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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 486

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 245/24, Urteil v. 05.02.2025, HRRS 2025 Nr. 486


BGH 6 StR 245/24 (alt: 6 StR 467/22) - Urteil vom 5. Februar 2025 (LG Braunschweig)

Besonders schwere Vergewaltigung (Strafzumessung: einverständliche Intimitäten vor und nach der Tat; Täter-Opfer-Ausgleich (Übernahme von Verantwortung: Gewaltdelikte, umfassendes Geständnis, eingeschränktes Geständnis).

§ 177 StGB; § 46a Nr. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Bei dem Täter-Opfer-Ausgleich bedarf es für die erforderliche Übernahme von Verantwortung zwar nicht stets, aber doch insbesondere bei Gewaltdelikten in aller Regel eines umfassenden Geständnisses. Sind für das Opfer aber nach gelungenen Ausgleichsbemühungen die strafrechtliche Ahndung und das Verteidigungsverhalten des Täters nicht mehr von besonderem Interesse, so steht ein nur eingeschränktes Geständnis, nach dem Sinn und Zweck der Regelung, der Anwendung des § 46a StGB nicht entgegen.

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 30. Januar 2024 werden verworfen.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen; der Staatskasse fallen die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zur Last.

- Von Rechts wegen -

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hob der Senat das Urteil mit Beschluss vom 13. Dezember 2022 mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück (6 StR 467/22, NStZ 2023, 310). Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten erneut wegen besonders schwerer Vergewaltigung schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen.

Die Staatsanwaltschaft hat ihr - vom Generalbundesanwalt vertretenes - Rechtsmittel auf den Strafausspruch beschränkt. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der zur Tatzeit 22 Jahre alte Angeklagte und die Nebenklägerin waren seit 2014 liiert; eine gemeinsame Tochter wurde im Jahre 2016 geboren. Die Beziehung war geprägt von körperlichen und verbalen Übergriffen des Angeklagten auf die Nebenklägerin sowie mehrfachen vorübergehenden Trennungen. Im Oktober 2019 entschied die Nebenklägerin, sich endgültig zu trennen. Auf ihr Verlangen hin gab der Angeklagte ihr die Wohnungsschlüssel zurück und schien ihre Entscheidung akzeptiert zu haben.

Wenige Tage später verschaffte sich der Angeklagte abends Zutritt zur Wohnung der Nebenklägerin und überraschte diese im Badezimmer. Nachdem er sie angeschrien, ihr Mobiltelefon an sich genommen und die Fenster geschlossen hatte, zog er die weinende Nebenklägerin aus der Badewanne und verbrachte sie in das Wohn- und Schlafzimmer. Unter Vorhalt eines Küchenmessers mit einer etwa 20 cm langen Klinge äußerte er, dass er sie „abstechen“ werde, sollte sie nicht aufhören zu schreien. Dem kam die Nebenklägerin nach; allerdings weinte sie durchgängig leise weiter.

Sodann forderte der Angeklagte die unbekleidete Nebenklägerin auf, für ihn zu posieren und dabei insbesondere ihre Scheide zu zeigen. Währenddessen löste er mehrfach das Blitzlicht seines Mobiltelefons aus und erweckte dadurch bei ihr den Eindruck, sie werde gegen ihren Willen fotografiert; hierdurch wollte er sie demütigen. Anschließend kündigte er an, mit ihr schlafen zu wollen. Dazu stieß er sie auf das Bett, legte das Messer neben ihren Kopf, drückte ihre zusammengepressten Beine auseinander und vollzog über mehrere Minuten hinweg ungeschützt und bis zum Samenerguss den Geschlechtsverkehr. Die Nebenklägerin ließ dies wegen ihrer körperlichen Unterlegenheit und aus Angst vor einem Messereinsatz zu. Anschließend entschuldigte sich der Angeklagte bei ihr und verließ nach mehrfacher Aufforderung durch die Nebenklägerin die Wohnung.

Einige Tage später zog der Angeklagte erneut bei ihr ein. Es kam in der Folgezeit abermals zu aggressiven verbalen und körperlichen Übergriffen; beide waren gleichwohl erneut einverständlich intim. Die Nebenklägerin hatte weiterhin Angst vor dem Angeklagten und litt unter der Tat. Da ihr eine einvernehmliche Trennung nicht möglich erschien, bereitete sie heimlich ihren Umzug in ein Frauenhaus vor. Nachdem sie diesen aus Sorge vor damit verbundenen erheblichen Veränderungen auch für das Leben ihrer Tochter mehrfach verschoben hatte, trennte sie sich vom Angeklagten Anfang März 2020 nach einem erneuten Gewaltausbruch und zog mit ihrer Tochter zunächst für mehrere Monate in ein Frauenhaus und anschließend in eine eigene Wohnung. Auch in der Folgezeit befürchtete sie, dass sich der Angeklagte, der ihre neue Anschrift ermittelt und sie trotz eines Näherungsverbots mehrfach bedrängt hatte, abermals Zutritt zu ihrer Wohnung verschaffen könnte.

2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als besonders schwere Vergewaltigung bewertet (§ 177 Abs. 1, 6 Satz 2 Nr. 1 und 8 Nr. 1 StGB) und aufgrund folgender Feststellungen und Wertungen die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB bejaht:

a) Der Angeklagte habe die Tat teilweise gestanden und sich bei der Nebenklägerin am zweiten Hauptverhandlungstag persönlich - und im Rahmen des ihm Möglichen - „reuig entschuldigt“. Während einer Verhandlungsunterbrechung habe er der Nebenklägerin ferner 5.000 Euro übergeben, die für beide angesichts ihrer sehr begrenzten Einkommensverhältnisse eine „beträchtliche Summe“ darstelle. Die Nebenklägerin habe sowohl das Schmerzensgeld als auch die Entschuldigung angenommen und dazu erklärt, dass sie die Tat zwar nicht vergessen werde und der Angeklagte diese auch nicht ungeschehen machen könne; aus ihrer Sicht habe er aber „nunmehr alles getan, was ihm möglich sei“. Von besonderer Bedeutung und „immens erleichternd“ sei für sie, dass er den gegen ihren Willen und trotz ihres Weinens bis zum Samenerguss vollzogenen ungeschützten Geschlechtsverkehr eingeräumt habe. Man habe ihr insoweit immer wieder keinen Glauben geschenkt. Hingegen sei für sie nicht von Bedeutung, dass er den Messereinsatz nicht gestanden habe.

b) Infolgedessen hat das Landgericht die Strafe dem nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 177 Abs. 8 StGB entnommen. Einen minderschweren Fall nach § 177 Abs. 9 StGB hat es auch unter Heranziehung dieses vertypten Strafmilderungsgrundes abgelehnt.

II.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

1. Der Schuldspruch hat Bestand. Insbesondere beruht er auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung (zum Prüfungsmaßstab vgl. nur BGH, Beschluss vom 18. März 2021 - 4 StR 480/20 Rn. 2 mwN; Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f.). Das Landgericht hat insbesondere zu dem vom Angeklagten bestrittenen Messereinsatz eine dieser schwierigen Beweiskonstellation Rechnung tragende besonders sorgfältige Beweiswürdigung vorgenommen.

2. Der Strafausspruch hält - eingedenk des auch insoweit begrenzten Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteile vom 14. April 2022 - 5 StR 313/21, StV 2023, 522, 523; vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21 mwN) - sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Insbesondere erweisen sich die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts nicht als lückenhaft. Entgegen der Auffassung der Revision war es von Rechts wegen nicht gehalten, strafmildernd zu berücksichtigen, dass der Angeklagte und die Nebenklägerin vor und nach der Tat einverständlich intim waren. Eine solche Bewertung lag nach den hierfür maßgeblichen Umständen des Einzelfalls fern (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2024 - 5 StR 164/24, Rn. 24; Urteil vom 5. Januar 2023 - 5 StR 386/22, Rn. 25, 27; Beschluss vom 9. August 2022 - 6 StR 279/22, StV 2023, 392).

III.

Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist ebenfalls unbegründet.

1. Die Urteilsgründe tragen insbesondere noch die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB. Zwar hat das Landgericht versehentlich keine Variante nach § 46a Nr. 1 StGB benannt. Jedoch belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen jedenfalls die Annahme eines ernsthaften Bemühens des Angeklagten um Schadenswiedergutmachung im Sinne des § 46a Nr. 1, Var. 3 StGB.

a) Der Täter-Opfer-Ausgleich gemäß § 46a Nr. 1, Var. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, jedenfalls ernsthaft erstrebt hat, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutzumachen. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 - 1 StR 205/95, BGHR StGB § 46a Wiedergutmachung 1; Urteile vom 31. Mai 2002 - 2 StR 73/02, NStZ 2002, 646; vom 27. August 2002 - 1 StR 204/02, NStZ 2003, 29; vom 9. Mai 2017 - 1 StR 576/16, NStZ-RR 2017, 198).

b) Gemessen hieran halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht den Täter-Opfer-Ausgleich angenommen hat, rechtlicher Prüfung stand.

aa) Die Strafkammer hat einen kommunikativen Prozess zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin tragfähig belegt. Der Angeklagte hat die Tat in der Hauptverhandlung teilweise gestanden, sich auch dort bei der Nebenklägerin entschuldigt und ihr 5.000 Euro übergeben. In Kenntnis seiner begrenzten finanziellen Verhältnisse und kognitiven Möglichkeiten hat die Nebenklägerin dieses Verhalten als friedensstiftenden Ausgleich angenommen. Zudem hat sie angegeben, dass der Angeklagte „nunmehr aus ihrer Sicht alles getan habe, was ihm möglich sei“.

bb) Die Bewertung der konkret erbrachten Leistungen als geeignet für einen friedensstiftenden Ausgleich ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Der vom Angeklagten gezahlte Betrag erweist sich bei Anwendung des gebotenen objektiven Maßstabs, aber auch angesichts der festgestellten Verletzungsfolgen sowie der berücksichtigten Einkommensverhältnisse nach den hier gegebenen Umständen als ausreichend, um darin jedenfalls ein ernsthaftes Bemühen um Wiedergutmachung zu erkennen (vgl. BGH, Urteile vom 10. Oktober 2024 - 4 StR 173/24, Rn. 28; vom 1. August 2024 - 4 StR 409/23, Rn. 16; vom 4. Januar 2024 - 5 StR 540/23, Rn. 13).

cc) Die Strafkammer hat in diesem Prozessverhalten auch rechtsfehlerfrei eine zureichende Verantwortungsübernahme durch den Angeklagten für die Sexualstraftat erblickt.

(1) Für die erforderliche Übernahme von Verantwortung bedarf es zwar nicht stets, aber doch insbesondere bei Gewaltdelikten in aller Regel eines umfassenden Geständnisses (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 141 f.; Beschlüsse vom 12. Januar 2021 - 4 StR 139/20, Rn. 8; vom 20. September 2002 - 2 StR 336/02, NStZ 2003, 199, 200, jeweils mwN). Oftmals wird dem Opfer gerade ein Bekennen des Täters zu seiner Tat auch im Strafverfahren besonders wichtig, eine angestrebte Wiedergutmachung des Täters ohne sein Geständnis deshalb kaum denkbar sein. Sind für das Opfer aber nach gelungenen Ausgleichsbemühungen die strafrechtliche Ahndung und das Verteidigungsverhalten des Täters nicht mehr von besonderem Interesse, so steht ein nur eingeschränktes Geständnis nach dem Sinn und Zweck der Regelung, die gerade dem friedensstiftenden kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer besondere Bedeutung beimisst, der Anwendung des § 46a StGB nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 141 f.; Beschluss vom 20. September 2002 - 2 StR 336/02, NStZ 2003, 199, 200).

(2) Der Umstand, dass der Angeklagte lediglich einzelne Tatmodalitäten in Abrede gestellt hat, steht der angenommenen Verantwortungsübernahme für die Tat unter den hier gegebenen Umständen nicht entgegen. Zwar weist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass der Angeklagte ein widerrechtliches Eindringen in die Wohnung und den Einsatz eines Messers bestritten hat.

Mit dem von ihm eingeräumten erzwungenen Geschlechtsverkehr hat er seine Verantwortung für die Tat und deren Folgen aber nicht in Abrede gestellt, sondern insbesondere die „Opferrolle“ der Nebenklägerin ausdrücklich anerkannt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - 2 StR 217/08, NStZ-RR 2008, 304; Urteile vom 10. Februar 2010 - 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176; vom 23. Mai 2013 - 4 StR 109/13, NStZ-RR 2013, 240; vom 29. Januar 2015 - 4 StR 433/14, Rn. 29). Mit Bedacht auf die festgestellte Akzeptanz durch die Nebenklägerin, die dem unterbliebenen Bekenntnis des Angeklagten insbesondere zum Messereinsatz keine „große Bedeutung“ zugemessen hat, und den tatsächlich erreichten friedensstiftenden Ausgleich hat das Landgericht rechtsfehlerfrei keine strengeren Anforderungen an den Geständnisinhalt gestellt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 141 f.; Beschluss vom 12. Juli 2023 - 6 StR 275/23, NStZ-RR 2023, 274; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1035 mwN).

2. Schließlich hält auch die Ermessensentscheidung des Landgerichts, von der Strafmilderungsmöglichkeit nach § 46a i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB Gebrauch zu machen, revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand. Vor dem Hintergrund des erreichten Ausgleichs und mit Blick auf die festgestellte frühzeitige Entschuldigung des Angeklagten bereits unmittelbar nach der Tat war hier der Zeitpunkt konkreter Ausgleichsbemühungen nicht näher zu bewerten.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 486

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede