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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 603

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 375/17, Beschluss v. 13.06.2018, HRRS 2018 Nr. 603


BVerfG 2 BvR 375/17, 2 BvR 1785/17 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 13. Juni 2018 (BGH / LG Hamburg)

Keine „Ahndungslücke“ durch Verweisung einer Blankettstrafnorm des Wertpapierhandelsgesetzes auf eine zunächst noch nicht anwendbare Vorschrift der unionsrechtlichen Marktmissbrauchsverordnung (leichtfertige Marktmanipulation; Bestimmtheitsgebot; Folgeentscheidung zu HRRS 2018 Nr. 463).

Art. 103 Abs. 2 GG; § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG; § 52 WpHG; § 2 Abs. 3 StGB; § 4 Abs. 3 OWiG; Art. 15 MAR

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG in der Fassung des Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetzes, wonach für vor dem 3. Juli 2016 begangene Straftaten nach dem Wertpapierhandelsgesetz keine „Ahndungslücke“ bestanden hat (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 5 StR 532/16 - [= HRRS 2017 Nr. 190]), verstößt nicht gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG.

2. § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG a. F., welcher Verstöße gegen die Marktmissbrauchsverordnung (MAR) durch Marktmanipulationen entgegen Art. 15 der Verordnung sanktioniert, erlaubt auch die Ahndung vor dem 3. Juli 2016 begangener Verstöße, wenngleich die in Bezug genommene Vorschrift am 2. Juli 2016 zwar bereits in Kraft getreten, europarechtlich allerdings noch nicht anwendbar war. Eine Strafbarkeitslücke für Altfälle (§ 2 Abs. 3 StGB) besteht nicht (Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 2018 - 2 BvR 463/17 - [= HRRS 2018 Nr. 463]).

Entscheidungstenor

1. Die Verfahren 2 BvR 375/17 und 2 BvR 1785/17 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen eine Verurteilung des Beschwerdeführers wegen einer leichtfertigen Marktmanipulation gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 11, Abs. 4, § 20a Abs. 1 Nr. 1 WpHG in der bis zum 1. Juli 2016 gültigen Fassung und gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 52 WpHG in der Fassung vom 23. Juni 2017.

I.

1. Das Landgericht Hamburg verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 11. April 2016 wegen einer leichtfertigen Marktmanipulation. Grundlage dieser Verurteilung war § 39 Abs. 2 Nr. 11, Abs. 4, § 20a Abs. 1 Nr. 1 WpHG in der bis zum 1. Juli 2016 gültigen Fassung. Zwei weitere Mitangeklagte, P. und K., verurteilte das Landgericht wegen leichtfertiger Marktmanipulation in zwei Fällen beziehungsweise wegen Marktmanipulation in Tateinheit mit unrichtiger Darstellung und vorsätzlichen Insiderhandels. Gegen die A. GmbH als Nebenbeteiligte, deren Geschäftsführer K. war, wurde gemäß § 73 Abs. 1, Abs. 3, § 73a, § 73c StGB in der bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung der Verfall von Wertersatz in Höhe von 390.000 Euro angeordnet.

Der Beschwerdeführer legte ebenso wie die A. GmbH gegen das Urteil des Landgerichts Revision ein. Die gegen die A. GmbH ergangene Verfallsanordnung war später Gegenstand einer unter dem Aktenzeichen 2 BvR 463/17 geführten Verfassungsbeschwerde.

Durch das Erste Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften aufgrund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz - 1. FiMaNoG) vom 30. Juni 2016 (BGBl I S. 1514) trat im hier entscheidenden Bereich § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG an die Stelle des § 39 Abs. 2 Nr. 11 WpHG. Die Vorschrift knüpfte daran an, dass jemand

[…] gegen die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 verstößt, indem er vorsätzlich oder leichtfertig

[…]

2. entgegen Artikel 15 eine Marktmanipulation begeht, […]

Die entsprechende Änderung der Rechtslage trat gemäß Art. 17 Abs. 1 des 1. FiMaNoG am 2. Juli 2016 in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war die Verurteilung des Beschwerdeführers noch nicht rechtskräftig. Für die in Bezug genommene Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung - MAR) regelt Art. 39 MAR folgende Zeitpunkte für Inkrafttreten und Geltung:

(1) Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung [am 12. Juni 2014] im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

(2) Sie gilt ab dem 3. Juli 2016 mit Ausnahme von Artikel 4 Absätze 4 und 5, Artikel 5 Absatz 6, Artikel 6 Absätze 5 und 6, Artikel 7 Absatz 5, Artikel 11 Absätze 9, 10 und 11, Artikel 12 Absatz 5, Artikel 13 Absätze 7 und 11, Artikel 16 Absatz 5, Artikel 17 Absatz 2 Unterabsatz 3, Artikel 17 Absätze 3, 10 und 11, Artikel 18 Absatz 9, Artikel 19 Absätze 13, 14 und 15, Artikel 20 Absatz 3, Artikel 24 Absatz 3, Artikel 25 Absatz 9, Artikel 26 Absatz 2 Unterabsätze 2, 3 und 4, Artikel 32 Absatz 5 und Artikel 33 Absatz 5, die ab dem 2. Juli 2014 gelten.

Unter dem 7. Juli 2016 veröffentlichte der Rechtsanwalt Rothenfußer in der Börsen-Zeitung einen Beitrag unter der Überschrift „Generalamnestie im Kapitalmarktrecht?“. Darin wies er darauf hin, dass für den 2. Juli 2016 eine „Ahndungslücke“ für nach dem Wertpapierhandelsgesetz begangene Straftaten bestanden habe, die über § 2 Abs. 3 StGB und § 4 Abs. 3 OWiG zu einer Straflosigkeit aller vor dem 3. Juli 2016 begangenen und nicht rechtskräftig abgeurteilten Taten führe. In der Literatur wurde diese Position in der Folgezeit gestützt (vgl. etwa Rothenfußer/Jäger, NJW 2016, S. 2689; Rossi, ZIP 2016, S. 2437; ders., NJW 2017, S. 969; Gaede, wistra 2017, S. 41; Szesny, BB 2017, S. 515; Bülte/Müller, NZG 2017, S. 205). Auch der Beschwerdeführer berief sich später auf diese „Ahndungslücke“.

Der Generalbundesanwalt beantragte unter dem 30. November 2016, die Revisionen gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Zur Revision des Beschwerdeführers führte er aus, dass eine Ahndungslücke nicht bestanden habe. Die Bezugnahme auf die Marktmissbrauchsverordnung habe dazu geführt, dass diese bereits vor ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit ab dem 2. Juli 2016 durch den Bundesgesetzgeber für (mit)anwendbar erklärt worden sei. Es habe ein klarer gesetzgeberischer Wille für eine ununterbrochene Strafbarkeit bestanden. Darüber hinaus würde eine Ahndungslücke nicht zur Straffreiheit führen, da in diesem Fall eine nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässige gesetzliche Abweichung von § 2 Abs. 3 StGB beziehungsweise § 4 Abs. 3 OWiG anzunehmen sei. Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit zu einer Gegenerklärung.

Der Bundesgerichtshof verwarf mit Beschluss vom 10. Januar 2017 die Revisionen gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Die mit dem Inkrafttreten des Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetzes eingetretene Rechtslage sei gegenüber der bei der Urteilsverkündung geltenden Rechtslage nicht günstiger für den Beschwerdeführer. Insbesondere habe es keine Ahndungslücke gegeben, da die in § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG in der ab dem 2. Juli 2016 geltenden Fassung enthaltene Bezugnahme auf Art. 15 MAR dazu geführt habe, dass diese Vorschrift der Marktmissbrauchsverordnung bereits vor ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit durch den Bundesgesetzgeber im Inland ab dem 2. Juli 2016 für (mit)anwendbar erklärt worden sei. Es handele sich bei § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG in der ab dem 2. Juli 2016 geltenden Fassung um eine Blankettnorm, die sich auf anderweitig geregelte Verhaltenspflichten beziehe. Diese Verweisung bedeute rechtlich den Verzicht, den Text der in Bezug genommenen Vorschrift in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufzunehmen. Dabei ergebe eine Auslegung des § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG in der ab dem 2. Juli 2016 geltenden Fassung, dass es auf die europarechtliche Gültigkeit der in Bezug genommenen Normen der Marktmissbrauchsverordnung nicht ankomme. Der nationale Gesetzgeber habe eine lückenlose Ahndung der Marktmanipulation erreichen wollen, wozu er auch vor dem 3. Juli 2016 durch die Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch; ABl L 96 vom 12. April 2003, S. 16) verpflichtet gewesen sei. Der Wortlaut des § 39 Abs. 3d WpHG in der ab dem 2. Juli 2016 geltenden Fassung stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Mit der Formulierung „wer gegen die Verordnung […] verstößt, indem er […]“ habe der Gesetzgeber lediglich in üblicher Weise die Bezeichnung der Verordnung „vor die Klammer gezogen“, so dass in den folgenden Verbotsregelungen keine Vollzitate mehr erforderlich seien. Ein „Verstoß“ könne im Übrigen auch dann vorliegen, wenn die in Bezug genommenen Vorschriften der Marktmissbrauchsverordnung bereits ab dem 2. Juli 2016 durch den Bundesgesetzgeber in Deutschland für (mit)anwendbar erklärt worden seien. Es handele sich um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche statische Verweisung auf die Marktmissbrauchsverordnung, die dem Bestimmtheitsgebot genüge. Auch aus europarechtlicher Perspektive sei der nationale Gesetzgeber nicht gehindert, einzelne Teile der Marktmissbrauchsverordnung vor ihrer europarechtlichen Geltung für in Deutschland anwendbar zu erklären. Es widerspreche nicht dem Bestimmtheitsgebot, dass Art. 15 MAR, auf den § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG verweise, seinerseits das verbotene Verhalten nicht tatbestandlich beschreibe, sondern lediglich den Begriff „Marktmanipulation“ (Art. 15 MAR) verwende, dessen Verständnis er voraussetze.

Unter dem 30. Dezember 2016 (BRDrucks 813/16) wurde der Regierungsentwurf zu einem Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz (2. FiMaNoG) veröffentlicht, das am 23. Juni 2017 verkündet wurde (BGBl I S. 1693). Mit dem Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz wurde als Reaktion auf die behauptete Ahndungslücke § 52 WpHG mit folgendem Wortlaut neu eingefügt:

Übergangsvorschrift für Verstöße gegen die §§ 38, 39

(1) Straftaten nach § 38 in der bis zum Ablauf des 1. Juli 2016 geltenden Fassung werden abweichend von § 2 Absatz 3 des Strafgesetzbuches nach den zum Zeitpunkt der Tat geltenden Bestimmungen geahndet.

(2) Ordnungswidrigkeiten nach § 39 in der bis zum Ablauf des 1. Juli 2016 geltenden Fassung können abweichend von § 4 Absatz 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten nach den zum Zeitpunkt der Tat geltenden Bestimmungen geahndet werden.

In der Entwurfsbegründung (BRDrucks 813/16, S. 258 ff.) heißt es hierzu:

Mit dem Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz wurden die Straf- und Bußgeldvorschriften in §§ 38, 39 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) geändert, um die erforderlichen Sanktionsbestimmungen zur Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie) zu schaffen. Diese Straf- und Bußgeldtatbestände enthalten Verweisungen auf die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 und wurden am 2. Juli 2016 und damit einen Tag vor Geltung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 in Kraft gesetzt, damit die entsprechenden Bußgeldvorschriften die Voraussetzungen der Bestandschutzregelung in Art. 30 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung […] erfüllen.

Zwar kann gegen Straf- und Bußgeldvorschriften, deren Tatbestände auf europäische Bestimmungen verweisen (Blankettnormen), in der Regel erst mit Geltung der entsprechenden europarechtlichen Vorschriften verstoßen werden. In dem besonderen Fall der Sanktionierung von Verstößen gegen die Verordnung […] wurden jedoch die straf- oder bußgeldbewehrten Vorschriften der Verordnung […] durch das Inkrafttreten der Sanktionsvorschriften vor dem Anwendungszeitpunkt der bewehrten EU-Verordnung bereits ab dem 2. Juli 2016 in Deutschland für anwendbar erklärt.

Die Absicht des Gesetzgebers, die straf- oder bußgeldbewehrten Vorschriften der Verordnung […] mit dem Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetz vorzeitig für anwendbar zu erklären, geht aus der Gesetzesbegründung nicht hinreichend deutlich hervor. Vor diesem Hintergrund sind Zweifel aufgekommen, ob durch das vorgezogene Inkrafttreten am 2. Juli 2016 eine Sanktionslücke entstanden sei. Eine entsprechende Sanktionslücke am 2. Juli 2016 könnte auf Grund der Regelungen in § 2 Absatz 3 des Strafgesetzbuches (StGB) und § 4 Absatz 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) auch über den 2. Juli 2016 hinaus für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten Bedeutung haben, die vor dem 2. Juli 2016 begangen wurden.

Es sollte jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen keine Unsicherheit darüber bestehen, ob Verstöße gegen Handlungsge- und -verbote aus Sicht des Gesetzgebers den Tatbestand einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit erfüllen. Mit der Übergangsvorschrift in § 51 WpHG soll diese Rechtssicherheit nunmehr für Straftaten nach § 38 WpHG und Ordnungswidrigkeiten nach § 39 WpHG, die unter Geltung der §§ 38, 39 WpHG in der bis zum Ablauf des 1.7.2016 geltenden Fassung begangen wurden, in der Weise hergestellt werden, indem für diese Verstöße ausdrücklich das Tatzeitrecht für anwendbar erklärt wird. Dadurch werden § 2 Absatz 3 StGB und § 4 Absatz 3 OWiG abbedungen.

Der Ausschluss des Prinzips der Meistbegünstigung in § 2 Absatz 3 StGB und § 4 Absatz 3 OWiG stellt keinen Verstoß gegen Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes dar, da das Prinzip der Meistbegünstigung verfassungsrechtlich nicht geboten ist und daher durch einfachgesetzliche Regelung abbedungen werden kann (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. September 2008 - 2 BvR 1817/08). Ebenso steht Artikel 49 Absatz 1 Satz 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) der Regelung nicht entgegen, da dieser nach Maßgabe des Artikels 52 Absatz 1 GR-Charta eingeschränkt werden kann. Für die hier vorgenommene Einschränkung von Artikel 49 Absatz 1 Satz 3 GR-Charta ist nicht ersichtlich, dass der unionsrechtliche Grundrechtsschutz strengere Anforderungen aufstellen würde als der grundgesetzliche Grundrechtsschutz für eine Einschränkung der einfachgesetzlichen Regelungen in § 2 Absatz 3 StGB und § 4 Absatz 3 OWiG.

2. a) Der Beschwerdeführer rügt mit seiner am 20. Februar 2017 fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde (2 BvR 375/17), die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2017 verletze den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG. Es habe am 2. Juli 2016 eine Ahndungslücke für nach dem Wertpapierhandelsgesetz begangene Straftaten bestanden. Diese Ahndungslücke führe nach dem lex-mitior-Prinzip (§ 2 Abs. 3 StGB und § 4 Abs. 3 OWiG) zur Straflosigkeit in sämtlichen vor dem 3. Juli 2016 nicht rechtskräftig abgeurteilten Fällen. Die Auslegung des Bundesgerichtshofs, es habe keine Ahndungslücke gegeben, überschreite die Wortlautgrenze. Weder Wortlaut noch Historie, Systematik oder Telos des Ersten Finanzmarktnovellierungsgesetzes deuteten darauf hin, dass der Gesetzgeber die zeitliche Anwendbarkeit von einzelnen Regelungen der Marktmissbrauchsverordnung habe vorverlegen wollen. Hierfür fehle dem nationalen Gesetzgeber zudem die Gesetzgebungskompetenz.

b) Mit seiner unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1785/17 geführten Verfassungsbeschwerde vom 7. August 2017 rügt der Beschwerdeführer, § 52 WpHG in der Fassung vom 23. Juni 2017 verletze Art. 103 Abs. 2 GG, das Verbot von Einzelfallgesetzen gemäß Art. 19 Abs. 1 GG, den Vertrauensschutzgrundsatz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 49 Abs. 1 Satz 3 GRCh. Er, der Beschwerdeführer, wäre durch die angegriffene Norm unmittelbar betroffen, wenn anders als im Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2017 von einer Strafbarkeitslücke ausgegangen werde. Das Bundesverfassungsgericht sei in dem Verfahren 2 BvR 375/17 darauf beschränkt, den angegriffenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2017 wegen eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG aufzuheben und diesem die Sache zurückzuverweisen. An einer Entscheidung auch über den lex-mitior-Grundsatz sei das Bundesverfassungsgericht im Verfahren 2 BvR 375/17 hingegen gehindert, da der Bundesgerichtshof diesen Grundsatz seinem Beschluss nicht zugrunde gelegt habe. Der Bundesgerichtshof hätte dann § 52 WpHG in der Fassung vom 23. Juni 2017 anzuwenden, was erneut zu einer Verurteilung führen werde. Aus Gründen der Prozessökonomie erscheine es zweckmäßig, die Verfahren 2 BvR 375/17 und 2 BvR 1785/17 zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.

II.

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Den Verfassungsbeschwerden kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1785/17, die sich gegen § 52 WpHG in der Fassung vom 23. Juni 2017 richtet, ist unzulässig, die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 375/17 gegen die Entscheidungen des Landgerichts Hamburg vom 11. April 2016 und des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2017 jedenfalls unbegründet.

1. Die angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Hamburg vom 11. April 2016 und des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2017 verletzen den Beschwerdeführer nicht in verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen. Insbesondere verstößt die Annahme des Bundesgerichtshofs, es sei durch das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz am 2. Juli 2016 keine Ahndungslücke für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach dem Wertpapierhandelsgesetz entstanden, nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Mai 2018 - 2 BvR 463/17 -, Rn. 17 ff.).

2. Hinsichtlich seiner gegen § 52 WpHG in der Fassung vom 23. Juni 2017 geführten Verfassungsbeschwerde hat der Beschwerdeführer bereits nicht hinreichend dargelegt (§ 23 Abs. 1 S. 2, § 92 BVerfGG), selbst, gegenwärtig und unmittelbar (vgl. BVerfGE 119, 181 <212>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 21. November 2017 - 2 BvR 2177/16 -, juris, Rn. 36, 43) durch die angegriffene Rechtsnorm betroffen zu sein. Dies käme - wie der Beschwerdeführer selbst ausführt - von vornherein nur in Betracht, wenn durch das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz am 2. Juli 2016 die von ihm angenommene „Ahndungslücke“ entstanden wäre. Eine solche Lücke hat - wie dargelegt - indes nicht bestanden.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 603

Bearbeiter: Holger Mann