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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 434

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 526/18, Urteil v. 06.03.2019, HRRS 2019 Nr. 434


BGH 5 StR 526/18 - Urteil vom 6. März 2019 (LG Dresden)

Besonders schwerer Raub durch Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs bei zeitlich gestreckter Beuteübergabe unter Beteiligung weiterer Personen (einheitliche Tat, kein Teilrücktritt; sukzessive Mittäterschaft; Strafrahmen; minder schwerer Fall).

§ 249 StGB; § 250 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Bedroht der Angeklagte das Opfer eines Raubes mit einem gefährlichen Werkzeug (hier: einem Messer), handelt es sich auch dann um einen besonders schweren Raub nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wenn im folgenden Tatverlauf eine weitere (dem Opfer nahestehende) Person in die Übergabe der Tatbeute eingeschaltet wird, gegenüber der keine Bedrohung mit dem Werkzeug erfolgt. Das gilt jedenfalls dann, wenn aus Sicht der Angeklagten das ursprüngliche Opfer für die Beschaffung der Beute verantwortlich bleibt, so dass es sich insgesamt um eine einheitliche Raubtat handelt.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. Juni 2018 dahingehend geändert, dass die Angeklagten sich durch die Tat B.II des erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung schuldig gemacht haben, der Angeklagte T. zudem tateinheitlich der versuchten Nötigung.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen. Die Staatskasse hat deren Kosten sowie die den Angeklagten durch das jeweilige Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Die Revisionen der Angeklagten werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels, die jeweils durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten sowie die hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Adhäsionsklägers zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten T. wegen in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und versuchter Nötigung begangenen erpresserischen Menschenraubes (Tat B.II) sowie wegen versuchter räuberischer Erpressung (Tat B.III) zu einer vierjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Den Angeklagten N. hat es des erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung (Tat B.II) und der tateinheitlich mit vorsätzlicher Körperverletzung verübten räuberischen Erpressung (Tat B.I) schuldig gesprochen, eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten festgesetzt sowie - bei elfmonatigem Vorwegvollzug der Strafe - seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Zudem hat es eine beide Angeklagten gesamtschuldnerisch betreffende Adhäsionsentscheidung getroffen.

Die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen erfolglos. Die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, ebenfalls Verletzungen materiellen Rechts rügenden Revisionen der Staatsanwaltschaft sind wirksam auf die Tat B.II sowie die Aussprüche über die Gesamtstrafen beschränkt. Die vom Generalbundesanwalt auf der Basis einer anderen rechtlichen Sichtweise vertretenen Rechtsmittel führen lediglich zu der tenorierten Änderung der Schuldsprüche.

1. Das Landgericht hat zur danach allein relevanten Tat B.II Folgendes festgestellt:

Am 2. Mai 2017 entschloss sich der Angeklagte N., den Zeugen K. zu erpressen. Er „befahl“ dem zuvor freiwillig in die im neunten Stockwerk gelegene Wohnung des Angeklagten T. gekommenen Zeugen, dort zu bleiben und Geld zu besorgen. Hierbei hielt er ihm ein aus der Küche geholtes Messer an den Hals und drohte, „seine Finger abzuschneiden und ihn vom Balkon zu werfen“. Der Angeklagte T. sah das Vorgehen als Chance, durch Aufteilen der Beute seine finanziellen Verhältnisse aufzubessern, und entschloss sich deshalb, nun gemeinsam mit N. gegen K. vorzugehen. In Umsetzung dieses Entschlusses machte er die Balkontür zu, damit die Nachbarn durch den Lärm nicht alarmiert werden. Anschließend legte er das von ihm für die weitere Tatausführung nicht als erforderlich eingeschätzte Messer wieder in der Küche ab und konkretisierte sodann mit Billigung des Angeklagten N. die Forderung auf 1.000 €.

Da K. weder Geld noch Mobiltelefon bei sich hatte und keine andere Möglichkeit sah, die Wohnung unversehrt verlassen zu können, bat er um 2:53 Uhr vom Festnetzanschluss des Angeklagten T. aus seine Lebensgefährtin R., das Geld zu besorgen; er werde von zwei Männern festgehalten und erst nach Übergabe von 1.000 € freigelassen. Nachdem die Angeklagten erkannt hatten, dass eine nahestehende Person eingeschaltet worden war, kamen sie überein, nun auch deren Angst um die körperliche Unversehrtheit des Festgehaltenen zur Forderungsdurchsetzung auszunutzen. Der Angeklagte T. übernahm daher das Gespräch und setzte eine einstündige Frist, das Geld zu beschaffen, anderenfalls man K. „alle zehn Minuten einen Finger abschneiden werde“. Die Geldübergabe habe in der Nähe eines bezeichneten Cafés zu erfolgen.

Die sich um die körperliche Unversehrtheit ihres Freundes sorgende Zeugin R. willigte ein. Während ihrer Fahrt mit einem Taxi zum vorgegebenen Treffpunkt erhielt sie vom Angeklagten T. zwei Kontrollanrufe. Dieser machte sich gegen 4:00 Uhr mit K., dessen Personalausweis als „Pfand“ beim Angeklagten N. in der Wohnung verblieb, ebenfalls auf den Weg zum Übergabeort. Nachdem K. ihn jedoch angegriffen hatte, gelang es dem Angeklagten T., zu flüchten und allein den mit der Zeugin R. vereinbarten Treffpunkt aufzusuchen. Diese übergab ihm das geforderte Geld. Erst jetzt informierte der Angeklagte T. sie, dass er ihren Freund bereits „freigelassen“ habe, und drohte, dass sie und K. „tot seien, wenn sie irgend jemandem von der Tat erzählen würden“. Die Angeklagten teilten die Beute hälftig. K. hatte unterdessen das Geschehen bei der Polizei angezeigt.

2. Das Landgericht hat die Tat B.II rechtlich wie dargelegt gewürdigt. Eine Qualifizierung der räuberischen Erpressung nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat es verneint, weil das vom Angeklagten N. eingesetzte Messer nicht gegenüber der über das Geld verfügenden Zeugin R. und damit nicht „bei der Tat“ verwendet worden sei; der hiermit bedrohte K. habe mit seinem Anruf nur mittelbar zum Vermögensnachteil beigetragen.

3. Die staatsanwaltschaftlichen Revisionen weisen mit Recht darauf hin, dass beide Angeklagten bei der Tat B.II mit dem Messer ein gefährliches Werkzeug verwendet haben.

a) Das Landgericht hat allerdings im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass die das Geld übergebende Zeugin R. mit dem Messer weder selbst bedroht worden noch ihr auch nur dessen Existenz bekannt geworden war.

b) Jedoch wird die landgerichtliche und auch vom Generalbundesanwalt vorgenommene differenzierende Betrachtung der zum Nachteil K. s und seiner Freundin vorgenommenen Drohungen durch die Feststellungen nicht getragen. Soweit sich das Landgericht für seine Sicht der Dinge auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs berufen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2011 - 3 StR 316/11, NStZ 2012, 389), lag dieser eine andere Fallgestaltung zugrunde, bei der zwei Passanten von den dortigen Tätern zwar gleichzeitig, aber jeder für sich überfallen worden waren.

Hier hingegen verfolgten die Angeklagten lediglich ihr Vorhaben, K. zu erpressen, weiter und waren hiervon insbesondere nicht strafbefreiend zurückgetreten. Vielmehr ließen sie diesen seine Freundin anrufen, um „das Geld“ zu besorgen, weil er selbst keines mehr bei sich hatte; hierbei wollten sie neben seiner Furcht „auch“ deren Angst zum Erreichen ihres Zieles ausnutzen. Nach der Vorstellung der Angeklagten blieb der mit dem Messer bedrohte K. für das Herbeischaffen des Geldes verantwortlich, der sich hierfür angesichts seiner Lage der Mithilfe seiner Freundin bedienen musste. Für diese Sichtweise spricht auch, dass er bei der geplanten Übergabe des Geldes hätte zugegen sein sollen. Es stellt eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf dar, dass es ihm zuvor gelang, sich aus der Gewalt der Angeklagten zu befreien. Die unter Einschaltung der Zeugin R. fortgeführte Bedrohung K. s zur Erlangung desselben angestrebten Vermögensvorteils lässt die räuberische Erpressung als eine einzige Tat erscheinen. Angesichts dieser Tatumstände steht es der Annahme einer vollendeten Erpressung nicht entgegen, dass die Beute Frau R. s Vermögen entstammte.

c) Der Angeklagte N. hat § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklicht, obgleich das Messer nach seinem drohenden Einsatz bei der weiteren Tatdurchführung nicht mehr verwendet, sondern in der Küche abgelegt wurde. Hierin liegt nicht etwa ein Teilrücktritt vom Qualifikationstatbestand (vgl. BGH, Urteil vom 23. August 1983 - 5 StR 408/83, NStZ 1984, 216, 217). Der Angeklagte T. muss sich den Einsatz dieses qualifizierenden Tatmittels nach den Grundsätzen der sukzessiven Mittäterschaft zurechnen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2016 - 2 StR 123/15, NStZ 2016, 524, 525).

4. Der Senat hat die Schuldsprüche zur Tat B.II entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da bereits die Anklageschrift diese rechtliche Würdigung vorgenommen hatte.

5. Die für diese Tat festgesetzten Einzel- und damit auch die verhängten Gesamtstrafen haben Bestand. Der Senat kann ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO), dass sie bei zutreffender rechtlicher Subsumtion anders, namentlich höher bemessen worden wären.

a) Hinsichtlich des Angeklagten N. hat der Generalbundesanwalt selbst darauf hingewiesen, dass der vom Landgericht angewendete Strafrahmen des § 239a Abs. 1 StGB auch bei Hinzutreten des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB unverändert geblieben wäre. „Art und hohe Intensität der Drohungen“ sind ausdrücklich zu Lasten des Angeklagten gewertet worden; dem gerade hierdurch verwirklichten Qualifikationstatbestand kommt als solchem deshalb keine weitergehende unrechts- oder schulderhöhende Bedeutung zu.

b) Beim Angeklagten T. hat das Landgericht zwar einen minder schweren Fall des erpresserischen Menschenraubes (§ 239a Abs. 2 StGB) angenommen, so dass der über § 255 StGB für die schwere räuberische Erpressung eröffnete Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB höher gewesen wäre. Der Senat schließt aber aus, dass das Landgericht lediglich bei dem die Tat prägenden erpresserischen Menschenraub einen minder schweren Fall angenommen, einen solchen bei der schweren räuberischen Erpressung (§ 250 Abs. 3, § 255 StGB) dagegen abgelehnt hätte. Auch bei diesem Angeklagten hat es neben der „Art und hohen Intensität der Drohungen“ die für eine Einordnung der (besonders) schweren räuberischen Erpressung als minder schweren Fall bestimmenden Zumessungsumstände berücksichtigt.

6. Die Entscheidung über die Kosten der Revisionen der Angeklagten beruht auf § 473 Abs. 1 StPO, diejenige betreffend die staatsanwaltschaftliche Revision auf § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO und diejenige bezüglich der Adhäsion auf § 472a Abs. 2 Satz 1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 434

Bearbeiter: Christian Becker