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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 174

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 261/17, Urteil v. 21.11.2017, HRRS 2018 Nr. 174


BGH 1 StR 261/17 - Urteil vom 21. November 2017 (LG Bamberg)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (Umgang mit vorherigen, widerlegten Einlassungen des Angeklagten; revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Zwar kann ein Wechsel der Einlassung eines Beschuldigten im Laufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit seiner Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder sogar ganz entfallen lassen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 88). Eine widerlegte Einlassung kann aber grundsätzlich nicht allein zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsdarstellung gemacht werden. Vielmehr bedarf es einer Gesamtwürdigung aller Indizien, in die der Umstand, dass die Einlassung des Angeklagten widerlegt worden ist, einzubeziehen ist.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 21. November 2016 werden verworfen.

Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft einschließlich sämtlicher im Revisionsverfahren entstandener gerichtlicher Auslagen und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Revision des Nebenklägers rügt die Verletzung materiellen Rechts. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

Die Anklage legt dem Angeklagten zur Last, am 29. Januar 2016 gegen 21.40 Uhr nacheinander die Geschädigte H. und den Nebenkläger mit einem etwa 30 cm langen „Outdoor-Beil“ mit einer scharfen, spitz zulaufenden Klinge mit einer Länge von etwa 11 cm vorsätzlich verletzt zu haben.

Der erheblich alkoholisierte Angeklagte habe sich zunächst zur Wohnung der Geschädigten H. begeben, um eine Geldforderung von 50 Euro einzutreiben. Ihm sei jedoch nicht geöffnet worden. Als H. wenig später zum Zigarettenholen die Wohnung verlassen habe, sei ihr der Angeklagte in einem schmalen Verbindungsweg plötzlich und überraschend gegenübergetreten und habe sie angeschrien „ich mach dich weg“. Er habe sie am Arm gepackt und gegen eine Wand gedrückt. Dann habe er mit dem Beil vor H. herumgefuchtelt, die ihre Hände schützend vor ihren Körper gehalten habe, und ihr dabei eine einen Zentimeter lange Schnittwunde zwischen dem zweiten und dritten Finger der rechten Hand zugefügt. Aufgrund der Hilfeschreie von H. sei der Nebenkläger hinzugeeilt und habe versucht, den Angeklagten wegzustoßen oder wegzuziehen. Der Angeklagte habe daraufhin mit dem Handbeil ausgeholt und habe von oben herab in Richtung des Kopfes des Nebenklägers geschlagen. Dabei habe er den Nebenkläger, der den Schlag abfangen wollte, erheblich an der linken Hand verletzt, so dass diese operativ habe versorgt werden müssen.

II.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Bei dem vielfach vorbestraften Angeklagten bestehen mehrere psychopathologische Krankheitsbilder, nämlich eine ausgeprägte Polytoxikomanie und eine hirnorganische Wesensveränderung aufgrund durch exzessiven Alkoholkonsums hervorgerufenen Nervenzelluntergangs im Gehirn, begleitet von einer intellektuellen Minderbegabung. Die Störungen wirken sich dabei insbesondere so aus, dass der Angeklagte wichtige und unwichtige Dinge vermischt, völlig unreflektiert und im Übermaß Alkohol und Drogen konsumiert sowie persönlichkeitsbedingt eine hohe Kritiklosigkeit, Verführbarkeit, Unorganisiertheit, Impulshaftigkeit sowie fehlende Selbstkritik und fehlende Eigenreflexion zeigt. Aufgrund der psychopathologischen Krankheitsbilder und der intellektuellen Minderbegabung ist der Angeklagte zu kreativen Lügen nicht in der Lage. Eine erhöhte Aggressivität ist beim Angeklagten nicht vorhanden.

2. Am Abend des 29. Januar 2016 begab sich der Angeklagte in ein Wäldchen am Stadtrand von F., um dort mit einem von ihm um den Hals hängend mitgeführten 30 cm langen „Outdoor-Beil“ mit einer etwa 11 cm langen scharfen Klinge und einem Gewicht von wenigen 100 Gramm Wurzeln auszugraben, die er später in Weihnachtskrippen einbauen wollte. Nachdem er in erheblichem Umfang Bier konsumiert, einen Joint mit synthetischen Drogen geraucht und eine Tablette Rohypnol eingenommen hatte, begab sich der Angeklagte am Abend zur Wohnung der H., um sowohl gegenüber ihr als auch gegenüber dem Nebenkläger Geldforderungen von jeweils 50 Euro einzutreiben. Da beide auf sein Klingeln an der Wohnungstür nicht öffneten, warf er kleine Geldmünzen gegen das rückwärtige Fenster, was ebenfalls ignoriert wurde.

Gegen 21.30 Uhr verließen H. und der Nebenkläger die Wohnung, nachdem sie nach einem lauten Geräusch festgestellt hatten, dass ein Briefkasten beschädigt war, und sie den Angeklagten als Täter vermuteten. Im sog. Hexengässla trafen sie auf den Angeklagten, wobei es zu einer tätlichen Auseinandersetzung kam, an der alle drei beteiligt waren. Der Angeklagte brachte dabei das von ihm mitgeführte „Outdoor-Beil“ zum Einsatz, wobei H. und der Nebenkläger durch dieses verletzt wurden. H. zog sich dabei eine etwa einen Zentimeter lange Schnittwunde an der rechten Hand sowie Unterblutungen an beiden Armen zu. Der Nebenkläger erlitt eine Schnittwunde am rechten Daumen mit Teildurchtrennung der langen Strecksehne des Daumens sowie eine Verletzung einer Arterie, die sofort zu einem spritzenden Blutaustritt führte. Der Angeklagte erlitt Unterblutungen am Auge und am rechten Knie sowie Hautdefekte und beklagte Prellungen am Rippenbogen. Die Auseinandersetzung endete damit, dass der Nebenkläger wegrannte und H. ihm auf Zuruf folgte. Der Angeklagte entfernte sich in Richtung seiner Unterkunft. Als er die dort bereits wartende Polizei bemerkte, warf er das Beil in einer Entfernung von wenigen hundert Metern in ein Gebüsch.

Aufgrund der Wirkungen des Alkohols und der vom Angeklagten zudem konsumierten Drogen sowie seiner hirnorganischen Wesensveränderung war zum Tatzeitpunkt bei erhaltener Einsicht in das Unrecht seines Tuns die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben.

3. Der nähere Ablauf der tätlichen Auseinandersetzung war für das Landgericht nicht aufklärbar. Ausgehend von einer Gesamtwürdigung aller bedeutsamen Umstände ist das Landgericht unter Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten des Angeklagten von folgendem Tatgeschehen ausgegangen:

Unmittelbar nach dem Zusammentreffen attackierten H. und der Nebenkläger den Angeklagten mit Pfefferspray. Um sich gegen weitere Angriffe zu verteidigen, ergriff der Angeklagte das von ihm mitgeführte „Outdoor-Beil“ und richtete es gegen die Angreifer. Verletzungen der Angreifer im Rahmen von mit Verteidigungswillen geführten Handlungen nahm er dabei billigend in Kauf. H. und der Nebenkläger schlugen sodann auf den Angeklagten ein, der sich u.a. durch Einsatz des „Outdoor-Beils“ zur Wehr setzte. Die von H. erlittene Schnittwunde wurde nicht dadurch verursacht, dass der Angeklagte gezielt nach ihr schlug. Vielmehr griff sie selbst in die Schneide des Beils, mit dem der Angeklagte vor ihr in seitlicher Bewegung hin und her fuchtelte. Die Schnittwunde des Nebenklägers entstand dadurch, dass der Angeklagte mit dem Beil einen seitlich gegen den Körper des Nebenklägers gerichteten Schlag ausführte. Andere Mittel, den gemeinschaftlich von H. und dem Nebenkläger geführten Angriff effektiv abzuwehren, standen dem Angeklagten nicht zur Verfügung. Im Hinblick auf seine massiv blutende Verletzung verließ der Nebenkläger fluchtartig den Tatort, während H. noch weiter auf den Angeklagten einschlug und - als dieser aufgrund der Wirkungen des Pfeffersprays oder der Schläge schließlich zu Boden gegangen war - auch noch eintrat. Auf das Zurufen des Nebenklägers ließ auch sie vom Angeklagten ab und folgte dem Nebenkläger.

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht angenommen, dass die vom Angeklagten der Geschädigten H. und dem Nebenkläger zugefügten Verletzungen auch im Rahmen einer durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigten Verteidigungshandlung entstanden sein konnten. Es hat daher den Angeklagten - der im Übrigen wegen seines Rausches nicht ausschließbar schuldunfähig gewesen sei - nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.

1. Die Aufklärungsrüge, mit der die Staatsanwaltschaft die unterlassene Vernehmung zweier Polizeibeamter beanstandet, ist jedenfalls unbegründet.

Sie enthält zwar neben der Benennung der beiden Polizeibeamten als Beweismittel die konkrete Tatsachenbehauptung, diese Zeugen „hätten bekundet, dass es am Abend nach der Festnahme des Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte dafür gab, dieser könne zuvor mittels Pfefferspray attackiert worden sein“ (RB S. 11). Zu dieser Beweisaufnahme musste sich das Landgericht jedoch nicht gedrängt sehen. Denn das Landgericht ist von der Annahme, dass bei der Festnahme des Angeklagten keine Anzeichen für die Anwendung von Pfefferspray vorhanden waren, bereits aufgrund der Vernehmung von Polizeioberkommissar S. ausgegangen, der den Angeklagten nach Mitternacht der Tatnacht festgenommen hatte (UA S. 21). Dieser hatte bekundet, „dass er am Angeklagten keinen Pfefferspraygeruch wahrgenommen habe, wobei er den durchdringenden Geruch an einer Oberbekleidung, die (frisch) mit Pfefferspray in Kontakt gekommen sei, bestimmt erkannt hätte“ (UA S. 21).

Damit liegt kein Aufklärungsdefizit vor. Vielmehr hat das Landgericht lediglich aus dem Fehlen von Anhaltspunkten für einen Pfeffersprayeinsatz im Festnahmezeitpunkt nicht den von der Beschwerdeführerin erstrebten Schluss gezogen, dass im Rahmen des Tatgeschehens kein Pfefferspray eingesetzt worden sei (UA S. 16).

2. Auch die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.

a) Das Urteil genügt den Darstellungsanforderungen des § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO.

Das Landgericht hat in den Urteilsgründen zuerst den Anklagevorwurf aufgezeigt und sodann den festgestellten Sachverhalt geschildert, wobei es in einer geschlossenen Darstellung zunächst diejenigen Tatsachen zum objektiven Tatbestand festgestellt hat, die es für erwiesen hält (vgl. zu den Darstellungsanforderungen BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110). Erst im Anschluss daran folgt die Beweiswürdigung, in der das Landgericht dargelegt hat, aus welchen Gründen es sich vom Tatvorwurf nicht überzeugen konnte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - 1 StR 722/13 mwN). Diese Darstellung ermöglichte dem Senat die Überprüfung, ob dem Landgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt worden ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314).

b) Auch die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

aa) Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 10. Mai 2017 - 2 StR 258/16 und vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 - 1 StR 597/15, Rn. 27 mwN [insoweit in NStZ-RR 2016, 272 nicht abgedruckt]).

Das Urteil muss zudem erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn der Tatrichter an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt und dabei nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist. Denn es genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 12. Juli 2017 - 1 StR 535/16, Rn. 7; vom 12. Januar 2017 - 1 StR 360/16, Rn. 10 und vom 11. Mai 2017 - 4 StR 554/16, Rn. 6; jeweils mwN). Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 27. September 2017 - 2 StR 146/17, NStZ-RR 2017, 383 und vom 22. September 2016 - 2 StR 27/16, Rn. 26, jeweils mwN).

bb) Ausgehend von diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung rechtlicher Nachprüfung stand.

(1) Der Senat besorgt nicht, das Landgericht könnte überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten gestellt haben. Dies gilt auch, soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass Teile der Einlassung des Angeklagten diesem „nicht zwingend zu widerlegen“ seien (UA S. 16). Das Landgericht hat dies angenommen für die Behauptungen des Angeklagten, der Nebenkläger habe zuerst die Auseinandersetzung mit ihm gesucht, H. oder der Nebenkläger hätten ein Pfefferspray eingesetzt, beide hätten auf ihn eingeschlagen sowie für die Einlassung des Angeklagten, er habe das mitgeführte „Outdoor-Beil“ zur Verteidigung eingesetzt (UA S. 16). Es hat hierdurch jedoch nicht gegen den Zweifelssatz verstoßen. Denn das Landgericht hat diese Behauptungen des Angeklagten nicht als unwiderlegbar seinen Feststellungen zugrunde gelegt. Vielmehr hat es eine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung aller festgestellten Indiztatsachen durchgeführt, bei der es den Umstand, dass es für diese Teile der Einlassung des Angeklagten keine Beweise gibt, berücksichtigt hat (UA S. 25 f.). Erst aufgrund dieser Gesamtwürdigung ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass es Zweifel an der dem Angeklagten zur Last liegenden Tatbegehung nicht zu überwinden vermochte. Dies rechtfertigte die Freisprechung des Angeklagten aus tatsächlichen Gründen nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“. Angesichts der vorgenommenen Gesamtwürdigung bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, das Landgericht könnte rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sein, dass für eine Verurteilung eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit erforderlich sei.

(2) Das Urteil lässt auch erkennen, dass das Landgericht all diejenigen Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.

Insbesondere hat es ausdrücklich in den Blick genommen, dass H. und der Nebenkläger eine für sich plausibel erscheinende Schilderung des Geschehens abgegeben haben. Es hat aber rechtsfehlerfrei auch die „vielfältigen Unwägbarkeiten“ in Bezug auf das Vorgeschehen, darunter den Grund für das Verlassen der Wohnung, in die Gesamtwürdigung eingestellt. Ohne Rechtsfehler durfte das Landgericht angesichts der Feststellungen der Sachverständigen Fe. zum Vorhandensein von Antragungen von typischen Inhaltsstoffen von Pfeffersprays (UA S. 20) den Einsatz von Pfefferspray im Rahmen der Auseinandersetzung als naheliegend (UA S. 25) werten. Das Landgericht hat in seine Gesamtwürdigung auch eingestellt, dass die Einlassung des Angeklagten „massiv problembehaftet“ war und er nicht nur mehrfach wechselnde Tatschilderungen abgegeben, sondern anfangs auch jegliche Verwendung einer Waffe bestritten, die Waffe sogar versteckt und davon gesprochen hatte, dass er dem Nebenkläger eine „Lektion erteilen“ wolle (UA S. 26).

Der Umstand, dass das Landgericht sich trotz dieser Unstimmigkeiten im Einlassungsverhalten des Angeklagten in der Gesamtschau nicht mit hinreichender Sicherheit von einem dem Tatvorwurf entsprechenden Geschehen überzeugen konnte, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Es bestehen hier auch keine Anhaltspunkte dafür, das Landgericht könnte verkannt haben, dass für die Überzeugungsbildung ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht zulässt, ausreicht.

(3) Die Beweiswürdigung ist auch nicht deshalb lückenhaft, weil das Landgericht die Angaben des Angeklagten im Ermittlungsverfahren nicht im Einzelnen dargestellt hat. Zwar kann ein Wechsel der Einlassung eines Beschuldigten im Laufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit seiner Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder sogar ganz entfallen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 2003 - 4 StR 270/03, NStZ-RR 2004, 88 und vom 16. August 1995 - 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Eine widerlegte Einlassung kann aber grundsätzlich nicht allein zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsdarstellung gemacht werden (vgl. Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261 Rn. 11a). Vielmehr bedarf es einer Gesamtwürdigung aller Indizien, in die der Umstand, dass die Einlassung des Angeklagten widerlegt worden ist, einzubeziehen ist.

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil. Das Landgericht hat ausdrücklich berücksichtigt, dass der Angeklagte mehrfach wechselnde Tatschilderungen abgegeben und zunächst sogar jegliche Verwendung einer Waffe bestritten hatte (UA S. 26). Es hat rechtsfehlerfrei die in weiten Teilen widerlegte Einlassung des Angeklagten (UA S. 15) als „massiv problembehaftet“ in die Gesamtwürdigung im Rahmen der Beweisaufnahme eingestellt (UA S. 26). Auf die Einzelheiten seiner Einlassungen bei polizeilichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren kam es hier ersichtlich nicht an. Denn das Landgericht hat dargelegt, dass der Angeklagte an einer hirnorganischen Persönlichkeitsstörung leidet und sich aufgrund seines Alkohol- und Drogenkonsums zum Tatzeitpunkt in einem Zustand nicht ausschließbar vollständig aufgehobener Steuerungsfähigkeit befand, die sich dergestalt auf sein Einlassungsverhalten ausgewirkt haben konnte, dass er die Geschehensabläufe abweichend von der Realität erinnerte oder Erinnerungslücken konfabulatorisch ausfüllte (UA S. 26).

IV.

Die zuletzt nur noch auf die Sachrüge gestützte Revision des Nebenklägers ist ebenfalls unbegründet.

Die Beweiswürdigung hält aus den bereits zur Revision der Staatsanwaltschaft ausgeführten Gründen rechtlicher Nachprüfung stand. Der Erörterung eines möglichen Notwehrexzesses bedurfte es nicht, weil es an Anhaltspunkten für eine mögliche Überschreitung der Grenzen der Notwehr fehlt. Solche ergeben sich auch nicht aus der Art der vom Nebenkläger erlittenen Verletzungen. Zudem durfte das Landgericht unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ zugunsten des Angeklagten davon ausgehen, dass dieser mit dem Beil lediglich einen seitlich geführten Schlag gegen den Körper des Nebenklägers ausführte, nachdem er es vorher bereits drohend vor sich her geschwungen hatte, wobei ihm andere Mittel, um den gegen ihn geführten Angriff abzuwehren, nicht zur Verfügung standen (UA S. 9, 24).

V.

Wegen der Kostenentscheidung verweist der Senat auf BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1957 - 1 StR 33/57, BGHSt 11, 189 und BGH, Urteil vom 30. September 2004 - 5 StR 312/04 mwN. Angesichts des weitergehenden Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, das sich auch gegen den Freispruch vom Tatvorwurf einer gefährlichen Körperverletzung gegenüber H. richtet, erscheint es angemessen, hier von einer Belastung des Nebenklägers mit gerichtlichen Auslagen des Revisionsverfahrens neben der Staatskasse ganz abzusehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 174

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 56

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede