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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 574

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 625/19, Beschluss v. 16.02.2021, HRRS 2021 Nr. 574


BGH 4 StR 625/19 - Beschluss vom 16. Februar 2021 (LG Hagen)

Verwerfung der Revision als unbegründet.

§ 349 Abs. 2 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 12. Juli 2019 aufgehoben im Ausspruch über

a) die Einzelstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe;

b) die Gesamtstrafen; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen fahrlässigen Vollrauschs und wegen Diebstahls unter Auflösung der Gesamtstrafe und Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 18. Januar 2019 (188 Ds 600 Js 41/19-17/19) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt; ferner hat es ihn wegen Diebstahls und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5 € verurteilt; von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die im Fall II.2 der Urteilsgründe verhängte - kurze - Freiheitsstrafe von drei Monaten hat keinen Bestand. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Unerlässlichkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB begründet hat, halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat angenommen, dass dies zur Einwirkung auf den Angeklagten unerlässlich sei, und hat zur Begründung unter anderem auf die gesteigerte kriminelle Energie des Angeklagten verwiesen, die sich darin zeige, dass er „einerseits nahezu unmittelbar nach seiner Einreise nach Deutschland mit der Begehung von Straftaten begonnen hat und zudem in relativ kurzer Zeit eine nicht unerhebliche Anzahl von Straftaten beging“.

Diese Erwägung ist rechtlich durchgreifend bedenklich. Es erschließt sich schon nicht, inwiefern der Umstand, dass der Angeklagte nach seiner (Wieder-) Einreise in das Bundesgebiet rasch straffällig geworden ist, die Strafzumessungsschuld erhöhen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2019 - 4 StR 447/19 mwN), zumal der Angeklagte nach den Feststellungen auf Betreiben seines Vaters zu seinen Großeltern nach Deutschland reiste und beabsichtigte, zeitnah nach Benin zurückzukehren. Darüber hinaus hat das Landgericht nicht bedacht, dass es sich bei der verfahrensgegenständlichen Tat um die erste geringfügige Vermögensstraftat des bislang nicht vorbestraften, geständigen und bei Tatbegehung alkoholbedingt enthemmten Angeklagten handelte, die nicht zu einem Schaden für die geschädigte Firma führte, an die das Diebesgut zurückgelangte.

Der Senat vermag ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesen Wertungsfehlern nicht auszuschließen (§ 337 Abs. 1 StPO).

2. Der Wegfall der im Fall II.2 der Urteilsgründe festgesetzten Einzelstrafe entzieht der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Diese erweist sich jedoch auch für sich genommen als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil es an Feststellungen zum Vollstreckungsstand des seit seiner Verkündung rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Hagen vom 18. Januar 2019 fehlt. Daher kann nicht geprüft werden, ob das Landgericht die Voraussetzungen des § 55 StGB rechtsfehlerfrei bejaht hat.

3. Der hierin liegende Rechtsfehler zieht auch die Aufhebung der für die Taten II.3 und 4 der Urteilsgründe verhängten weiteren Gesamtgeldstrafe nach sich. Denn es bleibt unklar, ob das Landgericht dem Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 18. Januar 2019 zu Recht Zäsurwirkung mit der Folge beigemessen hat, dass aus den Strafen für die verfahrensgegenständlichen vier Taten zwei Gesamtstrafen zu bilden waren. Fehlt es an den Voraussetzungen für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung, wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht aus sämtlichen verfahrensgegenständlichen Taten gemäß § 54 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden haben.

4. Die Feststellungen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

5. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird hinsichtlich der Frage nachträglicher Gesamtstrafenbildung zu beachten haben, dass insoweit der Vollstreckungsstand zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils maßgebend ist.

Darüber hinaus wird es zu prüfen haben, ob das Verfahren trotz der im Revisionsverfahren infolge zunächst nicht wirksam erfolgter Urteilszustellung eingetretenen Verfahrensverzögerung insgesamt noch mit der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gebotenen Beschleunigung durchgeführt worden ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 574

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner