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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 288

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 323/17, Beschluss v. 05.12.2017, HRRS 2018 Nr. 288


BGH 4 StR 323/17 - Beschluss vom 5. Dezember 2017 (LG Bochum)

Anklageschrift (Form: unschädliches Fehlen einer Unterschrift); Betrug (Berechnung des Vermögensschadens bei Eingehungsbetrug).

§ 170 Abs. 1 StPO; § 200 StPO;§ 263 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Das Fehlen der Unterschrift führt nicht zur Unwirksamkeit der Anklage und damit der Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses, wenn die Anklage mit Wissen und Wollen des zuständigen Beamten der Staatsanwaltschaft zu den Akten gereicht worden ist (vgl. RGSt 37, 407, 408).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 7. November 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) im Strafausspruch im Fall 4 der Urteilsgründe,

c) im Gesamtstrafenausspruch und d) soweit festgestellt ist, dass gegen den Angeklagten wegen eines Geldbetrages in Höhe von 52.431 Euro lediglich deshalb nicht auf Verfall von Wertersatz erkannt wird, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in fünf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt sowie eine Adhäsionsentscheidung und eine Anordnung nach § 111i Abs. 2 StPO getroffen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts; soweit er das Verfahrensrecht beanstandet, ist die Rüge aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Ein Verfahrenshindernis mit Blick darauf, dass die in den Gerichtsakten befindliche Anklageschrift vom 13. Juni 2016 nicht unterschrieben ist, besteht nicht. Das Fehlen der Unterschrift führt nicht zur Unwirksamkeit der Anklage und damit der Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses, wenn die Anklage mit Wissen und Wollen des zuständigen Beamten der Staatsanwaltschaft zu den Akten gereicht worden ist (vgl. RGSt 37, 407, 408; OLG Düsseldorf, wistra 1993, 352; OLG München, wistra 2011, 280; Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 200 Rn. 27; Kuckein, StraFo 1997, 33, 34).

So verhält es sich hier. Denn aus der dienstlichen Stellungnahme der Staatsanwältin vom 23. Oktober 2017 und deren Vermerk vom 20. Oktober 2017 ergibt sich, dass die Akte mit der jeweils unterschriebenen Fassung der Begleitverfügung und der Anklageschrift an die Strafkammer abverfügt wurde; weshalb sodann diese Fassungen in die Zweitakte und die nicht unterschriebenen Fassungen in die Hauptakte geraten sind, konnte nicht mehr aufgeklärt werden. Danach steht aber fest, dass die Anklage mit Wissen und Wollen des zuständigen Beamten erhoben worden ist und somit den Verfolgungswillen der Anklagebehörde dokumentiert (vgl. Schneider in KK-StPO, 7. Aufl., § 200 Rn. 37 mwN).

2. Der Schuldspruch in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Annahme eines bei den Käufern verursachten Vermögensschadens im Sinne des § 263 StGB in der gesamten Höhe ihrer Vorauszahlungen wird von den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht getragen. Wenngleich nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsfeststellungen ein Ausschluss jeglichen Vermögensschadens fern liegt, können die Schuldsprüche ohne dessen zutreffende Bestimmung nicht aufrechterhalten bleiben.

Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung, vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08, BGHSt 53, 199, 201, und vom 29. Januar 2013 - 2 StR 422/12, NStZ 2013, 711, jeweils mwN; Urteil vom 27. Juni 2012 - 2 StR 79/12, NStZ 2012, 629). Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt (BGH, Beschluss vom 18. Juli 1961 - 1 StR 606/60, BGHSt 16, 220, 221; Urteil vom 20. Dezember 2012 - 4 StR 55/12, BGHSt 58, 102, 111 f. mwN; BGH, Beschluss vom 19. Februar 2014 - 5 StR 510/13, wistra 2014, 270). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung. Spätere Entwicklungen berühren den tatbestandlichen Schaden nicht. Diese haben nur noch für die Strafzumessung Bedeutung (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2016 - 1 StR 456/15, NStZ 2016, 674, 675; Urteil vom 10. Juli 1952 - 5 StR 358/52, BGHSt 3, 99, 102; Beschluss vom 14. Juli 2016 - 4 StR 362/15, WM 2016, 1785, 1786).

Ein solcher Vergleich ergibt hier, dass der täuschungsbedingte Nachteil der Käufer darin besteht, dass ihr Erfüllungsanspruch gegen die Firma des Angeklagten ungewiss war, weil der Angeklagte bereits bei Vertragsschluss nicht in der Lage war, alle erworbenen Mobilfunkgeräte zu liefern, die jeweiligen Käufer jedoch die vereinbarten Kaufpreise im Vertrauen auf die vertragsgemäße Lieferung vollständig vorab bezahlten. Die Urteilsgründe ergeben jedoch nicht, dass im Zeitpunkt der täuschungsbedingten Vermögensverfügungen keinerlei Aussicht auf eine Lieferung durch den Angeklagten bestand, etwa weil dieser leistungsunwillig war, und der erworbene Gegenanspruch deshalb wirtschaftlich vollständig wertlos war. Dass der Angeklagte von Anfang an nicht die Absicht oder die Möglichkeit hatte, in den ausgeurteilten Fällen zu liefern, hat das Landgericht gerade nicht festgestellt. Der Umstand, dass in den ausgeurteilten Fällen letztlich keiner der Käufer ein Mobilfunkgerät erhielt, hat dafür lediglich einen Indizwert. Dem steht jedoch entgegen, dass der Angeklagte anderen Käufern im selben Zeitraum Mobilfunkgeräte lieferte (vgl. UA 11, UA 16). Auch lassen die Urteilsgründe die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte für den Fall der Nichtlieferung bereit und zunächst auch in der Lage war, geleistete Vorkassebeträge zurückzuzahlen (vgl. UA 16). Unter diesen Umständen kann ein Vermögensschaden in Höhe der von den Käufern geleisteten Zahlungen nicht zugrunde gelegt werden.

3. Auch im Fall 4 der Urteilsgründe hat der Tatrichter rechtsfehlerhaft - wie oben dargelegt - für die Bestellungen am 8. Dezember 2015 die geleisteten Zahlungen in voller Höhe als Schaden zugrunde gelegt. Da aufgrund der getroffenen Feststellungen zu den Verkäufen ab dem 11. Dezember 2015, bei denen der Angeklagte wusste, dass er keine Mobilfunkgeräte mehr liefern können würde, sicher davon auszugehen ist, dass ein tatbestandlicher Vermögensschaden entstanden ist, hat der Rechtsfehler keine Auswirkungen auf den Bestand des Schuldspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2016 - 2 StR 36/15, NStZ-RR 2016, 205, 207; Urteil vom 26. November 2015 - 3 StR 247/15, NStZ 2016, 343, 344 mwN). Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass das Landgericht von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist, sodass der Ausspruch über die Einzelstrafe aufzuheben war.

4. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe sowie des Strafausspruchs im Fall 4 der Urteilsgründe entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

5. Die teilweise Aufhebung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch erfasst auch den Ausspruch gemäß § 111i Abs. 2 StPO. Dieser Ausspruch hat aber auch unabhängig davon keinen Bestand, weil die Ausführungen des Landgerichts besorgen lassen, es habe einen Härtefall nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StPO aF ohne Ausübung des ihm zustehenden Ermessens allein deshalb verneint, weil der Angeklagte das Erlangte für den Lebensunterhalt verbraucht hat. Auch in diesen Fällen ist dem Tatrichter jedoch ein Ermessensspielraum eröffnet. Der Verbrauch der erlangten Mittel in einer Notlage oder zum notwendigen Lebensunterhalt des Betroffenen und seiner Familie kann sogar als Argument für eine positive Ermessensentscheidung dienen (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2015 - 4 StR 463/14, NStZ-RR 2015, 176, 177; Beschlüsse vom 14. Oktober 2014 - 2 StR 134/14, BGHR StGB § 73c Ermessensentscheidung 1; vom 3. Februar 2016 - 1 StR 606/15, NStZ-RR 2017, 14 jeweils mwN).

6. Der neue Tatrichter wird im Fall 2 der Urteilsgründe zu prüfen haben, ob der Angeklagte, nachdem ihm bewusst geworden war, nicht mehr alle eingehenden Bestellungen erfüllen zu können, den Online-Shop durch aktives Tun oder Unterlassen weiter betrieben hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 302/16, wistra 2017, 231).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 288

Externe Fundstellen: NStZ 2018, 538

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede