HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2009
10. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Strafzumessungsraster bei Steuerhinterziehung?

Anmerkung zu BGH 1 StR 516/08 vom 2. Dezember 2008 (HRRS 2009 Nr. 27).

Von Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Ingo Flore, Dortmund

I. Präambel

Der BGH im Mainstream. Im Zuge der Finanzkrise schleifen die europäischen Regierungen die Bankgeheimnisse, um in einem zweiten Schritt etatmotivierte supranationale Steuererhöhungen ins Auge zu nehmen. Die Steuerhinterziehung als gesellschaftlich begrenzt geduldetes Kavaliersdelikt wird politisch kriminalisiert; der Steuerhinterzieher, der sich bis vor kurzem schulterklopfendem, zuweilen augenzwinkendem Verständnis sicher wusste, findet sich in das populistische OutLaw abgewrackt.

Die Versagensängste der Politik, dass das Desaster öffentlicher Banken und öffentlicher Aufsicht privater Banken, erkannt, benannt und personinfiziert wird, hat in einer einmaligen Medienkampagne den Steuerhinterzieher als den Sündenbock aller haushalts-wirtschaftlicher Malaise als nunmehr außerhalb der gerechtigskeitsempfindenen steuerzahlenden Solidargemeinschaft verortet. Diese einfache Suche ist medial: Die Jagd nach Sündenböcken ist von allen Jagdarten bekanntlich die einfachste. Bonus- und Abfindungszahlungen geschmacklosester Größenordnungen – mit einem immerhin prostitutiven hälftigen Besteuerungsanteil – sind der Transmissionsriemen Engelmannscher Manier "Ihr da oben, wir da unten", um das rechtsstaatliche Normengefüge neu zu justieren:

Wer Steuern als Allgemeingut hinterzieht, hat keinen Rechtsanspruch auf eine individualgerechte Strafe; allgemeine fallübergreifende und unabhängige Kodizi einfachster Blockkastenstruktur als höchste Stufe gesellschaftlicher Diskriminierung "Im Namen des Volkes" sind die poison pill.

Der 2. Dezember 2008 markiert einen Wendepunkt, gewiss aber anders, als vom BGH intendiert.

II. Retrospektive

Der Tatbestand der Steuerhinterziehung erwies sich schon immer als Experimentallabor der Rechtsprechung. Die Schwierigkeiten des Gesetzgebers, Blankettstrafrechtsnormen rechtsstaatlicher Bestimmtheit sprachlich zuzuführen, (miss-)verstand die Rechtsprechung als pädagogischen Auftrag, Einzelfallgerechtigkeit allgemeinpräventiv aus den unterschiedlichsten

Sachverhalten und Steuerarten patchworkartig zu entwickeln. Im Blick zurück wird dieser Befund durch den Wortlaut des § 359 RAO (RGBl. 1919, 1993) geschärft:

"Wer zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erschleicht oder vorsätzlich bewirkt, dass Steuereinnahmen verkürzt werden, wird wegen Steuerhinterziehung mit den in den einzelnen Gesetzen hierfür angedrohten Strafen bestraft. Der Mindestbetrag einer Geldstrafe ist, soweit kein anderer Betrag bestimmt ist, zwanzig Mark..."

Die zentrale Handlungsalternative, "bewirken, dass Steuereinnahmen verkürzt werden", war so weit gefasst, dass sich aus dem Wortlaut des Gesetzes weder hinreichend bestimmt eine sanktionierte tatbestandsmäßige Handlung, noch das Handlungsobjekt, noch der Taterfolg mit hinreichender, rechtsstaatlich gebotener Bestimmtheit entnehmen ließ (Kohlmann, Steuerstrafrecht, Kommentar,[38. Aufl. Aug. 2008]§ 370 Rdnr. 7 unter Hinweis auf BVerfG vom 08.05.1974 – 2 BvR 636/72 -, BVerfGE 37, 201 (208)).

Das RG setzte in der Folgezeit die gesetzliche Formulierung "bewirken" mit "verursachen" gleich und postulierte damit jede beliebige Handlung, die eine Verkürzung von Steuereinnahmen verursachte, als tatbestandsmäßig (vgl. Kohlmann, a.a.O., Rdnr. 8). Die Literatur bewertete diesen Ansatz als mehr Verwirrung denn Klarheit schaffend (nochmals: Kohlmann, a.a.O., Rdnr. 7).

Ein weiteres Beispiel für den Versuch, die Tatbestandsmäßigkeit der Steuerhinterziehung betragsmäßig zu verbalisieren, nicht aber präzise zu beziffern, zeigte sich am Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz vom 19.12.2001 (BGBl. I 2001, 3922). Die Steuerhinterziehung war in den Hype gesetzgeberischen Aktionismus nach dem "September eleven" geraten. Es wurde der Qualifikationstatbestand des § 370 a AO eingeführt. Die gewerbs- oder bandenmäßig begangene Steuerhinterziehung mutierte zum Verbrechenstatbestand. Diese wurde mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht. Wesentlich(er) für den Gesetzgeber dieser Zeit war indessen der Link als taugliche Vortat der nach § 261 StGB strafbaren Geldwäsche, einem der Targets im Zeitalter des internationalen Terrorismus.

Den Staatsanwaltschaften wurde in der Folge das empfindlichste Schwert gegen die Steuerhinterzieher genommen, die den Hinterziehungserfolg absaugende Geldauflage, weit wirksamer und spezialpräventiver als die bedrohungsschwache Aussicht auf eine mögliche Freiheitsstrafe infolge eines amts- oder landgerichtlichen, zuweilen jahrelangen Prozesses. Die Freiheitsstrafe nimmt dem Täter einer Steuerhinterziehung in dessen Verständnis nicht die Vorteile der Tat, macht aus "mein" – anders als die bankkontosensible Geldauflage – nicht "dein".

Die Qualifizierung als Verbrechen sperrte die jahrzehntelange Philosophie des "Auge um Auge, Zahn um Zahn", deren Stilblüte die bemerkenswerte "Praxis" der Bochumer Schwerpunktstaatsanwaltschaft in den sog. Liechtenstein-Fällen ist: bei Geständnis oder – verunglückter – Selbstanzeige: Bezahlung der Steuer zuzüglich einer Geldauflage in Höhe des Einfachen der hinterzogenen Steuer, bei Tatentdeckung ohne Reue wird die Geldauflage schlicht mit dem Doppelten des Hinterziehungserfolges bemessen.

Erste Reflexe hatten sich bereits auf den Gerichtsfluren herausgebildet. Die Neigung, einen Tatbestand als gewerbsmäßig zu qualifizieren, nahm spürbar ab. Die Aussicht auf verstopfte gerichtliche Sanktionstribunale ließ Staatsanwälte und Verteidiger wieder auf dem Radarschirm des § 153 a StPO verorten. Der Gesetzgeber reagierte prompt. Bereits durch das Gesetz vom 23.07.2002 (BGBl. I 2002, 2715) wurde aus dem Upgrade des § 370a AO ein Downsizing.

Im Weiteren erfüllte nicht jede gewerbsmäßige Steuerhinterziehung den Qualifikationstatbestand, hinzutreten musste das Merkmal in großem Ausmaß.

Diese verbale Umschreibung einer merkantilen Größenordnung eines Qualifikationsmerkmals musste zwangsläufig am verfassungsrechtlichen Gebot der Bestimmtheit scheitern. In der Folge wurde noch im gleichen Jahr § 370a AO durch das Gesetz vom 22.12.2007 gestrichen (BGBl. I 2007, 3198), nicht ohne aber gleichzeitig die Steuerhinterziehung in großem Ausmaß als Regelbeispiel nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO zu normieren.

Abgesehen von fortbestehenden verfassungsrechtlichen Zweifeln mangelnder rechtsstaatlicher Bestimmtheit zeigt dieser kurze Fokus auf die historischen Bemühungen des Gesetzgebers, dass in keinem Fall einfach namhaft zu machende betragsmäßige Grenzen in den Tatbestand, seine Regelbeispiele oder einer Qualifikationsnorm eingezogen wurden, sondern dass der Gesetzgeber mit einer bewusst vagen Umschreibung von Tatbestandsmerkmalen auf der einen Seite gerade keine mathematisch-strafrechtliche Einordnung normierte und sich dieserhalb sprachlich-artistischen Übungen am Hochseil verfassungsrechtlicher Bestimmtheit ausgesetzt sah.

III. Exegese

1. Entscheidungstenor

Das Landgericht Landshut hatte den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 48 Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 43 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 11 Monaten verurteilt. Die Revision führte (lediglich) zur Berichtigung eines offensichtlichen Schreibversehens in der Urteilsformel.

2. Sachverhalt

Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte ein Trockenbau-Einzelunternehmen, das für verschiedene Auftraggeber als Subunternehmer tätig war. Aufgrund der Preisvorgaben der Auftraggeber war dem Angeklagten in den Jahren 2001 bis 2005 ein "auskömmliches

Wirtschaften" nur dadurch möglich, dass er den wesentlichen Teil seiner Arbeitnehmer "schwarz" beschäftigte. Er erklärte die Umsatzerlöse, die er aufgrund der Tätigkeit der nicht gemeldeten Arbeitnehmer erzielte, in denen für die betreffenden Zeiträume abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen nicht. Um andererseits den Auftraggebern zu ermöglichen, die an ihn als Subunternehmer geleisteten Zahlungen ertragsteuerlich als Betriebsausgaben anzusetzen und umsatzsteuerlich einen Vorsteuerabzug geltend machen zu können, unterstützte der Angeklagte die Auftraggeber bei der Beschaffung und Ausstellung sog. Abdeckrechnungen.

Insgesamt verkürzte der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen Umsatzsteuern in Höhe von mehr als 373.000,-- € sowie Lohnsteuern in Höhe von 354.000,-- € und enthielt den Einzugsstellen Gesamtsozial-versicherungsbeiträge in Höhe von mehr als 947.000,-- € vor. Zudem ermöglichte er durch das Ausstellen von Scheinrechnungen zu Gunsten Dritter, dass diese ungerechtfertigt Vorsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 220.000,-- € geltend machen konnten.

3. Conclusio

Das Ergebnis konnte nun wirklich nicht verwundern, nimmt man nur die Feststellung des BGH (Rz. 55) in den Blick, wonach der Angeklagte einschlägig vorbestraft und die abgeurteilten Taten in die Bewährungszeit der Vorstrafe fielen, der Täter mithin zudem noch ein "Bewährungsversager" war.

Der BGH hätte mithin die Revision ohne dezidierte Begründung der rechtsstaatlich überaus kritischen statistischen Größe nicht erfolgreicher Revisionen zuführen können. Mit dem Wechsel der Senatszuständigkeit wollte der nunmehr zuständige 1. Strafsenat unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters am BGH Nack dem Steuerstrafrecht offensichtlich ein neues Korsett anziehen.

4. Urteilsstrukturierung

Die auf 28 Seiten mit 55 Rz. gefertigte Entscheidung befasst sich im Teil III. von Tz. 5 bis Tz. 18 mit dem Sozialversicherungsbetrug. Der Teil IV., beginnend ab Tz. 19 ist den Feststellungen und Ausführungen zur Steuerhinterziehung vorbehalten.

5. Entscheidungsaufbau

Der BGH sieht sich offensichtlich im Blick auf die nachfolgenden – auch mit einer Presseerklärung des Gerichts medial zur Kenntnis gebrachten – Ausführungen veranlasst, folgende Feststellung quasi vor die Klammer zu ziehen:

"Grundlage für die Zumessung der Strafe ist bei einer Steuerhinterziehung – wie bei jeder anderen Straftat auch – die persönliche Schuld des Täters."

Allgemeinplatz, Fluchtburg, Selbstverständlichkeit, Erinnerung an etwas, was es zu verabschieden gilt, fallen als Stichwörter beim Lesen dieser Eröffnungsrochade ein. Der BGH macht sich dann auf den langen Weg vom Hochplateau der persönlichen Schuld als des bestimmenden Merkmals der Strafzumessung in die Bauplätze des Fundaments der Einzelfeststellungen und bemerkt:

"Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuer-hinterziehung hat das von § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der "verschuldeten Auswirkungen der Tat" im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht. "Auswirkungen der Tat" sind insbesondere die Folgen für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, d. h. des rechtzeitigen unvollständigen Steueraufkommens. …Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand. ...

Das gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die konkrete Strafzumessung in dem … zugrunde gelegten Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Dass der Hinterziehungsbetrag nicht nur ein bestimmender Strafzumessungsfaktor, sondern darüber hinaus dann, wenn er hoch ist, ein auch für die konkrete Strafzumessung gewichtiger Strafschärfungsgrund ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische Wertung in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO."

Der BGH hebt damit unmittelbar auf den besonders schweren Fall der Verkürzung von Steuern in großem Ausmaß ab.

Zur Erinnerung : Obwohl sich der Gesetzgeber der Problematik des großen Ausmaßes zum Zeitpunkt der Einfügung als Regelbeispiel in § 370 Nr. Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO durchaus bewusst war, ist dieser unbestimmte Tatbestandsbegriff weder im Gesetzestext näher definiert noch lassen sich aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/5846, S. 74 ff.) Anhaltspunkte für das Rechtsverständnis, insbesondere für eine konkrete Größenordnung, erkennen (Kohlmann, a.a.O., § 370, Rdnr. 1099.1).

Der BGH zieht dann in seiner Exegese der Norm den Vergleich zu § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB und zitiert die Entscheidung des BGH im 48. Band (BGHSt 48, 360), mit der bei einem Vermögensverlust von mehr als 50.000,-- € das Regelbeispiel des besonders schweren Falles des Betruges im Merkmal "in großem Ausmaß" erfüllt sei.

"Der Begriff des Vermögensverlustes großen Ausmaßes ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen. … Die Abgrenzung, die sich für § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB wertmäßig an einem Vermögensverlust in Höhe von 50.000,-- € ausrichtet, schafft für die Praxis Rechtssicherheit. Im Einzelfall bleibt genügend Spielraum für eine gerechte Straffindung."

Diese Ausführungen zielen auf die Feststellung ab, dass selbst bei grundsätzlicher Befürwortung eines Schwellenwertes den Gerichten im Einzelfall ein erheblicher Spielraum zukommt, ob trotz des Erreichens oder des Überschreitens des Schwellenwertes aufgrund der weiter

zu beachtenden Gesamtumstände im konkreten Einzelfall nicht eine Bestrafung aus dem Grundtatbestand zu erfolgen hat.

Die Vergleichbarkeit mit dem Betrugstatbestand in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB rechtfertigt der BGH unter Rückgriff auf eine Entscheidung des 5. Strafsenats (BGHSt 50, 299, 309):

"Für eine Vergleichbarkeit mit dem Betrug spricht auch, dass der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in BGHSt 50, 299, 309 zu Recht ausgeführt hat, es sei geboten, dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität gerecht zu werden.",

um aber zugleich feststellen zu müssen,

"Dem steht nicht entgegen, dass sich, anders als bei der Einfügung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 43), in den Materialien zur Gesetzesentstehung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO n. F. keine Anhaltspunkte dafür finden, ab welchem Grenzwert der Gesetzgeber eine Steuerhinterziehung von "großem Ausmaß" als gegeben erachte."

Normen des Steuerstrafrechts sind mit Normen des allgemeinen Strafrechts nicht zu vergleichen. Steuerstrafrecht ist Blankettstrafrecht, Betrugsstrafbarkeit ist keine Blankettstrafbarkeit. Das Steuerrecht hebt zur Konkretisierung des Soll-/Ist-Vergleichs der geschuldeten Zahllast auf das materielle Steuerrecht ab. Es gibt kein materielles Betrugsrecht.

Perpetuierendes Element des Steuerrechts ist der in den Einzelsteuergesetzen normierte Appell der revolvierenden Abgabe von Steuererklärungen in den dort jeweils genannten Fristen. Die multiple Tatbegehung im Steuerrecht ist Reflex der Verpflichtung zur wiederholten Abgabe von Steuererklärungen. Der Betrug ist ein strukturelles Einmaldelikt, das objektbezogen wiederholt begangen werden kann. Die Steuerhinterziehung ist strukturell auf die Wiederholung angelegt. Nur wenige Einzelsteuergesetze regeln Einmal-Sachverhalte, wie z. B. die Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung.

Der gesetzgeberische Appell zur steten Wiederholung der äußeren Form der Tatbegehung, Abgabe einer Steuererklärung, unterscheidet sich somit bereits strukturell vom Betrugstatbestand.

Der Betrug kennt einen Rücktritt, die Steuerhinterziehung die Selbstanzeige. Diese "goldene Brücke zur Steuerehrlichkeit" kann auch als Selbsterkenntnis des Gesetzgebers verstanden werden, dass dem perpetuierenden Element der Steuerhinterziehung ein selbstreinigendes Instrumentarium zur Seite gestellt werden muss. Der Staat verzichtet nicht nur auf seinen Strafanspruch, sondern gibt dem Täter zugleich auch die Möglichkeit, durch eine selbst erstellte Erklärung ohne staatliche Mitwirkung Straferlass zu erreichen. Die Selbstanzeige ist damit auch Ausdruck der – anders als der vom BGH eingangs beschriebenen – gesetzgeberischen Wertung, dass das Steueraufkommen offensichtlich nicht das monstranzgleiche, unbedingte, schützenswerte Rechtsgut ist, wenn der staatliche Strafanspruch – unabhängig vom großen Ausmaß der zuvor erfolgten Hinterziehung – selbstjustizgleich beseitigt werden kann.

Die strukturelle tatbestandliche Unterschiedlichkeit des Betruges zur Steuerhinterziehung markiert sich auch an dem Befund, dass sich der Gesetzgeber veranlasst gesehen hat, bei einer Steuerhinterziehung in großem Ausmaß gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO über § 376 Abs. 1 AO die Verjährungsfrist auf 10 Jahre heraufzusetzen, während bei einem betrügerischen Handeln großen Ausmaßes gem. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB die Verfolgungsverjährung bei fünf Jahren verharrt.

Bei einem vom Gesetzgeber erkannten Gleichlauf beider Tatbestände, beider Regelbeispiele hätte es nahegelegen, die Verfolgungsverjährungen ebenfalls einem Gleichlauf zuzuführen.

Es ist an dieser Stelle nicht Aufgabe zu bewerten, ob es angezeigt ist, dass sich die Strafmaße steuerrechtlicher Verurteilungen denen des Betruges nähern, ob es ein Ungleichgewicht oder ein drohendes Ungleichgewicht zwischen der jeweiligen Strafpraxis zu beklagen gibt, ob der BGH überhaupt für sich in Anspruch nehmen darf, öffentliche Interessen effektiver Strafverfolgung zu reklamieren oder ob dieser Platz aus guten – auch historischen – Gründen gerade nicht für die Judikative, sondern für die Legislative reserviert ist.

Ganz sicher ist indessen eins: Steuerhinterziehung ist mit dem Betrug bereits strukturell auf der Ebene der objektiven Tatbestandsmerkmale nicht zu vergleichen.

Die Brüchigkeit einer Argumentation außerhalb des Normengefüges materiellen Steuerrechts zur Ausfüllung der Blankettstrafrechtsnorm zeigt sich auch an der seufzergleichen Feststellung des BGH (Rz. 36), bevor im Einzelnen ein Sanktionsschemata entwickelt wird:

"Eine solche Relation von Geschäftsvolumen und Steuerschaden kann allerdings das Gewicht des Hinterziehungsbetrags bei der Strafzumessung vermindern."

Was versteht der BGH unter Geschäftsvolumen? Diese Bezugsgröße hat weder eine steuer- oder handelsrechtliche noch allgemein strafrechtliche Tatbestandsmäßigkeit. Es handelt sich um eine umgangssprachliche Begrifflichkeit, deren diffuse Füllmenge keinen Platz im Normengefüge strafrechtlicher Bestimmtheit hat.

IV. Strafrahmen-Kaskade

Ausgehend von der Feststellung struktureller Gleichwertigkeit des Betruges und der Steuerhinterziehung greift der BGH die Rechtsprechung zum Begriff des "großen Ausmaßes" in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB auf und kommt zu folgender Sanktionskaskade:

1. Stufe: Hinterziehungsbetrag bis 50.000,-- € im Falle der Erlangung ungerechtfertigter Zahlungen vom Finanzamt, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle bzw. in dem Fall, in dem sich das Verhalten des Täters darauf beschränkt, die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen, Wertgrenze 100.000,-- €: Geldstrafe

2. Stufe: Hinterziehungsbetrag oberhalb 50.000,-- € bzw. 100.000,-- € bis max. 1 Mio. €: Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung.

3. Stufe: Hinterziehungsbetrag oberhalb 1 Mio. €: Freiheitsstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung.

Innerhalb dieser Strafrahmen-Kaskade hat die Differenzierung zwischen 50.000,-- € bzw. 100.000,-- € danach zu erfolgen, ob der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen, ob sich mithin ein Steuerschaden realisiert hat.

Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen darauf, dass Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden und führe dies lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, hält der Senat die Wertgrenze von 100.000,-- € für angemessen.

Bereits diese willkürliche betragsmäßige Wertdifferenzierung zwischen Gefährdung und Schaden, für die der Wortlaut der Norm wie auch die Entstehungsgeschichte keinerlei Anhaltspunkte liefern, zeigt signifikant den Unterschied zum Betrug. Dort sah sich der BGH bekanntlich nicht veranlasst, die Wertgrenze von 50.000,-- € zur Ausfüllung der Begrifflichkeit in großem Ausmaß mit einem Dopplereffekt bei einer bestimmten passivisch orientierten Tatvariante auf 100.000,-- € heraufzusetzen.

Die normative Arbeit der Auslegung wird ersetzt durch legislative, mithin orignär politische Erwägungen, wonach bei Steuerverkürzungen im Millionenbetrag "in der Regel das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wahrung der Gleichbehandlung vor Gericht" nur durch eine "öffentliche Hauptverhandlung" am "besten" gewährleistet ist (UA S. 22, 23).

V. Strafrahmen-Kaskade durch-brechende Individualisierungen

Der BGH spricht der betragsmäßigen Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des "großen Ausmaßes" eine Regelindizwirkung im Blick auf die Sanktionstrias

  • Geldstrafe,
  • Freiheitsstrafe ausgesetzt zur Bewährung,
  • Freiheitsstrafe ohne Bewährung

zu:

"Liegt nach diesen Maßstäben eine Hinterziehung von "großem Ausmaß" vor, so hat dies – unabhängig von der Frage, ob die Regelwirkung einer besonders schweren Steuerhinterziehung im konkreten Fall zur Anwendung kommt – "Indizwirkung", freilich auch nicht mehr, für die zu findende Strafhöhe."

Regelindizwirkungen und damit Automatismen und damit quasi in Stein gemeißelte Vorverurteilungen widersprechen zwangsläufig dem – eingangs der Entscheidung zitiertem Postulat -, wonach Grundlage für die Zumessung der Strafe bei einer Steuerhinterziehung – wie bei jeder anderen Straftat auch – die persönliche Schuld des Täters sei. Dieses individualisierende, verfassungsrechtlich verankerte, in der Menschenrechtskonvention unter Schutz gestellte höchstwertige Momentum der nachzuweisenden Schuld des Täters würde subversiv demaskiert, wenn "die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi "tarifmäßig" verhängt wird". Und obwohl der BGH mit dieser Textpassage eine feigenblattgleiche Distanzierung formuliert, ist genau das intendiert, um – wie der BGH an anderer Stelle entlarvend formuliert, "größere Rechtssicherheit für die Praxis" sicherzustellen. Der BGH sieht dabei nur die Gerichte in öffentlicher Hauptverhandlung zu tauglichen Akteuren qualifiziert. Die "Praxis" entpuppt sich damit als das erklärte Ziel, engmaschig einen Zuständigkeitsgewinn zu reklamieren. Dieses Verständnis von der Regelindizwirkung des großen Ausmaßes als der mathematischen Grundrechenart verpasst dem tradierten Juristenwitz vom Judex non calculat eine schallende Ohrfeige.

1. Sonstige Milderungsgründe

Die Indizwirkung des großen Ausmaßes kann durch sonstige Milderungsgründe beseitigt sein. Nach dieser Formel ist in der Grundrechenart der schlichten Addition von 1 + 1 das Ergebnis nicht im Regelfall = 2, sondern differiert < 2. Der BGH nennt sonstige Milderungsgründe:

a) Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im Tatzeitraum "im Wesentlichen steuerehrlich" verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam sei daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten Steuern.

b) Hat sich der Täter vor der Tat über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, sei auch dies in den Blick zu nehmen.

c) In die vorzunehmende Gesamtwürdigung sei die Lebensleistung des Täters einzubeziehen.

d) Das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat, ein (frühzeitiges) Geständnis,

e) die Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls das ernsthafte Bemühen hierzu, wirke ebenfalls strafmildernd.

Dass sich das Blankettsteuerstrafrecht vom die Norm materiell ausfüllenden tatbestandsmäßigen Soll/Ist-Vergleich zu einem – Täter des Betruges in der Tat

kennzeichnenden kühlen Erfolgsabgleich – "gezahlte Steuern versus verkürzte Steuern" mutiert, markiert die Treibsandigkeit der Argumentation.

In der Skala der Wirkungskräfte der sonstigen Milderungsgründe sieht der BGH keine Begrenztheit. Diese reichen bis zur Beseitigung der Indizwirkung. Die Regelwirkung entfällt, wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften.

2. Strafschärfungsgründe

Die Skalierung endet nicht an der Nulllinie; den sonstigen Milderungsgründen stellt der BGH bipolar Strafschärfungsgründe gegenüber und erkennt anders als bei den sonstigen Milderungsgründen zudem Regelwirkungen von Lebenssachverhalten für die Strafverschärfung.

a) Gegen eine Geldstrafe oder – bei entsprechend hohem Hinterziehungsbetrag – einer aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe spreche es insbesondere, wenn der Täter Aktivitäten entfaltet hat, die von vornherein auf die Schädigung des Steueraufkommens in großem Umfang ausgelegt waren. Der BGH nennt als Beispiel den Täter, der unter Vorspiegelung erfundener Sachverhalte das "Finanzamt als Bank"[1] betrachtet und in erheblichem Umfang ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen erlangt hat.

b) Strafschärfend wirke, wenn der Täter die Steuerhinterziehung in sonstiger Weise gewerbsmäßig oder gar "als Gewerbe" betreibe.

c) Gleiches gelte auch für den Aufbau eines aufwändigen Täuschungssystems, der systematischen Verschleierung von Sachverhalten und der Erstellung oder Verwendung unrichtiger oder verfälschter Belege zu Täuschungszwecken.

d) Strafschärfende Bedeutung habe es zudem, wenn der Täter besondere Unternehmensstrukturen aufgebaut habe, die auch der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollen,

e) Wenn der Täter das Ziel verfolgt habe, das Steueraufkommen durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen,

f) Wenn er andere Personen verstrickt habe,

g) Wenn er systematische Scheingeschäfte getätigt oder Scheinhandlungen vorgenommen habe oder

h) wenn er in größerem Umfang buchtechnisch Manipulationen vorgenommen oder

i) gezielt durch Einschaltung von "Domizilfirmen" im Ausland oder Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer aufklärbare Sachverhalte geschaffen habe.

In dem rechtssystematischen Verständnis des BGH gibt es dabei nicht nur eine Regelindizwirkung des großen Ausmaßes, sondern zugleich eine Regeltatbestandserfüllung strafschärfender Merkmale, wenn

  • anpassungsfähige Hinterziehungssysteme wie etwa die Umsatzsteuerkarussellgeschäfte
  • Kettengeschäfte unter Einschaltung von sog. "Serviceunternehmen"
  • illegale Arbeitnehmerüberlassung

festgestellt sind.

VI. Strafrahmenwahl

Das perpetuierende Element der Steuerhinterziehung setzt sich nicht im Bereich der Strafrahmenwahl fort. In § 370 Abs. 1 AO ist eine Treibstraße bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe als Sanktion vorgesehen. § 370 Abs. 3 Satz 1 AO nennt für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung eine Strafe in Gestalt einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Das große Ausmaß versteht sich bei der Strafrahmenwahl nicht als Additionswert einzelner Taten. Ob die vorgenannte Schwelle überschritten ist, ist für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen (Spatschek, Steueranwaltsmagazin 2009, 122, 124 unter Hinweis auf BGH vom 05.02.2004, 5 StR 5801/03, wistra 2004, 185). Die einzelne Tat ist die auf die Steuerart und den Veranlagungszeitraum jeweils begrenzte Steuerhinterziehungshandlung. Die jährliche Steuerhinterziehung von z. B. 15.000,-- € führt im nicht verfolgungsverjährten Zeitraum von fünf Jahren nicht zu einem Tatvolumen von 75.000,-- €. Es verbleibt bei fünf Taten zu je 15.000,-- €. Erst im Rahmen der Bildung einer Gesamtstrafe ist das gesamte Volumen abwägend in den Blick zu nehmen.

Die einzeltatbezogene Zuordnung der Strafrahmenkaskade durch den BGH mit dem Ergebnis, dass die beschriebenen (Rechts-)folgen einer Steuerhinterziehung je Tat erfüllt sein müssen, dürfte der zentrale Malus der Entscheidung aus Sicht der Ermittlungsbehörden sein. Aus den Straf- und Bußgeldsachenstellen ist in der praktischen Arbeit zu vernehmen, dass die betragsmäßige Grenze des BGH – vollziehbare Freiheitsstrafe ab einem Hinterziehungs­volumen von einer Million € – durch die Einzeltat kaum je erreicht werden dürfte, so dass die Entscheidung in der Ebene keinerlei Veränderungen in der Sanktionspraxis nach sich ziehen dürfte.

VII. Bindung oder Appell?

Salditt untersucht diese von ihm gestellte Frage im Blick auf den möglichen Versuch des BGH, den revisionsrechtlich respektierten Spielraum einzuengen (Salditt PStR 2009, 15, 18). Rechtliche Beurteilungen des BGH binden den Tatrichter selbstverständlich nur in dem Umfang, in dem sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils tragen, § 358 Abs. 1 StPO (Salditt a. a. O.)

Der BGH, der eingangs seiner Entscheidung feststellt, dass die Revision lediglich zur Berichtigung eines offensichtlichen Schreibversehens in der Urteilsformel führt,

vermag mit diesen obiter dictum gleichen Langausführungen keine Bindungswirkung der Tatgerichte herbeiführen.

Die Bindungswirkung bzw. Befolgenskraft derartiger gerichtlicher Ausführungen für die Staatsanwaltschaft wird in der Literatur divergierend bewertet (Meyer-Goßner, StPO,[52. Aufl.]Rdnr. 11 vor § 141 GVG). Mit Salditt ist festzustellen, dass die Entscheidung des BGH auch keine indirekte Bindungswirkung entfaltet. Ein Tatrichter, der Strafzumessung nicht im mathematisch vorgegebenen Raster des BGH versteht, ist in seiner Entscheidung völlig frei.

VIII. Praxisreflexe

Der Entscheidung des BGH kommt weder eine direkte noch eine indirekte Wirkung auf die Tatgerichte zu. Welches Verhaltensmuster die Staatsanwaltschaft in Reaktion auf diese Entscheidung de iure zu pflegen hat, wird kontrovers diskutiert. Und die Anwaltschaft?

Sie knickt zuweilen ein. Wenn das Gesamtfazit einer Besprechung des Urteils so ausfällt, dass dem die Feststellung vorangestellt wird, dass mit der neuen Entscheidung des BGH weiterhin "garantiert" bleibe, dass es keine genormten Strafen für Steuerhinterziehung gebe, diese Feststellung im laufenden Text aber mit dem ausdrücklich als "Praxisrat" gekennzeichneten Hinweis verbunden werden, wonach die "Betragsgrenzen zwar nicht zwingend" seien, die davon ausgehenden "Signalwirkungen" vorsorglich einzubeziehen seien und dieses in der beispielhaften Empfehlung mündet, dass im Falle einer Betriebsprüfung mit "steuerstrafrechtlichem Hintergrund" darauf geachtet werden solle, "Einigungsergebnisse entsprechend zu gestalten, das heißt auf das Nichterreichen der Grenzen zu achten", weil negative steuerliche Zinsfolgen "möglicherweise das wesentlich kleineren Übel" seien (Mack, Stbg 2009, 270, 272), liegt darin faktisch die Aufgabe der Abwehr.

An anderer Stelle wird das Instrumentarium der Anwaltschaft indessen präzise formuliert. Wenn der BGH mit seinem schlichten Sanktionsschema nachhaltig wirken sollte, werden "sich die beschuldigten Bürger wieder intensiver verteidigen müssen." Diese Aussicht führt bei der Justiz zu der unweigerlichen Erkenntnis, dass der Stau bei den großen Strafkammern der Landgerichte aus dem bislang erreichten Maß mit einem nahezu Automatismus die rechtsstaatswidrige Schwelle der Verfahrensverzögerung überspringt. Dies wiederum führt in der Rechtsprechung der Vollstreckungslösung des BGH zu dem wirkungsvollsten "Strafmilderungsgrund", der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.

In gleicher Weise, wie die aufgehobene Regelung des § 370a AO mit der Sperre der Verfahrenserledigung durch eine Einstellung gem. § 153a StPO das "Verständnis für eine raumgreifende Tatbestandsmäßigkeit des Grundtatbestandes des § 370 AO" weitete, um den Anwendungsrahmen des § 153a StPO zu erreichen, wirkt die Perspektive multipler Hauptverhandlungstage in seit dem Jahreswechsel hier zu beobachtender Praxis überaus förderlich auf die "sehr flexible und kreative Praxis bei Absprachen" (Salditt PStR 2009, S. 28). Die Praxis versteht sich nicht nur auf die Grundrechenarten.


[1] Der wertvollkommene Vergleich mit einer "Bank" dürfte schon aus aktuellen Geschehenssachverhalten sehr fade sein.