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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 367

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 629/16, Beschluss v. 07.03.2017, HRRS 2017 Nr. 367


BGH 1 StR 629/16 - Beschluss vom 7. März 2017 (LG München II)

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus).

§ 62 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Anordnung der Unterbringung eines Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus steht nicht entgegen, dass bereits einige Jahre zuvor die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unter Aussetzung von deren Vollstreckung zur Bewährung angeordnet worden und zum Urteilszeitpunkt ein Verfahren über den Widerruf der Aussetzung zur Bewährung anhängig war.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei der Frage, ob gegen einen Angeklagten oder Beschuldigten, gegen den bereits zuvor die Unterbringung angeordnet worden ist, eine erneute Unterbringungsanordnung getroffen werden kann, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in besonderer Weise Rechnung zu tragen.

3. Die Verhältnismäßigkeit ist jedenfalls dann gewahrt, wenn das neue Urteil erhebliche Auswirkungen auf Dauer und Ausgestaltung des Maßregelvollzugs haben kann und das Erkenntnisverfahren in besserer Weise als das Vollstreckungsverfahren dazu geeignet ist, die neue Symptomtat sowie die sich darin widerspiegelnde Gefährlichkeit des Angeklagten bzw. Beschuldigten für alle an der Maßregelvollstreckung Beteiligten verbindlich festzustellen und damit Änderungen in der Ausgestaltung des Vollzugs oder die Anordnung von dessen Fortdauer zu legitimieren.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 5. Juli 2016 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus steht nicht entgegen, dass bereits im Jahr 2011 die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unter Aussetzung von deren Vollstreckung zur Bewährung angeordnet worden und zum Urteilszeitpunkt ein Verfahren über den Widerruf der Aussetzung zur Bewährung anhängig war.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei der Frage, ob gegen einen Angeklagten oder Beschuldigten, gegen den bereits zuvor die Unterbringung angeordnet worden ist, eine erneute Unterbringungsanordnung getroffen werden kann, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Die Verhältnismäßigkeit ist jedenfalls dann gewahrt, wenn das neue Urteil erhebliche Auswirkungen auf Dauer und Ausgestaltung des Maßregelvollzugs haben kann und das Erkenntnisverfahren in besserer Weise als das Vollstreckungsverfahren dazu geeignet ist, die neue Symptomtat sowie die sich darin widerspiegelnde Gefährlichkeit des Angeklagten bzw. Beschuldigten für alle an der Maßregelvollstreckung Beteiligten verbindlich festzustellen und damit Änderungen in der Ausgestaltung des Vollzugs oder die Anordnung von dessen Fortdauer zu legitimieren (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. Mai 2006 - 3 StR 111/06, BGHR StGB § 62 Verhältnismäßigkeit 6 mwN sowie Beschlüsse vom 9. April 2013 - 5 StR 58/13, StraFo 2013, 250 und vom 21. Juli 2010 - 5 StR 243/10, NStZ-RR 2011, 41; Urteil vom 17. September 2009 - 4 StR 325/09, RuP 2010, 57).

Auch im vorliegenden Fall ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt. Ob im Vollstreckungsverfahren ausreichende Feststellungen zur verfahrensgegenständlichen Symptomtat getroffen werden können, so dass hinsichtlich der im Jahr 2011 zur Bewährung ausgesetzten Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ein Bewährungswiderruf erfolgen kann, ist ungewiss. Dies gilt umso mehr, als die damalige Unterbringungsanordnung nach alter Rechtslage (§ 63 StGB aF) erging und allein auf Taten der Beleidigung und Bedrohung als Symptomtaten gestützt werden konnte. Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Erkenntnisverfahren besser dazu geeignet, die sich von den früheren Taten des Angeklagten erheblich unterscheidende neue Symptomtat eines unter Einsatz gefährlicher Werkzeuge (Reizgas und Küchenmesser) begangenen versuchten Tötungsdelikts und die sich darin widerspiegelnde Gefährlichkeit des Angeklagten für alle an der Maßregelvollstreckung Beteiligten verbindlich festzustellen.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 367

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 170

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner