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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 622

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 181/18, Beschluss v. 26.06.2018, HRRS 2018 Nr. 622


BGH 3 StR 181/18 - Beschluss vom 26. Juni 2018 (LG Mönchengladbach)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Revisionsfrist; Beweiskraft des gerichtlichen Posteingangsstempels (Anforderungen an die Entkräftung des Beweises; Glaubhaftmachung; Behauptung einer Fehlstempelung; plausible, in sich widerspruchsfreie und beweisbare Darstellung.

§ 37 StPO; § 44 StPO; § 418 ZPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Posteingangsstempel eines Gerichts erbringt im Regelfall als öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO, § 37 Abs. 1 StPO den Beweis über den Tag des Eingangs des Schriftstücks bei Gericht, wenn und solange dieser Beweis nicht gemäß § 418 Abs. 2 ZPO durch den Nachweis der Unrichtigkeit des im Eingangsstempel ausgewiesenen Zeitpunkts entkräftet wird.

2. Zu dieser Entkräftung ist eine bloße Glaubhaftmachung, etwa in Gestalt einer anwaltlichen Versicherung, in aller Regel nicht ausreichend. Vielmehr muss zur vollen Überzeugung des Gerichts die Rechtzeitigkeit des Eingangs des Schriftsatzes feststehen. Der Beweis ist über schlichtes Bestreiten hinaus substantiiert anzutreten, wozu eine konkrete Darlegung der Umstände gehören kann, aus denen sich das Gegenteil der von der Beweiskraft der öffentlichen Urkunde erfassten Tatsachen ergeben soll.

3. Hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge fehlt Außenstehenden regelmäßig der Einblick. Die Anforderungen an den Gegenbeweis dürfen daher insoweit nicht überspannt werden. Erforderlich ist jedoch eine plausible und in sich widerspruchsfreie, beweisbare Darstellung eines abweichenden Ablaufs der Dinge. Dazu gehört im Fall einer behaupteten Fehlstempelung der Vortrag von Umständen, die es möglich erscheinen lassen, dass es - etwa infolge eines technischen Defekts oder Nachlässigkeiten im Arbeitsablauf - beim Gericht auch in anderen Fällen zu Fehlstempelungen gekommen ist.

Entscheidungstenor

Den Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revisionen gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 17. November 2017 auf deren jeweiligen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung tragen die Angeklagten.

Damit sind die Beschlüsse des Landgerichts Mönchengladbach vom 14. Februar 2018, mit denen die Revisionen der Angeklagten als unzulässig verworfen worden sind, gegenstandslos.

Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in fünf Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten (den Angeklagten M.) bzw. drei Jahren und drei Monaten (den Angeklagten H.) verurteilt.

I. Gegen dieses Urteil haben die Verteidiger der Angeklagten fristgerecht Revision eingelegt. Das schriftliche Urteil ist ihnen daraufhin am 18. Dezember 2017 (Rechtsanwalt He. als Verteidiger des Angeklagten H.) bzw. am 19. Dezember 2017 (Rechtsanwalt L. als Verteidiger des Angeklagten M.) zugestellt worden. Beide Verteidiger haben Revisionsbegründungen erstellt, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts gerügt und dies näher ausgeführt haben. Die beim Landgericht eingegangenen Schriftsätze tragen einen Eingangsstempel vom 20. Januar 2018, einem Samstag.

1. Die Strafkammer hat mit Beschlüssen vom 14. Februar 2018 die Revisionen nach § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil die Angeklagten ihre Rechtsmittel nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründet hätten; die Fristen seien am 18. bzw. am 19. Januar 2018 abgelaufen. Für den Angeklagten H. hat daraufhin Rechtsanwalt He. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er habe versehentlich eine einheitliche Frist für beide Sachen auf den 19. Januar 2018 notiert, deshalb sei die Revisionsbegründungsfrist ohne Verschulden des Angeklagten H. versäumt worden. Für den Angeklagten M. hat Rechtsanwalt L. hingegen auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts vom 14. Februar 2018 angetragen. In dieser Entscheidung sei die Strafkammer von falschen Voraussetzungen ausgegangen, denn tatsächlich sei die Revisionsbegründung am 19. Januar 2018 und damit fristgerecht beim Landgericht eingegangen: Rechtsanwalt He. habe sie am Abend dieses Tages zwischen 18.00 Uhr und 19.30 Uhr in den Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfen. Hilfsweise hat auch Rechtsanwalt L. für den Angeklagten M. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

2. Den Angeklagten ist nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie an der Versäumung der Frist kein Verschulden trifft, § 44 Satz 1 StPO.

a) Hinsichtlich des Angeklagten H. ergibt sich die Fristversäumung schon daraus, dass auch dann, wenn man den Vortrag des Verteidigers als richtig unterstellt, die Revisionsbegründung sei am 19. Januar 2018 in den Nachtbriefkasten des Landgerichts eingeworfen worden, die Frist versäumt wurde, weil sie bereits am 18. Januar 2018 ablief.

b) Mit Blick auf den Angeklagten M. gilt Folgendes:

Auf der Grundlage des Vortrags des Verteidigers des Angeklagten wäre die Revisionsbegründung am 19. Januar 2018 und deshalb fristgerecht beim Landgericht eingegangen. Mangels Fristversäumung käme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht. Dem steht indes der Posteingangsstempel des Landgerichts entgegen, der im Regelfall als öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO, § 37 Abs. 1 StPO den Beweis über den Tag des Eingangs des Schriftstücks bei Gericht erbringt, wenn und solange dieser Beweis nicht gemäß § 418 Abs. 2 ZPO durch den Nachweis der Unrichtigkeit des im Eingangsstempel ausgewiesenen Zeitpunkts entkräftet wird (OLG Hamburg, Beschluss vom 23. März 2017 - 2 Rev 16/17, StraFo 2017, 508, 509 mwN). Zu dieser Entkräftung ist eine bloße Glaubhaftmachung, wie sie in der anwaltlichen Versicherung von Rechtsanwalt He. zu sehen ist, in aller Regel nicht ausreichend; vielmehr muss zur vollen Überzeugung des Gerichts die Rechtzeitigkeit des Eingangs des Schriftsatzes feststehen. Der Beweis ist über schlichtes Bestreiten hinaus substantiiert anzutreten, wozu eine konkrete Darlegung der Umstände gehören kann, aus denen sich das Gegenteil der von der Beweiskraft der öffentlichen Urkunde erfassten Tatsachen ergeben soll (OLG Hamburg aaO). Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Verteidigers des Angeklagten M. nicht. Auch wenn hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge, in die Außenstehende regelmäßig keinen Einblick haben, die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden dürfen, ist eine plausible und in sich widerspruchsfreie, beweisbare Darstellung eines abweichenden Ablaufs der Dinge erforderlich. Dazu hätte hier ein Vorbringen gehört, das es möglich erscheinen lassen könnte, dass es - etwa infolge eines technischen Defekts oder Nachlässigkeiten im Arbeitsablauf - beim Landgericht auch in anderen Fällen zu Fehlstempelungen gekommen ist (vgl. OLG Hamburg aaO). Daran fehlt es. Insbesondere genügt das Vorbringen, ein auf das Datum eines Samstags lautender Eingangsstempel würde keinen Sinn ergeben, nicht.

Steht damit die Rechtzeitigkeit der Revisionseinlegung nicht fest, trifft den Angeklagten an der infolgedessen anzunehmenden Fristversäumung aber auch hier kein Verschulden, so dass ihm auf den hilfsweise gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

II. Die auf die jeweils erhobene Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben; ihre Revisionen erweisen sich damit als offensichtlich unbegründet.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 622

Bearbeiter: Christian Becker