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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 762

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 76/19, Beschluss v. 08.05.2019, HRRS 2019 Nr. 762


BGH 1 StR 76/19 - Beschluss vom 8. Mai 2019 (LG Mannheim)

Versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen (Versuchsbeginn: Konkretisierung der Bestimmungshandlung auf ausreichend bestimmte Tat; Mord: Habgier).

§ 30 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 211 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bei der misslungenen Anstiftung ist zwischen der straflosen bloßen Versicherung der allgemeinen Tatbereitschaft und der strafbaren vorbehaltlosen Veranlassung zur Tatbegehung zu unterscheiden. Die Schwelle zum Versuchsbeginn ist überschritten, wenn sich die Bestimmungshandlung auf eine ausreichend bestimmte Tat konkretisiert und der Angestiftete die Tat begehen könnte, wenn dieser es wollte (vgl. BGHSt 50, 142, 145). Dabei ist bei Prüfung der Frage, ob der Anzustiftende den Einflussbereich des Anstifters verlassen hat und jederzeit die Tat eigenmächtig zu der von ihm selbst bestimmten Zeit begehen kann, die „Vorstellung“ des Anstifters maßgeblich.

2. Grund für diese Anforderung an die Bestimmungshandlung ist die von § 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB vorausgesetzte Rechtsgutsgefährdung, die entsteht, wenn der Initiator das von ihm angestoßene kriminelle Unrecht derart aus der Hand gibt, dass es sich ohne sein weiteres Zutun gegebenenfalls bis zur Vollendung der Straftat fortentwickeln kann (vgl. BGHSt 44, 99, 102 f.). Dies bedeutet auf der Seite des Anstifters, dass es auf diejenige Bestimmungshandlung ankommt, mit der er nach seiner Vorstellung dem Anzustiftenden die weiteren Schritte zur Tatbegehung überlässt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 21. August 2018 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Die Nebenklägerin trägt die ihr entstandenen notwendigen Auslagen selbst.

Die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Anstiftung zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils entschloss sich der Angeklagte spätestens Anfang November 2017, einen gedungenen „Auftragsmörder“ damit zu beauftragen, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau umzubringen. Auf ungeklärte Weise erhielt der Angeklagte den Hinweis, dass er am M. hafen auf „Mo., den A.“ treffen könne. Tatsächlich sprach der Angeklagte am 6. November 2017 den „Mo.“ an, der allerdings eine von der Polizei eingesetzte „Vertrauensperson“ war und gerade auf die Zielperson eines anderen Verfahrens wartete: „Mo.“ solle seine Ehefrau umbringen. Um die Ernsthaftigkeit seines Anwerbens zu unterstreichen, zog der Angeklagte, der in einem Bankschließfach 50.000 € Bargeld deponiert hatte, ein Bündel mit 500 €-Scheinen hervor und bot 5.000 € als Anzahlung an. Der überraschte „Mo.“ ging nicht weiter auf das Ansinnen des Angeklagten ein, sondern wollte erst Anweisungen seiner polizeilichen Führungsbeamtin einholen. Zwei Tage später rief „Mo.“ den Angeklagten nach Weisung der polizeilichen Führungsbeamtin an und vereinbarte für den 10. November 2017 ein Treffen, zu welchem er eine weitere Person hinzuziehen wolle; auch sollte der Angeklagte Geld für die Anzahlung mitbringen.

Am 10. November 2017 ließ sich der Angeklagte von „Mo.“ gegen kurz nach 18.30 Uhr zum Wagen eines verdeckten Ermittlers bringen, der unter der Legende „S.“ auftrat. Der „S.“ und der Angeklagte einigten sich auf einen Preis von 40.000 € für die Tötung der Ehefrau; der Angeklagte sollte 5.000 € anzahlen. Anschließend fuhren der verdeckte Ermittler und der Angeklagte zur Eigentumswohnung der Nebenklägerin; der „S.“ erkundete anhand der Beschreibung des Angeklagten den von der Ehefrau genutzten Stellplatz in der Tiefgarage. Nach Auskundschaften des von der Nebenklägerin in einer Fußgängerzone betriebenen Ladengeschäfts kamen der Angeklagte und der Ermittler überein, dieser solle vor dem Rolltor zur Tiefgarage der Eigentumswohnanlage den Wagen der Ehefrau abpassen, zu Fuß der einparkenden Nebenklägerin folgen und sie beim Aussteigen mit einer schallgedämpften Pistole von hinten erschießen. Der „S.“ betonte dabei, der Angeklagte müsse ihm den Zeitpunkt der Tatausführung überlassen; er habe bereits „seinen Mann“ hierzu eingeflogen. Der Angeklagte nannte dem „S.“ gegen kurz vor 20.00 Uhr das Kennzeichen des von seiner Ehefrau genutzten Fahrzeugs. Zudem zeigte er dem verdeckten Ermittler sein Wohnhaus als „Garantie": Falls er nicht zahle, könne der „S.“ auch ihn töten. Um keine Anzahlung leisten zu müssen, versicherte der Angeklagte dem Ermittler, sein Freund Ma. werde ihm in der nächsten Woche ein Darlehen geben. Auf Aufforderung des „S. s“, er werde einen Anruf beim Freund als Garantie verstehen, rief der Angeklagte seinen Freund Ma. an, der jedoch misstrauisch wurde und kein Darlehen zusagte. Nach Beendigung des Telefonats versicherte der Angeklagte dem „S.“ erneut, dieser werde das vereinbarte Geld zu „Tausend Prozent“ erhalten; er werde seinen Freund bald erneut auf das Darlehen ansprechen und dann anrufen. Als sich der Angeklagte, der den Ermittler zudem den Namen seiner Ehefrau aufschreiben ließ, entfernte, war er „überzeugt, dass es ihm, wie von ihm beabsichtigt, gelungen war, den ‚S. ‘ dazu zu gewinnen, O. entweder selbst oder durch einen in seinen Diensten stehenden ‚Mitarbeiter‘ zu töten, sobald die vereinbarte Anzahlung geleistet oder Ma. die Darlehenszusage erteilt hätte“ (UA S. 14). Am nächsten Tag, dem 11. November 2017, wollte der Angeklagte herausfinden, wo sich seine Frau aufhielt, musste jedoch feststellen, dass deren Geschäft geschlossen war. Er ging davon aus, dass sich seine Ehefrau im Krankenhaus befinde. Tatsächlich hatte sich die Nebenklägerin auf Anraten der Polizei bereits am 7. November 2017 in Sicherheit gebracht. Um 14.12 Uhr rief der Angeklagte den „S.“ an und teilte diesem mit, seine Frau sei im Krankenhaus, die Tatausführung sei jetzt nicht möglich; zudem belog der Angeklagte den Ermittler, sein Freund habe ihm das Darlehen zugesagt, er müsse aber noch Wochen oder Monate auf das Geld warten. Der „S.“ wies den Angeklagten darauf hin, er müsse ihn nicht mehr anrufen, falls er die Tat nicht wolle. Daraufhin bekräftigte der Angeklagte, er wolle die Tat, er wolle seine Frau als „Sack Kartoffel“ in deren Auto sehen und stehe zu seinem Wort von gestern. „Wenn er den S. anrufe, sei alles klar“ (UA S. 15). Zu einem weiteren Kontakt zwischen dem Ermittler und dem Angeklagten kam es nicht; am 14. November 2017 wurde der Angeklagte festgenommen.

II.

Die Feststellungen tragen nicht den Versuch einer Anstiftung zur Begehung eines Verbrechens (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1, § 211 StGB).

1. Das Verhalten des Angeklagten erfüllt nicht den objektiven Tatbestand des Versuchs einer Anstiftung. Denn weder gegenüber der polizeilich geführten Vertrauensperson „Mo.“ noch gegenüber dem verdeckten Ermittler hat er einen Bestimmungsversuch nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB begangen.

a) Bei der misslungenen Anstiftung ist zwischen der straflosen bloßen Versicherung der allgemeinen Tatbereitschaft und der strafbaren vorbehaltlosen Veranlassung zur Tatbegehung zu unterscheiden (BGH, Beschlüsse vom 16. August 2018 - 4 StR 200/18 Rn. 23 und vom 7. Juli 1993 - 3 StR 275/93, BGHR StGB § 30 Beteiligung 1; Urteil vom 29. Oktober 1997 - 2 StR 239/97 Rn. 9, BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 1 Bestimmen 3). Die Schwelle zum Versuchsbeginn ist überschritten, wenn sich die Bestimmungshandlung auf eine ausreichend bestimmte Tat konkretisiert und der Angestiftete die Tat begehen könnte, wenn dieser es wollte (BGH, Urteile vom 14. Juni 2005 - 1 StR 503/04, BGHSt 50, 142, 145; vom 4. Dezember 1962 - 5 StR 529/62, BGHSt 18, 160, 161; vom 2. September 1969 - 1 StR 280/69 Rn. 5 und vom 29. Oktober 1997 - 2 StR 239/97 Rn. 9, BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 1 Bestimmen 3; Beschluss vom 7. September 2017 - AK 42/17 Rn. 34). Dabei ist bei Prüfung der Frage, ob der Anzustiftende den Einflussbereich des Anstifters verlassen hat und jederzeit die Tat eigenmächtig zu der von ihm selbst bestimmten Zeit begehen kann (vgl. Kühl, NStZ 2006, 94, 95), die „Vorstellung“ des Anstifters maßgeblich (vgl. § 22 StGB; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 30 Rn. 9a; Bloy, JR 1992, 493, 496; Kretschmer, NStZ 1998, 401; Graul JR 1999, 249, 250 f.).

Grund für diese Anforderung an die Bestimmungshandlung ist die von § 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB vorausgesetzte Rechtsgutsgefährdung, die entsteht, wenn der Initiator das von ihm angestoßene kriminelle Unrecht derart aus der Hand gibt, dass es sich ohne sein weiteres Zutun gegebenenfalls bis zur Vollendung der Straftat fortentwickeln kann (BGH, Urteile vom 10. Juni 1998 - 3 StR 113/98, BGHSt 44, 99, 102 f. und vom 29. Oktober 1997 - 2 StR 239/97 Rn. 7, BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 1 Bestimmen 3; Beschluss vom 7. September 2017 - AK 42/17 Rn. 34; Bloy, JR 1992, 493, 496). Bei einer erfolgreichen Anstiftung stünde der Angestiftete beim Anstifter im Wort; jener würde wortbrüchig werden, falls er sich doch umentschiede. Diese Bindung bewirkt eine erhöhte Gefahr der Tatbegehung zu Lasten des Opfers (vgl. Mitsch, JR 2019, 262, 265). Dies bedeutet auf der Seite des Anstifters, dass es auf diejenige Bestimmungshandlung ankommt, mit der er nach seiner Vorstellung dem Anzustiftenden die weiteren Schritte zur Tatbegehung überlässt.

b) An diesen Grundsätzen gemessen setzte der Angeklagte nach seiner maßgeblichen Sicht zu keinem Zeitpunkt dazu an, derart auf die beiden anderen einzuwirken, dass sie anschließend die Nebenklägerin heimtückisch getötet hätten. In dieser Konstellation eines untauglichen (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 3, § 23 Abs. 3 StGB) und zugleich objektiv fehlgeschlagenen Versuchs (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2005 - 1 StR 503/04, BGHSt 50, 142, 145) hat sich das in § 30 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB vorausgesetzte Handlungsunrecht hier nicht realisiert.

aa) Dem „Mo.“ hatte der Angeklagte weder die Identität seiner Ehefrau noch Anhaltspunkte für eine Identitätsermittlung offenbart. „Mo.“ war daher offensichtlich nicht zur Ausführung eines Mordauftrags in der Lage.

bb) Dem verdeckten Ermittler gegenüber konkretisierte der Angeklagte im Verlaufe des 10. November 2017 gegen kurz vor 20.00 Uhr den gewollten Heimtückemord zwar ausreichend: Auch aus Sicht des Angeklagten war der „S.“ in der Lage, vor dem Rolltor zur Eigentumswohnanlage auf die Ehefrau zu warten, das von ihr geführte Fahrzeug anhand des Kennzeichens zu identifizieren, ihr in die Tiefgarage nachzufolgen und sie dort hinterrücks zu erschießen. Indes stand auch nach Vorstellung des Angeklagten sowohl am 10. November 2017 als auch 11. November 2017 sein Anruf als der entscheidende Schritt zum Ansetzen zur Tatbestimmung noch aus:

(1) Am 10. November 2017 einigten sich der Angeklagte und der verdeckte Ermittler darauf, der Angeklagte müsse Ma. s Darlehenszusage einholen und darüber den „S.“ telefonisch benachrichtigen. Nur dann würde der „S.“ zur Tatausführung schreiten. Erst ein solcher vom Angeklagten in zeitlicher Hinsicht nicht näher bestimmter Anruf war das vereinbarte „Startzeichen“ zur Tatbegehung und in diesem Sinne ein stillschweigender „Entscheidungsvorbehalt“ (vgl. zu einem „endgültigen“ oder „ausdrücklichen“ Entscheidungsvorbehalt BGH, Beschluss vom 7. Juli 1993 - 3 StR 275/93, BGHR StGB § 30 Beteiligung 1 und Urteil vom 29. Oktober 1997 - 2 StR 239/97 Rn. 9, BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 1 Bestimmen 3). Damit, dass der „S.“ doch auf die Darlehenszusage verzichten und entgegen der Abrede ohne weiteren Anruf die Nebenklägerin ermorden würde, musste der Angeklagte nicht rechnen. Der Angeklagte hatte in diesem Sinne die Entscheidungsbefugnis über das Begehen der Tat noch nicht aus der Hand gegeben und den Ermittler zum Warten auf einen Anruf verpflichtet. Erst mit dem Beginn eines solchen Telefonats hätte der Angeklagte zum Bestimmen unmittelbar angesetzt.

Der Anruf bei Ma. begründete nicht den Beginn des Versuchs der Anstiftung. Die Feststellung, bereits der Anruf sei für den Ermittler eine Garantie, ist nicht mit Tatsachen belegt. Die wörtliche Wiedergabe des abgehörten Gesprächs in der Beweiswürdigung (UA S. 43) legt nahe, dass es auf die Darlehenszusage ankam. Anders ließe sich nicht erklären, dass beim Auseinandergehen der Angeklagte und der Ermittler davon ausgingen, jener müsse noch die Zusage einholen.

(2) Eine solche Darlehenszusage spiegelte der Angeklagte zwar am folgenden Tag dem Ermittler wahrheitswidrig vor; aber auch dies führte nicht zum Bestimmungsversuch. Denn es war nach wie vor ein weiterer Anruf erforderlich. Aufgrund des überholenden Geschehensablaufs erkannte auch der Angeklagte, dass eine Tatbegehung durch den „S.“ noch nicht möglich war und es der entscheidenden Einwirkung auf diesen noch bedurfte. Da der Angeklagte nicht wusste, wo sich seine Frau aufhielt, legte er als „Startzeichen“ einen weiteren Telefonanruf fest. Erst mit dem Beginn eines solchen weiteren in Aussicht gestellten Anrufs hätte der Angeklagte unmittelbar zum Bestimmungsversuch angesetzt. Das zunächst maßgebliche Abstellen auf die Darlehenszusage war durch das In-Sicherheitbringen der Nebenklägerin „überholt“. Der Angeklagte bestand aus seiner Sicht noch rechtzeitig vor einem Ansetzen zur Tatbestimmung auf einem Entscheidungsvorbehalt. Insofern ging der Versuch des Ermittlers im letzten Telefonat, den Angeklagten mit der nochmaligen Bekräftigung des Entschlusses zur Tatausführung beweiskräftig auf das Überschreiten der Strafbarkeitsschwelle festzulegen, ins Leere.

2. Der Angeklagte ist nach alledem auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts aus tatsächlichen Gründen freizusprechen (§ 354 Abs. 1 StPO). Eine weitere Aufklärung zum Nachteil des Angeklagten ist angesichts der detaillierten Feststellungen nicht zu erwarten.

III.

Der Senat hat die Entscheidung über die Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft und andere Eingriffsmaßnahmen (§§ 8, 2 StrEG) dem Tatgericht überlassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 1990 - 5 StR 601/89 Rn. 4 und vom 8. Dezember 1983 - 1 StR 274/83 und 1 StR 275/83 Rn. 19).

Dieses hat die einzelnen Eingriffsmaßnahmen zu bestimmen. Zudem bedarf der Ausschlusstatbestand nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG der weiteren tatrichterlichen Bewertung.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 762

Externe Fundstellen: NStZ 2019, 595; StV 2020, 86

Bearbeiter: Christoph Henckel