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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1235

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 261/19, Beschluss v. 31.10.2019, HRRS 2019 Nr. 1235


BGH 3 StR 261/19 - Beschluss vom 31. Oktober 2019 (LG Oldenburg)

Elternzeit als geeigneter Grund zur Hinderung an der Unterzeichnung des Urteils; revisionsgerichtliche Überprüfung der Entscheidung über die Verhinderung.

§ 275 Abs. 2 S. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Elternzeit ist geeignet, den mitwirkenden Richter an der Unterschrift zu hindern. Dienstgeschäfte, zu denen auch die Unterzeichnung eines Strafurteils zählt, können dem Richter in der Elternzeit nicht abverlangt werden, denn ihre Inanspruchnahme hat eine Befreiung von der Dienst- bzw. Arbeitspflicht - ohne Fortzahlung der Bezüge - zur Folge. Die Elternzeit mit ihren intensiven Aufsichts- und Betreuungspflichten bei Kindern in den ersten Lebensjahren ist damit ein vorübergehender rechtlicher und tatsächlicher Hinderungsgrund und - ebenso wie genehmigter Erholungsurlaub - generell geeignet, den Richter von der Unterschriftsleistung abzuhalten, zumal die Unterschrift regelmäßig das Lesen, unter Umständen das Überarbeiten und gegebenenfalls eine Fassungsberatung voraussetzt.

2. Wurde eine Verhinderung fristgerecht beurkundet und auf einen diese grundsätzlich tragenden Grund gestützt, kann das Revisionsgericht diese Entscheidung lediglich daraufhin überprüfen, ob dabei der eingeräumte Spielraum in rechtsfehlerhafter Weise überschritten ist oder die Annahme der Verhinderung auf sachfremden Erwägungen beruht und sie sich deshalb als willkürlich erweist.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 21. Januar 2019 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Die auf § 338 Nr. 7 StPO i.V.m. § 275 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StPO gestützte Verfahrensrüge ist unbegründet. Das Urteil des Landgerichts ist ordnungsgemäß unterschrieben worden. Der innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO angebrachte Verhinderungsvermerk weist aus, dass Richter am Landgericht K. wegen der am 1. Februar 2019 angetretenen Elternzeit an der Unterschrift gehindert war. Damit genügt der Vermerk den Anforderungen des § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO. Insoweit gilt:

Wurde eine Verhinderung fristgerecht beurkundet und auf einen diese grundsätzlich tragenden Grund gestützt, kann das Revisionsgericht diese Entscheidung lediglich daraufhin überprüfen, ob dabei der eingeräumte Spielraum in rechtsfehlerhafter Weise überschritten ist oder die Annahme der Verhinderung auf sachfremden Erwägungen beruht und sie sich deshalb als willkürlich erweist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Mai 2016 - 1 StR 352/15, NStZ-RR 2016, 286 mwN). Gemessen hieran ist das Urteil des Landgerichts ordnungsgemäß unterschrieben worden.

Der Verhinderungsvermerk des Vorsitzenden benennt einen generell tragenden Verhinderungsgrund. Die Elternzeit ist geeignet, den mitwirkenden Richter an der Unterschrift zu hindern. Erwerbstätige Eltern, die ihr Kind selbst betreuen und erziehen, haben Anspruch auf Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (für niedersächsische Richterinnen und Richter vgl. § 2 Abs. 1 NRiG i.V.m. § 81 NBG i.V.m. § 6 MuSchEltZV). Dienstgeschäfte, zu denen auch die Unterzeichnung eines Strafurteils zählt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358; KK/Greger, StPO, 8. Aufl., § 275 Rn. 29), können dem Richter in der Elternzeit nicht abverlangt werden, denn ihre Inanspruchnahme hat eine Befreiung von der Dienst- bzw. Arbeitspflicht - ohne Fortzahlung der Bezüge - zur Folge (vgl. ErfK/Gallner, 19. Aufl., BEEG § 15 Rn. 10, 25). Die Elternzeit mit ihren intensiven Aufsichts- und Betreuungspflichten bei Kindern in den ersten Lebensjahren ist damit ein vorübergehender rechtlicher und tatsächlicher Hinderungsgrund und - ebenso wie genehmigter Erholungsurlaub (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 1998 - 1 StR 88/98, StV 1998, 477, 478; MüKoStPO/Valerius, 1. Aufl., § 275 Rn. 30; BeckOK StPO/Peglau, § 275 Rn. 31) - generell geeignet, den Richter von der Unterschriftsleistung abzuhalten, zumal die Unterschrift regelmäßig das Lesen, unter Umständen das Überarbeiten und gegebenenfalls eine Fassungsberatung voraussetzt. Die theoretische Möglichkeit einer Teilzeiterwerbstätigkeit nach § 15 Abs. 4 BEEG ändert daran nichts, zumal eine solche weder nach dem Vermerk des Vorsitzenden des Landgerichts ersichtlich ist, noch von der Revision behauptet wird.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1235

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 181

Bearbeiter: Christian Becker