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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 471

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1362/19, Beschluss v. 24.03.2020, HRRS 2020 Nr. 471


BVerfG 2 BvR 1362/19 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 24. März 2020 (Schleswig-Holsteinisches OLG)

Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt (Resozialisierungsanspruch und Recht auf Schutz intakter Familienbeziehungen; Anspruch des Gefangenen auf fehlerfreie Ermessensausübung).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 GG

Leitsatz des Bearbeiters

Gefangene haben bei Verlegungsentscheidungen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung, die dem verfassungsrechtlichen Gewicht des Resozialisierungsziels Rechnung trägt. Dabei kommt den familiären Beziehungen des Gefangenen wesentliche Bedeutung zu.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen an ihre Begründung genügt (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; 129, 269 <278>). Der Beschwerdeführer hat es versäumt, die Antragsschrift vom 5. April 2019 sowie die Stellungnahme des Ministeriums für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein vom 21. Mai 2019 vorzulegen oder inhaltlich wiederzugeben. Ohne Kenntnis des Inhalts der Antragsschrift sowie der Stellungnahme vom 21. Mai 2019, auf die das Oberlandesgericht in dem angegriffenen Beschluss verwiesen hat, ist eine verantwortliche verfassungsrechtliche Überprüfung nicht möglich.

Deshalb muss offenbleiben, ob das Oberlandesgericht in dem angegriffenen Beschluss der Bedeutung und Tragweite der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hinreichend Gewicht beigemessen hat, wenn es nur Bezug auf die Stellungnahme vom 21. Mai 2019 nimmt und feststellt, die Erkrankung der Ehefrau des Beschwerdeführers sei berücksichtigt worden. Gefangene haben bei Verlegungsentscheidungen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensausübung, die dem verfassungsrechtlichen Gewicht des Resozialisierungsziels und der für die Erreichbarkeit dieses Ziels maßgebenden Umstände Rechnung trägt (vgl. BVerfGK 8, 36 <42>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juni 2017 - 2 BvR 345/17 -, Rn. 37). Für das Resozialisierungsziel, auf das der Strafvollzug von Verfassungs wegen auszurichten ist (vgl. BVerfGE 35, 202 <235 f.>; 36, 174 <188>; 45, 187 <238 f.>; 98, 169 <200 f.>), haben die familiären Beziehungen des Gefangenen wesentliche Bedeutung. Der Staat hat die Pflicht, die Ehe und die Familie durch geeignete Maßnahmen zu schützen und zu fördern (vgl. BVerfGE 105, 313 <346>; 124, 199 <225>; 130, 240 <252>). Art. 6 Abs. 1 GG kommt als wertentscheidender Grundsatznorm auch im Haftvollzug besondere Bedeutung zu. Regelmäßig fördern der Bestand und die Stärkung familiärer Beziehungen die Chancen der Eingliederung des Gefangenen (vgl. BVerfGE 89, 315 <322>; BVerfGK 8, 36 <41> m.w.N.). Den Belastungen und Gefährdungen, die der Vollzug einer Freiheitsstrafe für diese Beziehungen naturgemäß bedeutet, muss die Ausgestaltung des Vollzuges daher nicht nur mit Rücksicht auf das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, sondern auch im Hinblick auf das verfassungsrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse des Gefangenen nach Kräften entgegenzuwirken suchen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juni 2017 - 2 BvR 345/17 -, Rn. 36).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 471

Bearbeiter: Holger Mann