HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2020
21. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

681. BGH 4 StR 347/19 - Beschluss vom 26. Februar 2020 (LG Halle)

BGHR; nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (Verurteilung zu einer vorbehaltenen Geldstrafe keine „frühere Verurteilung“; Gesamtstrafenlage bei vor einer Verwarnung begangenen Straftaten).

§ 55 Abs. 1 Satz 2 StGB; § 59b Abs. 1 StGB

1. Die „Verurteilung“ zu einer vorbehaltenen Geldstrafe durch einen Beschluss nach § 59b Abs. 1 StGB ist keine frühere Verurteilung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB. (BGHR)

2. Nach § 59c Abs. 2 StGB steht eine vorbehaltene Strafe in den Fällen des § 55 StGB einer erkannten Strafe gleich. Dies hat zur Folge, dass bei einer späteren Verurteilung wegen Straftaten, die vor der Verwarnung begangen worden sind, das die Verwarnung aussprechende Urteil als frühere Verurteilung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB heranzuziehen und eine Gesamtstrafenbildung mit der lediglich vorbehaltenen Geldstrafe zu erfolgen hat. (Bearbeiter)

3. Wird der Verurteilte später durch einen Beschluss nach § 59b Abs. 1 i.V.m. § 56 f. StGB zu der vorbehaltenen Strafe verurteilt, ist § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB unmittelbar anwendbar. (Bearbeiter)


Entscheidung

671. BGH 2 ARs 203/19 - Beschluss vom 6. Mai 2020

Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Anwendung im Jugendstrafrecht).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 73c Satz 1 StGB

Erzieherischen Belangen kann danach entgegen der Ansicht des anfragenden Senats allein im Vollstreckungsverfahren Rechnung getragen werden. Die Rechtsprechung hat diese gesetzgeberische Entscheidung zu respektieren, auch wenn es – worauf der 1. Strafsenat im Einzelnen hingewiesen hat – gute Gründe geben mag, die Anordnung der Einziehung von Taterträgen bzw. des Wertes von Taterträgen im Jugendstrafverfahren als Ermessensentscheidung der Jugendgerichte auszugestalten.


Entscheidung

834. BGH 4 ARs 10/19 - Beschluss vom 10. März 2020

Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (zwingende Anwendung im Jugendstrafrecht).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 73c Satz 1 StGB; § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung zur zwingenden Anwendung von § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafrecht fest.


Entscheidung

680. BGH 4 StR 264/19 - Beschluss vom 21. April 2020 (LG Essen)

Vollrausch (Strafzumessung: Gegenstand des Schuldvorwurfs; Berücksichtigung rauschtatbezogener Umstände sowie der Tatfolgen, Doppelverwertungsverbot).

§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 323a Abs. 2 StGB

1. Gegenstand des Schuldvorwurfs und damit Grundlage der Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) bei § 323a StGB ist nicht die im Vollrausch begangene Tat, sondern das vorsätzliche oder fahrlässige Sich-Berauschen. Mit Schaffung des Straftatbestands des § 323a StGB hat der Gesetzgeber das Sich-in-einen-Rausch-Versetzen im Hinblick auf die allgemeine Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit des schwer Berauschten als ein selbständiges, sanktionswürdiges Unrecht bewertet; dabei hat er die Strafbarkeit indes davon abhängig gemacht, ob bzw. in welchem Umfang sich die für die Rechtsgüter Dritter oder die Allgemeinheit gesteigerte Gefahr, die von einem Berauschten ausgeht, tatsächlich in einer konkreten rechtswidrigen Tat – der Rauschtat – niedergeschlagen hat. Ein „folgenloser“ Rausch bleibt ohne strafrechtliche Konsequenzen. Demgegenüber wird derjenige wegen der Berauschung mit Strafe belegt, der in diesem Zustand einen Straftatbestand verwirklicht und hierfür nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies zumindest nicht auszuschließen ist. Weil der Berauschte hinsichtlich der Rauschtat nicht ausschließbar ohne Schuld handelte, darf ihm die Begehung der Rauschtat als solche nicht zur Last gelegt werden. Diese Besonderheiten fordern im Rahmen der Strafzumessung Beachtung.

2. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es zwar zulässig, den rauschtatbezogenen Umständen sowie den Tatfolgen strafschärfendes Gewicht beizumessen. Daher können im Rahmen der Strafzumessung das äußere Tatbild und die tatbezogenen Merkmale der Rauschtat wie Art, Umfang, Schwere, Gefährlichkeit oder Folgen der Tat Berücksichtigung finden. Demgegenüber dürfen Motive des Täters und Verhaltensweisen, die allein der Rauschtat anhaften, nicht strafschärfend berücksichtigt werden.


Entscheidung

799. BGH 5 StR 603/19 - Urteil vom 27. Mai 2020 (LG Leipzig)

Verhängung von Geldstrafe neben Freiheitsstrafe (Ausnahmecharakter; Ermessen; Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters; wechselseitige Gewichtung; schuldangemessenes Strafmaß); nachträgliche Gesamtstrafenbildung (kein Härteausgleich bei vollständiger Bezahlung einer Geldstrafe).

§ 41 StGB; § 46 StGB; § 55 StGB

Nach § 41 StGB kann dann, wenn der Täter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht hat, eine sonst nicht oder nur wahlweise angedrohte Geldstrafe verhängt werden, wenn dies auch unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters angebracht ist. Angesichts ihres Ausnahmecharakters muss die Kumulation von Geld- und Freiheitsstrafe näher begründet werden. Dabei sind zunächst die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und die Aufspaltung der Sanktion in Freiheits- und Geldstrafe zu begründen. Sodann hat in einem zweiten Schritt die wechselseitige Gewichtung der als Freiheitsstrafe und als Geldstrafe zu verhängenden Teile des schuldangemessenen Strafmaßes nach den Grundsätzen des § 46 StGB zu erfolgen.


Entscheidung

761. BGH 1 StR 403/19 - Beschluss vom 31. März 2020 (LG Hamburg)

Einziehung (erlangtes Etwas bei Verkürzung von Verbrauchssteuern); gewerbsmäßiger Schmuggel.

§ 73 Abs. 1 StGB; § 373 Abs. 1 AO

Die Annahme eines Vermögenszuwachses im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB setzt bei der Verkürzung von Verbrauchssteuern voraus, dass der Täter eine wirtschaftliche Zugriffs- und Verwertungsmöglichkeit hinsichtlich dieser Waren hat, über diese also wirtschaftlich (mit-)verfügen kann. Dies ist nicht der Fall, wenn er die Verfügungsmöglichkeit zwar zunächst erlangt, diese jedoch durch die Sicherstellung wieder verliert. Denn aufgrund der Sicherstellung ist ein (weiteres) Inverkehrbringen und eine wirtschaftliche Verwertung der – der Steuer unterliegenden – Waren, auf das für die Verbrauch- bzw. Warensteuern als Entstehungstatbestand allgemein abgestellt wird, ausgeschlossen.


Entscheidung

796. BGH 5 StR 188/20 - Beschluss vom 9. Juni 2020 (LG Dresden)

Einziehungsentscheidung als bestimmender Strafzumessungsgrund.

§ 74 StGB; § 46 StGB

Die Einziehung nach § 74 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe. Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, stellt dies einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt dar.


Entscheidung

816. BGH 2 StR 493/19 - Beschluss vom 6. Mai 2020 (LG Rostock)

Verminderte Schuldfähigkeit (Drogenabhängigkeit; Heroinabhängigkeit: bevorstehende Entzugserscheinungen).

§ 21 StGB

Da eine Drogenabhängigkeit als solche die Annahme verminderter Schuldfähigkeit nicht zu begründen vermag, sind auch deren generelle Merkmale wie der „Suchtdruck“ und das allgemeine Bestreben eines Drogenabhängigen, zur Vermeidung unangenehmer körperlicher Folgewirkungen ständig einen Betäubungsmittelvorrat bereit zu halten, insofern grundsätzlich ohne Bedeutung. Nach ständiger Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass bei Beschaffungstaten eines rauschgiftabhängigen Täters – insbesondere bei Heroinabhängigkeit – dessen Steuerungsfähigkeit ausnahmsweise erheblich vermindert sein kann, wenn er aus Angst vor nahen bevorstehenden Entzugserscheinungen handelt, die er schon in der Vergangenheit als äußerst unangenehm („intensivst“ oder „grausam“) erlitten hat. Ob dies im Einzelfall anzunehmen ist, ist eine Frage, die der Tatrichter zu treffen hat. Dabei ist insbesondere auf die konkrete Erscheinungsform der Sucht bei dem zu beurteilenden Täter abzustellen. Auch die Verlaufsform der Sucht und die suchtbedingte Einengung des Denk- und Vorstellungsvermögens sind in die notwendige Gesamtwürdigung des Zustands einzubeziehen.


Entscheidung

688. BGH 4 StR 570/19 - Beschluss vom 10. März 2020 (LG Darmstadt)

Beschränkung der Revision (ausnahmsweiser Ausschluss der isolierten Anfechtung der Sperrfristanordnung oder Fahrerlaubnisentziehung); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose); Urteilsgründe (Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen); Verbot der Schlechterstellung (Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus).

§ 69 Abs. 1 StGB; § 69a Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 344 Abs. 1 StPO

1. Eine isolierte Anfechtung der Sperrfristanordnung oder nur der Fahrerlaubnisentziehung scheidet aus, wenn die zum Freispruch und im Rahmen der Unterbringungsentscheidung nach § 63 StGB zum psychischen Zustand des Angeklagten sowie zur Gefährlichkeitsprognose getroffenen Feststellungen und Wertungen in einem untrennbaren Zusammenhang zu den Erwägungen, die den Entscheidungen nach § 69 Abs. 1, § 69a Abs. 1 StGB zugrunde liegen, stehen.

2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB begründet.

3. Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB begehen wird. Dabei ist die erforderliche Prognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Dass der Täter trotz bestehenden Defekts lange Zeit keine Straftaten begangen hat, ist dabei ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten.

4. Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO sind die für erwiesen erachteten Tatsachen anzugeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dabei muss erkennbar sein, durch welche bestimmten Tatsachen die gesetzlichen Merkmale die angeführten Tatbestände in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt sein sollen. Bleibt unklar, welchen Sachverhalt das Tatgericht seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt hat, liegt ein sachlicher Mangel des Urteils vor.

5. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Aufhebung auch des freisprechenden Teils des Urteils nicht; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen.


Entscheidung

686. BGH 4 StR 539/19 - Beschluss vom 20. Mai 2020 (LG Essen)

Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Verhältnis zwischen Verzicht des Angeklagten auf die Rückgabe verschiedener sichergestellter Vermögensgegenstände und Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen).

§ 73c Abs. 1 StGB

1. Der in der Hauptverhandlung erklärte Verzicht des Angeklagten auf die Rückgabe verschiedener sichergestellter Vermögensgegenstände steht der angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen nicht entgegen. Denn angesichts der ungewissen Werthaltigkeit der Gegenstände liegt es fern, dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft den Verzicht des Angeklagten an Erfüllungs- statt angenommen und damit den staatlichen Zahlungsanspruch aus § 73c StGB zum Erlöschen gebracht hat.

2. Ob der Angeklagte über die Vermögensgegenstände hinaus auch auf die Rückgabe des sichergestellten Bargelds verzichtet hat, ist ohne Bedeutung, da ein solcher Verzicht eine Einziehung gemäß § 73 Abs. 1 StGB nicht hindert.


Entscheidung

765. BGH 1 StR 510/18 - Beschluss vom 19. Dezember 2018 (LG Stuttgart)

Strafzumessung (Berücksichtigung ausländischer Verurteilungen).

§ 46 StGB

Dass eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung bei einer ausländischen Verurteilung nicht in Betracht kommt und auch ein Härteausgleich nicht gewährt wird, wenn kein Gerichtsstand in Deutschland gegeben wäre, hindert nicht, dass das Gesamtstrafübels als allgemeinen strafzumessungsrelevanten Aspekt berücksichtigt wird.


Entscheidung

713. BGH 4 StR 8/20 - Urteil vom 16. April 2020 (LG Landau)

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (tatrichterliches Ermessen; Berücksichtigung langjährigen Strafvollzugs; revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit).

§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF

1. Bei der Ausübung des Ermessens ist der Tatrichter „strikt an die Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes“ gebunden. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll er die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit kann der Tatrichter dem Ausnahmecharakter des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF Rechnung tragen, der sich daraus ergibt, dass Abs. 3 Satz 2 ? im Gegensatz zu Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 ? eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt.

2. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind. Es besteht freilich keine Vermutung dafür, dass langjährige Strafverbüßung zu einer Verhaltensänderung führen wird. Die Entscheidung des Tatrichters ist (wie jede Prognose) vom Revisionsgericht nur im begrenzten Umfang nachprüfbar.


Entscheidung

807. BGH 2 StR 65/20 - Beschluss vom 26. Mai 2020 (LG Kassel)

Reihenfolge der Vollstreckung (Entscheidung über die Anrechnung verbüßter Untersuchungshaft); Anrechnung der Untersuchungshaft (Anrechnung durch die Vollstreckungsbehörde: Ausnahme, wenn wegen der Dauer der erlittenen Untersuchungshaft kein Raum für einen Vorwegvollzug bleibt).

§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB; § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB

1. Grundsätzlich soll eine Entscheidung über die Anrechnung verbüßter Untersuchungshaft bei zeitigen Freiheitsstrafen über drei Jahren getroffen werden. Dass wegen der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung zwei getrennte Gesamtfreiheitsstrafen gebildet werden mussten, ändert daran nichts. Damit ist – anders als in Fällen der Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen aus verschiedenen Urteilen – die Vorschrift über die Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) auf beide Strafen anzuwenden, so dass auch die Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB für beide Strafen einheitlich gilt. Ebenso ist die erste ausgeurteilte Gesamtfreiheitsstrafe auch bei der durch § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB geregelten Bemessung des vor der Maßregel zu vollziehenden Teils der Strafe zu berücksichtigen.

2. Die Untersuchungshaft ist nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB durch die Vollstreckungsbehörde anzurechnen. Anders verhält es sich jedoch ausnahmsweise dann, wenn wegen der Dauer der erlittenen Untersuchungshaft kein Raum für einen Vorwegvollzug verbleibt und sich dieser mithin erledigt hat.


Entscheidung

810. BGH 2 StR 95/20 - Beschluss vom 28. April 2020 (LG Hanau)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (symptomatischer Zusammenhang; Prüfung, ob Therapiebereitschaft geweckt werden kann); die Folgen der Jugendstraftat (Rechtsfolgen einer fehlerhaften Ablehnung der Maßregelanordnung).

§ 64 StGB; § 5 Abs. 3 JGG

1. Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB kommt in Betracht, wenn es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, die der Täter im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückgeht. Dabei ist die erste Alternative nur ein Unterfall der zweiten, so dass diese den Oberbegriff darstellt. In beiden Fällen muss zwischen der Tat

und dem Hang ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert.

2. Dabei ist allerdings nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein solcher Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist. Es reicht bereits aus, wenn der Hang lediglich Einfluss auf die Qualität der bisherigen Straftaten bzw. auf die Intensität der Tatausführung hatte.

3. Bei einer Tatbegehung im Rausch liegt ein symptomatischer Zusammenhang nahe, wenn der Täter erheblich unter dem Einfluss desjenigen berauschenden Mittels stand, hinsichtlich dessen auch sein Hang besteht.

4. Das Tatgericht hat bei einer fehlenden Therapiewilligkeit zu prüfen, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann.

5. Die fehlerhafte Ablehnung der Maßregelanordnung zieht wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen nach sich; denn danach kann bei schuldhaft begangenen Straftaten von der an sich erforderlichen Verhängung von Jugendstrafe abgesehen werden, wenn sie als zusätzliche erzieherische Maßnahme neben der Maßregelanordnung nicht erforderlich ist.


Entscheidung

781. BGH 3 StR 443/19 - Beschluss vom 19. März 2020 (LG Bad Kreuznach)

Verminderung der Steuerungsfähigkeit und Alkoholkonsum (Berechnung er BAK; fehlende exakte Angaben zur Alkoholmenge; Schätzung; Berechnungsgrundlage; zweckrationales Verhalten; unauffällige Motorik).

§ 21 StGB

1. Von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration darf ein Tatgericht nicht schon dann absehen, wenn die Angaben des Angeklagten zum konsumierten Alkohol nicht exakt sind. Vielmehr ist eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration auf Grund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie die Bekundungen von Zeugen zwar keine sichere Berechnungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholkonsums ermöglichen.

2. Planmäßiges, zielstrebiges und folgerichtiges Verhalten eines Angeklagten hat in erster Linie Beweiswert für die Frage seiner Einsichtsfähigkeit; es steht jedoch einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit nicht von vorneherein entgegen. Ebenso wenig ist eine unauffällige Motorik beim Gehen und Bewegen in jedem Fall ohne weiteres geeignet, eine erhebliche Herabsetzung des Steuerungsvermögens zu Lasten des Angeklagten auszuschließen. Insbesondere der alkoholgewohnte Täter kann sich unter Umständen im Rausch noch motorisch kontrollieren und äußerlich geordnet verhalten, obwohl sein Hemmungsvermögen möglicherweise schon erheblich beeinträchtigt ist.


Entscheidung

715. BGH 4 StR 9/20 - Beschluss vom 26. Februar 2020 (LG Siegen)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Vorliegen eines Hangs: Feststellung eines prognoseungünstigen Gesichtspunkts).

§ 64 StGB

Ein bestimmter tatsächlicher Umstand kann nur dann als prognoseungünstiger Gesichtspunkt herangezogen werden, wenn sein Vorliegen rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt ist.


Entscheidung

682. BGH 4 StR 84/20 - Beschluss vom 5. Mai 2020 (LG Essen)

Grundsätze der Strafzumessung (gefühlsmäßige, nicht mehr an den gesetzlichen Strafzwecken orientierte Strafzumessung).

§ 46 StGB

Soweit die Strafkammer dem Angeklagten vorwirft, sich als „Richter und Henker in einer Person“ gebärdet zu haben und „der Rechtsordnung keinen Respekt“ entgegen zu bringen, lassen ihre Ausführungen besorgen, dass sie eine gefühlsmäßige, nicht mehr an den gesetzlichen Strafzwecken orientierte Strafzumessung vorgenommen hat.


Entscheidung

660. BGH 2 StR 134/19 - Beschluss vom 28. April 2020 (LG Hanau)

Tatmehrheit (Verhängung einer Gesamtstrafe: Unterlassene Prüfung eines Härteausgleichs wegen bereits vollstreckter Strafen).

§ 53 Abs. 2 Satz 2 StGB

Kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei etwaiger Vornahme eines Härteausgleichs wegen bereits vollstreckter Strafen eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, hat der Strafausspruch keinen Bestand.