HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2021
22. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

417. BGH 6 StR 452/20 – Beschluss vom 23. März 2021 (LG Neuruppin)

BGHSt; Bestechung im geschäftlichen Verkehr; Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger; Überleitungsnorm

mit haftungsrechtlichem Charakter; Rückwirkungsverbot (unechte Rückwirkung; Vertrauensschutz).

Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 299 StGB; § 3 OWiG; § 4 Abs. 1 OWiG; § 30 Abs. 1 OWiG; § 30 Abs. 2a OWiG

1. Bei einer unter der Geltung des § 30 Abs. 2a OWiG erfolgten Gesamtrechtsnachfolge kann eine Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger auch dann festgesetzt werden, wenn die Anknüpfungstat vor Inkrafttreten der Vorschrift am 30. Juni 2013 begangen worden ist. (BGHSt)

2. Das ahndungsrechtliche Rückwirkungsverbot steht der Festsetzung der Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger nicht entgegen, wenn die Rechtsnachfolge nach Inkrafttreten der Vorschrift des § 30 Abs. 2a OWiG stattfand, die Anknüpfungstat aber vor diesem Zeitpunkt beendet war. (Bearbeiter)

3. Angesichts des Normzwecks und des Rechtscharakters des § 30 Abs. 2a OWiG ist den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG jedenfalls dann Genüge getan, wenn diese im Zeitpunkt der Rechtsnachfolge bereits in Kraft getreten war. Ob die – zur Zeit ihrer Begehung unproblematisch ahndbare und die Verantwortlichkeit des Rechtsvorgängers nach § 30 Abs. 1 OWiG auslösende – Anknüpfungstat schon zuvor beendet war, ist insoweit nicht maßgebend. (Bearbeiter)

4. Bei § 30 Abs. 2a Satz 1 OWiG handelt es sich nicht um einen eigenständigen Ahndungstatbestand gegenüber dem Rechtsnachfolger, der in seiner Gesamtheit an Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 3, 4 Abs. 1 OWiG zu messen wäre. Denn nach § 30 Abs. 2a OWiG rückt der Gesamtrechtsnachfolger lediglich in eine vom Rechtsvorgänger – ohne Verletzung des Rückwirkungsverbots – begründete Bußgeldlast ein, ohne dass ihm ein „(Organ-)Verschulden“ oder gar eine „persönliche Vorwerfbarkeit“ in Bezug auf den Rechtsvorgänger zugewiesen würde. Die Vorschrift hat wertneutralen Charakter. (Bearbeiter)

5. Bedenken unter dem Aspekt des im Rechtsstaatsgebot und den Grundrechten verankerten Vertrauensschutzprinzips bestehen nicht. Zwar knüpft die „Überleitungsnorm“ des § 30 Abs. 2a Satz 1 OWiG an die Tat einer Leitungsperson des Rechtsvorgängers an. Soweit diese in der Zeit vor Inkrafttreten der Vorschrift begangen worden ist, liegt darin aber kein Fall einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen im Sinne einer „echten“ Rückwirkung, sondern ein Fall grundsätzlich zulässiger „unechter“ Rückwirkung durch Rückanknüpfung vor (st. Rspr.). Es besteht kein schutzwürdiges Vertrauen des Rechtsnachfolgers, bei einer Gesamtrechtsnachfolge nicht auch in eine vom Rechtsvorgänger verursachte und auf das übernommene Vermögen beschränkte Geldbußenlast einzurücken. (Bearbeiter)


Entscheidung

442. BGH 3 StR 628/19 – Urteil vom 27. Januar 2021 (LG Duisburg)

Untreue durch Kreditvergabe (Vermögensbetreuungspflicht; Bankvorstand; Pflichtverletzung; Beurteilungs- und Ermessensspielraum; Unvertretbarkeit; Kompetenzregeln; Informations- und Prüfpflichten; schwerwiegender Sorgfaltsverstoß).

§ 266 StGB

1. Nimmt der Vermögensbetreuungspflichtige unternehmerische Führungs- und Gestaltungsaufgaben wahr, ist ihm regelmäßig ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum eröffnet. Eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB liegt erst vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vermögensbetreuungspflichtigen aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss.

2. Missachtet ein Bankvorstand bei einer Kreditvergabe interne Kompetenzregeln, die zumindest auch dem Schutz des Vermögens des Kreditinstituts dienen, indem es sich etwa über festgelegte Kredit- oder Beleihungsgrenzen hinwegsetzt, auf vorgeschriebene Sicherheiten verzichtet oder ohne die erforderliche Zustimmung eines anderen Gremiums handelt, verletzt es ohne Weiteres seine Vermögensbetreuungspflicht. Bestehen keine detaillierten Vorgaben für die Kreditvergabe oder sind sie gewahrt, ist hingegen – entsprechend den gesellschaftsrechtlichen Haftungsregelungen – eine Pflichtverletzung grundsätzlich nur zu bejahen, wenn sich bei einer Gesamtschau aller relevanten Umstände das Handeln des Vorstandsmitglieds als unvertretbar und damit der Leitungsfehler als evident darstellt.

3. Nicht jede Missachtung der gebotenen Sorgfalt bei der Entscheidungsfindung begründet demnach eine Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB, verletzt mithin die Vermögensbetreuungspflicht als Hauptpflicht. So liegt es etwa, wenn gegen Informations- und Prüfungspflichten verstoßen wird. Einem solchen Verstoß kommt im Grundsatz nur indizielle Bedeutung zu.

4. Für die Kreditvergabe haben derartige formelle Pflichten allerdings eine besondere Bedeutung. Zu den Sorgfaltspflichten der Vorstandsmitglieder von Kreditinstituten gehört regelmäßig eine umfassende Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Kreditnehmern, der beabsichtigten Verwendung von Krediten sowie der Einschätzung der damit verbundenen Chancen und Risiken; dabei kommt es namentlich auf die Bewertung vorhandener Sicherheiten an. Wiegt der Verstoß gegen die bei der Kreditvergabe zu beachtenden Sorgfaltspflichten schwer, führt er schon für sich gesehen zu einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht.


Entscheidung

434. BGH 1 StR 525/20 – Beschluss vom 10. Februar 2021 (LG Frankfurt a. M.)

Umsatzsteuerhinterziehung (vorsteuerabzugsberechtigter Leistungsempfänger; Vorsatz: Steueranspruchstheorie, notwendige zusammenhängende Darstellung der Einlassung im Rahmen der Beweiswürdigung).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG; § 15 StGB; § 261 StPO

1. Zur Erforderlichkeit einer verständlichen geschlossenen Darstellung des Einlassungsverhaltens in der Hauptverhandlung bei einem zweifelhaften Steuerhinterziehungsvorsatz, wenn weder ist die Sach- und Rechtslage gänzlich einfach noch die Beweislage bezüglich der subjektiven Tatseite eindeutig ist.

2. Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will bzw. dessen Verkürzung billigend in Kauf nimmt; bedingter Vorsatz genügt. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH, Beschlüsse vom 18. August 2020 – 1 StR 296/19 Rn. 12 und vom 13. März 2019 –1 StR 520/18 Rn. 18; Urteil vom 10. Juli 2019 – 1 StR 265/18 Rn. 30; jeweils mwN).


Entscheidung

459. BGH 2 StR 137/20 – Beschluss vom 3. Februar 2021 (LG Marburg)

Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung (Forderung von Vorteilen für die Vornahme der Diensthandlungen).

§ 335 Abs. 2 Nr. 2 StGB

Nach § 335 Abs. 2 Nr. 2 StGB liegt ein besonders schwerer Fall in der Regel vor, wenn der Täter fortgesetzt Vorteile annimmt, die er als Gegenleistung dafür gefordert hat, dass er eine Diensthandlung künftig vornehme. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn der Angeklagte zwar fortgesetzt Vorteile für pflichtwidrige Diensthandlungen angenommen, sie aber nicht als Gegenleistung hierfür gefordert hat. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sind damit nur diejenigen Fälle erfasst, in denen ein Amtsträger sich aus eigenem Antrieb ständig für die Verletzung von Diensthandlungen bezahlen lässt.


Entscheidung

519. BGH 4 StR 543/20 – Beschluss vom 2. März 2021 (LG Landau)

Nachstellung (Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit); verminderte Schuldfähigkeit (Bewertung einer nicht pathologisch begründeten Persönlichkeitsstörung; Bewertung sog. „narzisstischer Persönlichkeitsstörung“; Gefährlichkeitsprognose).

§ 238 Abs. 1 StGB; § 21 StGB

1. Dem Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit wohnen objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne; es ist nicht bereits bei bloßer Wiederholung erfüllt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit der Absicht handelt, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten. Dem Merkmal ist immanent, dass der Täter uneinsichtig auf seinem Standpunkt besteht und zäh an seinem Entschluss festhält, obwohl ihm die entgegenstehenden Interessen des Opfers bekannt sind. Die erforderliche ablehnende Haltung und gesteigerte Gleichgültigkeit gegenüber dem gesetzlichen Verbot manifestieren sich darin, dass der Täter den vom Opfer ausdrücklich oder schlüssig geäußerten entgegenstehenden Willen bewusst übergeht. Dabei ergibt sich die Beharrlichkeit aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, bei der insbesondere der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind.

2. Für die Frage, ob eine nicht pathologisch begründete Persönlichkeitsstörung in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt, sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters von Bedeutung. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist daher maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb des Deliktes zu erheblichen Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen ist.

3. Bei der „narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ handelt es sich um ein eher unspezifisches Störungsbild. Eine solche Störung erreicht den Grad einer schuldmindernden schweren anderen seelischen Störung regelmäßig erst dann, wenn der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat.

4. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Im Rahmen dieser Würdigung ist als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straffälligkeit anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat.


Entscheidung

414. BGH 6 StR 240/20 – Beschluss vom 24. März 2021 (LG Braunschweig)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Cannabispflanzenteile als Hanfblütentee; Betäubungsmitteleigenschaft; Prinzip der Positivliste); Nutzhanf privilegierter Herkunft (gewerblicher Zweck; Missbrauch zu Rauschzwecken); Verbotsirrtum (Vermeidbarkeit); Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen (Mitverfügungsgewalt von Beteiligten).

§ 1 Abs. 1 BtMG; Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG; § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG; § 17 StGB; § 73 StGB; § 73c StGB

1. Die Betäubungsmitteleigenschaft eines Stoffes oder einer Zubereitung wird gemäß § 1 Abs. 1 BtMG allein durch die Aufnahme in die Anlagen I bis III begründet, ohne dass es zusätzlich einer konkreten Berauschungsqualität oder Konsumfähigkeit bedürfte. Auf diese Stoffe und Zubereitungen ist der Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes begrenzt.

2. Nennen die Anlagen zum BtMG sowohl die Pflanze als auch den darin enthaltenen Stoff, geht die Aufnahme der Pflanze als Betäubungsmittel vor.

3. Alle cannabishaltigen Produkte unterliegen dem Grunde nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG. Weder kommt es auf den Wirkstoffgehalt an (Prinzip der „Positivliste“) noch auf den Verarbeitungsgrad, weshalb auch geringste Restsubstanzen Betäubungsmitteleigenschaft haben, selbst wenn sie in nichtkonsumfähigen Trägerstoffen enthalten sind. Dies bedeutet, dass auch als unbedenklich angesehene Produkte wie Papier, Textilien, Dämmmaterial, Kosmetik oder Lebensmittel mit so minimalem THC-Gehalt, dass beim Verzehr keine psychotrope Wirkung hervorgerufen werden kann, grundsätzlich „Betäubungsmittel“ im Sinne der Anlage I sind.

4. Für das Merkmal des „gewerblichen Zwecks“ (Buchstabe b 1. Variante der Position „Cannabis“ in Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG) ist nicht erforderlich, dass auch vom Endabnehmer ein gewerblicher Zweck verfolgt wird. Vielmehr genügt es für dieses Merkmal des Ausnahmetatbestands, dass lediglich einer der Teilnehmer am Verkehrsgeschäft im Rahmen einer grundsätzlich erlaubten eigenverantwortlichen wirtschaftlichen Betätigung ein Produkt an einen Endabnehmer abgibt.

5. Ein Missbrauch zu Rauschzwecken (Buchstabe b der Position „Cannabis“ in Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG) ist nicht ausgeschlossen, wenn zwar nicht beim bestimmungsgemäßen Genuss eines – ausschließlich aus Cannabispflanzenteilen bestehenden – Tees als Aufgussgetränk, wohl aber beim Verzehr eines unter Verwendung des Tees hergestellten Gebäcks („Brownie“) ein Cannabisrausch erzeugt werden kann.


Entscheidung

413. BGH 6 StR 216/20 – Beschluss vom 25. August 2020 (LG Rostock)

Einziehung (genaue Bezeichnung; Gegenstand der von der Anklage umschriebenen und vom Gericht festgestellten Tat).

§ 33 BtMG

1. Grundsätzlich sind die einzuziehenden Gegenstände in der Urteilsformel so konkret zu bezeichnen, dass für die Beteiligten und die Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht; eine Bezugnahme auf die Anklageschrift oder ein Asservatenverzeichnis ist hierfür nicht ausreichend.

2. Die Einziehung sichergestellten Rauschgifts kann dann nicht auf § 33 BtMG gestützt werden, wenn die Betäubungsmittel nicht Gegenstand der von der Anklage umschriebenen und vom Gericht festgestellten Tat sind.


Entscheidung

433. BGH 1 StR 517/20 – Beschluss vom 10. März 2021 (LG Augsburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (erforderliche Eigennützigkeit).

§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG

Ein täterschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln setzt voraus, dass der Mitwirkende eigennützig handelt. Es genügt nicht, dass der Täter nur den Eigennutz eines anderen mit seinem Tatbeitrag unterstützen will.


Entscheidung

436. BGH 3 StR 22/21 – Beschluss vom 24. März 2021 (LG Osnabrück)

Unerlaubter Aufenthalt im Bundesgebiet („Positivstaater“; Absicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit; Unerheblichkeit des individuell verfolgten Aufenthaltszwecks).

§ 95 AufenthG

Beim Tatbestand des unerlaubten Aufenthalts gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AufenthG bestimmt sich die Strafbarkeit des Ausländers bei der Einreise und bis zur Aufnahme einer beabsichtigten Erwerbstätigkeit ausschließlich nach objektiven Kriterien; auf einen individuell verfolgten Aufenthaltszweck kommt es hierbei nicht an (vgl. bereits BGH HRRS 2021 Nr. 289).


Entscheidung

456. BGH 5 StR 627/19 – Urteil vom 15. März 2021 (LG Dresden)

Einschleusen von Ausländern (das Leben gefährdende Behandlung; Tatort am Ort Erfolgseintritts; Verbot der Einreise; Gewerbsmäßigkeit).

§ 96 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG

1. Für die Verwirklichung des Qualifikationsmerkmals des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG verlangt das Gesetz keinen eigenhändigen auf die Behandlung des Geschleusten gerichteten Beitrag eines Hilfeleistenden, dessen Teilnahmehandlung nach dem Grundtatbestand in § 96 Abs. 1 AufenthG zu einer selbständigen in Täterschaft begangenen Straftat heraufgestuft ist. Erforderlich ist bei der Qualifikationsmerkmalsvariante der lebensgefährdenden Behandlung lediglich, dass die geschleusten Personen jeweils einer das Leben gefährdenden Behandlung ausgesetzt werden und der Angeklagte den Schleusungsvorgang mit Vorsatz hinsichtlich der lebensgefährlichen Umstände fördert.

2. Das Qualifikationsmerkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 AufenthG setzt nicht voraus, dass eine konkrete Lebensgefahr eingetreten ist; ausreichend ist vielmehr, dass die Behandlung, der der Ausländer während der Schleusung ausgesetzt wird, nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen.