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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 122

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 418/18, Beschluss v. 28.11.2018, HRRS 2019 Nr. 122


BGH 5 StR 418/18 - Beschluss vom 28. November 2018 (LG Lübeck)

Fehlgeschlagener Versuch (Unmöglichkeit der Herbeiführung des Erfolgs ohne neue Handlungs- und Kausalkette; Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung; zeitliche Zäsur; Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs); natürliche Handlungseinheit (einheitliches, zusammengehörendes Tun; gemeinsames subjektives Element).

§ 24 StGB; § 52 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter nach der letzten von ihm vorgenommenen Tathandlung erkennt, dass mit den bereits eingesetzten oder den ihm sonst zur Hand liegenden Mitteln der erstrebte Taterfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann, ohne dass eine neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird. Dabei kommt es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an. Ein Fehlschlag liegt daher erst dann vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder eine entsprechende dahingehende subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 26. April 2018

im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung und der versuchten Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, schuldig ist,

im Strafausspruch in den Fällen 3 bis 6 und im Gesamtstrafenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen (Fälle 3, 4 und 6), wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung (Fall 5) und wegen versuchter Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Fälle 1 und 2), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Das Landgericht hat in den Fällen 3 bis 6 im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Nachdem der Angeklagte mit dem Versuch, den Nebenkläger T. mit Unterstützung des nichtrevidierenden Mitangeklagten K. und des gesondert Verfolgten G. unter Anwendung von Gewalt zum Verlassen eines Busses zu zwingen, am Widerstand des ein Klappmesser mit sich führenden T. gescheitert war, wollte er sich an diesem unter Mitwirkung seines Mitstreiters K. für die dabei erlittene Stichverletzung rächen. Während K. den Nebenkläger festhielt, versuchte der Angeklagte, diesen in Verletzungsabsicht einen Stich mit einem Taschenmesser zu versetzen. T. gelang es jedoch, den Messerangriff abzuwehren und den Angeklagten vorübergehend aus dem Bus zu vertreiben (Fall 3).

Aus Wut und Rache warf der Angeklagte nun sein Taschenmesser aus einer Entfernung von etwa zwei Metern mit voller Wucht auf den in der geöffneten Bustür stehenden Nebenkläger. Der Wurf verfehlte jedoch sein Ziel (Fall 4).

Der weiterhin auf das Äußerste verärgerte Angeklagte ließ daraufhin von dem gesondert Verfolgten G. ein schlagstockartiges Hartgummiteil, das von Sportbootfahrern zur Dämpfung von harten Stößen beim Vertäuen an der Anlegestelle verwendet wird (sogenannter Ruckdämpfer), holen, an das er sich unmittelbar nach dem Messerwurf („nun“) erinnert hatte. Anschließend gab er den Ruckdämpfer dem Mitangeklagten K., der damit weisungsgemäß mehrfach auf den Nebenkläger einschlug. Dieser erlitt hierdurch Prellungen am linken Oberarm, am Hinterkopf sowie im Schulter- und Nackenbereich. Zu weitergehenden Verletzungen kam es nicht, weil T. den Angriff unter Verwendung seines Klappmessers abwehren konnte. K. floh aus dem Bus, wobei er den Ruckdämpfer fallen ließ (Fall 5).

Der Angeklagte, der mittlerweile den Bus betreten hatte, hob den Ruckdämpfer auf und warf ihn aus einer Entfernung von zwei bis drei Metern in Verletzungsabsicht in Richtung des Kopfes des Nebenklägers, der dem Wurf jedoch ausweichen konnte. Der Angeklagte verließ daraufhin ebenfalls den Bus. Dem Fahrer gelang es nun, die Bustüren zu schließen, so dass der Angeklagte keine weiteren Angriffe mehr auf T. unternehmen konnte (Fall 6).

2. Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten gegen den Nebenkläger in den Fällen 3 bis 6 materiellrechtlich als vier eigenständige Straftaten im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB bewertet, weil zwischen den einzelnen Angriffshandlungen jeweils eine Zäsur gegeben sei. Für die Fälle 3, 4 und 5 ergebe sich dies daraus, dass der den Angriffen jeweils vorhergehende Versuch der Nötigung (Fall 2) und der gefährlichen Körperverletzung (Fall 3 und 4) fehlgeschlagen sei. Sein Entschluss, den Mitangeklagten K. zu Schlägen mit dem Ruckdämpfer zu veranlassen (Fall 5), stelle eine „weitere Zäsur“ dar.

Die Aufforderung zu dem Angriff mit dem Ruckdämpfer hat das Landgericht als Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung gewertet (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, § 26 StGB). Zu einer mittäterschaftlichen Tatbeteiligung des Angeklagten an den Schlägen verhält sich das Urteil nicht. Ebenso wenig enthält es Ausführungen zu einer Zäsur zwischen den als Fall 5 und 6 bezeichneten Angriffshandlungen.

3. Weder die konkurrenzrechtliche Einordnung noch der Schuldspruch wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

a) Nach den Urteilsfeststellungen sind die in den Fällen 3 bis 6 beschriebenen Angriffe auf die körperliche Integrität des Nebenklägers als eine natürliche Handlungseinheit und damit als eine Tat im materiellrechtlichen Sinn zu bewerten. Denn die einzelnen Betätigungsakte des Angeklagten waren durch ein gemeinsames subjektives Element - nämlich sein auf Wut und Ärger über die Gegenwehr des Nebenklägers fußendes Rachebedürfnis - verbunden und standen in einem derart engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang, dass sich sein gesamtes Handeln objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun darstellte, das erst durch das Verschließen der Bustüren nach dem Wurf des Angeklagten mit dem Ruckdämpfer (Fall 6) eine Zäsur erfuhr (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 1997 - 3 StR 574/97, BGHSt 43, 312, 315).

aa) Dem steht nicht entgegen, dass die als Fall 3 und 4 geschilderten Angriffshandlungen nicht zu Verletzungen des Nebenklägers führten. Zwar begründet - wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist - der Fehlschlag des Versuchs einer der strafrechtlich erheblichen Betätigungsakte eines mehraktigen Geschehens eine die Annahme einer Handlungseinheit ausschließende Zäsur (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264). Ein solcher liegt aber nicht vor.

Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter nach der letzten von ihm vorgenommenen Tathandlung erkennt, dass mit den bereits eingesetzten oder den ihm sonst zur Hand liegenden Mitteln der erstrebte Taterfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann, ohne dass eine neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird. Dabei kommt es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an. Ein Fehlschlag liegt daher erst dann vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder eine entsprechende dahingehende subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2014 - 3 StR 458/14, NStZ-RR 2015, 105, 106; vom 7. Mai 2014 - 4 StR 105/14, NStZ-RR 2014, 240).

Danach waren die Körperverletzungsversuche in den Fällen 3 und 4 nicht fehlgeschlagen, weil der Angeklagte seine Angriffe auf die körperliche Integrität des Nebenklägers unmittelbar nach dessen zunächst erfolgreicher Gegenwehr mit ihm zur Hand liegenden Mitteln fortsetzte. Im Fall 4 versuchte er, den Nebenkläger durch einen Wurf mit dem Taschenmesser zu verletzen, das er schon für den Angriff im Fall 3 verwendet hatte. Im Fall 5 wurde - ebenso wie im Fall 6 - der in dem am Tatort abgestellten PKW des Angeklagten liegende Ruckdämpfer verwendet. Dass der Angeklagte sich erst nach dem fehlgegangenen Messerwurf an dessen Verfügbarkeit „erinnerte“, führt nicht zu einer Zäsur des Geschehensverlaufes. Denn aufgrund der ihm unmittelbar danach („nun“) in Erinnerung kommenden Verfügbarkeit des Ruckdämpfers konnte der Angriff auf den Nebenkläger ohne Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs fortgesetzt werden.

bb) Im Fall 5 liegt kein Versuch vor, weil der Nebenkläger durch die von dem Mitangeklagten K. geführten Schläge mit dem Ruckdämpfer Verletzungen in Form von Prellungen erlitten hat. Es fehlt daher schon an der Grundlage für die Annahme einer Zäsur durch einen Fehlschlag.

b) Die Schläge des Mitangeklagten K. mit dem Ruckdämpfer sind dem Angeklagten gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen. Nach den Urteilsfeststellungen griffen der Angeklagte und K. den Nebenkläger teils wechselseitig, teils zusammen an, wobei beide eigenhändig gefährliche Werkzeuge in Gestalt des Ruckdämpfers und des Taschenmessers des hochgradig am Taterfolg interessierten Angeklagten verwendeten. Die zu den Prellungen führenden Schläge mit dem von diesem zur Verfügung gestellten Ruckdämpfer stellen sich danach lediglich als ein (unselbständiger) Teil der auf einem gemeinsamen Tatentschluss beruhenden, mittäterschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung der Angeklagten nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, § 25 Abs. 2 StGB dar (vgl. zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Anstiftung BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02, BGHR StGB § 26 Bestimmen 6).

c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil auszuschließen ist, dass der Angeklagte sich anders als geschehen hätte verteidigen können.

3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der für die Fälle 3 bis 6 verhängten Strafen und des Gesamtstrafenausspruchs (vgl. zum Verbot der reformatio in peius Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl., § 331 Rn. 18).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 122

Bearbeiter: Christian Becker