hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1294

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 315/19, Beschluss v. 24.09.2019, HRRS 2019 Nr. 1294


BGH 2 StR 315/19 - Beschluss vom 24. September 2019 (LG Aachen)

Urteil (Unzulässigkeit eines Teilfreispruchs bei Aburteilung als eine Tat); Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage (Rüge von Hinweispflichten); Grundsatz der Spezialität (Vollstreckungshindernis bei Nichtbeachtung).

§ 260 StPO; § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO; Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, § 83h Abs. 1 IRG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Was die gerügte Verletzung von Hinweispflichten gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO in der seit dem 24. August 2017 geltenden Fassung anbelangt, kann dahinstehen, ob es - wie nach bisherigem Recht - genügt, dass ein Angeklagter durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage bereits zuverlässig unterrichtet war oder ob es nunmehr stets eines ausdrücklichen, zu protokollierenden Hinweises bedarf.

2. Wenn zwei Missbrauchshandlungen als tatmehrheitlich begangen angeklagt werden, das Gericht beide Vorwürfe für erwiesen hält, das gesamte Geschehen aber als eine Tat aburteilt, hat ein Teilfreispruch zu unterbleiben.

3. Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 22. Januar 2019, soweit es ihn betrifft,

a) dahin geändert, dass aa) der ausgeurteilte Teilfreispruch entfällt, bb) die angeordnete Einziehung der Festplatte 1.O TB, Sata, 64 MB Cache entfällt;

b) im Tenor dahin ergänzt, dass die in Belgien erlittene Auslieferungshaft im Maßstab 1:1 anzurechnen ist,

c) im Ausspruch über die Gesamtstrafen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere für Jugendschutzsachen zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Düren vom 21. November 2017 zu einer ersten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Entziehung Minderjähriger, mit Freiheitsberaubung, mit Hausfriedensbruch, mit Nötigung und mit unerlaubten Führens eines Schreckschussrevolvers sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Entziehung Minderjähriger, mit versuchter Freiheitsberaubung und mit versuchter Nötigung hat es ihn zu einer zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Die von dem Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Was die gerügte Verletzung von Hinweispflichten gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO in der seit dem 24. August 2017 geltenden Fassung anbelangt, kann dahinstehen, ob es - wie nach bisherigem Recht - genügt, dass ein Angeklagter durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage bereits zuverlässig unterrichtet war (so BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 5 StR 65/18, NStZ 2019, 239) oder ob es nunmehr stets eines ausdrücklichen, zu protokollierenden Hinweises bedarf (so BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2018 - 3 StR 206/18, NStZ 2019, 236 und vom 6. Dezember 2018 - 1 StR 186/18). Jedenfalls ist - wie vom Generalbundesanwalt im Einzelnen ausgeführt - ein Beruhen des Urteils auf einem etwaigen Verstoß gegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO hier ausgeschlossen.

II.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Jedoch hat der vom Landgericht ausgeurteilte Teilfreispruch zu entfallen. Wenn - wie hier in Fall II.1 der Urteilsgründe - zwei Missbrauchshandlungen als tatmehrheitlich begangen angeklagt werden, das Gericht beide Vorwürfe für erwiesen hält, das gesamte Geschehen aber als eine Tat aburteilt, hat ein Teilfreispruch zu unterbleiben (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. § 260 Rn. 13 mwN).

2. Die Verhängung der Einzelstrafen weist ebenso wie die Anordnung der Sicherungsverwahrung keinen Rechtsfehler auf. Hingegen halten die Gesamtstrafenaussprüche rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht durfte mit den Einzelstrafen aus dem an sich gesamtstrafenfähigen Urteil des Amtsgerichts Düren vom 21. November 2017 - wie vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt - keine erste Gesamtfreiheitsstrafe bilden. Der Einbeziehung steht der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität (Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, § 83h Abs. 1 IRG) entgegen. Die Europäischen Haftbefehle vom 20. Februar und vom 23. Oktober 2018 erfassen lediglich die im hiesigen Verfahren gegenständlichen Straftaten. Nur zur Verfolgung dieser Straftaten ist der Angeklagte ausgeliefert worden. Um eine Auslieferung zur Vollstreckung der im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Düren verhängten Freiheitsstrafe ist das Königreich Belgien nicht ersucht worden und hat dementsprechend insoweit keine Zustimmung erteilt. Der Angeklagte hat auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes auch nicht verzichtet.

Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden (BGH, Beschlüsse vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590; vom 20. April 2016 - 1 StR 661/15, StV 2017, 248 f.; Urteil vom 9. Mai 2019 - 4 StR 511/18, juris Rn. 9; Senat, Urteil vom 28. August 2019 - 2 StR 25/19).

Aus dem Umstand, dass die Vollstreckung der durch das Amtsgericht Düren verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war, folgt nichts anderes. § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bestimmt zwar, dass das Verbot des § 83h Abs. 1 IRG nicht gilt, wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönlichen Freiheit beschränkenden Maßnahme führt. Jedoch greift die Regelung des § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bei der Einbeziehung einer für sich genommen zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe in eine nicht aussetzungsfähige Gesamtstrafe nicht ein (BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100 und vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590; Senat, Urteil vom 28. August 2019 - 2 StR 25/19). Eine Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Düren kommt daher erst dann in Betracht, wenn eine Bewilligung durch das Königreich Belgien - etwa im Rahmen eines Nachtragsersuchens - oder ein Verzicht (§ 83h Abs. Nr. 5 und Abs. 3 IRG) auf die Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes seitens des Angeklagten erklärt würde.

b) Auch die zweite Gesamtstrafe ist - weil fehlerhaft gebildet - aufzuheben. Dem infolge der Nichtbeachtung des Spezialitätsgrundsatzes nicht gesamtstrafenfähigen Urteil des Amtsgerichts Düren kam keine Zäsurwirkung zu. Das Landgericht hätte deshalb aus allen drei von ihm verhängten Einzelstrafen eine Gesamtstrafe bilden müssen.

3. Die Urteilsformel war um die von der Strafkammer lediglich in den Gründen getroffene Entscheidung nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB über den Anrechnungsmaßstab der in Belgien erlittenen Auslieferungshaft zu ergänzen.

4. Die auf § 74 StGB gestützte Einziehung der sichergestellten Festplatte, auf der sich u.a. verschlüsselt kinderpornographische Bilder befinden, hat keinen Bestand. Der Besitz kinderpornographischer Schriften war nicht Verfahrensgegenstand. Die Festplatte unterlag damit weder als Tatprodukt noch als Tatmittel oder Tatobjekt der hier abgeurteilten Taten der Einziehung im subjektiven Verfahren. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls unter Beachtung des § 74f StGB bei einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 435 StPO eine selbstständige Einziehung nach § 76a StGB zu erwägen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1294

Externe Fundstellen: StV 2020, 614

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner