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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 443

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 612/17, Beschluss v. 20.02.2018, HRRS 2018 Nr. 443


BGH 3 StR 612/17 - Beschluss vom 20. Februar 2018 (LG Wuppertal)

Keine wahlweise Verurteilung wegen (versuchten) Raubes und (versuchter) räuberischer Erpressung; rechtsfehlerhafte Verneinung eines Hanges trotz intensiver Neigung zum Betäubungsmittelkonsum.

§ 64 StGB; § 249 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

Leitsatz des Bearbeiters

Eine wahlweise Verurteilung wegen (hier: versuchten) besonders schweren Raubes oder wegen (hier: versuchter) besonders schwerer räuberischer Erpressung kommt nicht in Betracht, weil der Tatbestand der räuberischen Erpressung den engeren Tatbestand des Raubes mitumfasst. Denn die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache im Sinne des § 249 StGB schließt auch die Nötigung eines anderen zur Duldung der Wegnahme im Sinne der §§ 253, 255 StGB ein.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 10. Juli 2017

im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung schuldig ist;

im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes unter Einbeziehung eines weiteren Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen betrat der Angeklagte mit zwei Mittätern eine Spielhalle, um unter Vorhalt eines Messers Bargeld zu erbeuten. Der Versuch misslang, weil ein Gast den Tätern mit einem Stuhl, den er gegen sie erhob, entgegentrat und sie in die Flucht schlug. Das Landgericht hat nicht feststellen können, ob der Angeklagte und die Mittäter das Geld selbst aus der Kasse nehmen oder sich von der Aufsicht der Spielhalle aushändigen lassen wollten. Es hat deshalb in den Urteilsgründen zum Ausdruck gebracht, dass der Angeklagte im Sinne einer Wahlfeststellung entweder wegen versuchten besonders schweren Raubes oder wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung zu verurteilen sei, was versehentlich im Tenor nicht zum Ausdruck gebracht worden sei.

Diese rechtliche Wertung ist rechtsfehlerhaft. Eine wahlweise Verurteilung kam vorliegend nicht in Betracht, weil der Tatbestand der räuberischen Erpressung den engeren Tatbestand des Raubes mitumfasst. Denn die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache im Sinne des § 249 StGB schließt auch die Nötigung eines anderen zur Duldung der Wegnahme im Sinne der §§ 253, 255 StGB ein. Soweit in der Rechtsprechung früher die Auffassung vertreten worden war, eine wahlweise Verurteilung wegen Raubes oder räuberischer Erpressung sei zulässig, hatte sich zum damaligen Zeitpunkt die heute in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass § 249 StGB im Verhältnis zu den §§ 253, 255 StGB das speziellere Delikt darstellt, noch nicht entwickelt (BGH, Beschluss vom 15. April 2014 - 3 StR 92/14, NStZ 2014, 640 mwN). Der Schuldspruch hätte deshalb richtigerweise auf versuchte besonders schwere räuberische Erpressung lauten müssen. Der Senat hat diesen entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

2. Der Ausspruch über die Rechtsfolgen hält revisionsgerichtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand. Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt. Dies führt gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Einzelnen:

Das Landgericht hat ohne nähere Begründung sowohl das Vorliegen eines Hanges als auch eines symptomatischen Zusammenhanges zwischen „dem Konsumverhalten“ und der festgestellten Straftat verneint. Dies stellt auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen einen Erörterungsmangel dar.

a) Nach den Feststellungen rauchte der 1997 geborene Angeklagte bereits in seiner Schulzeit Cannabis. Zwar verzichtete er mit 16 Jahren vorübergehend auf Rauschmittel. Spätestens Anfang 2016 nahm er den Cannabiskonsum aber wieder auf, den er jetzt „regelmäßig in größerem Umfang“ betrieb und um den Konsum von Kokain ergänzte. Die Jugendkammer hält deshalb - was im Rahmen der Erforderlichkeit der Verhängung einer Jugendstrafe erörtert wird - eine Drogentherapie für notwendig, um bei dem Angeklagten eine dauerhafte Abstinenz zu erreichen. Angesichts dieser Ausführungen, die eine intensive Neigung zum Rauschmittelkonsum nahelegen, hätte es der Erörterung bedurft, warum das Landgericht - dem Sachverständigen folgend - einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB nicht für gegeben erachtet hat.

b) Dies gilt auch, soweit die Jugendkammer einen symptomatischen Zusammenhang zwischen einem möglichen Hang, Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren, und der vorliegend abgeurteilten Straftat verneint hat. Der in der Hauptverhandlung gehörte psychiatrische Sachverständige, dessen Ausführungen sich die Jugendkammer zu eigen gemacht hat, hat zwar eine drogenbedingte erhebliche Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht erkennen können, wohl aber eine enthemmende Wirkung der zuvor konsumierten Drogen für die Tatbegehung als sicher angenommen. Zudem hat der Angeklagte, der sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen und bei seiner polizeilichen Vernehmung die Begehung der abgeurteilten Tat bestritten hat, im Rahmen seiner polizeilichen Einvernahme eingeräumt, in der Vergangenheit anderen Handys abgenommen und weiterverkauft zu haben, um Geld für Drogen zu erlangen. Vor diesem Hintergrund durfte das Landgericht nicht ohne weitere Begründung einen Zusammenhang zwischen dem Rauschmittelkonsum des Angeklagten und seiner Straffälligkeit verneinen.

Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Die fehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG die Aufhebung auch des Strafausspruchs nach sich (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 314/15, StV 2016, 734 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 443

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 140; StV 2019, 273

Bearbeiter: Christian Becker