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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 750

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 453/19, Beschluss v. 08.07.2019, HRRS 2019 Nr. 750


BVerfG 2 BvR 453/19 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 8. Juli 2019 (OLG Karlsruhe)

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Verwerfung eines Klageerzwingungsantrags (mangelnde Unterzeichnung durch einen Rechtsanwalt; Gehörsverstoß durch vollständiges Übergehen eines Prozesskostenhilfeantrags; geringere Darlegungsanforderungen an einen PKH-Antrag als an einen Klageerzwingungsantrag; Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde; Erfordernis der Erhebung einer Anhörungsrüge).

Art. 103 Abs. 1 GG; § 33a Satz 1 StPO; § 90 Abs. 2 BVerfGG; § 152 Abs. 2 StPO; § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO; § 114 ZPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Verwerfung eines nicht durch einen Rechtsanwalt unterzeichneten und den Darlegungsanforderungen nicht genügenden Klageerzwingungsantrags als unzulässig verletzt den Anzeigenden in seinem Recht auf rechtliches Gehör, wenn das Oberlandesgericht einen zugleich gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vollständig übergeht.

2. Die Anforderungen an die Begründung von Prozesskostenhilfeanträgen sind auch im Klageerzwingungsrecht geringer als jene, die an den Klageerzwingungsantrag selbst zu stellen sind. Für einen PKH-Antrag genügt eine verständliche Fallschilderung mit einem konkretisierbaren Beschuldigten und der Bezeichnung von Beweismitteln; Ausführungen zu den formellen Antragsvoraussetzungen sind ebenso entbehrlich wie die Unterzeichnung des Antrags durch einen Rechtsanwalt.

3. Eine Verfassungsbeschwerde, mit der eine Gehörsverletzung geltend gemacht wird, wird dem Grundsatz der Subsidiarität nicht gerecht, wenn der Beschwerdeführer es unterlassen hat, den Verstoß im Wege einer Anhörungsrüge zur fachgerichtlichen Überprüfung zu stellen, obwohl eine solche offensichtlich erfolgreich gewesen wäre.

Entscheidungstenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem sein Antrag auf Durchführung eines Klageerzwingungsverfahrens verworfen worden ist.

Mit Schreiben vom 21. September 2018 erstattete der Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe Strafanzeige und stellte Strafantrag gegen den Inhaber eines näher bezeichneten Telefonanschlusses. Der Strafanzeige lag zugrunde, dass am 18. September 2018 von diesem Anschluss innerhalb eines Zeitraums von knapp fünf Stunden die Telefaxnummer des Beschwerdeführers angewählt worden sein soll.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gab der Strafanzeige mit Bescheid vom 28. September 2018 gemäß § 152 Abs. 2 StPO keine Folge und sah von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab. Der Strafanzeige könnten keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des Beschuldigten entnommen werden.

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2018 legte der Beschwerdeführer hiergegen Beschwerde ein, der die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mit Bescheid vom 13. Dezember 2018 keine Folge gab. Der Bescheid ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen.

Mit Schreiben vom 18. Januar 2019 beantragte der Beschwerdeführer die Durchführung des Klageerzwingungsverfahrens, die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Notanwalts. Das Oberlandesgericht verwarf den Antrag gemäß § 172 StPO mit Beschluss vom 24. Januar 2019 als unzulässig, weil die Antragsschrift trotz Belehrung im Bescheid vom 13. Dezember 2018 weder von einem Rechtsanwalt unterzeichnet war noch den Darlegungsanforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO genüge. Über den Prozesskostenhilfeantrag wurde dagegen bislang nicht entschieden.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist.

1. Die Verfassungsbeschwerde wird dem Grundsatz der Subsidiarität nicht gerecht (§ 90 Abs. 2 BVerfGG), weil es der Beschwerdeführer unterlassen hat, eine Anhörungsrüge zu erheben. Eine sofortige Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG) ist nicht veranlasst.

Zwar rügt der Beschwerdeführer auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG); er trägt jedoch nicht vor, diese im Wege der Anhörungsrüge nach § 33a Satz 1 StPO zur fachgerichtlichen Überprüfung gestellt zu haben, obwohl eine solche offensichtlich erfolgreich gewesen wäre.

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 42, 364 <367 f.>; 47, 182 <187>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Februar 2019 - 2 BvR 1457/18 -, Rn. 11). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht der Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 25, 137 <140>; 34, 344 <347>; 47, 182 <187>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. September 2018 - 2 BvR 1731/18 -, Rn. 28). In der Regel geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfGE 40, 101 <104 f.>; 47, 182 <187>). Deshalb müssen, wenn ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 27, 248 <251 f.>; 42, 364 <368>; 47, 182 <187 f.>; 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <145 f.>).

b) Der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 24. Januar 2019 übergeht offenkundig den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und verletzt den Beschwerdeführer damit in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. In diesem Beschluss nimmt das Oberlandesgericht - der Rechtsmittelbelehrung im Bescheid vom 13. Dezember 2018 entsprechend - lediglich auf die seiner Ansicht nach nicht erfüllten Anforderungen gemäß § 172 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 StPO Bezug, nicht jedoch auf die Anforderungen an einen Prozesskostenhilfeantrag.

Das Oberlandesgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag und die hierzu beigefügten Anlagen offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen und im Hinblick auf die mit der Antragsschrift zu erfüllenden Darlegungsanforderungen daher einen fehlerhaften, weil zu strengen Maßstab angelegt.

Die Anforderungen an einen Antrag auf Prozesskostenhilfe sind auch im Klageerzwingungsrecht geringer als jene, die an den Klageerzwingungsantrag selbst zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juli 2001 - 2 BvR 881/01 -, Rn. 5 f.; Kölbel, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 172 Rn. 53): Für einen Prozesskostenhilfeantrag genügt eine verständliche Fallschilderung mit einem konkreten oder konkretisierbaren Beschuldigten und der Bezeichnung von Beweismitteln, während zu den formellen Antragsvoraussetzungen nicht auszuführen ist. Auch eine Unterzeichnung des Antrags durch einen Rechtsanwalt ist nicht erforderlich.

2. Aufgrund der Nichterschöpfung des Rechtswegs kann der Beschwerdeführer auch die Verletzung anderer Grundrechte nicht mehr rügen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Oktober 2014 - 2 BvR 1569/12 -, Rn. 6, 9; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Oktober 2016 - 2 BvR 1313/16 -, Rn. 13; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Dezember 2018 - 2 BvR 1594/17 -, Rn. 18).

III.

Mangels Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde sind die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe entsprechend § 114 ZPO (vgl. BVerfGE 1, 109 <112>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. November 2017 - 1 BvR 2440/16, 1 BvR 2441/16 -, Rn. 43; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juni 2018 - 2 BvR 2380/17 -, Rn. 2 f.; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Juli 2018 - 2 BvR 62/18 -, Rn. 1) zu verneinen. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist daher abzulehnen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 750

Bearbeiter: Holger Mann