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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 992

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 508/18, Urteil v. 04.07.2019, HRRS 2019 Nr. 992


BGH 4 StR 508/18 - Urteil vom 4. Juli 2019 (LG Bielefeld)

Geiselnahme (tätige Reue: Zurückgelangenlassen des Opfers in dessen Lebensbereich); Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen (Verlesung eines ärztlichen Attests: Lesbarkeit der Unterschrift des Arztes; Verlesung einer Kopie).

§ 239a Abs. 4 Satz 1 StGB; § 239b Abs. 2 StGB; § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Gesetz eröffnet die fakultative Strafrahmenmilderung nach § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 StGB, wenn der Täter die Geisel unter „Verzicht auf die erstrebte Leistung“ in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt. Für ein Zurückgelangenlassen des Opfers in dessen Lebensbereich genügt es, dass der Täter sein Opfer am Tatort freigibt und dieses seinen Aufenthaltsort wieder frei bestimmen kann. Die entsprechende Geltung des Merkmals des Verzichts auf die erstrebte Leistung aus § 239a Abs. 4 StGB für den Tatbestand der Geiselnahme (§ 239b Abs. 2 StGB) erfordert ein tatbestandsgerechtes Verständnis: Der Täter muss von der Weiterverfolgung seines Nötigungszieles Abstand nehmen, also auf die nach seinem ursprünglichen Tatplan abzunötigende Handlung, Duldung oder Unterlassung verzichten. Die in Rede stehende Regelung kann auch nach der Vollendung der Geiselnahme eingreifen; allerdings muss die Freilassung unter der Abstandnahme von der nötigenden Einwirkung auf das Opfer geschehen.

2. Auf die Frage, ob tätige Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB erst dann vorliegt, wenn der Täter vollständig von der erhobenen Forderung Abstand nimmt, kommt es für die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift über § 239b Abs. 2 StGB für die Geiselnahme nicht an.

3. Bei der Verlesung eines ärztlichen Attests reicht es aus, wenn der ausstellende Arzt erkennbar ist; lesbar muss seine Unterschrift nicht sein. Auch darf eine Kopie des Attests verlesen werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. Februar 2018 in den Strafaussprüchen mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger insoweit entstandenen notwendigen Auslagen. Von Rechts wegen

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten F. wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, die Angeklagte C. wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die zuungunsten der Angeklagten eingelegten, wirksam auf die Strafaussprüche beschränkten und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft; die Rechtsmittel werden vom Generalbundesanwalt vertreten. Die Angeklagten rügen mit ihren Rechtsmitteln die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg; die Rechtsmittel der Angeklagten erweisen sich als unbegründet.

I.

Nach den Feststellungen bot der später Geschädigte O. am 17. August 2015 über das Onlineportal eBay-Kleinanzeigen zwei hochwertige Fernsehgeräte zu einem Kaufpreis von jeweils 2.222 Euro an. Die Angeklagten nahmen noch am selben Tag Kontakt zu ihm auf und einigten sich mit ihm schließlich auf den Kauf mehrerer gleichartiger Fernseher sowie Mobiltelefone des Typs iPhone 6 plus. O. gab vor, immer weitere Geräte beschaffen zu können; diese würden aus einer Insolvenz stammen und bei einem Amtsgericht bereitliegen. In Wahrheit wollte er den Angeklagten von Anfang an keines der bestellten Geräte liefern, sondern von diesen lediglich den Kaufpreis in bar vereinnahmen und für sich verwenden. Bei mehreren Treffen zwischen dem 18. und dem 21. August 2015 zahlte die Angeklagte C. insgesamt 12.400 Euro in bar an O. ; hierbei handelte es sich um ihre gesamten Ersparnisse.

In der Folge vertröstete O. die Angeklagten seinem vorgefassten Plan entsprechend mit immer neuen Ausreden. Als sich die Angeklagte C. am 25. August 2015 an die Polizei wandte, erhielt sie die Auskunft, dass O. bereits wegen weiterer Betrugstaten mit Haftbefehl gesucht werde und sich auf der Flucht befinde. Als dieser sich am selben Tag telefonisch bei dem Angeklagten F. meldete und nunmehr den Ankauf von Goldbarren anbot, schlug der Angeklagte ihm vor, sich gegen 22.00 Uhr in der Wohnung der Angeklagten C. in A. zu treffen. Die Angeklagten beabsichtigten, das Treffen zu nutzen, um ihr Geld zurückzufordern. Ihnen war inzwischen klar, dass es sich bei dem Verkäufer um einen Betrüger handelte; sie gingen davon aus, dass das Treffen die letzte Gelegenheit sein würde, um den bereits gezahlten Kaufpreis noch zurückzuerhalten. Dass O. ihnen das Geld freiwillig zurückgeben würde, erschien ihnen fernliegend. Sie fassten daher gemeinsam den Entschluss, ihn im Rahmen des Treffens zur Rückzahlung zu zwingen.

Gegen 22.00 Uhr erschien O. in der Wohnung der Angeklagten C. Neben ihr hielten sich dort auch der Angeklagte F. und zwei weitere maskierte, unbekannt gebliebene Männer auf. Als O. das Arbeitszimmer betrat, gab F. mit dem Wort „jetzt!“ das vereinbarte Zeichen für die beiden Unbekannten, die daraufhin den Geschädigten zu Boden brachten und gemeinsam mit F. auf ihn einschlugen. Einer der beiden Unbekannten versetzte O. mit einem Elektroschocker einen Stromschlag. Er wurde schließlich mit Kabelbindern gefesselt, aufgerichtet und auf einen Stuhl gedrückt. Während F. das Opfer in den Schwitzkasten nahm, umwickelte C. dessen Kopf mit Klebeband. F. forderte von O., dem wiederholt Faustschläge in das Gesicht versetzt wurden, die Rückzahlung des Geldes und gab ihm zu verstehen, dass er aus der Situation nicht mehr lebend herauskomme, wenn er dem nicht Folge leiste. O., der seine Situation als ausweglos empfand, nahm die Drohung ernst und fürchtete um sein Leben. Aufforderungsgemäß gab er den Code zum Entsperren seines Mobiltelefons preis. F. kontrollierte die gespeicherten Chatverläufe und gelangte auf diese Weise und durch entsprechende Nachfragen an Informationen über die familiären Hintergründe seines Opfers. In dessen Geldbörse fand er eine Zimmerkarte des Hotels M. in B. Der Geschädigte bestätigte schließlich, dass er zuletzt in dem Hotel übernachtet und das nahe liegende Casino besucht habe. Um Zeit zu gewinnen und seine Freilassung zu erreichen, erzählte er außerdem, dass er im Schrank des Hotelzimmers einen durch Glücksspiel erzielten Gewinn in Höhe von 24.900 Euro lagere. Ob dieser Betrag tatsächlich vorhanden war, konnte die Strafkammer nicht aufklären.

Während die beiden Unbekannten das Opfer weiter bewachten, begaben sich die Angeklagten unter Mitnahme der Zimmerkarte nach B. Sie beabsichtigten, aus dem Hotelzimmer den Betrag von 12.400 Euro an sich zu nehmen, weil sie davon ausgingen, dass ihnen ein entsprechender Anspruch gegen den Geschädigten zustand. Mit Hilfe der Karte verschafften sie sich Zutritt zu dem Zimmer und durchsuchten es nach dem Bargeld. Ob sie es dort fanden, konnte die Strafkammer nicht aufklären. Jedenfalls nahmen sie einige persönliche Unterlagen, wie Kontoauszüge, an sich und kehrten sodann zu der Wohnung der Angeklagten C. zurück. Nach Rückkehr erklärte F., in dem Hotelzimmer kein Geld gefunden zu haben. Die Angeklagten berieten mit den beiden Unbekannten, wie mit dem Opfer zu verfahren sei; dabei fragte F. immer wieder nach dem Geld. Um O. weiter zu ängstigen, tat er dabei kund, ihn in den nahe gelegenen Mittellandkanal zu werfen, weil dieser zu viel über seine Angreifer erfahren habe. Zur Verstärkung dieses Vorstellungsbildes kündigte er dem Geschädigten ferner an, ihm zuvor in die Kniescheibe zu bohren, wobei einer der Anwesenden eine Bohrmaschine betätigte. Wie beabsichtigt verstand O. dies als weitere Todesdrohung. In Todesangst bettelte er darum, gehen zu dürfen; er sicherte immer wieder die Beschaffung des Geldes zu. Die männlichen Tatbeteiligten verließen sodann das Zimmer; C. gab vor, F. zur Freilassung bewegen zu wollen, wenn O. bis um 12.00 Uhr des darauffolgenden Tages das Geld besorge; anderenfalls habe auch seine Familie mit Repressalien zu rechnen. Überdies erhöhe sich die Forderung um jeweils 500 Euro pro Tag. Nachdem O. dies immer wieder versprochen hatte, löste C. seine Fesseln. F. händigte ihm einige seiner ihm zuvor weggenommenen Gegenstände aus. Die Brieftasche mit den Personaldokumenten sowie das iPhone 6 behielt er „als Druckmittel“ zurück. Um 3.30 Uhr konnte O. schließlich die Wohnung verlassen. Aufgrund der erlittenen Verletzungen suchte er noch am Vormittag einen Arzt auf. Auch fertigte er Lichtbilder von seinen Verletzungen. In der Folgezeit kam es zu weiteren telefonischen Kontakten zwischen O. und F. O. hatte nicht vor, den Kaufpreis an die Angeklagten zurückzuzahlen; er hielt diese mit immer weiteren Ausreden hin. Eines der Telefonate, in dessen Verlauf es zu weiteren Drohungen kam, zeichnete O. auf.

Noch am Vormittag des 26. August 2015 nahm F. fernmündlich Kontakt zu dem ihm vorher nicht bekannten D., dem Bruder des Geschädigten, auf. Er forderte diesen auf, für die Schulden seines Bruders aufzukommen. Als D. die Forderung zurückwies, teilte F. ihm mit, dass er Mitglied der Hells Angels sei und der Angerufene im Falle seiner Weigerung damit rechnen müsse, erschossen oder aber entführt und gefoltert zu werden, aber schlimmer als es seinem Bruder widerfahren sei. Zudem stellte er in Aussicht, dass der Sohn des D. entführt oder das neu eröffnete Fitness-Studio abgebrannt werden würde. Im Folgenden kam es noch zu mindestens drei weiteren Telefonaten, in denen F. die vorgebrachten Drohungen wiederholte, um D. zur Zahlung zu veranlassen und den Aufenthaltsort seines Bruders preiszugeben. Nach weiteren Telefonaten und einem persönlichen Treffen sah F. jedoch von seinen Drohungen gegenüber D. ab und gab die an diesen gerichtete Zahlungsforderung auf.

II.

Während die Revisionen der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung der Strafaussprüche führen, erweisen sich die Rechtsmittel der Angeklagten als unbegründet.

1. Mit Recht rügt die Staatsanwaltschaft, dass die Strafkammer den Strafrahmen des von ihr für beide Angeklagte angenommenen minder schweren Falles (§ 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 2 StGB) nach der Vorschrift über die tätige Reue gemäß § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB gemildert hat. Deren Voraussetzungen liegen nicht vor.

a) Das Landgericht hat insoweit ausgeführt, die Angeklagten hätten ihr Opfer unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebensbereich zurückgelangen lassen. Sie seien zwar nicht von der - ihnen tatsächlich zustehenden - Forderung abgerückt, hätten aber letztlich auf die sofortige Rückzahlung des Geldes verzichtet und den Geschädigten freigelassen.

b) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Das Gesetz eröffnet die fakultative Strafrahmenmilderung nach § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 StGB, wenn der Täter die Geisel unter „Verzicht auf die erstrebte Leistung“ in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt. Für ein Zurückgelangenlassen des Opfers in dessen Lebensbereich genügt es, dass der Täter sein Opfer am Tatort freigibt und dieses seinen Aufenthaltsort wieder frei bestimmen kann (BGH, Beschluss vom 31. Mai 2001 - 1 StR 182/01, NJW 2001, 2895). Die entsprechende Geltung des Merkmals des Verzichts auf die erstrebte Leistung aus § 239a Abs. 4 StGB für den Tatbestand der Geiselnahme (§ 239b Abs. 2 StGB) erfordert ein tatbestandsgerechtes Verständnis: Der Täter muss von der Weiterverfolgung seines Nötigungszieles Abstand nehmen, also auf die nach seinem ursprünglichen Tatplan abzunötigende Handlung, Duldung oder Unterlassung verzichten (Schluckebier in LK, StGB, 12. Aufl., § 239b Rn. 21). Die in Rede stehende Regelung kann auch nach der Vollendung der Geiselnahme eingreifen (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 - 1 StR 152/03, NStZ 2003, 605); allerdings muss - wie bereits der Gesetzeswortlaut eindeutig ergibt - die Freilassung unter der Abstandnahme von der nötigenden Einwirkung auf das Opfer geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 aaO Rn. 4: „zum Zeitpunkt seiner Aufgabe“; Schluckebier in LK, StGB, 12. Aufl., § 239a Rn. 58: „vor oder bei der Freigabe des Opfers“; Renzikowski in MünchKomm-StGB, 3. Aufl., § 239b Rn. 44: „durch Freilassung der Geisel … verzichtet“).

bb) Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen der tätigen Reue auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht gegeben:

Beide Angeklagte verzichteten im maßgeblichen Zeitpunkt der Freilassung O. s weder vollständig auf Nötigungsmittel noch auf ihr Nötigungsziel. Sie behielten vielmehr die Brieftasche des Opfers mit seinen Personaldokumenten sowie dessen iPhone 6 „als Druckmittel“ ein; die Angeklagte C. drohte mit der zusätzlichen Forderung von „Zinsen“ in Höhe von 500 Euro pro Tag. Bei einem späteren Telefonat des Angeklagten F. mit O. kam es zu weiteren Drohungen. Auch weitete F. seine Drohungen auf den Bruder seines ursprünglichen Opfers aus. In diese bezog er dessen Sohn und das von ihm neu eröffnete Fitness-Studio ein. Von einem Verzicht auf die nach dem ursprünglichen Tatplan der Angeklagten abzunötigende Handlung kann daher keine Rede sein.

Auf die von Staatsanwaltschaft und Verteidigung erörterte Frage, ob tätige Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB erst dann vorliegt, wenn der Täter vollständig von der erhobenen Forderung Abstand nimmt (so BGH, Beschluss vom 7. September 2016 - 1 StR 293/16, NJW 2017, 1124), kommt es für die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift über § 239b Abs. 2 StGB für die Geiselnahme nicht an (Schluckebier in LK, StGB, 12. Aufl., § 239b Rn. 21).

cc) Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung der gegen die Angeklagten ergangenen Strafaussprüche. Wegen der weiteren dem Landgericht bei der Bestimmung des anzuwendenden Strafrahmens unterlaufenen Rechtsfehler verweist der Senat auf die insoweit zutreffenden Ausführungen in der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft.

2. Die im Wesentlichen gleichlautend begründeten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg.

a) Die Verfahrensrügen versagen. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinen Antragsschriften. Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen:

aa) Die Rüge, das ärztliche Attest vom 26. August 2015 habe nicht gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden dürfen, weil es sich um eine - nicht beglaubigte - Kopie handele und der ausstellende Arzt nicht erkennbar sei, ist unbegründet. Wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat, ist als ausstellender Arzt Herr Dr. H. erkennbar; lesbar muss seine Unterschrift nicht sein (RGSt 19, 364; Stuckenberg in LR, StPO, 26. Aufl., § 256 Rn. 45). Auch durfte eine Kopie des Attests verlesen werden. Dies ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes: Die Vorschrift des § 249 Abs. 1 StPO regelt die grundsätzliche Zulässigkeit des Urkundsbeweises. Als Ausnahme hiervon verbietet § 250 StPO im Sinne der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, die Vernehmung einer Person über seine Wahrnehmungen durch die Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung zu ersetzen. Als Unterausnahme wiederum gestattet § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO unabhängig vom Tatvorwurf die Verlesung ärztlicher Atteste über Körperverletzungen. Für die regelmäßige Verlesung von Schriftstücken im Urkundsbeweis gemäß § 249 Abs. 1 StPO ist es indes allgemein anerkannt, dass auch Abschriften und Ablichtungen statt des Originals als Beweismittel verwendet werden dürfen (BGH, Beschluss vom 25. April 1985 - 4 ARs 1/85, BGHSt 33, 196, 210: „unumstritten“; weitere Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 249 Rn. 6). Ihre Beglaubigung ist nicht notwendig (Diemer in KK-StPO, 8. Aufl., § 249 Rn. 12). Nichts anderes kann für die Vorschrift des § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO gelten, die in Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zur regelmäßigen Verlesbarkeit von Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 StPO zurückkehrt.

bb) Soweit die Angeklagten eine Verletzung ihres Rechts auf Gehör rügen, kann dahinstehen, ob es sich um eigenständige Verfahrensrügen handelt oder die Ausführungen, wie der Generalbundesanwalt meint, Teil der sachlich-rechtlichen Beanstandungen sind. Jedenfalls hat die Strafkammer keinen Erfahrungssatz herangezogen, ohne den Angeklagten zuvor die Möglichkeit zur Äußerung zu geben. Bei der beweiswürdigenden Erwägung, dass „vorliegend ein Anruf bei dem von ihm genannten Amtsgericht ausgereicht hätte, um alles aufzudecken“, handelt es sich nicht um einen Erfahrungssatz, sondern, wie das von den Revisionen nicht mitzitierte Wort „vorliegend“ auf UA 24 belegt, um eine einzelfallbezogene Würdigung der von der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellung, O. habe vorgespiegelt, die von ihm angebotenen Geräte stammten aus einer Insolvenz und würden beim Amtsgericht bereitliegen (UA 5).

b) Auch mit ihren sachlich-rechtlichen Einwendungen gegen das angefochtene Urteil vermögen die Angeklagten keinen Rechtsfehler aufzuzeigen.

Die Beweiswürdigung erweist sich als rechtsfehlerfrei. Insbesondere handelt es sich entgegen den Rechtsauffassungen der Revisionen nicht um eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation; das Landgericht hat dem Hauptbelastungszeugen O. nur insoweit geglaubt, als seine Angaben durch andere Beweismittel bestätigt werden. Die beweiswürdigenden Ausführungen des angefochtenen Urteils weisen auch keinen die Revision begründenden Darstellungsmangel auf; sie sind nicht lückenhaft oder widersprüchlich und enthalten auch keinen Zirkelschluss.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 992

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 285

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner