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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 475

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 527/22, Beschluss v. 14.02.2023, HRRS 2023 Nr. 475


BGH 5 StR 527/22 - Beschluss vom 14. Februar 2023 (LG Lübeck)

Mitteilungspflicht bei erfolglosen Verständigungsbemühungen.

§ 243 Abs. 4 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebende Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen gilt ohne Einschränkungen auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 29. Juli 2022, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf eine Verfahrensrüge hin zur Aufhebung des Urteils. Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht eine Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach Erhebung der Anklage fand auf Anregung der Vorsitzenden ein Verständigungsgespräch statt, an dem neben den Mitgliedern der Strafkammer unter anderem Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft sowie die Verteidiger des Angeklagten und des nicht revidierenden Mitangeklagten teilnahmen. Im Verlauf des Gesprächs äußerten die zuständige Staatsanwältin und später auch die Vorsitzende ihre Strafmaßvorstellung für den Angeklagten für den Fall einer geständigen Einlassung. Dessen Verteidiger äußerte sich ablehnend. Das Gespräch wurde letztlich ergebnislos beendet. Die Vorsitzende fertigte einen Vermerk über das Gespräch an, der zu den Akten genommen und den Verteidigern per Fax übermittelt wurde.

Am ersten Tag der Hauptverhandlung stellte die Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes fest, „dass Erörterungen zur Vorbereitung einer Verständigung“ stattgefunden hätten. Sie nahm Bezug auf den hierzu gefertigten Vermerk. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger bestätigten, den Vermerk zu kennen. Über das Verständigungsgespräch und dessen Inhalt teilte die Vorsitzende ansonsten nichts mit. Auch der Vermerk wurde nicht verlesen oder sonst bekanntgegeben. Weitere Erklärungen wurden von den Verfahrensbeteiligten nicht abgegeben.

2. Es liegt danach ein durchgreifender Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vor.

a) Indem die Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung lediglich die Gesprächsführung als solche und als deren Ergebnis das Ausbleiben einer Verständigung, nicht aber den wesentlichen Inhalt des Gesprächs mitteilte, genügte sie nicht der sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebenden Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen, die ohne Einschränkungen auch im Fall erfolgloser Verständigungsbemühungen gilt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 - 4 StR 209/21, NStZ-RR 2022, 79; Urteil vom 18. November 2020 ‒ 2 StR 317/19, wistra 2021, 290 Rn. 45 mwN).

b) Das Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Zwar war der Angeklagte durch seinen Verteidiger in inhaltlich nicht näher bekannter Weise mündlich über das Verständigungsgespräch und dessen Ergebnislosigkeit informiert worden (zum Fehlen eines aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO folgenden Vortragserfordernisses hierzu vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. November 2019 - 3 StR 336/19, NStZ-RR 2020, 87; vom 3. August 2022 - 5 StR 62/22). Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte sein Prozessverhalten bei einer durch die Vorsitzende erteilten Information über den Inhalt des Verständigungsgesprächs anders als geschehen ausgerichtet hätte (vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 - 4 StR 209/21, NStZ-RR 2022, 79; KKStPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 118; MüKoStPO/Arnoldi, § 243 Rn. 96).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 475

Bearbeiter: Christian Becker