des Raubs nach § 250 Abs. 3 StGB angenommen. Dabei ist es vom Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes gemäß § 46a Nr. 2 StGB ausgegangen. Die Angeklagten hätten die Hoteleigentümerin durch ihre Zahlungen von 800,-- € bzw. 750,-- € vollständig entschädigt. Dies habe jeweils bei ihren monatlichen Bruttoeinkommen von 338,-- € bzw. 450,-- € einen persönlichen Verzicht bedeutet. Im Schreiben ihrer Verteidiger, mit dem auch um Entschuldigung gebeten worden sei, sei auch Reue zum Ausdruck gebracht worden.

Eine Entschädigung des - immateriell - Geschädigten T. gemäß § 46a Nr. 1 StGB sei den Angeklagten nicht mehr möglich gewesen, nachdem dieser im Juli 2018 nach einer Operation im Zusammenhang mit einer Lungenkrebserkrankung verstorben sei. H. D. habe jedoch mit Schreiben seines Verteidigers vom 21. August 2018 gezeigt, dass er auch für den immateriellen Schaden, der durch den Überfall entstanden sei, Verantwortung zu übernehmen bereit sei. Er habe in Unkenntnis des Todes des Geschädigten um Entschuldigung gebeten und habe neben einem persönlichen Gespräch eine Schmerzensgeldzahlung von 1.000,-- € angeboten. S. D. habe mit seinem Schreiben aus dem November 2018, auch wenn das Ableben des Geschädigten ihm bekannt gewesen sei, deutlich gemacht, dass er insgesamt Verantwortung für das Geschehene übernehmen wolle.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft führt - insoweit zu Gunsten der Angeklagten (§ 301 StPO) - zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung (II.2.) und deckt im Übrigen auch Rechtsfehler zu ihrem Vorteil im Strafausspruch auf (II.3.).

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist nicht auf den Strafausspruch beschränkt, sondern erfasst das Urteil des Landgerichts insgesamt.

Soweit man mit dem Generalbundesanwalt davon ausginge, dass sich jedenfalls aus der Begründung des Rechtsmittels eine Beschränkung der Anfechtung auf den Strafausspruch ergäbe, wäre diese Beschränkung im vorliegenden Fall unwirksam. Denn die Wirksamkeit einer Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch setzt grundsätzlich die Tragfähigkeit des Schuldspruchs voraus (vgl. dazu im Einzelnen Gericke, KK, StPO, 8. Aufl., § 344, Rn. 10 m. Nachw. zur Rspr.). Erweist sich dieser - wie hier im Hinblick auf die Annahme einer tateinheitlichen Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung - als rechtlich bedenklich und ist damit dem Strafausspruch ein zu großer Schuldumfang zugrunde gelegt (vgl. etwa Senat, Urteil vom 11. September 2013 - 2 StR 131/13), kann der Strafausspruch nicht ohne Blick auf den Schuldspruch überprüft werden.

2. Der Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Ausführungen zur Zurechnung der vom Mitangeklagten Ö. verursachten gefährlichen Körperverletzung sind widersprüchlich und tragen insoweit eine Verurteilung nicht.

a) Der gemeinsame Tatplan sah ein Versprühen des Pfeffersprays lediglich für den Fall vor, dass der Geschädigte das Geld nicht herausgeben, sich wehren oder es sonst zu Schwierigkeiten kommen würde. Es kann dahinstehen, ob angesichts dieses Tatplans die Erwägung des Landgerichts, die beiden Angeklagten hätten damit „rechnen müssen“, dass Ö. „das Verhalten des Geschädigten falsch einschätzen und bereits dann sprühen könnte, wenn dieser lediglich erschrocken von seinem Stuhl aufstünde“, die Zurechnung der von diesem begangenen Körperverletzung schon rechtfertigt. Dies könnte - trotz der grundsätzlichen Billigung des Pfeffersprayeinsatzes „im Notfall“ - immerhin fraglich sein, weil diese Wertung noch nichts darüber besagt, ob die Angeklagten gerade auch eine „anlasslose“ Verwendung von vornherein billigend in Kauf genommen haben. Jedenfalls steht diese Würdigung des Landgerichts in nicht auflösbarem Widerspruch zu der im Rahmen der Strafzumessung getroffenen Feststellung der Strafkammer, es habe sich bei dem Einsatz des Pfeffersprays um eine „spontane Überreaktion“ des Ö. gehandelt. Denn es liegt nahe, dass eine solche „Überreaktion“ außerhalb des ursprünglichen Tatplans lag und auch nicht vom Vorsatz der Angeklagten umfasst war.

b) Da auch nach den Grundsätzen der Rechtsprechung für die Annahme sukzessiver Mittäterschaft eine Zurechnung des eingetretenen Körperverletzungserfolgs ausscheidet, bedarf die Sache insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Die Aufhebung des Schuldspruchs lässt den Strafausspruch entfallen, der zudem auch Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten aufweist.

Das Landgericht hat hinsichtlich beider Angeklagter einen minder schweren Fall des besonders schweren Raubes angenommen und ist dabei davon ausgegangen, dass der vertypte Strafmilderungsgrund gemäß § 46a Nr. 2 StGB gegeben ist. Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft.

a) Sind durch eine Straftat mehrere Opfer betroffen, muss hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Alternative des § 46a StGB erfüllt sein (st. Rspr.; Senat, Urteil vom 11. September 2013 - 2 StR 131/13, StV 2014, 480). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen allerdings nicht der Fall.

b) Mag man den Urteilsgründen noch hinreichend entnehmen, dass hinsichtlich der Hoteleigentümerin die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB gegeben sind, fehlt es jedenfalls hinsichtlich des verstorbenen Geschädigten T. am Nachweis eines erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleichs. Zu einer Ausgleichszahlung an den Geschädigten für den bei ihm eingetretenen immateriellen Schaden ist es angesichts des Versterbens des Geschädigten, das freilich in keinem Zusammenhang mit dem Tatgeschehen stand, nicht (mehr) gekommen. Es ist insoweit beim Schreiben des Verteidigers des Angeklagten H.

D. vom 21. August 2018, mit dem dieser um Entschuldigung gebeten und 1.000,-- € als Schmerzensgeldzahlung angeboten hat, bzw. einem Schreiben des Angeklagten S. D. aus dem November 2018 geblieben, mit dem er Verantwortung für das Geschehen auch dem Geschädigten gegenüber übernommen hat.

Diesen Feststellungen lässt sich zwar in hinreichendem Maße entnehmen, dass die Angeklagten Verantwortung für das Tatgeschehen übernommen haben und dass der Angeklagte H. D. eine nicht von vornherein unangemessene Schmerzensgeldzahlung angeboten hat. Voraussetzung für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB ist aber grundsätzlich ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das ernsthafte Bemühen des Täters Ausdruck seiner Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme ist und das Opfer das Täterbemühen als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Dies erfordert regelmäßig Feststellungen dazu, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - 1 StR 591/18, NStZ-RR 2019, 206).

Daran fehlt es hier, weil die Bemühungen der Angeklagten das inzwischen verstorbene Opfer tatsächlich nicht mehr erreicht haben und insoweit ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer nicht mehr zustande kommen konnte.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 276

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner