HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2022
23. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Tatprovokation und multiple illegale Transaktionen

Von Prof. Dr. Frank Meyer, LL.M. (Yale, Zürich[*]

I. Einleitung

Die Tatprovokation entwickelt sich für die deutsche Strafjustiz augenscheinlich zu einer never-ending story. Sie liefert ein erstaunliches Beispiel strafjustizieller Beharrungskraft im Angesicht einer mutmaßlich eindeutigen konventionsrechtlichen Rechtslage. Nur wenige Wochen nach dem Akbay-Urteil des EGMR[1] wurden die pakistanischen Brüder K.H. und I. vor dem Landgericht Freiburg wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und Besitz von Betäubungsmitteln zu drei Jahren und zwei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe resp. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.[2]

Die Angeklagten hatten aus ihrer Flüchtlingsunterkunft heraus gemeinschaftlich mit Marihuana und Kokain in geringen Mengen gehandelt und sich damit eine fortlaufende Einnahmequelle verschafft; auch um die Drogensucht von K.H. zu finanzieren. In diesem Zuge gerieten sie an einen verdeckten Ermittler, der von ihnen zehn Gramm Marihuana erwarb, sich dabei aber sogleich erkundigte, ob die beiden auch größere Mengen verkaufen würden. K.H. entgegnete, dass er auch 100 Gramm und mehr besorgen könnte. Zwei Wochen später erschien der verdeckte Ermittler erneut in der Unterkunft, um 100 Gramm zu erwerben. K.H. war jedoch außer Stande, die gewünschte Menge zu liefern und missverstand den Kaufwunsch zunächst dahingehend, dass sein Kunde Ware für 100 € kaufen wolle. Der verdeckte Ermittler erhielt schließlich 89,75 Gramm. Über einen Monat später nahm dieser erneut Kontakt zu K.H. auf, der versicherte, genügend Marihuana und Kokain vorrätig zu haben. Vor Ort stellte sich jedoch heraus, dass man dem verdeckten Ermittler, der 100 Gramm Marihuana und 5 Gramm Kokain kaufen wollte, lediglich 50-60 Gramm Marihuana und kein Kokain anbieten konnte. Dennoch fragte dieser erneut nach größeren Mengen, konkret 3 Kilogramm Marihuana und 50 bis 100 Gramm Kokain, obgleich ihm K.H. und I. bis dahin nicht einmal die Eingangswunschmenge an Marihuana, geschweige denn Kokain verkaufen konnten. K.H. behauptete allerdings, er erwarte für den Abend noch eine größere Lieferung. Aus dieser Lieferung (wohl mindestens 350 Gramm Marihuana) erwarb der verdeckte Ermittler dann später weitere 85,4 Gramm und fragte erneut nach einer größeren Menge. K.H. erwiderte, dass er die 3 Kilogramm Marihuana und 50 bis 100 Gramm Kokain liefern könnte, aber noch den Preis in Erfahrung bringen müsste, womit seine Unerfahrenheit in Geschäften dieser Größenordnung deutlich zutage trat. Der verdeckte Ermittler und K.H. hielten danach den Kontakt aufrecht und einigten sich auf eine Lieferung von drei Kilogramm Marihuana für 18.000 € und 100 Gramm Kokain für 6.800 €. Nachdem K.H. nach wiederholten erfolglosen Versuchen endlich einen Lieferanten gefunden hatte, wurden er und I. bei der Übergabe von 2.8 Kilogramm Marihuana (das Kokain war noch nicht geliefert worden) verhaftet.

K.H. rügte daraufhin vor dem BGH, dass er zu diesen Taten von einem verdeckten Ermittler provoziert worden sei und infolgedessen ein Verfahrenshindernis vorgelegen hätte. Das Landgericht hätte die Strafen von K.H. und I. für diese Taten nicht bloß mildern dürfen. Seine Revision hatte insofern Erfolg. Der BGH hielt fest, dass eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation ein Verfahrenshindernis begründet, sah sich aber außer Stande, abschließend über die Unzulässigkeit der Provokation zu entscheiden und reichte die Sache daher unter Aufhebung des Urteils gegen K.H. und I.[3] bezüglich der potenziell provozierten Taten mit einem umfangreichen Prüfauftrag an das LG zurück.[4]

Was in den ersten Medienberichten als endgültige Absage des BGH an die überkommene Strafzumessungslösung dargestellt wurde, bedarf bei genauerer Betrachtung einer differenzierteren Analyse. Es ist unzweifelhaft ein wichtiger rechtsstaatlicher Schritt, dass nun auch der 1. Senat unmissverständlich auf die Linie des 2. Senats einschwenkt. Ein offener Konflikt zwischen Strafzumessungslösung und Verfahrenshindernislösung, im Sinne eines letzten aufflackernden Widerstands der alten Ordnung, bestand vorliegend jedoch gar nicht. Das Landgericht Freiburg stellt im angegriffenen Urteil in Abrede, dass überhaupt eine unzulässige Tatprovokation durch den verdeckten Ermittler vorlag. Am Urteil des Landgerichts lassen sich damit die Folgen der strengen EGMR-Linie ablesen, die schon im Nachgang zum Furcht-Urteil

prognostiziert worden waren.[5] Der Fokus der Prüfung verschiebt sich auf die Frage der Unzulässigkeit. Vor diesem Hintergrund ist auch der Fragenkatalog des BGH zu verstehen. Für K.H. könnte sich die Revision also noch als Pyrrhus-Sieg entpuppen. Diese Gefahr besteht auch deshalb, weil die Anforderungen der EMRK weder in der Tatsachen- noch in der Revisionsinstanz präzise herausgearbeitet werden. Der Beitrag wird daher vor allem diese Mindeststandards in den Blick nehmen, den vom LG festgestellten Sachverhalt auf dieser Grundlage bewerten und sodann analysieren, ob der BGH als primär zuständige nationale Schutzinstanz, den konventionsrechtlichen Mindeststandards zur Wirksamkeit verholfen hat.

II. Die Entscheidung des LG Freiburg – eine Fehleranalyse

Das Erstaunliche an der Entscheidung des LG Freiburg ist danach nicht, dass die Strafe der Zielpersonen trotz der unmissverständlichen Absage des EGMR an Strafzumessungslösungen zur Kompensation einer Tatprovokation und der wiederholten nachdrücklichen Verurteilungen der Bundesrepublik aus jüngster Zeit nur gemildert wird, sondern die Art und Weise, wie sich das Landgericht mit der Frage der Provokation auseinandersetzt. Der EGMR hat klare prozessuale Anforderungen an die gerichtliche Überprüfung glaubhafter Provokationsvorwürfe formuliert (sog. procedural test).[6] Bestehen Anhaltspunkte (arguable plea) für eine Tatprovokation, muss das Tatgericht ihnen nachgehen.[7] Es muss dabei umfassend und ausreichend ermitteln, um das mutmaßliche Provokationsgeschehen aufzuklären.[8] Die Last, den Verdacht zu entkräften, liegt auf Seiten des Staates. Das Vorliegen der Voraussetzungen eines zulässigen Einsatzes muss in objektiv nachprüfbarer Weise untersucht werden und tragfähige Gründe für das Ermittlungsverhalten zutage fördern.[9] Auch Autorisierung und Aufsicht bezüglich eines VE-Einsatzes sind zu verifizieren. Die Wahl des konkreten Vorgehens überlasst der EGMR den nationalen Instanzen, verlangt aber, dass rechtliches Gehör, Waffengleichheit und Akteneinsicht gewahrt sein müssen.[10]

Dass das Landgericht den Sachverhalt einer solchen Prüfung unterzogen hat, ist seinem Urteil nicht zu entnehmen. Es wäre daher zu begrüßen gewesen, wenn der BGH das Vorgehen des Landgerichts schärfer gerügt hätte. Der BGH stellt nicht nur mehrere Aufklärungsmängel fest, sondern hält auch das Vorliegen einer rechtswidrigen Aufstiftung durch den VE für naheliegend. Eine echte zweite Chance ist die Rückverweisung mit diesem Ballast daher nur bedingt.

Aus Konventionssicht liegt der entscheidende Aufklärungsmangel der landgerichtlichen Prüfung darin, dass die maßgeblichen Anforderungen nicht erkannt und geprüft werden. Verlangt der procedural test nach dem Vorliegen tragfähiger Gründe, dann sind damit die Voraussetzungen gemeint, die der EGMR-Rechtsprechung zur Tatprovokation zu entnehmen sind. Steht und fällt Post-Furcht alles mit der Prüfung der materiellen Zulässigkeit, dann erscheint die Hemdsärmeligkeit, die das LG in dieser Hinsicht an den Tag legt, seltsam unangemessen. Sie gipfelt in der verniedlichenden Feststellung, dass erst der verdeckte Ermittler den Angeklagten K.H. "auf ein Geschäft in dieser Größenordnung lupfte". Aus Sicht des Landgerichts genügte das offenbar nicht, um im Gegenzug das Provokationsverhalten über die Messlatte der Konventionswidrigkeit zu lupfen.

Mehr noch, das Landgericht interessiert sich mit keiner Silbe dafür, was EMRK und EGMR zu solchen Lupfern zu sagen haben könnten. Es übersieht damit, wie offenbar auch der BGH, dass ein durchaus umfangreiches und relativ differenziertes Fallrecht zu akzeptablen und inakzeptablen Lupftechniken existiert. Der 1. Senat bemüht sich zwar um eine Zusammenführung strafprozessrechtlicher und konventionsrechtlicher Standards, bleibt aber leider auf halber Strecke stehen, weil nur der materielle Grundtest (substantive test) des EGMR referiert wird, die Konkretisierung von dessen Einzelelementen, die der EGMR für die hier in Rede stehende Konstellation vorgenommen hat, aber keinen Eingang in das Urteil finden.

Sucht man nach Gründen für das Zurückbleiben hinter dem konventionsrechtlichen status quo, könnte einer darin liegen, dass sich die behandelte Konstellation von denjenigen der früheren Leitentscheidungen, die Deutschland unmittelbar betrafen, in tatsächlicher Hinsicht und auch der Schwere nach unterschied. Dies mag auch den in europastrafrechtlichen Fragen sattelfesten GBA bewogen haben, das Vorgehen des Landgerichts in der Revision als rechtlich adäquat zu bewerten. In "Furcht" hatte die Zielperson das angetragene Geschäft ausdrücklich abgelehnt, war im Anschluss aber gleichwohl nochmals von einem agent provocateur kontaktiert und gedrängt worden.[11] In "Akbay" war die Zielperson, gegen die sich weder ein Tatverdacht noch eine Tatneigung zum Heroinhandel erhärten ließ, über mehrere Jahre von einem agent provocateur zum Handel mit größeren Mengen Kokain gedrängt worden, wobei der agent provocateur der Zielperson Kontakte im Hafen für sichere Importwege verschaffte und trotz Kenntnis darüber, dass die Versuche der Zielperson, Lieferanten zu finden, wiederholt scheiterten, nicht von den Überredungsversuchen abließ.[12] Im vorliegenden Fall traf der verdeckte Ermittler auf tatverdächtige und tatgeneigte Verkäufer, mit denen er mehrere Drogengeschäfte tätigte und in diesem Zuge zu einer Ausweitung des Handeltreibens überredete (Mehrfachtransaktionen mit tatverdächtiger oder tatgeneigter Zielperson/multiple illicit transactions).

Diese besondere Konstellation war noch nicht Gegenstand einer verurteilenden Leitentscheidung gegen Deutschland. Zwar bestehen Ähnlichkeiten mit dem Fall Scholer, in dem auch der EGMR eine Verletzung von Art. 6 EMRK verneinte,[13] doch unterscheiden sich die Fälle in wesentlichen Details.

In Anbetracht dessen mag es für das Landgericht nahegelegen haben, den Unwertgehalt der Provokation über die Strafzumessung zu kompensieren. Hat doch auch der 2. Senat des BGH seinerzeit das Hintertürchen einer abgestuften Lösung je nach der konkreten Schwere der Menschenrechtsverletzung offengelassen, falls das Ausmaß der Tatprovokation im Einzelfall die absolute Rechtsfolge eines Verfahrenshindernisses nicht trägt. Aus Sicht des Instanzgerichts mag es daher nahegelegen haben, sich an einer Feinkalibrierung von Unrecht und Schuld im Zuge der Strafzumessung zu versuchen. Der Ansatz des EGMR lässt ein graduelles Vorgehen jedoch nicht zu: Entweder es lag eine Provokation vor oder eben nicht. Ebenso wenig wie man mehr oder weniger schwanger sein kann, kann man mehr oder weniger zu einer Tat, die man sonst nicht begangen hätte, provoziert worden sein.

Ist das Maß der Konventionsrechtswidrigkeit erreicht, scheidet eine Kompensation des Verstoßes über Strafmilderungen aus. Diese Starrheit mag in der Praxis als Ärgernis erscheinen und im Widerspruch zur üblichen Vorgehensweise des EGMR bei fair-trial-Verletzungen (Gesamtabwägung unter Einbeziehung ausgleichender Faktoren) stehen. Sie erscheint aber folgerichtig, wenn man Eigenart und Gewicht der Rechtsverletzung richtig einordnet. Strafzumessungslösungen kommen als Kompensationselemente in Betracht, wenn in einem grundsätzlich legitimen Verfahren die verfahrensrechtlichen Spielregeln nicht eingehalten wurden.

In einem Verfahren, das gar nicht hätte stattfinden dürfen, weil es die verfolgte Tat ohne Zutun des Staates gar nicht gegeben hätte, kann der grundsätzliche Legitimitätsmangel nicht durch eine Strafmilderung geheilt werden. Der Verstoß ist kategoriell von anderer Qualität. Verstoß und Kompensation sind hier inkommensurabel. Ein Strafverfahren wegen einer rechtswidrig vom Staat hervorgerufenen Straftat ist aus Konventionssicht unrettbar unfair. Den Nationalstaaten bleibt es unverwehrt, für minder schwere Fälle der Einwirkung, wie ihn offenbar das LG Freiburg angenommen hat, unterhalb dieser Schwelle die Strafe zu senken; darüber nicht mehr.

III. Anforderungen der EMRK an multiple illicit transactions

Der EGMR prüft das Vorliegen einer unzulässigen Tatprovokation in einem materiellen Test (substantive test). [14] Dieser Test ist dreistufig. Der Lockspitzeleinsatz gegen die Zielperson muss auf der Basis und im Rahmen einer klaren rechtlichen Grundlage erfolgen.[15] Er muss sich ferner auf eine solide Tatsachenbasis stützen können. Das heißt konkret, dass die Strafverfolgungsbehörden von belastbaren Tatsachen getragene sachliche Gründe dafür vorweisen können (good reasons), die Zielperson zu strafbaren Verhalten zu animieren. Diesen objektiv tatsächlich berechtigten Anlass konkretisiert der EGMR dahingehend, dass die Zielperson aus Sicht der Ermittlungsbehörden[16] zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme einer Straftat verdächtig oder tatgeneigt war.[17] Für die berechtigte Annahme einer Tatgeneigtheit muss die Zielperson objektiv belegbar und den Ermittlern bekannt bereits erste Schritte zur Begehung eines späteren Delikts unternommen haben.[18] Das schließt es aus, auf gut Glück an möglicherweise tatbereite Personen heranzutreten und ihre Tatneigung aktiv abzufragen. Die Ermittler dürfen drittens keinen Druck zur Tatbegehung ausüben. Verdeckte Ermittler und V-Personen müssen sich gegenüber der Zielperson im Kern passiv (essentially passive) verhalten haben.[19] Als Maßfigur kristallisiert sich hier heraus, dass der agent provocateur sich nach der Kontaktaufnahme bis zur Transaktion wie ein gewöhnlicher Kunde (ordinary customer) verhalten haben muss.[20] Unter keinen Umständen dürfen Ermittler Straftaten proaktiv initiiert oder aktive Gestaltungsherrschaft über die Tatausführung[21] oder den

qualitativen Umfang der initiierten Tat[22] ausgeübt haben.[23] In diesen Fällen wäre die konkrete Tat nicht ohne gezieltes Zutun staatlicher Organe begangen worden, was einen nicht mehr kompensierbaren Fundamentalverstoß gegen den fair trial-Grundsatz begründet. An diesem Punkt enden die meisten Darstellungen der allgemeinen Rechtslage und entlassen den Rechtsanwender in ein schwer durchdringliches Dickicht von Einzelfallrechtsprechung. Führt man sich die einschneidenden Rechtsfolgen der Abgrenzung vor Augen, muss dieser Zustand unbefriedigend erscheinen, wobei akademische Redlichkeit allerdings die kritische Gegenfrage gebietet, ob sich eine solche Grenze überhaupt mit hinreichender Klarheit ziehen lässt.

Lässt man Tatprovokationen als ermittlungstechnisches Instrument zu, schürt man freilich auch derartige Abgrenzungsprobleme. Verfahrensrechtlich fragt sich damit auch, wer mit dem Risiko unklarer Abgrenzung belastet werden soll. Der EGMR sieht hier die staatlichen Organe in der Pflicht, die Zulässigkeit einer prima facie-vorliegenden Tatprovokation positiv zu begründen. Das Urteil des LG Freiburg demonstriert, dass diese Aufgabe offenbar nicht immer mit der gebotenen Gründlichkeit erfüllt wird. Solange Gerichte den Provokationssachverhalt ordnungsgemäß aufklären, wird der EGMR mitgliedstaatlichen Gerichte wohl auch einen Beurteilungsspielraum zugestehen. Dies setzt aber wie stets in der Spruchpraxis des Gerichtshofs voraus, dass alle Kriterien, die für die Bewertung als relevant definiert wurden, auch Berücksichtigung finden. Und genau daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Für die Sonderkonstellation der Mehrfachtransaktionen mit tatverdächtigen oder tatgeneigten Personen (multiple illicit transactions)[24] ist charakteristisch, dass nach zulässiger Kontaktaufnahme und einer ersten illegalen Transaktion weitere Transaktionen folgen. Hierbei kann es zu einer Ausweitung laufender Ermittlungen und des Umfangs vorgespiegelter krimineller Aktivitäten kommen, die der Zielperson avisiert werden.

Für diese Vorgehensweise lassen sich der Spruchpraxis zwei Voraussetzungen entnehmen. Erstens muss es für den Einsatz dieser Technik besondere Gründe geben. Die Polizei darf Straftaten durch wiederholte Käufe oder Aufträge nicht ohne Weiteres in Serie produzieren. Unzulässige Einwirkungen sind in diesen Konstellationen an zwei Stellen denkbar: bei der Weckung der Neigung oder Bereitschaft zu einem erweiterten Geschäft sowie bei der Durchführung des Geschäfts selbst. Ursprünglicher Tatverdacht oder Tatneigung genügen nicht, um eine beliebige Fortsetzung zu rechtfertigen. Es muss gute Gründe dafür geben,[25] warum man nach der Ersttat nicht zur Strafverfolgung übergeht, sondern die Zielperson in weitere Straftaten lockt. Der Gerichtshof nennt u.a. Sammlung des für eine Verurteilung benötigten Beweismaterials, Verscha ffung besserer Einblicke i n Art und Umfang der kriminellen Aktivitäten der Zielperson oder Aufdeckung größerer krimineller Netzwerke. So wäre es bei vermuteten Serientaten zulässig, als Anreiz eine typische Tatsituation zu simulieren.[26] Ohne solche Gründe setzen sich die Behörden dem Vorwurf a us, unzulässig zur Ausweitung von Umfang und Ausmaß der kriminellen Aktivitäten beigetragen zu haben. Über all das verrät der Sachverhalt nichts. Er gibt nicht zu erkennen, warum aus Sicht des VE oder des VE-Führers Kontakt mit K.H. und I. aufgenommen wurde und dieser Kontakt mehrfach wiederholt wurde. Erkennbar ist allein, dass der VE die Kontakte benutzte, um nach Ware in größeren Mengen zu fragen und immer wieder darauf zurückzukommen. Sein Verhalten war also objektiv auf qualitative Ausweitung des kriminellen Verhaltens der Zielperson gerichtet. Kommt es nicht n ur zu einer iterativen Ausweitung krimineller Taten, sondern betrifft die Ausweitung qualitativ oder quantitativ schwerere Taten, bedarf es im Vergleich zur Grundkonstellation der multiple illicit transactions zusätzlicher Gründe für ein solches Ermittlerverhalten. Eine solche Ausweitung muss sich laut EGMR auf valide, objektive Gründe stützen; z.B. auf das operative Interesse, Einblicke in Netzwerke, Hintermänner oder in Spezifika und Methoden der vermuteten kriminellen Aktivitäten der Zielperson zu gewinnen.[27] Im Rahmen legaler Kontakte müssen sich deshalb Erkenntnisse einstellen, aus denen sich ergeben, dass die Zielperson auch zu Geschäften anderer als der ursprünglich vorgenommenen Art bereit wäre und bezüglich dieser besondere Ermittlungsinteressen bestehen. Die vereinbarten oder avisierten Geschäfte müssen sich quantitativ und qualitativ aber unbedingt weiterhin im Rahmen dessen halten, wofür die Zielperson objektiv berechtigterweise als verdächtig oder geneigt gehalten werden darf.[28] Grundsätzlich gilt, dass Art (scope) und Umfang (scale) des verfolgten Tatverdachts weder auf ausdrückliches noch auf subtiles Betreiben verdeckter Ermittler oder VPs ausgeweitet werden dürfen. Die Bereitschaft der Zielperson darf nicht auf qualitativ oder quantitativ schwerere Straftaten gelenkt werden.[29]

Zunächst ist zu konstatieren, dass Art und Umfang des Handeltreibens von K.H. und I. entscheidend ausgeweitet wurden. Daran haben weder das LG noch der BGH Zweifel. Bei der Kontaktaufnahme hatten die Ermittlungsbehörden keinerlei Kenntnis von einer Bereitschaft von K.H., auch mit Betäubungsmitteln in deutlich erhöhter Menge zu handeln. Es ist ebenfalls nicht ersichtlich, aus welchen berechtigten objektiven Gründen der VE die Ausweitung von Art und Umfang der Tat forciert hat. Dabei dürfte ein sog. Quantensprung i.S.d. BGH- oder BVerfG-Judikatur[30] allgemein hinreichende, aber keine notwendige Bedingung für das Umschlagen in ein schwereres Delikt sein. Gleiches gilt für die Figur der Aufstiftung als Beispiel eines Quantensprungs.[31] Die Ziehung einer rechtsstaatlich derart wichtigen Demarkationslinie wird der EGMR nicht den Besonderheiten und Eigenarten nationaler Strafrechtssysteme überlassen. Allerdings verbirgt sich hier auch eine auffällige Schwäche des EGMR-Ansatzes. Denn eine Ausformung der erheblichen Ausweitung als autonomer Begriff des Konventionsrechts hat nicht stattgefunden, was

Einzelfalljudikatur und Fragmentierung des Rechtsraums Vorschub leistet.

Zusätzlich zu den erforderlichen (hier nicht ersichtlichen) objektiven ermittlungstechnisch begründeten Zwecken dürfte die Zielperson auch nicht zu dem weiteren ausgeweiteten Geschäft gedrängt worden sein. Diese Zulässigkeitsprüfung hat zwei Teile: Einwirkung beim Tatentschluss und Einwirkung bei der Durchführung der Transaktion.[32] Tatverdacht oder Tatneigung zu einer weiteren nach Art oder Umfang schwereren Tat darf nicht aktiv stimuliert worden sein. Sie muss sich aus der zulässigen Interaktion en passant natürlich ergeben oder auf weiteren Ermittlungen beruhen. Sie darf insbesondere nicht ins Blaue hinein vom VE erfragt werden. Erst recht darf die Zielperson nicht mit dem Angebot besonders hoher Geldzahlungen geködert werden.[33]

Nach den Feststellungen des LG spricht nichts dafür, dass die Ermittlungsbehörden K.H. und I. für verdächtig oder geneigt hielten, schwere Drogendelikte jenseits geringer Mengen zu begehen. Es ist ferner weder ein kriminalistischer Erfahrungssatz ersichtlich, wonach Händler dieser Kategorie in der Regel auch größere Geschäfte der vorgeschlagenen Art durchführen, noch Spezialwissen des VE bekannt. Späteres Wissen beim VE, das erst im Zuge der Transaktionen erlangt wurde, würde genügen, wenn er davon, wie ein normaler Kunde beiläufig erfährt. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Da über Tatverdacht oder Neigung zu schwereren Taten n ichts bekannt war, hätte der Lockspitzel sich mit seiner Nachfrage überhaupt nicht an K.H. und I. wenden dürfen. Vorliegend wurde mithin ohne Anhaltspunkte ins Blaue hinein gefragt, ob auch größere Mengen und schwerere Drogen beschafft werden könnten. Der Sachverhalt scheint damit dem Fall Scholer zu ähneln. Dort hatte ein Polizeiinformant bei einer dritten gleichartigen Transaktion gefragt, ob er auch größere Mengen bei der Zielperson kaufen könnte. Allerdings wurde vom Informanten keine qualitativ und quantitativ signifikant höhere Wunschmenge genannt, sondern diese ausgehandelt, nachdem die Zielperson ihre Bereitschaft erklärt und potenzielle Spannen genannt hatte. Bei den Verhandlungen demonstrierte Scholer zudem Fachwissen und Marktkenntnis. Eine unzulässige Provokation lehnte der Gerichtshof danach ab.[34] Im vorliegenden Fall hat der VE demgegenüber nicht nur den Kontakt gesucht, sondern die potenzielle Dimension der Tat selbst umrissen. Auf gut Glück etwaige Tatneigungen zu Geschäften anderer Art und grösseren Umfangs auszutesten, lässt das Rechtsstaatsprinzip resp. das Recht auf ein faires Verfahren nicht zu .

Ferner war für den VE schnell erkennbar, dass die gewünschte Menge Betäubungsmittel nicht annähernd vorhanden war, die Zielperson nicht mit Marktpreisen vertraut war und zudem offenkundig Lieferschwierigkeiten hatte. Die nach außen erkennbare Unerfahrenheit stand in deutlichem Widerspruch zur verbal kommunizierten Verkaufsbereitschaft des K.H., die freilich bereits unzulässig provoziert worden war. Diese allgemeine Bereitschaftserklärung ließe sich ebenso gut als posing, unter Umständen aus Sorge vor Gesichtsverlust vor einer Person aus demselben Kulturkreis, und eben nicht als verlässliches Anzeichen dafür deuten, dass K.H. derartige Geschäfte schon einmal durchgeführt hat oder es ernsthaft will. Dennoch wurde wiederholt Kontakt gesucht und das Geschäft forciert. Zudem wurde an die Solidarität des K.H. mit einem Schicksalsgenossen aus derselben Region (so offenbar die Legende des VE) appelliert. Appelle an die Empathie der Zielperson hat der Gerichtshof bereits in der Vergangenheit als unzulässiges Beeinflussungsmittel gewertet.[35]

Zwar verhält es sich so, dass dem Urteil nichts Genaues über den Inhalt der Telefongespräche zwischen K.H. und VE zwischen Zusage und Abwicklung des Geschäfts entnommen werden kann. Angesichts der Intensität der bekannten Handlungen fragt sich allerdings, was sich aus den Gesprächen ergeben soll, um die Einwirkung insgesamt wieder zulässig erscheinen zu lassen. Ohnehin würden derartige Erkenntnisse nichts am Vorliegen einer unzulässigen Provokation ändern. Diese lag mit der unzulässigen Kaufnachfrage des VE bei K.H. und I. unverrückbar vor.

Das LG Freiburg hätte danach die Unzulässigkeit der Tatprovokation bejahen müssen und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen müssen. Alternativ hätte es alle mit dem Provokationsakt zusammenhängende Beweismittel für unverwertbar erklären müssen, was faktisch zum gleichen Ergebnis geführt hätte. Die stiefmütterliche Behandlung der EMRK hindert das Landgericht daran, zu diesen konventionsrechtlich vorgespurten Schlussfolgerungen zu gelangen. Dem EGMR kann in diesem Zusammenhang allerdings nicht der Vorwurf erspart bleiben, die Arbeit nationaler Gerichte durch seine mitunter schwer durchdringbare Spruchpraxis beträchtlich zu verkomplizieren. Schon bei überblicksartiger Betrachtung der Urteile zur Konstellation der multiple illicit transactions tritt markant hervor, dass der EGMR nicht präzise abschichtet, sondern bei der Bewertung das zweite und dritte Kriterium miteinander vermengt und sich auf Globalbetrachtungen einlässt, die den Bedeutungsgehalt des Tests weiter eintrüben und dem Rechtsanwender die Sache nicht leichter machen.[36]

IV. Analyse und Aufklärungsauftrag des BGH

Ohne sich vertiefend zur rechtsdogmatischen Begründung des Verfahrenshindernisses zu äußern, pflichtet der 1. Senat dem 2. Senat bezüglich der Rechtsfolge einer unzulässigen Tatprovokation bei.[37] Das ist in dieser Klarheit im

Ergebnis begrüßenswert. Im konkreten Fall vermag der BGH ein Verfahrenshindernis nicht auszuschließen, weil der Senat klare Anzeichen dafür sieht, dass es sich bei dem "Lupfen" des VE um eine unzulässige Aufstiftung handelt, die vom BGH als rechtsstaatswidriger Quantensprung gewertet wird. Um die erforderliche Tatsachenbasis für eine abschließende Bewertung sicherzustellen, gibt der Senat dem LG eine strafverfahrensrechtliche Nachhilfe und diktiert ihm einen Fahrplan für die Sachverhaltsaufklärung ins Aufgabenheft.

Es zeigt sich auch, dass der BGH um eine strukturierte Integration von BGH- und EGMR-Rspr. bemüht ist und eine kohärente Lösung anstrebt. Darin dokumentiert sich eine wichtige Aufgabe, die nationalen Gerichten im Kooperationsverhältnis mit den europäischen Gerichten zukommt. Präzisierung und dogmatischer Einbau der konventionsrechtlichen Vorgaben können nur auf nationaler Ebene erfolgen und idealiter die europaweite Diskussion um Lösungsoptionen bereichern. Der Rückgriff auf die Figur der Aufstiftung[38] ist dafür ein ebenso gutes Beispiel wie die Ausführungen zur mittelbaren Tatprovokation.[39]

Bei der Bestimmung der Eingriffsvoraussetzungen und der Grenzziehung zwischen zulässigen Einwirkungen und nicht mehr zulässigen Einwirkungen gelingt diese Operation nicht. Bereits die Eignung der in Rn. 19 des Urteils genannten Prüfungsmaßstäbe zur Vermessung des Merkmals weitgehend passiven Verhaltens muss bezweifelt werden. Die allgemeine Beachtungspflicht gegenüber der EMRK zieht nach sich, dass die einschlägige, formgebende Spruchpraxis des EGMR rezipiert wird.[40] Dies ist vorliegend nur im Ausgangspunkt der Fall. Die weiterführenden Urteile zur hier einschlägigen Fallkategorie der multiple illicit transactions haben keinen Eingang in die Entscheidung gefunden, was sich als folgenreich erweist.

1. Eine zweite Chance für das LG Freiburg

Der BGH sieht bei K.H. einen Anfangsverdacht weiterer Tatneigung für Betäubungsmittelhandel in geringen Mengen. Was es strafverfahrensrechtlich mit einem "Anfangsverdacht weiterer Tatneigung" auf sich hat, kann hier leider nicht weiter vertieft werden. Jedenfalls sieht der BGH in den Feststellungen des LG keine Anhaltspunkte für eine Neigung zu qualitativ erheblich schwereren Taten deutlich über dem Grenzwert für geringe Mengen. Damit steht die Unzulässigkeit aus Konventionssicht fest.

Der BGH gibt dem Landgericht aber eine zweite Chance. Das bereits zu sog. multiple illicit transactions bestehende Fallrecht findet sich dabei in den Ausführungen des Gerichtshofs jedoch nicht wieder. Die Darstellung des Konventionsrechts erweist sich damit in entscheidenden Punkten als lückenhaft, was dazu führt, dass die strafverfahrensrechtlichen und konventionsrechtlichen Standards nicht in Einklang gebracht werden und eine vollends überzeugende materielle Behandlung des Provokationsgeschehens nicht gelingt. Dem LG Freiburg wird infolgedessen in letzter Konsequenz ein Prüfungsauftrag diktiert, der der Konventionsrechtslage in wesentlichen Punkten nicht entspricht und damit das Risiko eines neuerlichen Zurückbleibens hinter der Konventionsrechtslage birgt .

2. Präzisierung der Ausweitung

Konkret fordert der BGH zunächst, Feststellungen zu treffen, "die eine belastbare Beurteilung ermöglichen, in welchem Umfang eine Verstrickung des Angeklagten K.H. und des Mitangeklagten I. in den Betäubungsmittelhandel bestand, wie weit deren Tatgeneigtheit vor der Einflussnahme des verdeckten Ermittlers ging und wo diese ihre Grenzen fand". Diese Frage ist nicht präzise genug formuliert. Denn für die Bewertung der Zulässigkeit sind nur solche Erkenntnisse zu Tatverdacht und Tatneigung relevant, die dem VE oder dessen VE-Führer vor Kontaktaufnahme zur Anschaffung größerer Mengen bekannt waren.[41] Die nachträglichen Erkenntnisse vermögen nichts an der Rechtsstaatwidrigkeit des Verhaltens im Moment des Grundrechtseingriffs zu ändern. Wollte man weiter aufklären, müsste mithin das faktengetragene Vorstellungsbild von VE und VE-Führer aufgeklärt werden, wobei daran zu erinnern ist, dass der Staat die Beweislast dafür trägt, Tatverdacht oder Tatneigung überzeugend nachzuweisen. Eine Figur hypothetisch zulässiger Infiltrationen zur Rettung der Verurteilung kann es nicht geben, will man Missbräuchen und Willkür in diesem neuralgischen Grenzbereich staatlichen Handelns nicht Tür und Tor

öffnen. Der Staat kann sich nicht nachträglich darauf berufen, dass er eine unzulässig provozierte Straftat bei besserer Erkenntnislage womöglich doch hätte initiieren dürfen. Effektiver Grundrechtsschutz bedeutet gerade, dass der Staat sich Eingriffsbefugnisse nicht ex post schaffen darf.

Ferner fragt der BGH nicht explizit danach, aus welchen objektiv belastbaren Gründen die Zielperson mehrfach zu Handeltreiben mit geringen Mengen und in diesem Zuge schließlich zu Handeltreiben mit nicht mehr geringen Mengen animiert wurde. Können keine besonderen Gründe für diesen Vergehen benannt werden, ist das VE-Verhalten unrettbar konventionswidrig. Die Fragen des BGH schließen dies zwar auch ein, diese sind aber zu unspezifisch und stehen in einem anderen Kontext.

Die Fragen des BGH zu Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme des VE auf die Zielperson, insb. zum Inhalt und Ablauf der Telefonate, erklären sich aus einer Gesamtabwägungsformel, die der Senat in seiner Entscheidung entwickelt, um das Kriterium "überwiegend passiv" für die Praxis operativ besser fassbar zu machen. Das stimulierende Verhalten muss so erheblich sein, dass es "im Verhältnis zu dem den Ermittlungseinsatz etwa rechtfertigenden Anfangsverdacht einer bestehenden Tatgeneigtheit als unvertretbar übergewichtig" erscheint. Aus dem menschenrechtlichen Gebot, sich passiv zu verhalten (ordinary customer), um der Zielperson lediglich die Gelegenheit zu bieten, die von ihr beabsichtigten Taten Realität werden zu lassen, wird damit ein verfassungsrechtliches Übermaßverbot. Nach dieser Formel durften VE oder V-Mann einer Zielperson (gemessen an den objektiv bestehenden Beweismomenten) bis an die Exzess-Grenze zusetzen, um sie in strafbares Verhalten zu verstricken. Es ist für den Autor nicht ersichtlich, welcher grundgesetzkonforme Rechtsstaatsbegriff diese Form der Einwirkung legitimieren könnte. Unvereinbar mit der EMRK ist sie allemal. Die Formel ist weder materiell noch funktionell mit den klarer strukturierten Vorgaben des EMRK konform. Sie verunklart den Gehalt des Kriteriums und ist nicht auf Sicherstellung staatlicher Zurückhaltung, sondern einseitig auf Eingriffsrechtfertigung ausgelegt. Ohnehin ist eine zulässige Provokation aus Konventionssicht nur bei Tatverdacht oder (hochproblematisch) bei eindeutig erkennbarer Tatneigung denkbar. Einen Verdacht auf Tatneigung kennt das Konventionsrecht nicht als zulässige Fallgruppe.

Die Formel überzeugt auch isoliert betrachtet nicht. Es ist grundrechtsdogmatisch unklar, warum diese schon mehrfach (allerdings in Bezug auf einen Verdacht und nicht den Anfangsverdacht einer Tatneigung) eingesetzte Formel zur Konkretisierung der Zulässigkeitsgrenze taugen sollte. Sie lässt einen Bezug zum materiellen Kern des Kriteriums "im Wesentlichen passiv" vermissen. Dieses dient dazu, die Zulässigkeitsgrenze bei einem sehr spezifischen Ermittlungsverhalten zu ziehen, dass sich nur dann mit dem Rechtsstaatsprinzip in Einklang bringen lässt, wenn die Entscheidungsbildung bei der Zielperson für oder gegen eine Straftat lediglich ausgelöst und sich die staatliche Kontaktperson "im Wesentlichen" jeglichen Verhaltens enthält, das fremdbestimmende Wirkung haben (und dem Staat die Verantwortung für die Tat zuwachsen lassen) könnte. Diese Grenze lässt sich nicht dadurch bestimmen, ausgehend von Tatverdacht oder Tatneigung abzustecken, welches Ermittlungsverhalten sich als "unvertretbar übergewichtig" (zur Erreichung des Ermittlungsziels?) darstellt. Schon für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Eingriffen zur Aufklärung vollendeter Straftaten wäre diese Vorgabe buchstäblich grenzwertig. In Bezug auf noch gar nicht begangene Straftaten ist sie unbrauchbar.

Nebenbei lässt sich anhand dieser Formel auch demonstrieren, wie problematisch das Kriterium der Tatneigung ist. Diese gestattet allenfalls einen polizeirechtlichen Gefahrerforschungseingriff. Aber keine strafrechtlichen Ermittlungen und Stimulierung von Straftaten bis an die Grenze des Unvertretbaren. Ermittlungen dürften sich allenfalls auf frühere Verdachtsmomente richten, aus denen ggf. auf eine Tatneigung geschlossen wird. Das meint wohl auch der BGH, wenn er von einem Anfangsverdacht der Tatneigung spricht.

Als Bestandteil der weiteren Aufklärung soll das LG schließlich eruieren, ob die Anspielung des VE auf die gemeinsame regionale Herkunft und der Hinweis, dass er Probleme mit früheren Lieferanten habe, im Gesamtzusammenhang (in Ansehung der wiederholten Kontaktaufnahmen) der Einwirkung als "Druck" zu bewerten ist.[42] Das ist sachlich zweifelsohne richtig. Aber auch an diesem Punkt hätte es hilfreich sein können, das LG als Orientierungsmarke auf ähnliche Fälle im Konventionsrecht hinzuweisen. So hat der EGMR Appelle des Provokateurs an Empathie und Solidarität bereits als ausschlaggebende Gesichtspunkte anerkannt.[43]

IV. Fazit

Der vom BGH entschiedene Fall demonstriert eindrucksvoll, welche Schwierigkeiten der rechtliche Umgang mit dem Instrument der Tatprovokation bereitet und auch nach Klärung der Rechtsfolgenseite weiter bereiten wird. Die Abgrenzung zulässigen Verhaltens von unzulässigem stellt die Praxis vor große Herausforderungen. Besondere Probleme bereiten zwei neuralgische Grenzen: erstens, das zulässige Maß der Interaktion und des Abtastens, wozu die tatgeneigte Zielperson bereit wäre und, zweitens, der notwendige Schwereaufwuchs, mit dem die "Neigungs- oder Verdachtstat" in eine quantitativ oder qualitativ andere Tat umschlägt. Diese Aufgabe wird nicht leichter, wenn die einschlägige umfangreichere EGMR-Spruchpraxis nur unvollständig rezipiert wird. Potenziell aufschlussreiche und anleitende Präzedenzfälle finden keine Erwähnung, und zwar sowohl in der Tatsachen- als auch in der Revisionsinstanz. Die deutschen Gerichte müssen hier in Zukunft noch einen Schritt weiterkommen, um nationales Prozessrecht und Konventionsrecht vollständig dogmatisch schlüssig zur Konkordanz zu

bringen.[44] Das BGH-Urteil zeigt auch, welche hohen Anforderungen an die instanzgerichtlichen Feststellungen zu richten sind. Unter Umständen hätte sich der Fall nach den EMRK-Vorgaben auch ohne Zurückverweisung lösen lassen. Der BGH schreckte aber womöglich davor zurück, aufgrund der insuffizienten Feststellungen gleich zur nuklearen Option des Verfahrenshindernisses zu greifen. Der Gerichtshof setzt aber jedenfalls ein Zeichen, dass er den nachlässigen Umgang mit Verdachtsmomenten für eine unzulässige Tatprovokation nicht akzeptiert. Für die Zukunft muss aber die Frage erlaubt sein, wie großzügig man den Instanzgerichten an dieser Stelle begegnen will. Enthalten die Feststellungen keine Hinweise darauf, dass die Zielperson bezüglich der provozierten Tat tatverdächtig oder tatgeneigt war, dann steht die Unzulässigkeit fest und es dem Revisionsgericht nicht gut zu Gesicht, dem Instanzgericht die Sache mit der Parole zurückzureichen, doch noch einmal genauer nachzusehen, ob es nicht doch einen zulässigen Provokationsanlass gab. Gleichwohl ließe sich das Vorgehen konventionsrechtlich als zweite nationale Kontrollstufe des procedural test rationalisieren und damit aus EMRK-Sicht als wünschenswertes Vorgehen begrüßen. Noch stärker wäre diese Botschaft ausgefallen, wenn die Fragen an der einschlägigen EGMR-Rspr. zu multiple illicit transactions ausgerichtet gewesen wären und dem LG durch ihre Formulierung der Weg zu einer konventionskonformen Entscheidung gewiesen worden wäre.


* Der Verfasser ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht unter Einschluss des internationalen Strafrechts der Universität Zürich.

[1] EGMR Akbay u.a. v. Deutschland, Urteil vom 15. Oktober 2020, § 81, 123 = HRRS 2020 Nr. 1163; Hübner HRRS 2020, 441.

[2] LG Freiburg 22/20 2 Kls 685 Js 3922/20, Urteil vom 23. Februar 2021.

[3] Der BGH hat die Aufhebung gem. § 357 Satz 1 StPO auf I. erstreckt, gegen den das Urteil bereits in Rechtskraft erwachsen war, da die Zulässigkeit der Provokation ihm gegenüber nach den Feststellungen noch zweifelhafter war.

[4] BGH 1 StR 197/21, Urteil vom 16. Dezember 2021, Rn. 17, 30 f. = HRRS 2022 Nr. 145.

[5] Meyer/Wohlers JZ 2015, 761, 769.

[6] Meyer, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK, 3. Aufl. (2022), Art. 6 Rn. 163, 169.

[7] EGMR Bannikova v. Russland, Urteil vom 4. November 2010, § 63 ff. = HRRS 2011 Nr. 331.

[8] EGMR Lagutin u.a. v. Russland, Urteil vom 24. April 2014.

[9] EGMR Vanyan v. Russland, Urteil vom 15. Dezember 2005, § 49; EGMR Ramanauskas v. Litauen, Urteil vom 5. Februar 2008, § 63 f. = NJW 2009, 3565 = HRRS 2008 Nr. 200.

[10] EGMR Bannikova v. Russland (Fn. 7), § 58 = HRRS 2011 Nr. 331.; EGMR Matanovi? v. Kroatien, Urteil vom 4. April 2017, § 126.

[11] EGMR Furcht v. Deutschland, Urteil vom 23. Oktober 2014, § 58 f. = HRRS 2014 Nr. 1066.

[12] EGMR Akbay u.a. v. Deutschland (Fn. 1), § 81, 123 = HRRS 2020 Nr. 1163; Hübner HRRS 2020, 441, 442.

[13] EGMR Scholer v. Deutschland, Urteil vom 18. Dezember 2014, § 89, 90.

[14] Meyer, a.a.O. (Fn. 6), Art. 6 Rn. 164.

[15] EGMR Ramanauskas v. Litauen (Fn. 9), § 53 = NJW 2009, 3565 = HRRS 2008 Nr. 200.; EGMR Khudobin v. Russland, Urteil vom 26. Oktober 2006, § 135; Das nationale Recht muss zur Sicherung der materiellen Grenzen einer Infiltration Mechanismen wie Genehmigungserfordernisse und effektive Aufsicht bei der Durchführung des Einsatzes vorsehen, die gegen Missbrauch schützen, EGMR Ramanauskas v. Litauen (Fn. 9), § 53 = NJW 2009, 3565 = HRRS 2008 Nr. 200; vgl. § 110b Abs. 2 StPO.

[16] Tatverdacht oder Tatneigung müssen bekannt sein, bevor die Zielperson kontaktiert werden darf, EGMR Pareniuc v. Republik Moldau, Urteil vom 1. Juli 2014, § 8.

[17] EGMR Ramanauskas v. Litauen (Fn. 9), § 56 = NJW 2009, 3565 = HRRS 2008 Nr. 200; EGMR Teixeira de Castro v. Portugal, Urteil vom 9. Juni 1998, § 37 f. = NStZ 1999, 47; EGMR Furcht v. Deutschland (Fn. 11), § 51 (m.w.N.) = HRRS 2014 Nr. 1066; Meyer, a.a.O. (Fn. 6), Art. 6 Rn. 165.

[18] EGMR Lagutin u.a. v. Russland (Fn. 8), Der Begriff der Tatgeneigtheit ist dagegen unscharf und in der Sache höchst zweifelhaft; SK/StPO-Meyer, EMRK, 5. Aufl. (2019), Art. 6 Rn. 214: Fehlt ein strafrechtlicher Anfangsverdacht, sind strafprozessuale Ermittlungen ausgeschlossen. Über das Kriterium der Tatgeneigtheit lässt der EGMR dagegen auch das Provozieren von Straftaten im präventiven Bereich zu. Vertrautheit mit Begehungsweisen und (Markt-)Preisen sowie spürbares Gewinninteresse sollen bereits als Belege für eine Prädisponiertheit genügen, EGMR Bannikova v. Russland (Fn. 7), § 41 f. = HRRS 2011 Nr. 331.

[19] EGMR Grba v. Kroatien, Urteil vom 23. November 2017, § 100.

[20] EGMR Scholer v. Deutschland (Fn. 13), § 88; EGMR Grba v. Kroatien (Fn. 19), § 99 ff.

[21] Beispiele aus der EGMR-Praxis: EGMR Ramanauskas v. Litauen (Fn. 9), § 67 = NJW 2009, 3565 = HRRS 2008 Nr. 200; EGMR Pareniuc v. Republik Moldau (Fn. 16), § 39: beharrliches Erneuern von Angeboten gegenüber Zielperson trotz wiederholter Ablehnung; EGMR Akbay u.a. v. Deutschland (Fn. 1) = HRRS 2020 Nr. 1163: Vorspiegelung vermeintlich sicherer Importkanäle in Aussicht gestellt wird; EGMR Malininas v. Litauen, Urteil vom 1. Juli 2008, § 37: Offerte zu übermäßig hohen Preisen oder Mengen; EGMR Vanyan v. Russland (Fn. 9), § 47, 1: Appelle an Empathie der Zielperson durch Vorspiegeln von Entzugserscheinungen.

[22] EGMR Matanovi? v. Kroatien (Fn. 10), § 123 f.

[23] SK/StPO-Meyer, EMRK, 5. Aufl. (2019), Art. 6 Rn. 212.

[24] EGMR Grba v. Kroatien (Fn. 19), § 92 ff.; EGMR Malininas v. Litauen (Fn. 21), § 37; EGMR Scholer v. Deutschland (Fn. 13), § 89, 90.

[25] EGMR Grba v. Kroatien (Fn. 19), § 101.

[26] EGMR Miliniené v. Litauen, Urteil vom 24. Juni 2008, § 37.

[27] EGMR Grba v. Kroatien (Fn. 19), § 99 ff.

[28] EGMR Grba v. Kroatien (Fn. 19), § 99 ff., 111.

[29] EGMR Malininas v. Litauen (Fn. 21), § 37.

[30] BGHSt 47, 44, 49.

[31] BGH 1 StR 197/21, Urteil vom 16. Dezember 2021, Rn. 22.

[32] Vgl. EGMR Ciprian Vl?du? u. Ioan Florin Pop v. Rumänien, Urteil vom 16. Juli 2015, § 86 f.: mehrere Transaktionen mit wachsenden Mengen; aber auf Forderung von VE, der auch für die Planung und Abwicklung die Transaktion verantwortlich war.

[33] EGMR Malininas v. Litauen (Fn. 21), § 37; EGMR Lalas v. Litauen, Urteil vom 1. März 2011, § 45.

[34] EGMR Scholer v. Deutschland (Fn. 13), § 89 f.

[35] EGMR Vanyan v. Russland (Fn. 9), § 47, 11.

[36] Zum Zusammenfließen der Kriterien kommt es bei der Frage, ob die Tatneigung aktiv geschürt wurde; vgl. EGMR Scholer v. Deutschland (Fn. 13), § 85 f., 88 f.

[37] BGH 1 StR 197/21, Urteil vom 16. Dezember 2021, Rn. 31 unter Bezugnahme auf BGH 2 StR 97/14, Urteil vom 10. Juni 2015, BGHSt 60, 276, Rn. 49 ff.

[38] BGH 1 StR 197/21, Urteil vom 16. Dezember 2021, Rn. 22. Der 1. Senat versucht die Problematik der Einwirkung zur Weckung der Bereitschaft, eine Tat mit deutlich erhöhtem Unrechtsgehalt zu begehen, zumindest für den konkreten Fall strafrechtsdogmatisch über die Figur der Aufstiftung in den Begriff zu bekommen. Darin liegt eine nachvollziehbare Rationalisierung des allgemeinen Kriteriums. Allerdings machte man den Provokationsschutz dadurch, vom jeweiligen Zuschnitt des nationalen Besonderen Teils abhängig. Gesetzgeberische Entscheidungen darüber, wann ein Unrecht als eigener Tatbestand oder Qualifikation ausgeformt wird, wirkten dann ins Strafprozessrecht zurück und würden zur Messlatte für die Unzulässigkeit einer Provokation. Aus Konventionssicht würde man damit Zufälligkeiten Tür und Tor öffnet und nicht hinreichend auf den materiellen Kern des Problems eingehen. Man wird wohl davon ausgehen dürfen, dass der EGMR einen Aufstiftungsfall als klares Beispiel der Unzulässigkeit werten, die Figur der Aufstiftung aber nicht als verbindliche Demarkationslinie akzeptieren würde. So sind in den meisten relevanten Tatbeständen leichte und sehr schwere Fälle innerhalb desselben Tatbestandes vorstellbar, deren Unwert- und Schuldgehalt qualitativ weit auseinander liegen kann. Mit Blick auf den jeweiligen provozierten Tatbestand könnten auch empirisch -kriminalistische Einsichten hilfreich und vielleicht sogar maßgeblich sein. Konkret ließe sich auch darauf abstellen, welche typischen Geschäftsarten und -strukturen in bestimmten Deliktsbereichen anzutreffen sind und wo hier aus analytischer Sicht der fachkundigen Verbrechensbekämpfungsstellen, Abstufungen, Unterschiede, Verquickungen, Übergange usw. auszumachen sind. Im konkreten Fall wäre z.B. interessant zu wissen, wo sich aus Sicht der Drogenfahnder die Natur oder Qualität des Geschäfts entscheidend verändern. Auch die Perspektive typischer Täter in einem Deliktsbereich wäre insofern relevant. Es sei die These aufgestellt, dass der EGMR für derartige Ausführungen im konkreten Fall ein Ohr hätte und den nationalen Stellen einen nicht weiter zu überprüfenden Bewertungsspielraum zugestehen würde.

[39] BGH 1 StR 197/21, Urteil vom 16. Dezember 2021, Rn. 40.

[40] Meyer, a.a.O. (Fn. 6), Einleitung Rn. 80.

[41] EGMR Pareniuc v. Republik Moldau (Fn. 16), § 8; Meyer, a.a.O. (Fn. 6), Art. 6 Rn. 165.

[42] Der VE hatte nach Angaben des K.H. «immer» auf die gemeinsame Herkunft aus dem afghanischen/pakistanischen Raum hingewiesen und «irgendwas von zusammenhalten» erzählt (UA S. 15), BGH 1 StR 197/21, Urteil vom 16. Dezember 2021, Rn. 28.

[43] EGMR Vanyan v. Russland (Fn. 9), § 47, 11.

[44] Eine gesetzliche Regelung, wie von Zeyher NZWiSt 2022, 197, 200 nach dem Urteil vorgeschlagen, dürfte kaum in der Lage sein, diese komplizierten Fragen zielführend zu regeln, wenn man den Einsatzbereich von Tatprovokationen nicht von vornherein stark einschränken wollte.