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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 459

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 652/17, Beschluss v. 07.03.2018, HRRS 2018 Nr. 459


BGH 5 StR 652/17 - Beschluss vom 7. März 2018 (LG Görlitz)

Vergewaltigung (Narkosemittel; gefährliches Werkzeug; Verwenden bei der Tat; sonstiges Werkzeug oder Mittel; Absicht zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand; Zeitpunkt der Fassung des Vergewaltigungsvorsatzes).

§ 177 Abs. 2, Abs. 7, Abs. 8 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Betäubt der Täter einer Vergewaltigung das Opfer mit einem Narkosemittel, kommt eine Qualifikation der Tat weder nach § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB noch nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB in Betracht, wenn die Verwendung des Narkosemittels zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem noch kein Vergewaltigungsvorsatz vorliegt. Denn unter diesen Umständen fehlt es sowohl an der in § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB bezeichneten Absicht als auch am Merkmal des Verwendens bei der Tat im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 18. August 2017

im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist,

mit den zugehörigen Feststellungen im Strafausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die auf eine Verfahrensbeanstandung und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zu einer Schuldspruchänderung und zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch wegen „schwerer“ Vergewaltigung hat keinen Bestand.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts betäubte der Angeklagte die Nebenklägerin am 25. Dezember 2016 während eines gemeinsamen Kaffeetrinkens durch Beimischung einer beträchtlichen Menge des Medikaments Tavor (Wirkstoff Lorazepam) in ihren Kaffee, um ungestört ihr Smartphone daraufhin kontrollieren zu können, wo sie Silvester verbringe. Die Nebenklägerin verfiel in einen schwer bewusstseinsgetrübten Zustand bis hin zur Bewusstlosigkeit, der bis zum Folgetag andauerte. Der Angeklagte entschloss sich nun, unter Ausnutzung der geschaffenen Situation auch sexuelle Handlungen an der widerstandsunfähigen Nebenklägerin durchzuführen. Er fertigte eine Reihe von Bildaufnahmen unter anderem von ihrem unbekleideten Geschlechtsteil und vollzog den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss.

b) In Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts ergeben diese Feststellungen weder den vom Landgericht angenommenen Qualifikationstatbestand nach § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB noch einen anderen Qualifikationstatbestand gemäß § 177 Abs. 7 oder 8 StGB. Dabei kann offenbleiben, ob das insoweit allein in Betracht kommende narkotisierende Medikament als „Werkzeug oder Mittel“ im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB oder als „gefährliches Werkzeug“ nach § 177 Abs. 7 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB gelten könnte (vgl. zum „gefährlichen Werkzeug“ BGH, Beschluss vom 27. Januar 2009 - 4 StR 473/08, NStZ 2009, 505; krit. LK StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 271). Denn der Angeklagte fasste den Vergewaltigungsvorsatz erst, nachdem er die Nebenklägerin bereits betäubt hatte. Damit fehlt es sowohl an der in § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB bezeichneten Absicht als auch am Merkmal des Verwendens bei der Tat im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB. Aus demselben Grund scheidet § 177 Abs. 7 Nr. 3 StGB aus. Den Urteilsgründen kann ferner nicht entnommen werden, dass der Angeklagte das Medikament als Täter einer Vergewaltigung, mithin bei der Tat, bei sich führte (§ 177 Abs. 7 Nr. 1, 2 StGB).

c) Der Senat schließt aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, auf deren Grundlage eine Verurteilung wegen eines Qualifikationstatbestandes nach § 177 Abs. 7 oder 8 StGB erfolgen kann. Jedoch sind die Voraussetzungen von § 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt. Im Blick darauf war der Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu berichtigen. Paragraph 265 StPO steht dem nicht entgegen.

2. Der Wegfall des Qualifikationstatbestandes entzieht dem Strafausspruch die Basis. Trotz der auch auf der Grundlage von § 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB nicht übersetzten Strafe kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei zutreffender Bewertung eine mildere Strafe verhängt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 459

Bearbeiter: Christian Becker