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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 554

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 422/16, Beschluss v. 15.12.2016, HRRS 2017 Nr. 554


BGH 3 StR 422/16 - Beschluss vom 15. Dezember 2016 (LG Koblenz)

Wegnahmebegriff beim Raub (Gewahrsam, Sachherrschaft; Fesselung des ursprünglichen Gewahrsamsinhabers; Ausdruck der neuen Sachherrschaft).

§ 249 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Werden dem gefesselten Opfer in Anwesenheit mehrerer Tatbeteiligter Gegenstände aus seinen Jackentaschen entnommen und anschließend offen (hier: auf der Motorhaube eines Autos) ausgebreitet, so ist in der Regel bereits zu diesem Zeitpunkt die Wegnahme i.S.d. § 249 StGB vollendet, da der Gefesselte keine Sachherrschaft mehr über die Gegenstände ausüben kann. Sofern die Beteiligten erst zu einem späteren Zeitpunkt die Zueignungsabsicht hinsichtlich der Gegenstände bilden, scheidet ein Raub insoweit aus, da dieser das Bestehen von Zueignungsabsicht im Wegnahmezeitpunkt erfordert.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten L. und C. wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 15. Juni 2016, auch soweit es die Mitangeklagten S. und V. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten L. und C. sowie den nicht revidierenden Mitangeklagten V. jeweils wegen (gemeinschaftlich begangenen) besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gegen den Angeklagten L. hat es auf eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren, gegen den Angeklagten C. auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie gegen den Mitangeklagten V. auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren erkannt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Den nicht revidierenden Mitangeklagten S. hat es wegen Beihilfe zum schweren Raub zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten L. und 1 C. haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Aufhebung des Urteils ist auf die Mitangeklagten S. und V. zu erstrecken.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen forderte der Angeklagte L. von dem Zeugen H. die Zahlung von 400 €. H. versprach zwar, diese Summe zu zahlen, kam dem aber nicht nach und brach den Kontakt zu L. ab. Dieser beschloss daraufhin, die 400 € mit Gewalt gemeinsam mit seinen Freunden C. und V. einzutreiben. Er veranlasste den Mitangeklagten S., dem er als Belohnung ein Gramm Haschisch in Aussicht stellte, ein Treffen mit dem Zeugen H. zu vereinbaren, damit man sich seiner bemächtigen und die Forderung mit Gewalt eintreiben könne. L., C., V. und S. fuhren mit einem PKW Seat zu dem Treffpunkt, wo H. wartete. L. forderte den überraschten und von der Zahl der ihn plötzlich umgebenden Personen beeindruckten Zeugen H. auf, sich auf die Rückbank des Fahrzeugs zu setzen, und wies V. an, in ein außerhalb der Ortschaft gelegenes Waldstück zu fahren. Am Ziel angekommen fesselte L. dem Zeugen H. mit Kabelbindern die Hände auf dem Rücken. C. durchsuchte nun die Jacke des Zeugen H. und legte die gefundenen Sachen - ein Handy Samsung Galaxy S2, ein Portmonee ohne Geld, einen Schlüsselbund, Kopfhörer und ein Taschenmesser mit 6 cm Klinge - auf die Motorhaube des PKW. Feststellungen dahin, dass die Angeklagten bereits zu diesem Zeitpunkt mit Zueignungsabsicht hinsichtlich dieser Sachen handelten, hat die Jugendkammer nicht getroffen.

Sodann forderten L., C. und V. lautstark und wiederholt die Begleichung der Forderung. Dabei schlugen sie dem Zeugen H. mehrmals mit der flachen Hand ins Gesicht und sodann mit den Fäusten gegen Brust und Bauch. Um weiteren Schlägen zu entgehen, bot H. sein Handy und seinen Flachbildfernseher zur Begleichung der Forderung an. Der Angeklagte L. erklärte, dass mit dem Handy 50 € getilgt seien und er für den Fernseher 100 € anrechne. L. und C. schlugen weiter auf den Oberkörper des Zeugen ein. V. versetzte H. einen Tritt gegen das Becken, während S. sich abseits hielt und der Aufforderung L. s, ebenfalls zuzuschlagen, nicht nachkam.

Nach einer Pause schlug C. vor, dem Zeugen H. mit dessen Taschenmesser ins Bein zu stechen. Daraufhin nahm L. das Taschenmesser und erklärte dem Zeugen, dass er mit ihm ein „Münzspiel“ spielen werde. H. solle „Kopf“ oder „Zahl“ sagen, bei falscher Ansage werde er ihm ins Bein stechen. Tatsächlich wollte der Angeklagte seine Drohung nicht umsetzen, sondern H. s Wahl jeweils als richtig bestätigen und ihn nur weiter einschüchtern „und damit letztlich zur Begleichung der noch ausstehenden Forderung, mindestens aber zur Duldung der Wegnahme der ihm bereits abgenommenen Gegenstände“ bewegen. Der Angeklagte L. warf zweimal eine Münze, verdeckte sie und bestätigte jeweils die von H. getroffene Wahl. Sodann beendete V. das Münzspiel, indem er das Messer an sich nahm und es auf die Motorhaube zurücklegte.

L., C. und V. verlangten weiterhin die Begleichung der Forderung. Schließlich stieß der Angeklagte L. dem Zeugen H. mit dem Knie wuchtig in den Bauch und befahl ihm, sich von nun an täglich bei ihm zu melden, anderenfalls er noch Schlimmeres zu erwarten habe. Am nächsten Tag solle er den Fernseher zur Abholung bereithalten. Sodann schnitt er die Kabelbinder auf und gab H. seine SIM-Card aus dem Handy zurück. Das Handy und die Schlüssel behielt er für sich. Das Portmonee warf er in den Wald, nachdem er den Inhalt in H. s Jackentasche zurückgesteckt hatte. Der Angeklagte C. nahm die Kopfhörer des Zeugen H. an sich, um sie für sich zu behalten. Schließlich entfernten sich die Angeklagten.

2. Das Landgericht hat dieses Geschehen als einen gemeinschaftlichen schweren Raub der Angeklagten L., C. und V. in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet und eine Beihilfe des Angeklagten S. dazu angenommen.

Diese Würdigung hält materiellrechtlicher Prüfung nicht stand.

§ 249 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die Zueignungsabsicht im Zeitpunkt der Wegnahme besteht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 4 StR 400/06, NStZ-RR 2007, 15). Dies hat das Landgericht nicht festgestellt.

Die Wegnahme der Gegenstände war hier bereits mit dem Ausbreiten der Gegenstände des Zeugen H. auf der Motorhaube des Fahrzeugs der Angeklagten vollendet. Da der gefesselte Zeuge H. nicht mehr in der Lage war, die Sachherrschaft über die gegen seinen Willen seiner Kleidung entnommenen Sachen auszuüben, war sein Gewahrsam bereits in diesem Moment gebrochen. Für die Begründung neuen Gewahrsams ist entscheidend, ob der Täter nach der Verkehrsauffassung die Herrschaft über die Sache derart erlangt hat, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann; ein Fortschaffen der Beute vom Tatort ist nicht erforderlich (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 242 Rn. 17; Schönke/Schröder/Eser, StGB, 27. Aufl., § 242 Rn. 38; jeweils mwN). Das Ausbreiten der Sachen auf der Motorhaube ihres Fahrzeugs und die spätere Verwendung des Messers sowie der Umgang mit den übrigen Sachen belegen, dass nunmehr die Angeklagten die Sachherrschaft über die Gegenstände erlangt hatten und in der Lage waren, mit diesen nach Belieben zu verfahren.

Der Angeklagte L. fasste mit seiner Erklärung, das Funktelefon mit 50 € anzurechnen, den Entschluss, sich das Handy anzueignen, erst nach der Wegnahme der Gegenstände und nach den folgenden Gewaltanwendungen und Drohungen, die den Zeugen zur Begleichung der Forderung veranlassen sollten. Auch soweit festgestellt ist, dass der Angeklagte C. nach der Gewaltanwendung die Kopfhörer des Zeugen H. an sich nahm, die er später im Fahrzeug zurückließ, ist nicht dargetan, dass er insoweit bereits im Zeitpunkt der Wegnahme mit Zueignungsabsicht handelte. Hinsichtlich der übrigen weggenommenen Sachen ist nach den getroffenen Feststellungen eine Zueignungsabsicht nicht zu erkennen.

Schließlich steht die Feststellung, dass der Zeuge H. mit dem nach zwischenzeitlicher Beratung der Angeklagten veranstalteten Münzspiel „mindestens aber zur Duldung der Wegnahme der ihm bereits abgenommenen Gegenstände“ bewegt werden sollte, im Widerspruch zu den Feststellungen zur vorangegangenen Gewahrsamsverschiebung, nach denen die Wegnahme bereits vollendet war.

3. Da derselbe materiellrechtliche Fehler auch den Schuldspruch zum Nachteil der Mitangeklagten S. und V. betrifft, ist das Urteil auch bezüglich dieser Angeklagten aufzuheben (§ 357 StPO).

4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 554

Bearbeiter: Christian Becker