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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 130

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 464/19, Beschluss v. 12.12.2019, HRRS 2020 Nr. 130


BGH 5 StR 464/19 - Beschluss vom 12. Dezember 2019 (LG Dresden)

Eigennützigkeit als Voraussetzung des (mit-)täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln; keine Anwendbarkeit der verbotenen Vernehmungsmethoden bei anderweitiger Beschaffung von Beweismaterial; Beschlagnahme (freiwillige Herausgabe).

§ 29 BtMG; § 25 StGB; § 94 StPO; § 136a StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. (Mit-)Täterschaftliches Handeltreiben erfordert das eigennützige Bemühen, den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern. Eigennützig ist eine solche Tätigkeit nur, wenn das Handeln des Täters vom Streben nach Gewinn geleitet wird oder er sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht, durch den er materiell oder immateriell bessergestellt wird. Hinsichtlich der Eigennützigkeit sind konkrete Feststellungen im Urteil erforderlich.

2. Die Vorschrift des § 136a StPO bezieht sich ausschließlich auf Vernehmungen. Sie ist demgemäß auf die anderweitige Beschaffung von Beweismaterial nicht anwendbar.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten P. wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 5. April 2019

im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt wird,

im Straf- und Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten P. und die Revision des Angeklagten H. werden verworfen.

Der Angeklagte H. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten - jeweils unter Freispruch im Übrigen - wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt, den Angeklagten H. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren, den Angeklagten P. zu einer solchen von drei Jahren und acht Monaten. Zudem hat es die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, hinsichtlich des Angeklagten H. unter Festsetzung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe, sowie die Einziehung eines PocketBikes und des Betäubungsmittels angeordnet. Die Revisionen der Angeklagten haben jeweils im Umfang der Beschlussformel Erfolg.

1. Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte H. wegen der Nutzung eines PocketBikes im Straßenverkehr durch die Polizei angehalten. Im Hinblick auf das positive Ergebnis eines Drugwipe-Tests sollte er zur weiteren Überprüfung in die Polizeistation gebracht werden. Daraufhin übergab er dem Mitangeklagten P. an dessen Haustür in Plastiktüten verpackt 782 Gramm Crystal mit einem Wirkstoffgehalt von 311 Gramm Methamphetamin, das zum gewinnbringenden Verkauf bestimmt war. P. übernahm die Tüten, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, dass sich darin Crystal befand. Der Aufforderung des Polizeibeamten, die übergebenen Gegenstände vorzuzeigen, kam er nicht nach und begab sich in seine Wohnung. Erst auf erneute Aufforderung eines Polizeibeamten gab er die Tüte mit dem Crystal heraus.

1. Die Revision des Angeklagten P. erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

a) Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Insoweit hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte P. die Tüte mit den Betäubungsmitteln mit der Absicht entgegen, sie für den Mitangeklagten H. zu lagern und den späteren gewinnbringenden Verkauf damit zu ermöglichen (UA S. 7, 8). Letzteren wollte er „zumindest vorantreiben“ bzw. daran „mitwirken“ (UA S. 12). Diese Formulierungen belegen nicht, dass der Angeklagte P. die Betäubungsmittel eigenständig als „Nebentäter“ verkaufen wollte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2015 - 3 StR 182/15, Rdnr. 5, juris). Allenfalls könnten sie nahelegen, dass er sich an dem gewinnbringenden Verkauf der Drogen durch den Mitangeklagten H. beteiligen wollte.

Aber auch eine Tatbeteiligung als Mittäter wird durch diese Ausführungen nicht hinreichend belegt. Insbesondere lassen sich dem Urteil keine Feststellungen zur Eigennützigkeit entnehmen. (Mit-)Täterschaftliches Handeltreiben erfordert das eigennützige Bemühen, den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern. Eigennützig ist eine solche Tätigkeit nur, wenn das Handeln des Täters vom Streben nach Gewinn geleitet wird oder er sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht, durch den er materiell oder immateriell bessergestellt wird (BGH, Beschluss vom 24. Februar 1994 - 4 StR 44/94, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 41). Hinsichtlich der Eigennützigkeit sind konkrete Feststellungen im Urteil erforderlich. Die Bereitschaft des Angeklagten P., beim Absatz der Betäubungsmittel mitzuwirken, genügt dafür nicht, weil die Mitwirkung auch ausschließlich von fremdnützigen Beweggründen getragen sein kann. Ebenso wenig reichen bloße Vermutungen hinsichtlich eines eigennützigen Gewinnstrebens, etwa aufgrund der Kontakte des Angeklagten ins Drogenmilieu oder aufgrund des wegen der eigenen Abhängigkeit vermeintlich erhöhten Finanzbedarfs, aus (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, § 29, Teil 4, Rdnr. 151). Dass der Angeklagte eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten sollte oder er erhebliche über die Lagerung hinausgehende konkrete Tätigkeiten entfalten wollte, teilt das Urteil nicht mit (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2019 - 4 StR 589/18 Rdnr. 4, juris).“

Dem schließt sich der Senat an.

Jedoch ergeben die Feststellungen eine Strafbarkeit des Angeklagten P. wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Da nicht zu erwarten ist, dass weitere Feststellungen getroffen werden können, ändert der Senat den Schuldspruch entsprechend ab (§ 354 Abs. 1 StPO analog). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der insoweit geständige Angeklagte nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können, zumal ihm in der unverändert zugelassenen Anklageschrift ohnehin nur Beihilfe zum Handeltreiben vorgeworfen worden war.

b) Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann nicht ausschließen, dass bei zutreffender rechtlicher Beurteilung des Geschehens eine mildere Strafe verhängt worden wäre. Dabei legen insbesondere die ungewöhnlichen Tatumstände, die kurze Zeitdauer des Besitzes und der Umstand, dass der Angeklagte bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, die Prüfung eines minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 StGB nahe, den das Landgericht bislang nicht erörtert hat.

c) Auch die Maßregelanordnung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Hierzu hat sich der Generalbundesanwalt folgendermaßen geäußert:

„Das Landgericht hat keine Feststellungen zur voraussichtlichen Dauer der Behandlung in einer Entziehungsanstalt getroffen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2009 - 3 StR 569/08, NStZ-RR 2009, 172; Fischer, StGB 66. Aufl., § 67 Rdnr. 11b). Davon durfte auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Der Sachverständige war der Auffassung, dass eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht mehr erforderlich sei, wenn die bereits begonnene Therapie nach ca. sechs Monaten erfolgreich abgeschlossen wird (UA S. 18). Die Strafkammer ist dem nicht gefolgt, ohne sich hinreichend erkennbar damit auseinanderzusetzen, wie lang die weitere Behandlung nach erfolgreichem Abschluss einer Therapie in R. noch erforderlich sein wird. Vorliegend kann nicht sicher ausgeschlossen werden, dass - sollte die weitere Behandlung nur noch über einen relativ kurzen Zeitraum erforderlich sein - die Frage des Vorwegvollzugs zu erörtern sein könnte.“

Der Senat verschließt sich dem nicht. Er hebt die Maßregelanordnung insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht eine in sich widerspruchsfreie Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt zu ermöglichen.

2. Die auf eine Verfahrens- und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten H. ist entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Erörterung bedarf nur die in der Revisionsbegründung vom 13. Juni 2019 durch Rechtsanwalt Hü. erhobene Rüge einer Verletzung der §§ 136a, 94 Abs. 2, § 111b StPO und eines hieraus resultierenden Beweisverwertungsverbots. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. August 2018 - 2 StR 131/18, NStZ 2019, 107). Jedenfalls ist sie unbegründet.

a) Die Revision hat hierzu vorgetragen, der Angeklagte P. sei von einem Polizeibeamten zur Herausgabe der weiteren ihm von H. übergebenen Gegenstände mit dem unwahren Hinweis aufgefordert worden, dieser brauche seine Beutel wieder. Die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung der Verwertung der Aussagen der Polizeibeamten widersprochen, da der Anklagte P. bei Forderung der Herausgabe der Tüten entgegen § 136a StPO getäuscht worden sei. In Anbetracht der Täuschung habe P. die Tüten auch nicht freiwillig im Sinne des § 94 Abs. 2 StPO herausgegeben, weshalb eine - hier jedoch fehlende - Beschlagnahmeanordnung erforderlich gewesen wäre.

b) Eine Verletzung des § 136a StPO liegt nicht vor. Zutreffend hat das Landgericht die Auffassung vertreten, dass sich die Vorschrift nur auf Vernehmungen bezieht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 136a StPO Rn. 4), demgemäß auf die hier gegebene anderweitige Beschaffung von Beweismaterial keine Anwendung findet (vgl. KKStPO/Diemer, 8. Aufl., § 136a Rn. 6; LRStPO/Gleß, 26. Aufl., § 136a Rn. 16; aA MüKoStPO/Schuhr, § 136a Rn. 77, jeweils mwN).

c) Ob der Angeklagte P. den Beutel mit dem Betäubungsmittel im Sinne des § 94 Abs. 2 StPO „freiwillig“ herausgegeben hat oder es einer Beschlagnahme bedurft hätte, mithin die gerügte Verletzung von § 94 Abs. 2, § 111b StPO vorliegt, kann dahinstehen (vgl. zu den Voraussetzungen der Freiwilligkeit MüKoStPO/Hauschild, § 94 Rn. 43; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 94 Rn. 12). Denn der Angeklagte H. kann sich auf eine Verletzung der genannten Vorschriften gegenüber dem von dem Herausgabeverlangen betroffenen Angeklagten P. nicht berufen, weil er hierdurch nicht in seinem Rechtskreis tangiert wird. Das Beschlagnahmeerfordernis bezweckt nämlich ausschließlich den Schutz des Gewahrsamsinhabers, nicht aber den der Interessen von (Mit-)Beschuldigten oder (Mit-)Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 1994 - 3 StR 53/94, BGHR StPO § 136 Belehrung 5 - zu § 136 StPO -; LRStPO/Menges, 27. Aufl., § 95 Rn. 39).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 130

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 112

Bearbeiter: Christian Becker