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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 269

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 481/15, Beschluss v. 01.12.2015, HRRS 2016 Nr. 269


BGH 4 StR 481/15 - Beschluss vom 1. Dezember 2015 (LG Kaiserslautern)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzungen; Darstellung im Urteil: psychische Störung als Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit).

§ 63 StGB, § 20 StGB; § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war. Hierzu hat der Tatrichter festzustellen, welche psychische Störung unter welches Eingangsmerkmal des § 20 StGB zu subsumieren ist und wie sich diese Störung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.).

2. Die Mitteilung der von einem Sachverständigen vorgenommenen Diagnose und der Symptome der festgestellten Störung(en) allein vermag indes das Vorliegen eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB nicht zu belegen (st. Rspr.).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 29. Juli 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.

Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts setzte der Angeklagte am Abend des 16. August 2014, nachdem er Ritalin in großen Mengen zu sich genommen hatte, seine Mutter, der die psychische Verfassung ihres Sohnes bekannt war, telefonisch davon in Kenntnis, dass er sich nunmehr das Leben nehmen werde. Nach Erscheinen der von seiner Mutter alarmierten Polizeibeamten verbarrikadierte sich der Angeklagte in seiner Wohnung. Nach deren gewaltsamer Öffnung fanden die Beamten den Angeklagten hysterisch schreiend und nur mit einem T-Shirt bekleidet im Wohnzimmer vor. Als er die Beamten erkannte, versuchte er in der Absicht, seine Wohnung in Brand zu setzen, mehrfach vergeblich, mittels eines Feuerzeugs einen Lappen anzuzünden, bis er diesen schließlich in einen Putzeimer warf, der mit leicht entzündlichem Lösungsmittel gefüllt war. Dieses entzündete sich jedoch nicht. Gleichzeitig drohte der Angeklagte den eingesetzten Beamten, sie alle in die Luft zu sprengen. Der Angeklagte konnte überwältigt werden und wurde in eine psychiatrische Einrichtung verbracht (Fall II. 1).

Als sich der Angeklagte am Vormittag des 4. Dezember 2014 allein in der Wohnung seiner Mutter befand, unterlag er der Vorstellung, dass ihn im Haus jemand verfolgen würde. Unter lautem Geschrei stach er, am Küchenfenster stehend, mit einem Messer oder einem Brecheisen auf einen Gegenstand ein, riss den Rollladen aus der Verankerung, öffnete das Fenster und riss dieses aus dem Rahmen heraus. Dadurch entstand Sachschaden in unbekannter Höhe. Daraufhin sprang der Angeklagte mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 20 cm durch das Küchenfenster und begab sich zum Nachbaranwesen der Familie E. (Fall II. 2).

Nachdem er durch die zerbrochene Glaseinfassung der Haustür in deren Haus eingedrungen war, hielt er das Messer mit der Klinge in Kopfhöhe mit Stoßrichtung zu den Zeugen H., M. und Y. E., die sich im Hausflur befanden, ging in Verletzungsabsicht mit verzerrtem Gesicht in Angriffsposition über und schrie unverständliche Dinge. Der Zeuge M. E. stand hierbei so dicht vor dem Angeklagten, dass dieser jederzeit auf den Zeugen hätte einstechen können. Allen drei Zeugen gelang indes die Flucht in den Keller, wo sie sich hinter einer Stahltür vor dem Angeklagten in Sicherheit brachten. Währenddessen verursachte der Angeklagte Schäden im Flur- und Eingangsbereich sowie in der angrenzenden Gästetoilette des Hauses. Er riss u.a. die Garderobe von der Wand, die Toilettentür und einen Heizkörper aus der Verankerung sowie das Waschbecken aus der Wand der Toilette. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 15.000 Euro (Fall II. 3).

2. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten der psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Diese hat nach eigener Exploration des Angeklagten sowie Auswertung der Akten und der aus Anlass verschiedener Unterbringungen in psychiatrischen Einrichtungen angefallenen Arztberichte im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die Schuldfähigkeit des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten sei aufgrund seiner psychischen Störung, aufgrund von Verhaltensstörungen, bedingt durch den Konsum psychotroper Substanzen, sowie durch die Erkrankung an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie vollständig aufgehoben gewesen. Aufgrund jeweiliger akuter paranoid-halluzinatorischer Psychosen habe zum Zeitpunkt der Begehung der Taten keine Einsichtsfähigkeit bestanden. Wegen wahnhaften Bedrohungserlebens habe sich der Angeklagte in großer Panik befunden und sei in einen starken Erregungszustand geraten. Gleichzeitig bestehe bei dem Angeklagten eine langjährige Suchterkrankung, die mit der andauernden Rezeptur der ihm auch durch Ärzte u.a. aufgrund eines Bandscheibenvorfalls verordneten Medikamente, bestehend aus Medikinet und Tilidin, nicht behandelt worden sei. Im Rahmen der Erwägungen zu den Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus führt das Landgericht ferner u.a. aus, der Angeklagte leide an einer mittlerweile chronisch gewordenen krankhaften seelischen Störung, die im Zusammenhang mit paranoid-halluzinatorischen Psychosen seine strafrechtliche Verantwortlichkeit infolge aufgehobener Einsichtsfähigkeit vollständig ausgeschlossen habe. Diese Erkrankung sei überdauernd und durch die „gleichzeitig gegebene“ schwere Suchterkrankung und die Neigung des Angeklagten bedingt, in Krisensituationen alle ihm zur Verfügung stehenden zentralwirksamen Stoffe auch intranvenös zu injizieren.

II.

Mit diesen Ausführungen werden die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt.

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war. Hierzu hat der Tatrichter festzustellen, welche psychische Störung unter welches Eingangsmerkmal des § 20 StGB zu subsumieren ist und wie sich diese Störung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352; und vom 22. Mai 2013 - 1 StR 71/13).

2. a) Gemessen daran bleibt die Zuordnung der vom Sachverständigen diagnostizierten psychischen Störung(en) zu einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB unklar. Als Ursache für die aufgehobene Einsichtsfähigkeit des Angeklagten benennt das angefochtene Urteil zunächst (allein) eine „akute paranoid-halluzinatorische Psychose“ (UA 10), nachfolgend eine nicht näher benannte „psychische und Verhaltensstörung durch den Konsum sonstiger psychotroper Substanzen“ sowie eine „Erkrankung an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie“ mit „akut paranoid-halluzinatorischen Psychosen“ zu den Tatzeitpunkten (UA 19) und sodann - im Zusammenhang mit der Erörterung der Voraussetzungen der Unterbringung - eine chronisch gewordene „krankhafte seelische Störung“ im Zusammenhang mit „paranoid-halluzinatorischen Psychosen“ und einer „gleichzeitig gegebenen schweren Suchterkrankung“ (UA 24). Damit fehlt es an einer hinreichend klaren Feststellung, welches Eingangsmerkmal des § 20 StGB erfüllt sein soll. Das Landgericht beschränkt sich vielmehr auf die Mitteilung der von der Sachverständigen vorgenommenen Diagnose und der Symptome der festgestellten Störung(en). Dies allein vermag indes das Vorliegen eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB nicht zu belegen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. November 2004 aaO; Beschluss vom 8. Januar 2014 - 2 StR 514/13).

b) Die Begründung des Landgerichts für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet auch in einem weiteren Punkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Ausführungen der Sachverständigen, soweit diese sich aus den Urteilsgründen ergeben, legen nahe, dass die diagnostizierte psychische Störung erst im Zusammenwirken mit der beim Angeklagten ebenfalls bestehenden schweren Suchterkrankung zu einer vollständigen Aufhebung der Einsichtsfähigkeit geführt hat. Dass das Landgericht hierüber ohne Erörterung hinweggeht, lässt besorgen, dass es die besonderen Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei gleichzeitigem Vorliegen einer psychischen Störung und einer Suchterkrankung nicht bedacht hat (vgl. dazu nur BGH, Beschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 mwN), zumal, worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist, die in einem solchen Fall auch in Betracht kommende Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) von der Strafkammer überhaupt nicht in den Blick genommen worden ist.

III.

1. Im Hinblick auf die rechtliche Bewertung der Anlasstaten weist der Senat auf das Folgende hin:

a) Sollte der neue Tatrichter im Fall II. 1 der Urteilsgründe erneut zu der Feststellung gelangen, dass der vom Angeklagten in den Putzeimer geworfene Lappen nicht brannte, würde die rechtliche Würdigung dieses Verhaltens als versuchte Brandstiftung genauerer Erörterung bedürfen. Es versteht sich insbesondere nicht von selbst, dass sich der Angeklagte vorstellte, durch das bloße Werfen des Lappens, den er vergeblich zu entzünden versucht hatte, in den Eimer zum Versuch einer Straftat im Sinne des § 306 StGB unmittelbar anzusetzen, auch wenn der Eimer eine leicht brennbare Flüssigkeit enthielt. Gegebenenfalls wird zu erörtern sein, ob der Angeklagte vom Versuch der Brandstiftung strafbefreiend zurückgetreten ist.

b) Hinsichtlich des Tatkomplexes zu Ziff. II. 3 der Urteilsgründe belegen die bislang getroffenen Feststellungen den Tatentschluss zu einer versuchten gefährlichen Körperverletzung nicht. Dass der Angeklagte den Geschädigten in geringem Abstand mit hocherhobenem Messer gegenüberstand, so dass er ihnen „den Eindruck vermittelt habe“, er wolle sogleich zustechen, rechtfertigt für sich genommen nicht die Bewertung, der Angeklagte habe im Sinne von § 22 StGB nach seiner Vorstellung zur Tat unmittelbar angesetzt.

2. Für den Fall einer erneuten Maßregelanordnung empfiehlt es sich mit Blick auf die Gefährlichkeitsprognose, auch den Sachverhalt in den Urteilsgründen genauer mitzuteilen, der dem nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Anklagevorwurf zugrunde liegt.

3. In der im angefochtenen Urteil unter lfd. Nr. 10 referierten Vorverurteilung dürfte es sich bei der Angabe der Höhe der verhängten Strafe (zwei Monate) um ein offensichtliches Versehen handeln.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 269

Externe Fundstellen: StV 2016, 726

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede