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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 510

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 574/16, Beschluss v. 30.03.2017, HRRS 2017 Nr. 510


BGH 4 StR 574/16 - Beschluss vom 30. März 2017 (LG Halle)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Vorrang vor der Zurückstellung der Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe wegen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit).

§ 64 StGB; § 35 Abs. 1 BtMG

Leitsatz des Bearbeiters

Die Unterbringung nach § 64 StGB geht der Zurückstellung der Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG vor; von der Anordnung der Unterbringung darf daher nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist (st. Rspr.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 27. Juli 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall „unter Mitführung von Waffen“ und im weiteren Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und unerlaubtem Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben.

Soweit das Landgericht den Angeklagten jeweils wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt hat, entnimmt der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass auch unter Berücksichtigung des im angefochtenen Urteil jeweils festgestellten Eigenkonsums die Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge, bezogen auf den zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmten Teil der Betäubungsmittel, nicht in Frage gestellt wird. Dass der Angeklagte hinsichtlich des zum Eigenkonsum vorgehaltenen Teils des Metamphetamins nicht auch wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden ist, beschwert ihn nicht.

2. Der Rechtsfolgenausspruch unterliegt jedoch insoweit der Aufhebung, als das Landgericht keine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB getroffen hat.

a) Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:

„Nach den Feststellungen konsumiert der Angeklagte seit dem Jahr 2010 Drogen, zunächst Ecstasy und Kokain, schließlich wechselte er ausschließlich zu Crystal (Methamphetamin), von dem er bis zu seiner Inhaftierung immer mehr einnahm. Im Herbst geriet die Ehe in eine Krise, weil die Ehefrau eine starke Veränderung der Persönlichkeit ihres Mannes feststellte, die sie auf dessen Drogenkonsum zurückführte (UA S. 4). Die am 8. Oktober 2015 in der Wohnung des Angeklagten sichergestellten Drogen waren zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt, um seine eigene Drogenabhängigkeit zu finanzieren (Fall II. 1., UA S. 8). Vom 8. auf den 9. Februar 2016 nahm der Angeklagte Amphetamin und Methamphetamin zu sich, was die durchgeführten Tests zeigten (UA S. 9). Was die im Fahrzeug bei dem Angeklagten aufgefundenen Drogen (Methamphetamin) anbelangt (Fall II. 2.), hat die Strafkammer festgestellt, dass der Angeklagte durch den Verkauf der Drogen den eigenen Erwerb von Crystal finanzieren wollte (UA S. 11). Bei der Strafzumessung hat das Gericht den Eigenbedarf des Angeklagten (Konsum von Crystal) strafmildernd berücksichtigt (UA S. 15, 17). Im Rahmen der Befürwortung einer Zurückstellung der Strafvollstreckung im Sinne von § 35 BtMG hat die Strafkammer ausgeführt, dass der Angeklagte selbst Konsument von Crystal ist und mit Hilfe des Drogenhandels seine Rauschmittelabhängigkeit finanzieren wollte, damit hat er die Taten aufgrund seiner Drogensucht begangen. Der Angeklagte hat versichert, er wolle eine Langzeittherapie zur Bekämpfung seiner Abhängigkeit absolvieren (UA S. 18).

Diese Ausführungen hätten die Strafkammer zu der Prüfung drängen müssen, ob bei dem Angeklagten die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gegeben sind. Dass sie von zunehmendem Drogenkonsum seit 2010 bis zu seiner Inhaftierung ausgegangen ist, machte die Auseinandersetzung damit erforderlich, ob bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne von § 64 StGB vorliegt. Es liegt zudem nahe, dass auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen einem gegebenenfalls anzunehmenden Hang und der Begehung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gegeben ist, zumal der Angeklagte die Straftaten zur Finanzierung seines Drogenkonsums beging. Deshalb ist auch die konkrete Gefahr, dass der Täter künftig suchtbedingt erhebliche Straftaten begehen wird, nicht fernliegend. Dass der Angeklagte, der bislang keine Therapie absolviert hat, auch eine Langzeittherapie durchführen möchte, spricht für eine Erfolgsaussicht einer Anordnung des Maßregelvollzugs im Sinne des § 64 StGB.

Die von der Strafkammer angekündigte Zustimmung zur Zurückstellung der Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn die Unterbringung nach § 64 StGB geht dieser dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltenen Maßnahme vor; von der Anordnung der Unterbringung darf daher nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 2010 - 2 StR 34/10 m.w.N.).“

b) Dem tritt der Senat bei. Er hebt allerdings über den Antrag des Generalbundesanwalts hinaus auch die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatrichter insoweit - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

Der Umstand, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO); er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 64 Rn. 29 mwN).

In Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt schließt der Senat aus, dass das Landgericht - im Falle der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB - eine mildere Strafe verhängt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 510

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede