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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1284

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 85/19, Beschluss v. 29.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1284


BGH 2 StR 85/19 - Beschluss vom 29. August 2019 (LG Frankfurt am Main)

Raub (raubspezifische Einheit zwischen Nötigungshandlung und Wegnahme: Anforderungen an den räumlich-zeitlichen Zusammenhang).

§ 249 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Kennzeichnend für das Vorliegen einer Raubtat i.S.d. §§ 249 ff. StGB ist die Wegnahme einer Sache „mit Gewalt gegen eine Person“ oder „unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“. Die raubspezifische Einheit zwischen Nötigungshandlung und Wegnahme ist gegeben, wenn zwischen beiden Elementen sowohl eine subjektiv-finale Verknüpfung als auch ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang bestehen. Für den räumlich-zeitlichen Zusammenhang ist weder erforderlich, dass der Ort der Nötigungshandlung und der Ort des Gewahrsamsbruchs identisch sind, noch bestehen verbindliche Werte zu einem zeitlichen Höchstmaß zwischen Einsatz des Nötigungsmittels und Wegnahme. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei es vor allem darauf ankommt, ob es zu einer - vom Täter erkannten - nötigungsbedingten Schwächung des Gewahrsamsinhabers in seiner Verteidigungsfähigkeit oder -bereitschaft gekommen ist.

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. November 2018 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt ist.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Diebstahls“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung von „Wertersatz“ - richtig: des Wertes von Taterträgen - in Höhe von 18.330 € sowie eines näher bezeichneten CS-Gases angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war der Angeklagte von September 2014 bis zu seiner Kündigung im September 2017 in einer T. -Filiale in F. als Verkäufer angestellt. Anfang Dezember 2017 beschloss er, unter Ausnutzung der während seiner Beschäftigung erworbenen Kenntnisse zu den dortigen Räumlichkeiten und Betriebsabläufen Bargeld aus dem Tresor dieser T. -Filiale zu entwenden.

In Umsetzung des Tatplanes hatte der Angeklagte ausgekundschaftet, dass die Zeugin A., mit der er längere Zeit zusammengearbeitet hatte, am 12. Dezember 2017 in der „Spätschicht“ arbeiten und nach Schichtende die zur Filiale gehörigen Schlüssel mit nach Hause nehmen würde. Er lauerte ihr an diesem Abend gegen 21:25 Uhr an der ihm bekannten Wohnanschrift in einem Hinterhof auf und sprühte ihr „ohne Vorwarnung“ mit einem Reizstoffsprühgerät in das Gesicht, um aus ihrer Handtasche die Filialschlüssel - und mit diesen das im Tresor deponierte Bargeld - zu entwenden. Dem zufällig anwesenden Passanten S., der der Zeugin A. zur Hilfe eilte, sprühte er ebenfalls mit dem Reizstoffsprühgerät ins Gesicht. Es gelang dem Angeklagten daraufhin, der Zeugin A. die Handtasche zu entreißen und damit davonzulaufen. S. lief dem Angeklagten hinterher, gab die Verfolgung allerdings auf, als dieser ihm - um sich „das Diebesgut“ zu sichern - nochmals „das Pfefferspray“ ins Gesicht sprühte.

Der Angeklagte entnahm der Handtasche der Zeugin A. die Filialschlüssel, entledigte sich der Tasche mit deren übrigen Inhalt auf seinem weiteren Fluchtweg und ließ sich unmittelbar von einem Taxi zur Filiale der T. GmbH fahren, wo er zwischen 21:30 und 22:18 Uhr eintraf. Mit den entwendeten Schlüsseln öffnete er die Räumlichkeiten und den dort befindlichen Tresor. Seiner vorgefassten Absicht entsprechend entnahm er aus diesem 18.330 € Bargeld und verließ die Filiale über den Hinterausgang.

II.

Die sachrechtliche Überprüfung des Urteils führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung des Schuld- und Strafausspruchs.

1. Die Verurteilung wegen tatmehrheitlich begangenen Diebstahls hat keinen Bestand. Der Schuldspruch ist dahingehend zu ändern, dass der Angeklagte des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig ist.

a) Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe die Tatbestände des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB sowie der §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht hat, indem er sowohl der Zeugin A. als auch dem ihr zur Hilfe eilenden Zeugen S. jeweils mit dem Reizstoffsprühgerät in das Gesicht sprühte, um sodann der Zeugin A. die Handtasche entreißen zu können. Dabei erfolgte der nochmalige Einsatz des Sprühgeräts gegen den Zeugen S. noch „bei der Tat“ und weist keine eigenständige Bedeutung auf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2008 - 3 StR 229/08, NStZ-RR 2008, 342, 343; vom 1. Oktober 2008 - 5 StR 445/08, BGHSt 52, 376, 377 f.; Urteil vom 25. März 2009 - 5 StR 31/09, BGHSt 53, 234, 236; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 250 Rn. 18 mwN).

Die Strafkammer hat indes versäumt, die Erfüllung des Qualifikationstatbestands des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in der gebotenen Weise im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen, soweit sie lediglich auf „schweren“ und nicht auf „besonders schweren Raub“ erkannt hat. Zudem hat sie im Schuldspruch nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Angeklagte - im Rahmen eines Raubgeschehens in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang - die körperliche Unversehrtheit zweier verschiedener Rechtsgutträger verletzte und somit der besonders schwere Raub tateinheitlich mit zwei Fällen der Körperverletzung zusammentrifft (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 19. Januar 2007 - 2 StR 498/06, juris Rn. 4; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1986 - 5 StR 518/86, BGHR StGB § 52 Abs. 1 Rechtsgüter, höchstpersönliche 1), was entsprechend in den Urteilstenor aufzunehmen ist.

b) Der weitere Schuldspruch wegen Diebstahls, auf den das Landgericht im Fall II.2. der Urteilsgründe erkannt hat, hat zu entfallen. Die Strafkammer hat verkannt, dass es sich bei der Wegnahme des Bargeldes aus dem Tresor nicht um eine zum Vorgeschehen im Verhältnis der Tatmehrheit stehende selbstständige Tat, sondern um einen rechtlich unselbstständigen Teilakt des mit Fall II.1. der Urteilsgründe begonnenen besonders schweren Raub handelte.

Kennzeichnend für das Vorliegen einer Raubtat i.S.d. §§ 249 ff. StGB ist die Wegnahme einer Sache „mit Gewalt gegen eine Person“ oder „unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“. Die raubspezifische Einheit zwischen Nötigungshandlung und Wegnahme ist gegeben, wenn zwischen beiden Elementen sowohl eine subjektivfinale Verknüpfung als auch ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang bestehen (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 1983 - 4 StR 640/83, MDR/H 1984, 276; vom 20. Januar 2016 - 1 StR 398/15, BGHSt 61, 141, 144 ff.; vom 22. Juni 2016 - 5 StR 98/16, BGHSt 61, 197, 199 ff.; Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 5 StR 366/05, NStZ 2006, 38). Für den räumlich-zeitlichen Zusammenhang ist weder erforderlich, dass der Ort der Nötigungshandlung und der Ort des Gewahrsamsbruchs identisch sind, noch bestehen verbindliche Werte zu einem zeitlichen Höchstmaß zwischen Einsatz des Nötigungsmittels und Wegnahme (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 4 StR 640/83, aaO). Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei es vor allem darauf ankommt, ob es zu einer - vom Täter erkannten - nötigungsbedingten Schwächung des Gewahrsamsinhabers in seiner Verteidigungsfähigkeit oder -bereitschaft gekommen ist (vgl. BGH, Urteile vom 20. Januar 2016 - 1 StR 398/15, aaO, 148; vom 22. Juni 2016 - 5 StR 98/16, aaO, 201).

Nach diesen Maßstäben bildet das hier zu beurteilende Tatgeschehen bei natürlicher Betrachtung eine Einheit, bei der sich die Entwendung des Bargeldes aus dem Tresor lediglich als unselbstständiger Teil des mit Abnötigung der Filialschlüssel begonnenen Raubes darstellt. Der Angeklagte hatte von Anfang an - ausschließlich - die Absicht, der Zeugin A. die zur T. -Filiale gehörigen Schlüssel zu entwenden, um damit das im dort befindlichen Tresor deponierte Bargeld an sich zu bringen. Mit der Gewaltanwendung hat er die Wegnahme der Schlüssel lediglich als Zwischenziel zur beabsichtigten Entwendung des Bargeldes erstrebt. Entsprechend seinem Tatplan begab er sich ohne Zäsur nach dem um 21:25 Uhr in F. -N. verübten Überfall auf die Zeugin A. in einer festgestellten Fahrzeit von lediglich 15 bis 20 Minuten zur T. -Filiale in die F. Innenstadt, wo er vor 22:18 Uhr mit den entwendeten Schlüsseln die im Tresor befindlichen 18.330 € wegnahm.

Der Einsatz des Reizgases gegen die Zeugen führte zu einer Schwächung der Verteidigungsfähigkeit der Zeugin A. hinsichtlich des Gewahrsams an dem im Tresor befindlichen Bargeld, die im Zeitpunkt der Wegnahme des Geldes noch fortwirkte, was sich der Angeklagte zunutze machte. Die Zeugin Sc., die als Leiterin der T. -Filiale ebenfalls über einen Schlüssel zu den Geschäftsräumen und zum Tresor verfügte, erfuhr erst um 22:00 Uhr von dem Überfall und erreichte die Filiale erst um 22:32 Uhr und damit zu spät, um den Angeklagten noch an der Wegnahme des Bargeldes zu hindern.

§ 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 354 Rn. 16 mwN).

2. Die Schuldspruchänderung von Tatmehrheit zu Tateinheit führt zum Wegfall der von der Strafkammer festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten sowie von einem Jahr. Die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren kann in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO als Einzelstrafe bestehen bleiben (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. Dezember 2012 - 2 StR 294/12, juris Rn. 5; vom 26. Februar 2019 - 2 StR 358/17, juris Rn. 7; vom 8. Juli 2013 - 5 StR 279/13, juris Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 354 Rn. 22 mwN). Es ist auszuschließen, dass die Strafkammer auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte, wenn sie bei der Strafzumessung zutreffend von einer einheitlichen Tat des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen ausgegangen wäre. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass das Landgericht - auf der Grundlage der rechtsfehlerhaften Aufspaltung des Geschehens in zwei Taten - die Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 250 Abs. 3 StGB insbesondere auch mit der Erwägung begründet hat, dass „mit Ausnahme der Schlüssel“ die geraubte Tatbeute „unmittelbar sichergestellt und der Geschädigten A. zurückgegeben“ worden ist. Bei zutreffender rechtlicher Würdigung wären hingegen auch die aus dem Tresor entwendeten 18.330 € als Raubbeute in Rechnung zu stellen gewesen.

III.

Im Hinblick auf den nur geringfügigen Teilerfolg der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1284

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 355

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner