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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1281

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 25/19, Urteil v. 28.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1281


BGH 2 StR 25/19 - Urteil vom 28. August 2019 (LG Köln)

Grundsatz der Spezialität (Folgen der Nichtbeachtung).

Art. 14 Europäisches Auslieferungsübereinkommen; § 83h Abs. 1 IRG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden.

2. § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bestimmt zwar, dass das Verbot des § 83h Abs. 1 IRG nicht gilt, wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt. Jedoch greift die Regelung des § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bei der Einbeziehung einer für sich genommen zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe in eine nicht aussetzungsfähige Gesamtstrafe nicht ein.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. November 2018 im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben; es wird klargestellt, dass der Angeklagte zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt ist; die Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 3. November 2017 unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe entfällt.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes (Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten) unter Einbeziehung weiterer Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 3. November 2017 und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.500 Euro angeordnet und die Anrechnung in Dänemark erlittener Auslieferungshaft mit dem Maßstab 1:1 bestimmt.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Allein der Gesamtstrafenausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand; im Übrigen weist das Urteil keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

I.

Nach den Feststellungen ist der Angeklagte irakischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Schweden, der gelegentlich nach Deutschland einreist. Unter anderem war er durch Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 3. November 2017 wegen „Wohnungseinbruchsdiebstahl in vier Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Bereits im Jahr 2014 hatte sich der Angeklagte in Deutschland aufgehalten. Am 27. November 2014 - dies ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens - zwang der Angeklagte den Inhaber eines Fahrradgeschäfts in K. unter Vorhalt eines Messers, die Wegnahme des Kassenbestands von 2.500 Euro zu dulden. Wegen dieser Tat erging am 13. Februar 2018 ein Europäischer Haftbefehl, auf dessen Grundlage der Angeklagte am 4. Mai 2018 in Dänemark festgenommen wurde. Dort befand er sich bis zu seiner Überstellung am 30. Mai 2018 in Auslieferungshaft.

II.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen weisen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Die insoweit von dem Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge und die Sachrüge bleiben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Hingegen hält der Gesamtstrafenausspruch rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht durfte mit den Einzelstrafen aus dem an sich gesamtstrafenfähigen Urteil des Amtsgerichts Lübeck vom 3. November 2017 - wie vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt - keine Gesamtfreiheitsstrafe bilden. Der Einbeziehung steht der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität (Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, § 83h Abs. 1 IRG) entgegen. Der Europäische Haftbefehl vom 13. Februar 2018 erfasst lediglich die im hiesigen Verfahren gegenständliche Straftat. Nur zur Verfolgung dieser Straftat ist der Angeklagte ausgeliefert worden. Um eine Auslieferung zur Vollstreckung der im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Lübeck verhängten Freiheitsstrafe ist das Königreich Dänemark nicht ersucht worden und hat dementsprechend insoweit keine Zustimmung erteilt. Der Angeklagte hat auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes auch nicht verzichtet.

Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden (BGH, Beschlüsse vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590 und vom 20. April 2016 - 1 StR 661/15, StV 2017, 248 f.; Urteil vom 9. Mai 2019 - 4 StR 511/18, juris Rn. 9, jew. mwN).

Aus dem Umstand, dass die Vollstreckung der durch das Amtsgericht Lübeck verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war, folgt nichts anderes. § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bestimmt zwar, dass das Verbot des § 83h Abs. 1 IRG nicht gilt, wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt. Jedoch greift die Regelung des § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG bei der Einbeziehung einer für sich genommen zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe in eine nicht aussetzungsfähige Gesamtstrafe nicht ein (BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2011 - 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100 und vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590). Eine Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Lübeck kommt daher erst dann in Betracht, wenn eine Bewilligung durch das Königreich Dänemark - etwa im Rahmen eines Nachtragsersuchens - oder ein Verzicht (§ 83h Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 3 IRG) auf die Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes seitens des Angeklagten erklärt würde.

2. Es verbleibt damit bei der für die gegenständliche Tat ausgeurteilten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten.

Eine vom Generalbundesanwalt (in seiner Zuschrift) beantragte Aufhebung auch der für die hiesige Tat verhängten Freiheitsstrafe und die Zurückverweisung an den Tatrichter zur Berücksichtigung eines Härteausgleichs war nicht veranlasst.

Sollte die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lübeck zu einem späteren Zeitpunkt, etwa nach einem Nachtragsersuchen an das Königreich Dänemark oder nach einem jederzeit möglichen Verzicht des Angeklagten auf die Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes, vollstreckbar werden, so wäre gemäß § 460 StPO aus dieser Strafe und aus der im hiesigen Verfahren festgesetzten Einzelstrafe nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590). Anderenfalls bliebe es dauerhaft bei der Nichtvollstreckbarkeit der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Lübeck. In beiden Fallgestaltungen läge eine ausgleichspflichtige Härte zum Nachteil des Angeklagten nicht vor.

3. Der geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels gibt keinen Anlass, die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen auch nur teilweise der Staatskasse aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1281

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner