HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2014
15. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Strafbarkeit beim Dealen mit dem Recht?
Über Lausbuben- und Staatsstreiche

Von VRiBGH Professor Dr. iur. utr. Thomas Fischer

Manfred Seebode [*] hat zu Fragen des Umgangs der Justiz mit den Regeln, die dieser zu ihrem eigenen Beruf gegeben sind, und mit deren materiell-strafrechtlicher Absicherung vom Beginn seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an[1] immer wieder Stellung genommen[2] und hier eine nicht selten unbequeme, aber stets eindeutige Haltung vertreten. Zugleich war er ein überaus genauer Kenner und kritischer Beobachter des Strafprozessrechts, der vielfach auf Fehlentwicklungen aufmerksam machte.[3] Der folgende Beitrag versucht, der Konsequenz, Widerborstigkeit und Unbestechlichkeit seiner Gedankenführung ein wenig gerecht zu werden – in dankbarer Erinnerung an manche Abendessen und schöne Gespräche im Leipziger "Ratskeller". Die Strafrechtswissenschaft und -praxis in Deutschland hat an seinem unabhängigen Geist viel verloren.

I. Einführung

Unterstellt sei die Geltung der folgenden Strafvorschrift:

§ 90c Propaganda gegen die Rechtspflege

(1) Wer als Richter oder sonst zur Entscheidung in rechtsförmigen Verfahren berufener Amtsträger öffentlich

1. gesetzliche Verfahren der Rechtspflege herabwürdigt, oder

2. staatliche Gerichte oder von diesen in rechtsförmigen Verfahren getroffene Entscheidungen als verachtenswert oder illegitim darstellt, oder

3. zur Missachtung rechtskräftiger Entscheidungen von Gerichten der in Nr. 2 genannten Art oder von gesetzlichen Verfahren der Rechtspflege auffordert

und es hierdurch unternimmt,

1. Entscheidungsverfahren staatlicher Gewalt einzuführen, die den Grundsätzen des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz widersprechen, oder

2. eine Verunsicherung der Bevölkerung über die Legitimität gesetzlich vorgesehener Entscheidungsverfahren herbeizuführen,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft.

(2) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird die Tat bestraft, wenn der Täter

1. Richter oder Amtsträger im Sinne von Absatz 1 öffentlich dazu auffordert, eine Entscheidung eines Obersten Gerichtshofs des Bundes nicht zu beachten, oder

2. Mitglied eines Verfassungsorgans der Bundesrepublik Deutschland ist, oder

3. eine Verunsicherung von erheblichem Gewicht verursacht.

(3) In minder schweren Fällen des Absatz 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe, in minder schweren Fällen des Absatz 2 Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

 

Dem Leser mögen sich insoweit Fragen stellen:

1.      Gibt es diese Vorschrift?

2.      Sehen Sie (verfassungsrechtliche) Hindernisse, sie anzuwenden?

3.      Kennen Sie subsumtionsgeeignete Fälle?

4.      Haben Sie Kenntnis von tatbestandsmäßigen Handlungen? Haben Sie oder Ihnen bekannte Personen sich an solchen Handlungen beteiligt? Wie würden Sie, wenn Sie einen Strafprozess wegen des Vorwurfs einer Tat nach dieser Vorschrift zu leiten hätten, sich zu einem gegen Sie erhobenen Befangenheitsantrag äußern?

Es gibt Gründe, solche Fragen nicht zu mögen. Denn sie sind möglicherweise "unernsthaft", weil sie die Würde des Richters[4] nicht respektieren und, subkutan, zu unterstellen scheinen, man sei nicht jederzeit vollständig orientiert über Recht und Unrecht, Erlaubtes und Unerlaubtes, Zulässiges und Grenzüberschreitendes. Sie führen vielleicht auf ein Glatteis, auf welchem behauptete und gepflegte Gewissheiten nicht gelten, und verbreiten hierdurch einen Hauch von Milgram-Experiment. Denn selbstverständlich möchte sich niemand "erwischen" lassen bei Unkenntnis, politischer Unkorrektheit oder einem anderen Ausrutscher. Hieraus folgt die fünfte Frage: Reicht dies vor den Anforderungen der Aufgabe?

II. Verunsicherungen

Überwiegend hat der Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB; bis 1998: § 336 StGB) im 20. Jahrhundert ein sehr beschauliches Dasein am Rande des Strafgesetzbuchs und des Interesses von Rechtspraxis und Rechtsgelehrten geführt. Nur zweimal wurde diese Ruhe erschüttert; beide Male in Folge der Beendigung eines staatlichen Systems: 1945 und 1990. Die Ergebnisse dieser Aufwallungen waren unterschiedlich: Im ersteren Fall hat die Justiz weitgehend versagt[5], nicht zuletzt deshalb, weil sie entweder selbst noch in (biografischen) Verbindungen mit der braunen Vergangenheit steckte oder über fortbestehende angebliche oder tatsächliche Abhängigkeiten von Wohlwollen, Karriere und "kollegialer" Höflichkeit mit weiter in Amt und Einfluss befindlichen früheren Repräsentanten jener Macht verbunden war. Im zweiten Fall hat 40 Jahre später die gesamtdeutsche Justiz, deren Leitungspositionen freilich ausnahmslos von Westdeutschen besetzt waren, sich dem Thema neu gestellt. Über den Mut derer, die vom Gegner nichts zu befürchten hatten, und die Folgen, die in diesem Fall nur andere trafen, mag man sich hinsichtlich seiner heroischen Anteile keine großen Illusionen machen; in der Sache wird man aber nicht bestreiten können, dass Unrechtsurteile der DDR-Justiz – auch wenn gewichtige Unterschiede nicht übersehen werden können[6] – gleichermaßen strafwürdig waren wie solche des NS-Staats.[7] Trotz manch gekünstelter Aufregung über angebliche "Siegerjustiz" ist am Ende die Zahl derjenigen Justizangehörigen, die wegen in der DDR justizförmig begangener Straftaten verurteilt oder auch nur ernstlich strafverfolgt wurden, sehr klein geblieben.[8]

Mit dem verjährungsbedingten[9] "Abschluss" der DDR-Rechtsbeugung hat sich über den Tatbestand des § 339 StGB – samt seiner im Schleppnetz der so genannten "Sperrwirkung" mitgeführten Anhängsel – wieder jene Ruhe gelegt, die das langfristige Wachsen von Dissertationen anhand über Jahrzehnte "aktuell" bleibender Einzelfälle erlaubt. Zwar gibt es immer einmal wieder – mehr oder minder spektakuläre – Einzelfälle.[10] Sie zeichnen sich meist dadurch aus, dass die beschuldigten Richter in skurriler oder irgendwie sonst zur Ausgrenzung[11] geeigneter Weise[12] aufgrund problematischer Persönlichkeitsstrukturen, zur "Arbeitserleichterung" oder Ver-

schleierung fehlerhafter Arbeitsweise[13] oder unter Anmaßung offenkundig fehlender Zuständigkeit[14] eklatante Verfahrensfehler begehen. Systematische, flächendeckende Rechtsbeugung aber kommt nach allgemeiner Ansicht in Deutschland nicht mehr vor; wir betrachten insoweit sorgenvoll die so genannten Zustände in der Justiz vieler anderer Länder, selbst innerhalb der Europäischen Union.

Zugleich mit dieser Beruhigung hat sich freilich unter der Hand das ganze System stark verschoben, und eine erhebliche untergründige Unruhe hat die Strafjustiz erfasst. Dies ist das Resultat der seit den 80er Jahren um sich greifenden und 1982 erstmals öffentlich problematisierten[15] Absprache-Praxis, einer neben dem und gegen das Gesetz entwickelten, mehr oder minder "privaten", jedenfalls informellen Form des Strafverfahrens, welche die Unzulänglichkeiten und manche Schwierigkeiten des gesetzlichen Verfahrens vermeiden oder ausgleichen soll. Schon früh ist erwogen worden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beteiligten an solchen informellen Absprachen sich selbst strafbar machen könnten.[16] Praktische Auswirkungen hat dies, soweit ersichtlich, nicht gehabt. Aufgrund der so genannten "Sperrwirkung", welche der Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) auch für die Strafbarkeit tauglicher Täter wegen anderer, mit der Handlung in Zusammenhang stehender Delikte (z.B. § 258a, § 239; § 240 StGB) nach herrschender Meinung hat, sind es vor allem die notorisch als außerordentlich hoch angesehenen Hürden dieses Tatbestands, welche eine ernstliche Befassung von Strafverfolgungsbehörden mit Usancen des Deals im Strafprozess dauerhaft verhinderten. So galt namentlich das (subjektive) Element eines "bewussten gravierenden Rechtsverstoßes"[17] als zweifelhaft und "schwer beweisbar"[18]. Dies gewann dadurch besonderes Gewicht, dass die Rechtslage hinsichtlich der Absprachepraxis vielfach als "unklar" angesehen und beschrieben wurde.[19] Man mag das, jedenfalls für die Zeit nach der Leitentscheidung des 4. Strafsenats des BGH[20] und jedenfalls für gravierende, ersichtlich unvertretbare Entscheidungen oder Verfahrensweisen, anders beurteilen[21]. Jedenfalls war seit nunmehr 30 Jahren eine breite Diskussion in der juristischen und auch außerjuristischen Öffentlichkeit zugänglich und geläufig[22]; Fragen nach einer möglichen Strafbarkeit der Beteiligung an ungesetzlichen Absprachen sind also keineswegs neu.

1. Grundsatz

Wenn man den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) von Nebeln befreit, welche ihn – zu Unrecht – umgeben, handelt es sich um eine – jedenfalls für "Voll-Juristen"[23] – relativ übersichtliche, einfach strukturierte und daher in der Anwendung nicht komplizierte Vorschrift: Eine Person, die in einem rechtsförmigen, auf Ausgleich oder Entscheidung zwischen Parteien (im weiteren Sinn) gerichteten Verfahren von Amts wegen berufen ist, Entscheidungen für oder gegen Dritte zu treffen, macht sich strafbar, wenn sie bei der Leitung oder bei der Entscheidung einer Rechtssache[24] Rechtsregeln vorsätzlich falsch anwendet und hierdurch eine Partei benachteiligt oder begünstigt. Auch in seiner Anwendung auf den Strafprozess ist das im Grundsatz unstreitig.[25] Ein Richter[26], der einen Strafprozess zu leiten (Vorsitzender) und/oder zu entscheiden (alle Mitglieder eines Spruchkörpers) hat, macht sich der Rechtsbeugung schuldig, wenn er vorsätzlich materielles oder formelles Recht falsch anwendet und dadurch eine "Partei" (Beschuldigter; Staatsanwaltschaft; Nebenkläger; Verfalls- oder Einziehungsbeteiligter) benachteiligt oder begünstigt.[27] Auch Verstöße gegen Verfahrensregeln können den objektiven Tatbestand erfüllen, unabhängig davon, ob die schließ-

lich getroffene Entscheidung materiell "richtig" ist, also auch ohne den Verstoß erlassen worden wäre.[28] Denn es kommt nicht darauf an, ob eine "Partei" im Ergebnis tatsächlich benachteiligt oder bevorzugt wurde, sondern ob durch den Rechtsverstoß die naheliegende Gefahr eines solchen Ergebnisses begründet wurde.

Die scheinbare Schlichtheit des Tatbestands löst sich freilich desto mehr auf, je näher man seiner praktischen Anwendung kommt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat mit dem aus dem "Gesamtzusammenhang" abgeleiteten Erfordernis eines "bewussten schweren Rechtsbruchs"[29] eine hohe – und zugleich "flexible" – Hürde vor der Tatbestandsverwirklichung aufgebaut. Danach soll etwa selbst die "bloße Unvertretbarkeit" einer Rechtsanwendung, selbst wenn sie direkt vorsätzlich geschieht, nicht ausreichen[30]; vorausgesetzt ist vielmehr ein "bewusster elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege"[31]. Was dies sein könnte, obgleich doch § 339 StGB – anders als § 244 StGB-DDR – nicht direkten Vorsatz verlangt, sondern bedingten Vorsatz ausreichen lässt[32], gilt als "unklar". Was mag dies bedeuten? Bedingter Vorsatz – also nach ständiger Rechtsprechung das "Billigende Inkaufnehmen" des Erfolgseintritts bei Erkenntnis von dessen Möglichkeit[33] - scheint zunächst schwer vereinbar mit dem zugleich postulierten Erfordernis eines "bewussten" Verstoßes gegen Recht und Gesetz. Bei näherem Hinsehen besteht kein Widerspruch: Die "Bewusstheit" des elementaren Rechtsverstoßes bezieht sich auf die Vorstellung des Täters von der Schwere des für möglich gehaltenen Verstoßes; der (bedingte) Vorsatz bezieht sich auf das (bloße) Vorliegen des Verstoßes selbst. Daher ist der Tatbestand der Rechtsbeugung beispielsweise erfüllt, wenn der Täter zwar nicht sicher ist, aber für möglich hält, dass es gesetzlich verboten sei, wegen des Vorwurfs eines Verbrechens auch ohne Mitwirkung eines Strafverteidigers zu verhandeln (vgl. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO), zugleich aber sicher ist, dass es sich dabei um eine fundamentale Frage der Verfahrensordnung handelt.

Anders gesagt: Vereinbar sind beide Anforderungen nur (aber stets), wenn sich der Tatvorsatz im engeren Sinn auf die positive Rechtslage, das "Rechtsbeugungsbewusstsein" hingegen auf die Bedeutung des – angenommenen oder für möglich gehaltenen – Rechtsverstoßes beziehen, wie es nun auch der BGH in der Entscheidung 2 StR 479/13 vom 22. Januar 2014 annimmt. Unterscheidet man in dieser Weise, so mögen zwar immer noch Unklarheiten und problematische Bereich bleiben, namentlich dort, wo es sich um eine Verletzung verfassungs-unmittelbarer Rechte handelt. Aber man wird doch behaupten dürfen, dass der Tatbestand weder unüberschaubar noch gar in seiner Anwendung unvorhersehbar ist.

Beispielhaft: Wer als Direktor eines Amtsgerichts meint, entgegen dem gerichtlichen Vertretungsplan an Wochenenden für alle Eilentscheidungen aller Gerichtsbarkeiten zuständig zu sein, irrt. Wenn er diesen Irrtum für möglich hält und gleichwohl eine einstweilige Anordnung nach der VwGO erlässt, handelt er mit bedingtem Vorsatz. Wenn die Anordnung von der eigenen Tochter beantragt wurde, ist der Verstoß gegen das Verbot willkürlicher Annahme eigener Zuständigkeit offenkundig; zugleich ist klar, dass die (Ausschluss)Norm der Befangenheit, welche den Richter zwingend von jeder Entscheidung ausschließt, ein "elementares" Rechtsprinzip beinhaltet, dessen Kenntnis durch einen Direktor des Amtsgerichts nicht zweifelhaft sein kann.[34]

2. Phasen von Rechts-Unsicherheit

Wie auch immer weit oder eng man den Tatbestand der Rechtsbeugung auslegen mag, ist für eine Vollendung nach Rechtsprechung und herrschender Lehre stets erforderlich, dass Rechtsregeln objektiv falsch angewandt werden.[35] Dies impliziert, dass solche Regeln existieren und einen Inhalt haben, der eine Unterscheidung "richtiger" und "falscher" Anwendung überhaupt erlaubt. Wo Regeln sich in vage "Gebräuche", unverbindliche Anregungen oder undefinierte Möglichkeiten auflösen, kommt Rechtsbeugung nicht in Betracht: Ein allgemeines Verbrechen der "Ungerechtigkeit" gibt es nicht.[36] Hiervon ausgehend mag man folgende Phasen unterscheiden:

1.      Ungeregelte Entwicklung und Ausbreitung des Deal-Verfahrens

2.      Deal-Verfahren unter höchstrichterlicher Beobachtung

3.      Deal-Verfahren zwischen Großem Senat und Absprache-Gesetz

4.      Verfahren unter Geltung des Absprache-Gesetzes

5.      Deal-Verfahren nach der Entscheidung des BVerfG vom 19.5.2013

Zu 1)

Es bestehen nur wenig Zweifel daran, dass die Entwicklung und Praktizierung einer Verfahrens-Ordnung, die sich explizit und in ihrem Kern gegen das geschriebene Recht wendete, weil sie es für "ungeeignet", zu langsam, zu unflexibel oder zu anstrengend hält, jedenfalls im Grundsatz geeignet war, den Tatbestand der Rechtbeugung zu erfüllen. Die Richter der Bundesrepublik

Deutschland sind zwar "an Recht", zunächst aber "an Gesetz" gebunden[37]; und dass die geltende Strafprozessordnung wegen der Schwierigkeiten oder einer übermäßigen Inanspruchnahme des Beweisantragsrechts[38], dem massenhaften missbräuchlichen Verhalten von Strafverteidigern oder der Kompliziertheit von Wirtschaftsstrafverfahren bereits die Grenze zu einer Willkürordnung überschritten habe, gegen welche nur mehr Widerstand in Form eines richterlich generierten Abspracherechts helfen könne, behaupten selbst die überzeugtesten Vertreter einer Informalisierung nicht.

Daher waren, wie etwa Schlothauer im Einzelnen überzeugend dargelegt hat[39], die unter der Hand sich ausbreitenden Verfahrensabsprachen zumindest objektiv überaus geeignet, das Recht zu beugen. Dies ist offenkundig, soweit es die Außerachtlassung von Förmlichkeiten des Verfahrens betrifft, die nicht disponibel sind (vgl. § 261 StPO). Es gilt aber selbstverständlich erst Recht für die Anforderung eines substanziellen materiell-rechtlichen "Rechtsbruchs": Einen Angeklagten wegen des Grunddelikts zu verurteilen und die angeklagte Qualifikation für "unbeweisbar" zu halten, wenn er im Gegenzug verspricht, kein Rechtsmittel einzulegen, verstößt in einem solchen Maß gegen Essentialia des Schuldstrafrechts, dass ein "bewusster schwerer Verstoß" gegen die Rechtsordnung nicht ernstlich zweifelhaft sein kann.

So bleibt die Frage nach den Anforderungen an den subjektiven Tatbestand und seine Feststellung. Die Tatbestandsvollendung der Rechtsbeugung setzt weder Absicht noch auch nur direkten Vorsatz voraus; bedingter Vorsatz reicht nach allgemeiner Ansicht.[40] Dieser weiten subjektiven Fassung des Tatbestands wird freilich seit jeher das Erfordernis des "bewussten Rechtsverstoßes", des "Bewusstseins, elementare Rechtsgrundsätze zu verletzen", zur Seite gestellt.[41] Das verleitet dazu, die Anforderung bedingten Vorsatzes als quasi vorgeschobene, "nur" (!) rechts-technisch (!) bedingte Anforderung anzusehen, als beruhe die Tatbestandsfassung des § 339 auf einer Art Fassungsversehen und als sei die allgemeine Regel, wonach, wenn die Vorsatzform des Tatbestands offen ist, bedingter Vorsatz ausreicht, hier aufgehoben durch eine Alltagsregel, wonach man es "nicht übertreiben" solle mit der Genauigkeit.

Ihre Grundlage findet diese Ansicht in der Behauptung, eine zu enge Reglementierung der Rechtsbeugung könne am Ende dazu führen, dass "die Entscheidungsfreude" der Richter eingeschränkt werde[42]; und wegen der Schwere der Rechtsfolge (Verbrechensstrafe; regelmäßige Entfernung aus dem Dienst; vgl. § 24 Nr. 1 DRiG) müsse die Anwendung des Tatbestands auf "gravierende" Fälle "elementarer Verstöße" beschränkt werden.[43]

Diese Ansicht ist zunächst insoweit überraschend, als sie einen Verhältnismäßigkeits-Gesichtspunkt in den (objektiven) Tatbestand einbringt, der sich aus dem Gesetzeswortlaut – etwa durch eine Regelung "minder schwerer Fälle" – nicht ergibt und anderen Straftätern regelmäßig nicht zur Verfügung steht: Niemand erwägt etwa, den Raub oder die sexuelle Nötigung nur dann für tatbestandsmäßig zu halten, wenn die Rechtsgutverletzung "elementar" ist (was man bei geringwertigen Raubobjekten und flüchtigen sexuellen Handlungen bestreiten könnte).

Auch der Gedanke des Schutzes von "Entscheidungsfreude" und Unabhängigkeit des Richters erscheint wenig überzeugend[44]: Ob ein Richter "Freude" daran hat, einmal etwas Neues zu entscheiden, also das Recht in neuer Weise auszulegen, hergebrachte Auffassungen in Frage zu stellen usw., ist für den Tatbestand der Rechtsbeugung belanglos. Weder könnten "Freude" an oder "Mut" zu neuen Rechtsansichten den Tatbestand erfüllen, noch kann umgekehrt die Existenz des Tatbestands solchen Mut beschränken. Wer meint, Mietvertragsklauseln, wonach der Mieter die Schönheitsreparaturen zu übernehmen habe, seien stets sittenwidrig, irrt vielleicht, freut sich vielleicht und hat vielleicht Mut. Aber er begeht keine (versuchte) Rechtsbeugung, wenn und solange er nicht meint, seine Entscheidung sei (möglicherweise) gesetzeswidrig, etwa weil sie dem Grundprinzip der Vertragsautonomie oder dem Inhalt der Eigentumsgarantie widerspreche. Nimmt er dies an oder hält er es für jedenfalls möglich, so hilft ihm aller "gute Wille" nicht: Die bloße Absicht, für "Gerechtigkeit" in einer ungerechten Welt zu sorgen, schließt den Rechtsbeugungsvorsatz nicht aus.[45]

Selbst wenn die Anforderung stimmte – was hier im Ergebnis dahinstehen mag –, wäre doch die Schlussfolgerung unzutreffend, dass sich "bewusste elementare Rechtsverletzung" und bedingter Vorsatz unvereinbar gegenüber stehen; vielmehr ergibt sich das überschaubare Spannungsfeld aus dem Kern des Tatbestands selbst. Kreativität, Rechtsfortbildung, Subsumtionsspielräume stehen außer Zweifel und sind vom Rechtsbeugungstatbestand nicht bedroht. Auch aus der Freiheit von Richtern, sich im Rahmen wissenschaftlicher Betätigung kritisch zur Gesetzeslage oder zur – gegebenenfalls auch eigenen – Rechtsprechung zu äußern sowie entsprechende Vorschläge zu machen, kann selbstverständlich nicht ein Rechtsbeugungs-Vorsatz hinsichtlich solcher Entscheidungen konstruiert werden, die – nach nicht gesetz- oder verfassungswidrigen Regeln – von einem Richter auf der Grundlage der von ihm kritisierten Auffassung getroffen werden.[46] Ermessensfehler oder rechtsirrige Ent-

scheidungen sind vom Tatbestand nicht berührt. Hinsichtlich rechtsblinder "Überzeugungen" gelten freilich die allgemeinen Regeln: Die bloße subjektive Gewissheit, ein aus übergeordneten Gründen "richtiges" Ergebnis anzustreben, nützt dem Richter nichts, wenn er weiß oder in Kauf nimmt, dabei geltendes und im Einzelfall zwingendes Recht zu brechen.

Zu 2)

Der BGH hat sich für die Absprache-Praxis, die seine Tätigkeit und gesetzliche Aufgabe offenkundig von innen aushöhlte, jahrelang kaum interessiert, sondern sie als Randproblem einer angeblich fernen "Tatrichter"-Welt verniedlicht oder ignoriert. Wenn Revisionsrecht betroffen war, hat er sich distanziert; soweit Verfahrensrügen aus den Strudeln des ungeregelten Absprache-Verfahrens ihren Weg in die Revisionen fanden, prallten sie in der größten Anzahl der Fälle an der Oberfläche des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ab; nur sehr selten gelangten Rügen, vor allem im Wege eines Verstoßes gegen das Fair-Trial-Prinzip, in ausdifferenzierte Begründungen oder gar zum Erfolg.

Dies änderte sich mit der Entscheidung des 4. Strafsenats vom 28.8.1997.[47] Hier wurden erstmals "allgemeine Regeln" für ein Verfahren aufgestellt, das es nach den Grundsätzen des Rechtsstaatsprinzips eigentlich gar nicht gab.[48] Der Senat wurde dabei, ohne dies ausdrücklich zu bekunden[49], gesetzgebungs-vertretend tätig. Dass dies (noch) eine Grundlage in den Kompetenzen des Obersten Gerichtshofs fand, konnte bestritten werden. Es hätte nahe gelegen, die gesetzesvertretende Konzeption eines Verfahrens, das in einem Kernbereich staatlicher Gewalt positivrechtlich geregelte Grundätze, die seit 120 Jahren als unumstößlich galten, schlichtweg über den Haufen warf, auf eine breitere Legitimationsgrundlage zu stellen, als sie eine – mehr oder minder zufällige – Besetzung eines einzelnen BGH-Senats jemals bieten könnte. Illegitim war der Versuch des 4. Strafsenats freilich nicht: Kein anderer Senat hatte Gegenteiliges entschieden; die grundsätzliche Notwendigkeit eines – wie auch immer ausgestalteten – Abspracheverfahrens galt im Jahr 1997 bereits als "herrschende Meinung" – warum und mit welcher Berechtigung auch immer.

Aus heutiger Sicht mag man sagen: Der 4. Strafsenat hat sich – mindestens – überhoben. Er hatte nur ein schwaches Mandat und keine breite Kompetenz zur Erfindung eines gesetzlich ungeregelten Strafverfahrens neben dem gesetzlich geregelten. Anders ist es, soweit die Entscheidung unklare Fragen zu klären, unsichere Revisionsgründe zu präzisieren versucht hat. Unter den Voraussetzungen des Jahres 1997 hat der 4. Strafsenat auf die unerhörte, bis dahin einmalige Herausforderung durch die Absprachepraxis angemessen reagiert. Seine Vorgehensweise führte zwar dazu, dass andere Strafsenate, die einem Abspracheverfahren im (rechtpolitischen) Grundsatz entweder kritischer oder befürwortender gegenüber standen als dieser Senat, alsbald distanzierende Entscheidungen oder obiter dicta produzierten. Gleichwohl wird man sagen können, dass im Anschluss an BGHSt 43, 195 sich in der Rechtsprechung aller Strafsenate des BGH eine Linie durchgesetzt hat, wonach jedenfalls eine ungeregelte informelle Absprache, durchgeführt in einem "freien Spiel der Kräfte" nach Maßgabe von örtlichen oder regionalen Usancen, Vorlieben, Durchsetzungsstärken sowie persönlichen "Gerechtigkeits"-Vorstellungen, keinen Bestand haben konnten.

Gegen diese insoweit übereinstimmende Rechtsauslegung des obersten Gerichtshofs ist in der Praxis der Land- und Amtsgerichte in der Folge massenhaft, bewusst und mit teilweise geradezu demonstrativem Impetus verstoßen worden.[50] Besorgniserregend war hierbei, dass sich unter den Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidigern Deutschlands scheinbar mühelos eine Mehrheit darstellen oder widerspruchslos behaupten ließ, die zum einen die – unstreitig – geltenden Regelungen der Strafprozessordnung für "überholt", unangemessen und inadäquat, zum anderen die Entwicklung eines alternativen Deal-Verfahrens nach Maßgabe praktischer Bedürfnisse für problemlos und schließlich die Mahnungen und "Vorgaben" des Obersten Gerichtshofs für weithin belanglose Störungsversuche einer "praxisfernen" Minderheit hielt.[51]

Das Phänomen dieser geradezu eruptiven Auflehnung einer sich als "die Praxis"[52] begreifenden jedenfalls großen Zahl von Richtern und Staatsanwälten gegen die Rechtslage und die höchstrichterliche Rechtsprechung ist

in seiner ganzen Bedeutung bislang nicht hinreichend gesehen und gewürdigt worden. Erhebliche Bedeutung kam dabei insbesondere dem Umstand zu, dass Empörung und Widerstand öffentlich geäußert wurden.[53] Ersichtlich bestand nicht die Furcht, wegen solcher oder ähnlicher Äußerungen oder allgemeinen Absichts-Erklärungen, sich an die Vorgaben des BGH keinesfalls halten zu wollen[54], dienstrechtlich oder gar strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies konnte schon deshalb ausgeschlossen erscheinen, weil auch Richter von oberen und Obersten Gerichten die "praktische Unabdingbarkeit" der Absprachen postulierten und den "Vorgaben" offen kritisch gegenüber standen.

So trat ein in der Geschichte der Bundesrepublik wohl einmaliger Zustand ein, der durchaus geeignet war, an "Weimarer Zustände" zu erinnern: Ein erheblicher, wenn nicht gar der überwiegende Teil der Strafjustiz judizierte nach Regeln, die fernab jeder gesetzlichen Grundlage waren, gelegentlich sogar von Landgericht zu Landgericht oder innerhalb eines Gerichts differierten, und erklärte bei jeder Gelegenheit lauthals, dies werde man sich weder durch Eingriffe des Gesetzgebers noch gar durch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs verbieten lassen – eine sich in der Selbstgewissheit einer angeblich "schweigenden Mehrheit" gegen "die da oben" wähnende Woge des Zorns in Gestalt nach Besoldungsgruppen R 1 und R 2 bezahlter Richter auf Lebenszeit, die allesamt geschworen hatten, stets und immerdar "getreu dem Gesetz" zu handeln (Art. 38 Abs. 1 DRiG).

Darf man das Staatsstreich oder Umsturz nennen? Vermutlich nicht. Denn selbstverständlich wurde ja nicht etwa bestritten, dass die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG), und niemand wollte diese Ordnung beseitigen (Art. 20 Abs. 4 GG). Deshalb hat auch niemand erwogen, Richter, die auf Versammlungen dazu aufriefen, weder das Gesetz (z. B. § 261 StPO; § 169 GVG) noch höchstrichterliche Entscheidungen dazu zu beachten, wo diese dem alles überragenden Willen zum Deal widersprachen, etwa wegen Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) zu verfolgen. Zwar setzt dieser Tatbestand nach h. M. nicht voraus, dass die rechtswidrige Tat, zu welcher aufgefordert wird, als solche erkannt wird; daher wird es insoweit schwierig, mit der "bloßen Überzeugung, das ‚Richtige‘ zu tun"[55] zu argumentieren.

Aber niemand kam offenbar auf den Gedanken, eine Mehrheit deutscher Strafrichter halte es (subjektiv) für einen "elementaren Rechtsverstoß", sich im Richterzimmer in Abwesenheit der zuständigen Schöffen, des Angeklagten und des Nebenklägers mit Staatsanwalt und Verteidiger darauf zu einigen, dass der wegen gewerbsmäßigen Betrugs oder schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagte Beschuldigte im Gegenzug gegen eine kurze "Bestätigung der Anklage", den Verzicht auf jede Beweisaufnahme sowie einen sofortigen Rechtsmittelverzicht eine zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe erhalte, andernfalls unter drei Jahren nichts zu machen sei? Freilich hätte man wohl einräumen müssen, dass weder das Gesetz – hier: die §§ 243 StPO – noch ein anerkanntes Gewohnheitsrecht noch eine ihrerseits verfassungsgemäße Rechtsfortbildung eine Rechtsgrundlage für ein derartiges "Verfahren" hergaben. Das gilt selbst dann, wenn "das Grundgesetz einen engen Gesetzespositivismus ablehnt" und dem Richter "eine schöpferische Rechtsfindung … nicht verwehrt".[56] Denn in der Entscheidung, schlicht das Gegenteil dessen zu machen, was im Gesetz steht, dürfte das "schöpferische" Element wohl doch ein von Art. 20 Abs. 3 GG nicht gedecktes Gewicht erlangen. "Ändern sich die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, so folgt (…) die Zulässigkeit einer richterrechtlichen Anpassung des Rechts an diese Bedürfnisse"[57] – ganz so einfach dürfte es denn doch nicht sein. Gleichwohl wurde und wird bis heute die Frage nicht gestellt, ob sich hier ein erheblicher Teil der Justiz "in bewusster und schwerwiegender Weise" von den rechtlichen Grundlagen löste, auf welchen seine Tätigkeit beruhte. Allein dieser Komplettausfall ist schon ein veritabler Skandal.

Dogmatisch kann man das Schweigen der Justiz zu ihrem eigenen systematischen Rechtsbruch allenfalls so einfangen, dass – auch angesichts des Umstands, dass es sich um eine Massenbewegung handelte – der einzelne möglicherweise "das Gesetz", keinesfalls aber "das Recht" brechen wollte: 5000 deutsche Richter können (vielleicht; in dubio) nicht irren.[58] Die Erkenntnis der ständigen Rechtsprechung, wonach es für § 339 nicht darauf ankommt, ab der Täter der Überzeugung ist, "das Richtige" zu tun, trat auf diese Weise hinter die pure Begeisterung für die neue "Praxis" zurück.[59]

So ist es nur ein ganz kleiner Staatsstreich geblieben: Ein Staats-Streichlein, begangen von gutwilligen, aber ein bisschen gereizten Lausbuben, denen man dies angesichts der desolaten Lage der Strafjustiz nicht wirklich verübeln wollte. Sie wurden im Übrigen unterstützt von der großen Mehrheit der Strafverteidiger in Deutschland, die – immer als Organe der Rechtspflege und Verteidiger aller rechtsstaatlichen Verfahrensgrundlagen – die Dealkultur geißelten, wo sie die Macht des Gerichts stärkte,

und bedenkenlos vorantrieben, wo sie ihnen eigene Machtpositionen versprach.[60]

Den einleitend zitierten Tatbestand gibt es nicht. Gäbe es ihn, so würden wir ihn vermutlich anwenden; verfassungswidrig wäre er wohl nicht. Und in den Strafzumessungen der danach ausgesprochenen Verurteilungen würden – lege artis gem. § 46 StGB – die Grobheit und der Böse Wille der Tat, die Rechtsblindheit und Eigensucht des Täters, seine herausgehobene Stellung sowie Maß und Auswirkung der Verbreitung gegeißelt und gewogen.

Zu 3)

Das vorstehend Ausgeführte gilt im Grundsatz gleichermaßen für die Zeit nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 3.3.2005[61]. Allerdings sind zwei Einschränkungen vorzunehmen:

Zum einen konnte das Absprache-Verfahren nach dieser Entscheidung nicht mehr ernstlich als "ungeregelt" angesehen werden. Mit der Autorität des höchsten Gremiums eines Obersten Gerichtshofs hatte der Große Senat ausdrücklich entschieden, er halte die Einführung und Geltung einer "Absprache-Ordnung" nicht allein "für zulässig und für vereinbar mit der geltenden Strafprozessordnung"[62], sondern auch für zwingend erforderlich: "Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn sichergestellt ist, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (BVerfG – Kammer – NJW 1987, 2662). Diesen Anforderungen könnten die Organe der Strafjustiz unter den gegebenen – rechtlichen wie tatsächlichen – Bedingungen der Strafrechtspflege ohne die Zulassung von Urteilsabsprachen durch richterrechtliche Rechtsfortbildung nicht mehr gerecht werden.[63] Es handelte sich bei der Rechtsfortbildung (durch Erfindung einer neuen Verfahrensordnung) somit um eine Maßnahme des "Staatsnotstands", der im Sinn-Zusammenhang mit einem Ausnahmezustand steht. Dass es mit dem geschriebenen Recht so weit gekommen war, war vermutlich selbst denen neu, denen seine "Fortbildung" am Herzen lag.

Zu Einzelheiten aus der Zeit vor der Entscheidung vom 3.3.2005 hat sich der Große Senat nicht geäußert; daher blieb auch offen, ob die mit Recht und Gesetz vereinbare Rechtsfortbildung nun eigentlich erst mit dieser Entscheidung Platz griff oder bereits 1982 im Aufsatz von Detlev Deal wirkte[64]. Die Rechtsquellen-Lehre spricht dagegen, eine hier und da, von Bezirk zu Bezirk verschiedene und selbst an einzelnen Gerichten höchst unterschiedlich interpretierte Meinung, irgendetwas am Gesetz sei nicht in Ordnung und müsse sich ändern, sowie das individuelle Judizieren nach solchen Meinungen als gesetzesgleich legitimierende "Rechtsfortbildung" anzusehen. Dies hätte dem Großen Senat Anlass geben können, den Rechtszustand vor seiner – oder jedenfalls vor der Entscheidung des 4. Strafsenats – zu charakterisieren und von der gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung begrifflich abzugrenzen. Denn wenn es der höchstrichterlichen Rechtsfortbildung bedurfte, um die Zulässigkeit der Absprache zu regeln, konnte er nicht zugleich schon immer zulässig gewesen sein.

In der Berufung auf eine Notstandslage ("… können den Anforderungen nicht mehr gerecht werden") liegt zweierlei: Ein wahrer Kern und eine maßlose Übertreibung. Nähme man allein die Beschreibung des Großen Senats, so träte vor allem Letzteres hervor: "Knappe Ressourcen", Beschleunigungsgrundsatz; Opfer- und Zeugenschutz; dazu noch ein wenig Veränderung in der "Kultur der Strafverteidigung" – von Staatsnotstand keine Spur. Wenn das ausreichen sollte, um Richtern ein Judizieren nach Lust + Laune und den selbst erfundenen Regeln eines Privatverfahrens zu gestatten, wären wir wieder im Wilden Westen gelandet.

Ein wahrer Kern zeigt sich, wenn man die "Berichte aus der Praxis" zur Kenntnis nimmt, die von Richtern und Staatsanwälten, aber auch von Strafverteidigern in großer Zahl geboten werden. Es lässt sich schwerlich bestreiten, dass eine über Jahrzehnte andauernde Vernachlässigung der Justiz im Zusammenspiel mit der offensichtlichen Unfähigkeit oder Unwilligkeit "des Gesetzgebers", eine Fortentwicklung der Verfahrensordnung zu konzipieren und durchzusetzen, welche die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten eines vollständig dysfunktionalen, desaströsen Scheiterns aller Bemühungen um ein glaubwürdiges Strafverfahren verringert, zu einer Lage geführt hat, in welcher der einzelne Richter allzu oft an die Grenze seiner Möglichkeiten stoßen kann. Der "Notstand" ist also, als subjektive Wahrnehmung eigener Ohnmacht, kein Hirngespinst. Wer etwa über Jahre hinweg immer wieder die Erfahrung macht, dass ernsthafte, mit gutem Willen und ohne Voreingenommenheit geführte Strafverfahren sich in alberne Spektakel verwandeln, in denen mit großen Worten ausschließlich darum noch "gekämpft" wird, ob oder ob nicht es dem Gericht wohl gelingen wird, das Verfahren überhaupt – irgendwie, irgendwann und mit einem fast beliebigen Ergebnis – noch zu Ende zu bringen, wird einen Ausweg suchen. Das kann man kaum "Rechtsfortbildung" nennen; aber man wird es als eine ihrer faktischen Wurzeln anerkennen müssen.

Wie auch immer: Nach dem 3.3.2005 war die Absprache jedenfalls in einem Maß geregelt, welches die allgemeine Zulässigkeit eines Abspracheverfahrens als gesichert unterstellte.

Zum anderen aber war mit diesem Zuwachs an Rechtssicherheit "nach unten" zugleich eine Begrenzungs-Sicherheit "nach oben" eingetreten: Nachdem der große Senat ausdrücklich entschieden hatte, dass die Erörterung eines Rechtsmittelverzichts sowie das Hinwirken darauf im Abspracheverfahren unzulässig und rechtswid-

rig seien[65], konnte diese Grenze rechtlicher Zulässigkeit nicht mehr zweifelhaft sein. Ebenso wenig konnte aber zweifelhaft sein, dass eine Missachtung dieser Grenze ein "elementarer Rechtsbruch" im Sinn des § 339 StGB war: der Große Senat hatte drei Seiten lang[66] dargestellt, welch grundlegende Bedeutung die vollständige Freiheit der Entscheidung über eine Rechtsmitteleinlegung und daher auch ein sofortiger Rechtsmittelverzicht für die Rechtsstaatlichkeit und Fairness des Strafverfahrens insgesamt haben. Kein Richter – auch wenn er noch so sehr meinte "das Richtige" zu tun – konnte danach ernstlich daran zweifeln, dass Mit- und Hinwirkungen der genannten Art verboten, rechtswidrig und schwere Verstöße gegen Grundlagen des Strafprozessrechts waren.

Erneut geschah jedoch das Unvorstellbare: Denjenigen Richtern und Staatsanwälten, denen es vor der Entscheidung des Großen Senats gleichgültig gewesen war, war es auch nach dieser Entscheidung gleichgültig. Es änderte sich: Nichts. Und der Präsident des Bundesgerichtshofs setzte dem die öffentliche Mitteilung hinzu, nach seiner Ansicht werde sich an der Praxis auch nach einer gesetzlichen Regelung wenig ändern.[67]

Zu 4)

Absprachegesetz 2009[68]: Alles wird gut. Wer noch Widerstand leistet oder die magische Kraft der Worte anzweifelt, ist, nach Ansicht des Deutschen Richterbunds, "Vertreter eines merkwürdigen Richterbilds" – gemeint: Nestbeschmutzer.[69]

Das Gesetz sagt: Der Rechtsmittelverzicht nach einer Absprache "ist ausgeschlossen" (§ 302 Abs. 1 S. 2 StPO). Klarer geht es kaum. Dasselbe gilt für Mitteilungspflichten (§ 243 Abs. 4), Protokollierungspflichten (§ 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a StPO). Es gilt auch für die allgemeine Einfügung des Abspracheverfahrens in das im Grundsatz unveränderte[70] Strafverfahren: "§ 244 Abs. 2 StPO bleibt unberührt" (§ 257c Abs. 1 Satz 2 StPO). Das Gesetz war das Ergebnis einer überaus breiten, jahrelangen Diskussion und eines ausdrücklichen "Appells" des Großen Senats des BGH an den Gesetzgeber, eine positive Rechtsgrundlage für das Abspracheverfahren zu schaffen.[71] Vor diesem Hintergrund gab es jedenfalls ab Inkrafttreten des Gesetzes am 1.8.2009 keine Grundlage mehr für die Annahme eines "Gesetzesnotstands" oder für die Notwendigkeit oder Legitimität einer "Rechtsfortbildung" durch Rechtsmissachtung.

Alles klar also? Mitnichten! Wir erinnern uns: "Die Tatgerichte werden trotz aller Regulierungsversuche Wege suchen und finden…"[72] Bald fand sich eines, das einen Weg suchte und fand, und zwar ganz unten am Boden der Rabulistik: Rechtsmittel-Verzicht ist nicht gleich Rechtsmittel-Rücknahme; und von der Letzteren steht nichts in § 302 Satz 2 StPO. Und wer wollte schon rechten über die Dauer der Überlegungsfrist zwischen Einlegung und Rücknahme, oder über die Motive der Meinungsänderung! Das Leben ist bunt, und so ergab es sich, dass der Verteidiger eine Minute nach der Hauptverhandlung auf der Geschäftsstelle des Gerichts Rechtsmittel gegen die abgesprochene Entscheidung einlegte und dieses – nach gewissenhafter Prüfung im Auto, allerdings ohne Rücksprache mit dem Angeklagten – nach Ankunft in der Kanzlei per Fax zurücknahm. Könnte es sein, dass dies eine bewusste (unzulässige) Umgehung des gesetzlichen Verbots des Verzichts war? Der 1. Strafsenat meinte: Nein.[73]

Die "Praxis" mäkelte weiter herum. "Unpraktikabel" sei das Gesetz: Es wurden "die Öffentlichkeits- und Protokollierungspflichten teilweise als Belastung empfunden; zugleich würden vielfältige Hinweis- und Fürsorgepflichten des Tatrichters die Handhabung des § 257c StPO erschweren. Auch die umfangreichen Belehrungspflichten des § 257c Abs. 5 StPO hätten sich als wenig praxistauglich erwiesen."[74] Aber die Verteidiger des richtigen "Richterbildes" traten wieder auf die Szene: Ein Störenfried, wer immer noch behauptete, die Richter hielten sich nicht ans Gesetz!

Doch dann kam die Empirie dazwischen, in Gestalt eines vom BVerfG in Auftrag gegebenen Gutachtens[75] über die Befragung von Richtern[76], das für Staunen und Entsetzen sorgte und aus dem einige Ergebnisse in Erinnerung zu rufen sind:

"Im Jahr 2011 wurden 17,9 % der Strafverfahren an Amtsgerichten und 23 % der Strafverfahren an Landgerichten durch Absprachen erledigt. Mehr als die Hälfte der Richter gab an, in mehr als der Hälfte der verfahren würden die gesetzlichen Vorschriften zur Verständigung verletzt. (…) 58,9 % der befragten Richter gaben an, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen "informell", also ohne Anwendung des § 257c StPO durchgeführt zu haben; 26,7 % gaben an, immer so vorgegangen zu sein; 33 % gaben an, außerhalb der Hauptverhandlung Absprachen geführt zu haben, ohne dass dies in der Hauptverhandlung offengelegt wurde. 54,4 % gaben an, eine nicht erfolgte Verständigung für im Protokoll nicht erwähnenswert zu halten. 46,7 % der befragten Richter weisen entgegen § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO nicht in den Urteilsgründen auf eine dem Urteil vorausgegangene Verständigung hin (…) Teilweise werden durch § 257c Abs. 2 StPO ausdrücklich ausgeschlossene Inhalte wie etwa der Schuldspruch in die Absprache aufgenommen. Während 61,7 % der Richter angaben, die Glaubhaftigkeit von im Anschluss an eine Absprache abgelegten Geständnissen immer zu überprüfen, räumten 38,3 % der Richter ein, die Glaubhaftigkeit des Geständnisses nicht immer, sondern nur häufig, manchmal, selten oder nie zu überprüfen. (…) Nach Auskunft von 27,4 % der Richter wurde sogar bei Verständigungen gemäß § 257c StPO - entgegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO - ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet. Von den Richtern gaben 14,7 % an, dass bei ihnen nach einer Absprache ‚immer’ auf Rechtsmittel verzichtet werde; bei 56,6 % geschah dies ‚häufig’. Nicht weniger als 16,4 % der Richter (…) erklärten, sich im Rahmen einer Absprache schon auf eine ihrer Ansicht nach zu milde Strafe eingelassen zu haben."[77]

Zu 5)

Am 19.3.2013 hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Verständigungsgesetzes entschieden und diese – mit einer Vielzahl von Einschränkungen, einfachrechtlichen Erwägungen und Vorbehalten – bestätigt.[78] Die Entscheidung ist in zahlreichen Veröffentlichungen und im Rahmen vielen Tagungen besprochen worden; es ist hier ihr Inhalt nicht zu repetieren.

Der Staatsnotstand ist damit endgültig und unstreitig beseitigt: Der Gesetzgeber hat entschieden; das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung geprüft und für zulässig erachtet: Mehr kann man schwerlich wollen. Nach allen bislang in der Bundesrepublik geltenden staatsrechtlichen Regeln ist der Kampf vorbei, die Schlacht geschlagen, die Entscheidung gefallen. Wer jetzt noch behauptet, er habe das alles nicht verstanden, oder er befinde sich weiterhin im Zustand der außerordentlichen Ordnung zur Rettung des Strafanspruchs, ist entweder ungeeignet oder bewusst unwillig, die Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt nach den Regeln auszuüben, auf deren Grundlage er den Richtereid abgelegt hat. So hart wird man es sagen müssen, auch wenn es ein wenig martialisch klingt. Die Deutlichkeit ist Umständen geschuldet, die schon oben beschrieben oder angedeutet wurden.

3. Rechtssicherheit

Nun also sind wir angekommen im Jahre 2014: 56 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und feierlichem Schwur auf Art. 20 Abs. 3 GG. Nach Dreißig Jahren der Unsicherheit darüber, wie unser Gesetz über das Verfahren in Strafsachen gemeint sei, der Klage über "Praxisuntauglichkeit" und "Weltfremdheit" des geschriebenen Rechts, des "Richterrechts", der "Rechtsfortbildung", der "pragmatischen Lösungen".

Wo bleibt die Erleichterung, wo die Freude? Warum ist das Erreichen solcher Gewissheit über eine fundamentale Grundregel des Staatswesens nicht Anlass, Feuerwerke der Freude zu zünden oder hupende Autokorsos zu veranstalten? Stattdessen: Allgemeine Griesgrämigkeit; niemand ist zufrieden: Die einen nicht, weil immer noch zu viel Arbeit bleibt; die anderen, weil die Zulässigkeit des Deals nun endgültig gesichert scheint; die dritten, weil sie sich von der Höhe der Grundlagenkritik in die Ebenen der Rechtsanwendung begeben müssen. Gerade noch stand der Zusammenbruch des Strafrechtssystems bevor; schon sind wir wieder bei uns selbst: im Recht. Vorbei die schönen revolutionären Zeiten?[79]

III. Strafbarkeiten

Ich meine, dass es an der Zeit sei, hinter den letzten Satz ein Ausrufezeichen statt eines Fragezeichens zu setzen. Es gibt schlechterdings keine vernünftige Grundlage mehr für die Annahme, es seien die Strafrichter Deutschlands aufgerufen, in individueller "Rechtsfortbildung" alternative Strafprozessordnungen zu entwerfen und zu exekutieren, die in vom Bundesverfassungsgericht als essentiell bezeichneten Fragen vom geltenden positiven Recht abweichen. Das Gericht hat die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Gesamtregelung unter den Vorbehalt gestellt, dass die gesetzlichen Regelungen auch weiterhin in großem Maßstab missachtet würden. Die Ausführungen des Gerichts lassen es als fern liegend erscheinen, dass Verfassungswidrigkeit sich daraus ergeben sollte, dass das Gesetz den Wünschen der Praxis nach noch weiterer Informalisierung nicht hinlänglich genügt. Vielmehr ist das Gegenteil richtig und evident: Eine Praxis, die weiterhin gegen die gesetzlichen Regeln und ihre Auslegung durch das BVerfG verstößt, bewegt sich – mit welchen angebliche guten Gründen auch immer

– im verfassungswidrigen Bereich. Das gilt für Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger gleichermaßen. Die Aussage des BVerfG ist klar. Nun mag jeder sehen, was er daraus und aus seinem Schwur auf das Gesetz macht. Eine larmoyante "Betroffenheits"-Attitüde über die angebliche Zumutung, sich (wieder) ans Gesetz halten zu sollen, ist peinlich, abwegig und desavouiert die Justiz.

Wann kann man sich strafbar machen auf der Grundlage des geltenden Rechts –ob es einem gefällt oder nicht – zur Absprache?

Der 2. Strafsenat des BGH hat in einer Reihe von Entscheidungen[80] einige Vorgaben des BVerfG präzisiert. Dabei ist namentlich auch herausgearbeitet worden, was als unabdingbare Essentialia des Verfahrens anzusehen und einer irgendwie "Gerechtigkeits"-gestützten individuellen Abwägung nicht zugänglich ist. Hieran ist nicht allein die verfahrensrechtliche Praxis zu messen, sondern auch die materiell-rechtliche Beurteilung von Richter-, Staatsanwalts- und Verteidigungs-Verhalten.

1. § 339 StGB

Rechtsbeugung begeht, wer grundlegende Verfahrensregeln nicht beachtet und daher einen nach seiner Kenntnis "elementaren" Rechtsbruch begeht, und dies für mindestens möglich hält.

Was "elementar" ist, hat das Bundesverfassungsgericht in erfreulicher und nicht misszuverstehender Deutlichkeit herausgearbeitet: Das Recht des Beschuldigten, in jeder Lage des Verfahrens als dessen Subjekt angesehen, behandelt und respektiert zu werden. Dabei geht es nicht um irgendwelche alltags-psychologischen Meinungen darüber, was den üblicherweise verachtenswerten oder sozial minderwertigen – Beschuldigten kommodiert, zusteht oder gerecht wird oder was dem Richter als "passend" erscheint. Sondern darum, was als Lehre aus 200 Jahren Auseinandersetzung um die Erringung eines "rechtsstaatlichen" Minimums als Quintessenz übrig bleibt: Selbstbestimmung, Achtung einer absoluten Grenze persönlicher Integrität vor staatlichem Zugriff[81]; Subjektqualität des Beschuldigten.

Die Informations- und Dokumentationspflichten der §§ 243 Abs. 4, 257, 273 Abs. 1a StPO sind nicht abdingbar; sie umschreiben Rechtsgrundsätze und –pflichten, die für das Verständigungsverfahren und seine Verfassungsmäßigkeit "elementar" sind. Deshalb das BVerfG den Verstoß gegen diese Pflichten zu einem "quasi-absoluten" Revisionsgrund aufgewertet.[82] Ob sich daraus schon ergibt, dass ein (bedingt) vorsätzlicher Verstoß den Tatbestand des § 339 erfüllt, erscheint nicht sicher. Man könnte die Pflichten zur Transparenz und Dokumentation des Verfahrens als "Begleitpflichten" im Rahmen des allgemeinen Fairness-Gebots ansehen. § 339 wäre dann erst vollendet, wenn zur Verletzung der Dokumentationspflicht noch eine Manipulation des Verfahrens selbst hinzutritt.

Wer jenseits der gesetzlich geregelten und vom BVerfG im Einzelnen verdeutlichten Regelungen "informelle" Absprachen sucht, initiiert oder trifft, beugt das Recht. Er kann sich nicht darauf berufen, eine solche Verfahrensweise für "angemessen" oder "richtig" zu halten, denn der Gesetzgeber und die obersten Gerichtshöfe des Bundes haben gerade diese Ansicht für unvertretbar erklärt.

Das bedeutet: Es gibt kein legitimes Abspracheverfahren mehr außerhalb des gesetzlichen (und vom BVerfG präzisierten). Wer Deals betreibt, die dem nicht entsprechen, befindet sich im rechtswidrigen Bereich. Er macht sich im Übrigen nicht allein verfahrensrechtlich angreifbar und materiell-rechtlich der Begehung eines Verbrechens verdächtig, sondern faktisch (von allen "Parteien) erpressbar und daher wohl regelmäßig befangen im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO.

Jedem Richter ist daher zu raten, entsprechendes Verhalten zu unterlassen. Die Lebenserfahrung zeigt, dass jede Geheimhaltung und jeder Treuschwur an ihre Grenzen kommen, und selbst die kurze Verjährungsfrist von fünf Jahren[83] verheißt bis zur Erreichung der Grenze viel Stress für die Seele des Richters – allein um der Ersparnis von einigen Beschlüssen nach §§ 238 Abs. 2, 244 Abs. 6 StPO willen ist das ein zerstörerisch hoher Preis.

Vielleicht sollten Richter neu darüber nachdenken, wo die "Kampflinie" in der Zukunft liegen mag und wo sich ihr Löwenmut zum Widerspruch Bahn brechen sollte. Die in Äußerungen zum Abspracherecht standardmäßige Prophezeiung, mit einer Erweiterung der "Ressourcen" der Justiz sei keinesfalls zu rechnen, gehört zwar zum Repertoire der (scheinbar) Kundigen[84]; selten erschließt sich aber (aus Vita, Funktion oder Oevre), was den jeweiligen Autor zu solcher Annahme qualifiziert. Die kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts hat Gelegenheit zu erstaunlichen Lernprozessen darüber gegeben, dass Fragen der "Ressourcen" nicht für länger als einige Monate als geklärt angesehen werden sollten.

Die große Besorgnis der Strafrichter über die (zusätzliche) Vergeudung von (zusätzlichen) Ressourcen ist überdies vom Zweifel der Lebenserfahrung angefressen: Wenn es stets nur um die Rechte und Interessen der Opfer, der Nebenkläger, der Zeugen und um die Furcht vor dem Beschleunigungsgrundsatz ginge oder um das Recht des Beschuldigten, rasch abgeurteilt zu werden: Warum sollte man denn, um diese Interessen zu schützen, dem Beschuldigten das rechtliche Gehör abschneiden oder eine Strafe auswerfen, die nicht angemessen ist, oder einen falschen Schuldspruch (unter Weglassen von Qualifikationen) ausdealen? Könnte es am Ende sein,

dass eine der Ursachen hierfür in der puren Furcht liegt, in der Konkurrenz mit anderen nicht gut "angesehen" zu sein? Und wenn denn der Mut ausreicht, das Gesetz nicht zu beachten: Warum sollte er dann nicht einmal dazu ausreichen, die Pensenzahl nicht zu beachten? So ist das mit der Abwägung und dem Heldentum im Recht: Braucht man zu lang, wird man aufgehoben und muss den "Versager" geben in den Kantinengesprächen derer, die es auch nicht besser können. Macht man’s kurz und bequem, merkt es keiner. Und wenn doch: Dann war es eben der Einzelfall. – Der Verfasser ist Richter und daher legitimiert zu sagen: Mit Mut hat die Missachtung des geltenden Rechts im Deal-Verfahren nicht das Geringste zu tun.

2. Sperrwirkung

Alles schrecklich schwierig, sagt "h. M."; also dasselbe wie bei der Strafvereitelung durch Strafverteidiger[85]. Allein, das stimmt nicht: Die Dogmatik ist nicht schwierig, sondern wird absichtlich schwierig gemacht. Denn das Rechtssystem kann nur schwer damit leben, dass immer einmal wieder ein Richter wegen "elementaren Rechtsbruchs" oder ein "Organ der Rechtspflege" wegen Kumpanei mit Verbrechern zu Freiheitsstrafe verurteilt werden.

3. Strafverfolgung

Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich hervorgehoben, dass den Staatsanwaltschaften als weisungsgebundenen[86] Behörden eine zentrale Rolle ("herausgehobene Bedeutung") für die Garantie der Rechtmäßigkeit zukünftiger Abspracheverfahren zukomme.[87] Auch dies ist an Deutlichkeit kaum zu übertreffen: Die Staatsanwaltschaft ist aufgrund ihrer Pflicht zur Gesetzlichkeit gehalten, Rechtsmittel gegen Entscheidungen einzulegen, die auf gesetzwidrigen Absprachen beruhen; und sie ist aufgrund des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO) verpflichtet, gegen Richter oder Strafverteidiger vorzugehen, die rechtswidrige Absprachen initiieren, tragen oder abschließen.

Vollkommen unverständlich und empörend sind daher Meldungen (aus einzelnen Bundesländern), wonach Leiter von Staatsanwaltschaften im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG vom 19.3.2013 bekannt gemacht haben sollen, durch die Entscheidung des BVerfG seien "Änderungen der bisherigen Verfahrensweise nicht veranlasst"[88]. Wäre dies wahr[89] oder würde es sich gar als praktische Handhabung durchsetzen, so bedeutete dies nicht weniger als eine Kapitulation des Rechtsgedankens. Dies könnte wohl kaum das "Richterbild" oder "Staatsanwaltsbild" unseres Rechtsstaats sein.

Erstaunlicherweise hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 19.3.2013 nicht auf die Möglichkeit einer Strafverfolgung wegen Rechtsbeugung hingewiesen, sondern die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) bei Verstoß gegen die Protokollierungs- und Dokumentationspflichten des Gerichts angedeutet. Das ist nicht allein im Hinblick auf die – ungeklärte – Reichweite der angeblichen "Sperrwirkung" des Tatbestands der Rechtsbeugung erstaunlich, sondern auch wegen der einfachrechtlichen Auslegung des § 348 StGB: Dass das Protokoll einer (strafgerichtlichen) Hauptverhandlung ein "öffentliche Urkunde" i.S. von § 348 Abs. 1 StGB sei, ist jedenfalls eher streitig, als der Anwendungsbereich des § 339 StGB.

Das soll aber hier dahin stehen. Eine "Sperrwirkung" des § 339 steht jedenfalls, nach allem Vorstehenden, einer Strafverfolgung von Personen nicht (mehr) entgegen, die sich nach der Entscheidung des BVerfG vom 19.3.2013 an gesetzwidrigen Absprachen beteiligen. Wie "gravierend" der Rechtsverstoß ist, ist selbstverständlich eine Frage des Einzelfalls. Nicht jeder Verstoß gegen eine Belehrungspflicht wird die Grenze der "elementaren Rechtsverletzung" erfüllen, ein Deal unter Missachtung der Transparenz- und Mitteilungsgebote wird die Grenze aber im Regelfall überschreiten. Nötigungen[90] des Beschuldigten zum Rechtsmittelverzicht erfüllen den Tatbestand. Fälschungen des Hauptverhandlungsprotokolls erfüllen den Tatbestand.[91] Einrichtungen von privaten, individuellen "Verfahrens-Ordnungen" (nach dem Motto: "…bei meiner Kammer…") erfüllen, wenn sie von den Vorgaben des BVerfG bewusst abweichen, den Tatbestand. Denn das Absprache-Verfahren ist keine Marginalie aus der lustigen Praxis des königlich-bayerischen Amtsgerichts, sondern die rechtsgeschichtlich und verfassungsrechtlich überaus bedeutsame Begründung eines parallelen Sonderverfahrens. Es wird, so ist zu erwarten, die nächsten Jahrzehnte prägen. Die Richter sollten – nicht obwohl, sondern weil sie den Richtereid geschworen haben – sehr vorsichtig damit umgehen. Gewiss ist, dass es vieles leichter macht. Ungewiss ist noch immer, zu wessen Lasten und zu wessen Gunsten das geschieht.

IV. Schluss

Die Geschichte des Absprache-Verfahrens erweist sich, unter dieser Blickrichtung, nur als ein "kleiner" – vielleicht sogar: ganz kleiner – Staatsstreich.

Wir sprechen von "Idealtypen" im Sinne Max Webers. Wir sprechen von möglichen Sichtweisen auf ein Geschehen, das in seinen Einzelheiten unergründlich, undurchschaubar, unübersichtlich ist oder zu sein scheint. Diese Schwelle zu überschreiten ist aber das Recht bestimmt; dies also ist unser Beruf.

Wir haben Verständnis, Mitgefühl, Sympathie für dieses und jenes, "Kollegen" und andere; wir mögen empört sein über das angebliche und tatsächliche Versagen eines "Gesetzgebers", dessen Sorge um das Recht sich nicht selten in ein Dauer-Rauschen von sicherheits-rechtlichen "Maßnahme-Gesetzen" und die bella figura in Talkshows aufzulösen scheint.

Trotzdem darf man wohl konstatieren, dass in der Bundesrepublik kein anderes staatliches Verfahren, keine andere Legitimation staatlicher Gewalt, einem derart fundamentalen Verfahren unkontrolliert-anarchisch (!) -basisdemokratischer (!) Prüfung ausgesetzt war wie das Abspracheverfahren der StPO. Es muss nun, wenn wir auf unseren Eid noch etwas geben wollen, darum gehen, zur Gesetzlichkeit zurückzukehren, selbst wenn dies dem Einzelnen ein Minimum des Mutes abverlangen sollte, für welchen sich die "h.M." risikofrei lobt.


* Der Beitrag ist eine weitere Vorabpublikation – siehe bereits Heft 11/2013 – aus der nun im Oktober 2014 im Berliner Wissenschaftsverlag erscheinenden Gedächtnisschrift für den früheren Leipziger Strafrechtslehrer Manfred Seebode .

[1] Seebode, Das Verbrechen der Rechtsbeugung (Diss. Würzburg 1968), 1969 (Reprint 1995).

[2] Seebode, Rechtsblindheit und bedingter Vorsatz bei der Rechtsbeugung, JuS 1969, 204; ders., Rechtsbeugung und Rechtsbruch, JR 1994, 1; ders.; Rechtsbeugung – Vorschlag einer notwendigen Gesetzesreform, ZRP 1997, 307 (mit Bemmann und Spendel); ders. DDR-Justiz vor Gericht, FS für Lenckner (1998), S. 585; ders., Rechtliche Bewertung der Tätigkeit von DDR-Richtern im Spannungsfeld zwischen richterlicher Unabhängigkeit und parteilichem Gehorsam, in: Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission: Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit, Bd. II/2, 1999, S. 1524.

[3] Vgl. etwa Seebode MDR 1976, 537 (zum MusterE einheitlicher Polizeigesetze); StV 1988, 119 (zur sog. "Zwischenhaft"); Mangakis-Festschrift (1999), S. 693 (zur Schleierfahndung); Otto-Festschrift (2007), S. 999 (Folterverbot und Beweisverbot).

[4] Gemeint ist aber wohl eher: das Bedürfnis des Richters nach einer Würde, die aus der Kraft, der Legitimität und der Bedeutung seiner Entscheidung entspringe. Beides darf man nicht verwechseln.

[5] BGHSt 41, 317, 339: Die Auseinandersetzung der Justiz der Bundesrepublik mit der NS-Justiz sei "insgesamt fehlgeschlagen". Die NS-Herrschaft "hatte eine Perversion der Rechtsordnung bewirkt, wie sie schlimmer kaum vorstellbar war; (gleichwohl) haben sich bei der strafrechtlichen Verfolgung des NS-Unrechts erhebliche Schwierigkeiten ergeben (vgl. Gribbohm NJW 1988, 2842, 2843 ff.). (…) Keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und Staatsanwälte wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt; ebenso wenig Richter der Sondergerichte und der Kriegsgerichte. Einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte nicht zuletzt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 10, 294; BGH NJW 1968, 13439, 1340; vgl. dazu LG Berlin DRiZ 1967, 390, 393, r. Sp.). Diese Rechtsprechung ist auf erhebliche Kritik gestoßen, die der Senat als berechtigt erachtet. Insgesamt neigt der Senat zu dem Befund, dass das Scheitern der Verfolgung von NS-Richtern vornehmlich durch eine zu weit gehende Einschränkung bei der Auslegung der subjektiven Voraussetzungen des Rechtsbeugungstatbestands bedingt war (vgl. Spendel, Rechtsbeugung durch Rechtsprechung, S. 13, 69 f.)."

[6] Vgl. auch BGHSt 41, 317, 340: "Das staatlich verübte Unrecht in der DDR kann mit Rücksicht auf die unterschiedliche Dimension nicht mit dem im nationalsozialistischen Regime begangenen gleichgesetzt werden (vgl. BGSt 41, 247). Eine so vollständige Missachtung der Idee von Gerechtigkeit und Menschlichkeit, wie sie das Bild der NS-Justiz prägt, hat es in der DDR-Justiz (…) nicht gegeben."

[7] Das betraf insbesondere eklatant rechtsstaatwidrige Schein-Verfahren wie etwa die so genannten Waldheim-Verfahren des Jahres 1950.

[8] Vgl. dazu etwa Marxen/Werle, Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht, 1999.

[9] Vgl. Art. 315a EGStGB; dazu etwa Fischer, StGB, 61. Aufl. (2014), Rn. 5 ff. vor § 78.

[10] Vgl. etwa zuletzt BGH, Urt. v. 23.1.2014 – 2 StR 479/13.

[11] Aus dem Kreis der "echten" Richter. Also als verrückt, sonderbar, querulatorisch, ungeeignet.

[12] Vgl. etwa BGH, Urt. v. 31.5.2012 – 2 StR 610/11: Unterbrechung der Hauptverhandlung und kurzzeitiges eigenhändiges Einsperren des Angeklagten durch den Richter in eine Vorführzelle, um ihm "seine Zukunft vor Augen zu führen", falls er nicht ein Geständnis ablege.

[13] Vgl. etwa BGH, Beschl. v. 24.6.2009 – 1 StrR 201/09 (Vormundschaftsrichter entscheidet ohne Anhörungen von Betroffenen über Unterbringungen); Urt. v. 18.7.2013 – 4 StR 84/13 (Verschleierung kontinuierlicher Verstöße gegen die Absetzungsfrist von Urteilen durch heimliche nachträgliche Veränderung unvollständig abgesetzter Urteile).

[14] Vgl. BGH, Beschl. v. 20.9.2000 – 2 StR 276/00, NStZ-RR 2001, 243 ("Erdbeerfest-Fall": Direktor des Amtsgerichts erlässt auf Antrag seiner Tochter verwaltungsprozessuale einstweilige Anordnung).

[15] "Detlev Deal", Der strafprozessuale Vergleich, StV 1982, 545.

[16] Vgl. etwa Rönnau, Die Absprache im Strafprozess, 1990 (Diss. 1989), S. 228 ff.; Schünemann DJT 1990, Gutachten, 131 ff.; Siolek, Verständigung in der Hauptverhandlung (1988), S. 208 ff.; ders. DRiZ 1989, 321; Janke, Verständigung und Absprache im Strafverfahren (1997), S. 248 ff.; Braun, Die Absprache im deutschen Strafverfahren (1998), S. 82 ff.; Moldenhauer, Eine Verfahrensordnung für Absprachen im Strafverfahren durch den Bundesgerichtshof? (2004), S. 86 ff.

[17] Vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 4.9.2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 113 ff. (Fall Schill).

[18] Vgl. auch Schlothauer, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren (2010), D 18 ff.

[19] Es mag sein, dass die Behauptung dieser "Unklarheit" weniger analytischen als selbst-entlastenden Charakter hatte: Die angebliche Ungeklärtheit hatte ihre Grundlage vor allem darin, dass sie von der großen Mehrzahl der an Deals Beteiligten behauptet wurde. Tatsächlich war die Lage wohl eher klar: Da die Strafprozessordnung Absprachen nicht vorsah oder zuließ, waren sie nicht erlaubt. Die StPO enthält eine abschließende Regelung des Strafverfahrens (BVerfG, Urt. v. 19.5.2013 – 2 BvR 2628/10, BVerfGE 126, 170 = NJW 2013, 1058).

[20] BGH, Urt. v. 28.8.1998 – 4 StR 240/97, BGHSt 47, 195.

[21] Schlothauer (Fn. 18), D 21 ff.

[22] Vgl. etwa die Darstellung von Rieß, in: LR, 25. Aufl. (1999), Einl. G 58 ff.

[23] Also diejenigen, denen "die Befähigung zum Richteramt" als Grundvoraussetzung ihrer beruflicher Tätigkeit zu attestieren ist.

[24] Zum Begriff der "Leitung einer Rechtssache" vgl. BGH, Urt. v. 18.7.2013 – 4 StR 84/13, Rn 14; Kuhlen, in: NK-StGB 4. Aufl. (2013), § 339 Rn. 26.

[25] BGH, Urt. v. 27.5.1987 – 3 StR 112/87, NStZ 1988, 218; Urt. v. 29.10.1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383; Urt. v. 4.9.2001 – 5 StR 92/91, BGHSt 105, 109; Beschl. v. 24.6.2009 – 1 StR 2901/09, NStZ 2010, 92; Beschl. v. 7.7.2010 – 5 StR 555/09, StV 2011, 463, 466; Urt. v. 31.5.2012 – 2 StR 610/11, NStZ 2013, 106; Urt. v. 18.7.2013 – 4 StR 84/13.

[26] Staatsanwälte – als "andere Amtsträger" – nur ausnahmsweise; vgl. BGHSt 12, 193; 38, 381, 382; 40, 169, 176; 41, 247; BGH, Urt. v. 6.11.2007 – 1 StR 394/07. Zu Verwaltungsbeamten als taugliche Täter vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. (2014), § 339 Rn. 8b.

[27] Zur Anerkennung von "Parteien" auch im Strafprozess schon RGSt 25, 276.

[28] BGH, Beschl. v. 24.6.2009 – 1 StR 201/09, NStZ 2010, 92; Urt. v. 18.7.2013 – 4 StR 84/13.

[29] BGHSt 32, 357, 363; 34, 146; 38, 381; 40, 30, 40; 40, 169, 178; 41, 250; 44, 258 (m. Anm. Seebode JZ 2000, 319); BGH NStZ 2010, 94.

[30] BGHSt 47, 109; BGH NJW 1997, 1455.

[31] Kritisch etwa Herdegen NStZ 1999, 456; Seebode JZ 2000, 319; Fischer (Fn. 26) § 339 Rn. 15 ff. m.w.Nachw.

[32] Allg. Meinung und ständ. Rspr.

[33] Fischer (Fn. 26), § 15 Rn. 9 ff., mit zahlr. Nachw. auch zu abweichenden Bestimmungen.

[34] "Erdbeer-Fest-Fall", vgl. oben Fn. 14.

[35] Anders die so genannte "subjektive" Theorie (vgl. etwa Sarstedt, Heinitz-FS (1972), S. 427) und auch die "Pflichtverletzungstheorie" (vgl. zur Letzteren etwa Rudolphi ZStW 82 (1970), 610; Wagner, Amtsverbrechen (1975), S. 195 ff.; Berendt JuS 1989, 945; Murmann, Herzberg-FS (2008), S. 123, 136).

[36] Ebenso wenig wie allgemeine Verbrechen der "Misswirtschaft", des "Missbrauchs öffentlicher Ämter", usw. All dies, medial oft diskutiert und in Umfragen stets gefordert, sind Karikaturen rechtsstaatlicher Tatbestände.

[37] Art. 97 GG.

[38] Schmitt GA 2001, 411, 415, spricht von "exzessiver Inanspruchnahme".

[39] Schlothauer a.a.O. (Fn. 18), D 21 ff.

[40] BGH, Urt. v. 6.10.1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 276; Urt. v. 18.7.2013 – 4 StR 84/13; ständ. Rspr.

[41] BGHSt 47, 105 ff. m.w.Nachw.

[42] Vgl. etwa BGHSt 32, 363; 41, 251; BGH NStZ 1988, 218 f.

[43] St. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 18.7.2013 – 4 StR 84/13.

[44] Zutr. Seebode JR 1994, 4; Sowada GA 1998, 179.

[45] Fischer (Fn. 26), § 339 Rn. 18.

[46] Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Beschlusspraxis des Bundesgerichtshofs in strafrechtlichen Revisionen (vgl. dazu etwa Fischer/Krehl StV 2012, 550; Fischer/Eschelbach/Krehl StV 2013, 345; Fischer NStZ 2013, 425; Basdorf u.a. NStZ 2013, 563; Mosbacher NJW 2014, 124) hat Brause ausgeführt: "Dass eine Revision im Beschlussverfahren einstimmig als offensichtlich verworfen werden kann, setzt voraus, dass alle Richter das Urteil verstanden haben müssen (…) Diese Erkenntnis aufgrund des Berichterstattervortrags zu erlangen, ist nicht ‚oft praktisch ausgeschlossen‘, wie Fischer/Krehl meinen. Ein echtes Bekenntnis dieser Autoren hierzu müsste sogar als – sicher nicht gewolltes – Eingeständnis zumindest objektiver Willkür verstanden werden" (Brause JR 2013, 134, 136). Damit wurde die Frage angedeutet, ob Richter, die meinen, eine bislang übliche Verfahrensweise ergebe sich nicht (mehr) aus dem Gesetz, gleichwohl weiter danach judizieren "dürfen", wenn und solange sie für eine alternative Verfahrensweise keine Mehrheit finden. Das ist ein schönes Beispiel juristischer Kunst, in dem sich dogmatischer Einfallsreichtum und rechtspolitischer Disziplinierungswille glückhaft vereinen. Freilich hatten die Betroffenen nicht die Ansicht vertreten, die seit Jahrzehnten gepflegte Praxis (d.h.: die Auslegung des § 349 Abs. 2 und 4 StPO) sei verfassungswidrig oder verletze elementare Rechtsgrundätze, sondern die Ansicht, sie ergebe sich nicht, wie behauptet, (zwingend) aus dem Gesetz und sei überprüfungswürdig und verbesserungsfähig.

[47] 4 StR 240/97, BGHSt 43, 195.

[48] Zur Kritik an der Entscheidung vgl. etwa Rönnau wistra 1998, 49; Weigend NStZ 1999, 57; Schmitt GA 2001, 411.

[49] BGHSt 43, 195, 203 f.

[50] Gern und häufig wurde geäußert, die praxis- und lebensfremden Anweisungen des BGH seien untauglich und daher nicht zu befolgen. So oder ähnlich sich zahllose Richter und Staatsanwälte auf zahlreichen Tagungen.

[51] "Die sog. Leitlinien des BGH basieren überwiegend auf fehlerhaften Annahmen über die Rechtswirklichkeit der Absprachen, und sie sind praktisch untauglich, die ihnen zugedachte Funktion einer Grenzziehung der Verständigungspraxis und des Erhalts prozessualer Maximen zu erfüllen. Dies hat zur Folge, dass die Akzeptanz der höchstrichterlichen Vorgaben bei den Tatgerichten äußerst gering ist (…) Die Tatgerichte werden trotz aller scheinbar systemimmanenten Regulierungsversuche Wege suchen und finden, sich diese Erledigungsform unter allen Umständen zu erhalten" (Schmitt GA 2011, 411, 425 – Der Autor vertritt inzwischen eine andere Ansicht).

[52] Im Sinne von Lebenswirklichkeit; Unverstelltheit des Blicks; rechtpolitischer Plausibilität; bis hin zu dem Bild der "Front", an der man stehe.

[53] Ein Vorsitzender Richter des OLG München erklärte in einem Redebeitrag beim Richter- und Staatsanwaltstag 2003, zu den beiden anwesenden Richtern des BGH gewandt: "Der BGH kann entscheiden, was er will; hier in Bayern werden wir mit den Absprachen weitermachen wie bisher." Hierauf brach unter den etwa 200 Zuhörern frenetischer, jubelartiger Beifall aus; man trampelte mit den Füßen auf den Boden vor Begeisterung über so viel Mut gegen "die da oben".

[54] Beispiele, die in großer Zahl und Vielfalt überliefert sind: "Ohne Rechtsmittelverzicht gibt es bei mir keinen Deal"; "In meinem Gerichtssaal wird nichts protokolliert"; "Wer (als Verteidiger) bei mir nach einem Deal Rechtsmittel einlegt, macht das nur einmal".

[55] Vgl. BGH, Urt. v. 21.1.2014 – 2 StR 479/13.

[56] BGHSt 50, 40, 51 (Großer Senat) – allerdings mit der schnellen Ergänzung: "…insbesondere die Obersten Gerichtshöfe…".

[57] Ebenda.

[58] Ein historisch offenkundig angreifbarer Erfahrungssatz (vgl. oben Fn. 5 und 6).

[59] Hierzu – kurz, prägnant und abschließend – das BVerfG: "Im Rechtsstaat des Grundgesetzes wird nicht das Recht durch die Praxis, sondern die Praxis durch das Recht bestimmt" (BVerfG, Urt. v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10).

[60] Jede Seite hat – das ist der Kern, Sinn und Grund der "Absprache" – Droh-, Erpressungs- und Verhandlungsmasse. Für die Verteidigung ist dies vor allem die "Sperrigkeit" der Verfahrensführung: der Umfang der (erzwingbaren) Beweisaufnahme, die Anzahl der Anträge, die allein der Verzögerung oder Fehlerprovokation, nicht aber der Aufklärung dienen; usw. Eine anschauliche Beschreibung aus aktuellem Anlass findet sich in: Süddeutsche Zeitung vom 27. Januar 2014; Seite 3.

[61] BGHSt 50, 40.

[62] Ebd. S. 48.

[63] Ebd. S. 53 f.

[64] StV 1982, 545.

[65] BGHSt 50, 40, Leitsatz 1 sowie S. 56 ff.

[66] BGHSt 50, 40, 57 ff.

[67] Vgl. Müller, in: F.A.Z. v. 30.1.2009: "BGH-Präsident Tolksdorf kritisiert Deals". Diese Aussage war rechtspolitisch nicht minder verheerend wie die Zustände, die sie kritisierte. Was sollen Bürger und Justizangehörige noch glauben, wenn der Präsident eines Obersten Gerichtshofs erklärt, große Teile der Gerichtsbarkeit, der er angehört, werde sich voraussichtlich weder an Entscheidungen seines Gerichts noch an zwingende Regelungen eines Gesetzes halten? Eine Sache ist es, im Licht von "Lebenserfahrung" und Illusionslosigkeit die eigene Prognosefähigkeit darzustellen. Eine andere Sache ist es, sich programmatisch zu einem als dringlichst angesehen Gesetzesvorhaben zu äußern.

[68] Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 (BGBl I 2353.

[69] Vgl. zur Diskussion auch die Gutachten für und das Protokoll der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags vom 25.3.2009 sowie die Aussprache im Bundestag, Prot. 15. WP, dort etwa S. 21844 ff., 21847 ff.

[70] Gleichgültig, wie man diese Einschätzung beurteilt.

[71] BGHSt 50, 40, 64.

[72] Oben Fn. 51.

[73] BGH, Beschl. vom 14.4.2010 – 1 StR 64/10, BGHSt 55, 82 (krit. z. B. Gericke NStZ 2011, 110; Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl. (2013), § 302 Rn. 26f.; Malek StraFo 2010, 251; Niemöller StV 2010, 474; 597; Müller, Imme-Roxin-FS (2012), 648; Staudinger HRRS 2010, 347; Fischer DRiZ 2010, 249). Ob dieses Modell der Gesetzesumgehung als "Fischbachauer Theorie" beschrieben werden sollte, ist streitig. Wer es als das kritisierte, was es war, dem wurde jedenfalls im Jahr 2010 bescheinigt, er sei aus sozialen Gründen ungeeignet zum Vorsitz eines Revisionssenats.

[74] BVerfG, Urt. v. 19.3.2014 – 2 BvR 2628/10, BVerfGE 126, 170 = NJW 2013, 1058, Rn. 45 (zur Stellungnahme des Deutschen Richterbundes).

[75] Altenhain/Dietmeyer/May, Die Praxis der Absprachen im Strafverfahren, 2013.

[76] Sowie Staatsanwälten und Strafverteidigern. Die Ergebnisse beruhten also auf freiwilligen Selbstauskünften ohne Überprüfung der Richtigkeit. Einiges spricht dafür, dass die ermittelten Zahlen daher ein noch zu günstiges Bild abgeben.

[77] BVerfG aaO. (Fn. 77), Rn. 49.

[78] Ebd.

[79] Der Verf. hat seit März 2013 bis heute (April 2014) an acht Veranstaltungen – als Referent oder im Rahmen von Podiumsgesprächen – teilgenommen, bei denen es um Anerkennung und Schlussfolgerungen aus dem Urteil vom 19.3.2013 ging. Bei sieben dieser Veranstaltungen wurde von Referenten oder Diskussionsteilnehmern vertreten, es habe sich "nichts geändert", das Gesetz sei eben "unpraktikabel"; man werde auch zukünftig so weitermachen wie von Altenhain beschrieben.

[80] BGH, Urt. v. 10.7.2013 – 2 StR 47/13; Urt. v. 10.7.2013 – 2 StR 195/12; Urt. v. 24.9.2013 – 2 StR 467/13.

[81] Jenseits von materieller "Gerechtigkeit"; vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 22.12.2011 - 2 StR 509/10 (Selbstgespräche im Kfz).

[82] Vgl. BGH, Urt. v. 10.7.2013 – 2 StR 195/12.

[83] § 78 Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 339 StGB.

[84] Vgl. z. B. schon Schmitt GA 2001, 411, 426: "Heute und in Zukunft ausgeschlossen ist es angesichts der Haushaltslage der öffentlichen Kassen, dass die … Richterdichte noch weiter erhöht wird, um dem geschriebenen, vielfach aber auch missbräuchlich gehandhabten Recht wieder zur Geltung zu verhelfen."

[85] Dazu Fischer (Fn. 26), § 258 Rn. 16 ff.

[86] Das heißt: Auch von nur behaupteter "Unabhängigkeit" der Fehlentscheidung freier.

[87] BVerfG (oben Fn. 77, Rn. 91).

[88] Und zwar mit der Begründung, man wolle "ja schließlich mit den betreffenden Richtern noch 20 Jahre zusammen arbeiten", und werde daher gegen auf gesetzwidrigen Absprachen beruhende Urteile kein Rechtsmittel einlegen.

[89] Es wurde dem Verf. von zwei unabhängigen Quellen als Gegenstand einer Fortbildungsveranstaltung der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen geschildert.

[90] Gemeint sind: "Überredungen", Bedrängnisse; "Bedingungen".

[91] Gemeint sind: Bewusste Falschbeurkundungen; absichtsvolles Weglassen der Beurkundung verfahrens- und potentiell rechtsmittelentscheidender Vorgänge in oder außerhalb der Hauptverhandlung.