HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2009
10. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

1027. BGH 5 StR 521/08 – Urteil vom 17. September 2009 (LG Braunschweig)

BGHSt; Untreue (Treubruchstatbestand; Missbrauchstatbestand; Vermögensbetreuungspflicht des Aufsichtsrates); Betriebsrat (Ehrenamt; Unentgeltlichkeit; Vergütungsverbot); Vorsatz (Kenntnis der Pflichtwidrigkeit; Beweiswürdigung; Verschleierungshandlungen); Betriebsrat (VW; Volkswagen; Vergütung); vermeidbarer Verbotsirrtum; Strafantrag (Prokurist); Täterschaft und Teilnahme bei der Untreue; Betriebsratsbegünstigung und Begünstigung eines europäischen Betriebsrats.

§ 266 Abs. 1 StGB; § 119 Abs. 2 BetrVG; § 78 Satz 2 BetrVG; § 134 BGB; § 76 AktG; § 93 AktG; § 261 StPO; § 17 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB

1. Zur Untreuestrafbarkeit von Zuwendungen an Betriebsräte. (BGHSt)

2. Ist eine Aktiengesellschaft strafantragsberechtigter Unternehmer im Sinne des § 119 Abs. 2 BetrVG, ist eine Vertretung im Willen durch Prokuristen ausgeschlossen. (BGHSt)

3. Das Betriebsratsamt ist ein Ehrenamt ohne Entgelt. Die freigestellten Betriebsräte erhalten ihr ihnen als Arbeitnehmer zustehendes Arbeitsentgelt, denn das gewählte Betriebsratsmitglied bleibt stets Arbeitnehmer und ist als solcher zu vergüten. Eine Übernahme von Betriebsräten in die für Vorstände einer Aktiengesellschaft geltende Entlohnung ist ausgeschlossen. (Bearbeiter)

4. Einem Betriebsratsmitglied darf für die Wahrnehmung seines Amtes in keiner Weise irgendeine Vergütung zufließen, auch nicht in mittelbarer oder verdeckter Form. Der Charakter des Betriebsratsamts als Ehrenamt und die innere Unabhängigkeit der Amtsführung würde auch hierdurch beeinträchtigt. Dem tritt das Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG entgegen, das ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB darstellt. (Bearbeiter)

5. Zwar folgt aus dem Verbot, zu einem bestimmten Zweck Vermögen des Treugebers zu verwenden, nicht ohne Weiteres die Pflicht, das Vermögen insoweit auch zu erhalten. Ein pflichtwidriger Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflicht liegt aber jedenfalls dann vor, wenn der verbotene Vermögensabfluss zur Erzielung eines nicht kompensationsbegründenden Vorteils eingesetzt wird. (Bearbeiter)

6. Zahlungen an Betriebsratsmitglieder zur Erhaltung desjenigen Wohlwollens, zu dem sie bereits auf Grund von § 2 Abs. 1 i.V.m. § 51 Abs. 5 BetrVG verpflichtet sind, sind als kompensationslose Zahlungen anzusehen. Die Bezahlung einer etwaigen Übersteigerung des betriebsverfassungsrechtlich geschuldeten Wohlwollens wäre sittenwidrig und nicht in der Lage, den Vermögensnachteil zu beseitigen. (Bearbeiter)

7. Die nicht tatsachenfundierte Vorstellung eines Betriebsrates, dem Betriebsverfassungsrecht widersprechende Sonderbonuszahlungen seien legitim, weil sie ihm von einem einzelnen Vorstandsmitglied angeboten und zugewandt worden sind, muss nicht unter dem Gesichtspunkt eines Tatbestandsirrtums erörtert werden. Schon ein Verbotsirrtum infolge des angenommenen irrigen Erlaubnissatzes liegt fern. (Bearbeiter)

8. Die Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten als Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 1 AktG) ist nicht eingeschränkt, wenn er das Amt des Aufsichtsrates als ein von den Arbeitnehmern gewähltes Mitglied entsprechend §§ 5 und 7 MitbestG erlangt hat. Die Vorschriften der §§ 25 ff. MitbestG lassen den aktienrechtlichen Grundsatz der individuell gleichen Berechtigung und Verpflichtung aller Aufsichtsratsmitglieder unberührt (vgl. BGHZ 83, 144, 147). (Bearbeiter)

9. Zwar ermächtigt die Prokura gemäß § 49 Abs. 1 HGB zu allen Arten von Geschäften, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Hierzu gehört auch die Befugnis, Strafanträge zu stellen hinsichtlich des Ver-

dachts von Straftaten, aufgrund derer Rechte des Unternehmens verletzt worden sind. Um eine solche Rechtsverletzung handelt es sich bei § 119 Abs. 1 BetrVG aber nicht. (Bearbeiter)


Entscheidung

987. BGH 3 StR 224/09 – Urteil vom 13. August 2009 (LG Hannover)

Unerlaubtes Sichverschaffen von Betäubungsmitteln (Möglichkeit und Willen zu eigener Verfügung); abstrakte Strafzumessung (besonders schwerer Fall; vertypte Milderungsgründe; Urteilsgründe); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Zweifelssatz); unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Täterschaft; Beihilfe; Interesse am Taterfolg).

§ 29 BtMG; § 21 StGB; § 46 StGB; § 49 StGB; § 267 Abs. 3 StPO; § 25 StGB

1. Das unerlaubte Sichverschaffen von Betäubungsmitteln setzt – wie der Erwerb – voraus, dass der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt mit der Möglichkeit und dem Willen erlangt, über die Sache als eigene zu verfügen. Hierzu genügt es nicht, fremde Betäubungsmittel für begrenzte Zeit für Dritte zu verwahren, mögen sie auch während dieser Zeit dem freien Zugriff des Angeklagten ausgesetzt sein.

2. Bejaht der Tatrichter einen besonders schweren Fall trotz des Vorliegens eines vertypten Strafmilderungsgrunds, so müssen die Darlegungen in den Urteilsgründen dem Revisionsgericht erkennbar machen, dass er sich bewusst ist, trotz Verwirklichung des Regelbeispieles wegen dieses Milderungsgrundes – allein oder in Zusammenhang mit anderen Umständen – entweder den besonders schweren Fall verneinen oder aber den Strafrahmen des besonders schweren Falls gemäß § 49 StGB mildern zu können.

3. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 Satz 1 StGB setzt die sichere Feststellung eines Hangs voraus, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Kann dieser Hang lediglich nicht ausgeschlossen werden, so ist für eine Unterbringung kein Raum.


Entscheidung

988. BGH 3 StR 226/09 – Beschluss vom 13. August 2009 (LG Hannover)

Unerlaubter Besitz einer Schusswaffe; unerlaubtes Führen einer Schusswaffe; Strafzumessung (Beruhen).

§ 52 WaffG; § 46 StGB; § 54 StGB; § 337 StPO

Übt der Täter die tatsächliche Gewalt über eine Waffe außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedeten Besitztums aus, so führt er sie. Eine Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichten unerlaubten Besitzes der Waffe kommt nur in Betracht, wenn festgestellt ist, dass der Täter die tatsächliche Gewalt über sie auch innerhalb der bezeichneten Örtlichkeiten ausgeübt hat.