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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 998

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 330/13, Beschluss v. 10.09.2013, HRRS 2013 Nr. 998


BGH 4 StR 330/13 - Beschluss vom 10. September 2013 (LG Münster)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Begründung der Tat auf der Grundlage einer psychischen Störung).

§ 63 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 24. Januar 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) im Fall II. B der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil der Eheleute P.),

b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in 59 Fällen, wegen unerlaubter Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige in acht Fällen und wegen "vorsätzlicher Körperverletzung" (richtig: Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen) unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer anderweitigen Verurteilung nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt und ausgesprochen, dass durch Anrechnung von auf die einbezogene Verurteilung erbrachten Geldzahlungen zwei Wochen dieser Strafe als verbüßt gelten. Es hat ferner die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Die Verfahrensrüge hat der Beschwerdeführer nicht näher ausgeführt; sie ist daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

II.

1. Das angefochtene Urteil hat nur teilweise Bestand.

a) Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige sowie wegen unerlaubter Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige verurteilt hat, hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben.

b) Hingegen hält die Verurteilung wegen Körperverletzung im Fall II. B der Urteilsgründe zum Nachteil der Eheleute P. sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Insoweit leiden die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten an einem auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht auflösbaren Widerspruch (§ 261 StPO). Danach soll der Angeklagte die Tat zum Nachteil der Eheleute P. vor dem Einkaufscenter in B. am 22. August 2012 gegen 17.30 Uhr begangen haben, als diese ihn mit dem BMX-Rad ihres Sohnes dort antrafen, ihn wegen des vermuteten Diebstahls des Fahrrads an der Flucht zu hindern versuchten und die Polizei riefen. Daraufhin habe der Angeklagte den Geschädigten F. P. zu Boden gestoßen und die helfend eingreifende Ehefrau abgewehrt, indem er den Daumen ihrer rechten Hand nach hinten bog, so dass die Geschädigte einen schmerzhaften Bänderriss erlitt. Demgegenüber hat das Landgericht zu den persönlichen Verhältnissen des seine Täterschaft bestreitenden Angeklagten festgestellt, dieser habe sich in der Zeit vom 1. bis zum 30. August 2012 zur Behandlung seiner psychischen Erkrankung auf der Grundlage von Bestimmungen des PsychKG bzw. des Zivilrechts in der geschützten Station der LWL-Klinik L. in stationärer Unterbringung befunden. Dieser im angefochtenen Urteil unerörtert gebliebene Widerspruch, der durchgreifende Zweifel an der Täterschaft des die Tat bestreitenden Angeklagten aufkommen lässt, bedarf der Klärung durch den neuen Tatrichter.

2. Mit dem Wegfall der Einsatzstrafe von einem Jahr und drei Monaten, die das Landgericht für die Körperverletzung im Fall II. B verhängt hat, entfällt nicht nur die Grundlage für den Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus kann schon aus diesem Grund keinen Bestand haben.

Die sachverständig beratene Strafkammer hat angenommen, vom Angeklagten seien infolge seiner psychischen Erkrankung im Zusammenwirken mit dem Konsum von Betäubungsmitteln in Zukunft weitere erhebliche rechtswidrige Taten nicht nur in Gestalt von Betäubungsmitteldelikten mit einer die Unterbringungsanordnung gemäß § 63 StGB rechtfertigenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Vielmehr neige er auch, wie die Tat zum Nachteil der Eheleute P. zeige, zu Aggressionsdurchbrüchen mit Körperverletzungen, wobei nach den Gesamtumständen auch die Gefahr gravierender Gewaltdelikte bestehe. Die nach § 63 StGB vorzunehmende Gefährlichkeitsprognose hat die Strafkammer daher maßgeblich auch auf die Anlasstat im Fall II. B der Urteilsgründe gestützt; mit ihrem Wegfall ist deshalb auch der Maßregel die Grundlage entzogen.

III.

Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat weist ergänzend auf Folgendes hin:

1. Die Erwägungen des Landgerichts zu der die erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten und die Anordnung der Maßregel tragenden psychischen Störung begegnen jedenfalls im Fall II. B rechtlichen Bedenken.

Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen angenommen, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei bei der Begehung sämtlicher Taten wegen einer bei ihm mindestens seit 2002 bestehenden, inzwischen chronifizierten hebephrenen Psychose im Zusammenwirken mit dem Konsum von Marihuana im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Von den verschiedenen Symptomen dieser psychischen Erkrankung imponiere beim Angeklagten insbesondere die Affektverarmung; die bei ihm festzustellenden psychotischen Veränderungen beträfen daher ganz wesentlich eine Lockerung der Bindung an soziale Werte und Normen. Symptome wie Wahn oder Halluzinationen lägen bei ihm hingegen nicht vor. Der Drogenmissbrauch sei nicht als eigenständiges Störungsbild anzusehen, sondern lediglich als Versuch der Selbstmedikation.

Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen vermögen die Urteilsgründe nicht zu vermitteln, aus welchen Gründen die vom Sachverständigen angenommene Neigung des Angeklagten zu Aggressionsdurchbrüchen, die das Landgericht maßgeblich für die Gefährlichkeitsprognose herangezogen hat, auch hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Eheleute P. gerade auf der diagnostizierten psychischen Erkrankung beruht, die nach Auffassung des Landgerichts die erheblich verminderte Schuldfähigkeit begründet. Denn diese ist vom Sachverständigen als eine im Fall des Angeklagten wesentlich von einer Affektverflachung gekennzeichnete psychische Störung beschrieben worden, bei der Wahnerleben bzw. Halluzinationen, die Auslöser für Aggressionshandlungen sein können (beispielhaft BGH, Urteil vom 23. Mai 2000 - 1 StR 56/00, NStZ 2000, 470), gerade "nicht vorliegen dürfte[n]" (UA 20).

2. Zum Tatvorwurf der Körperverletzung im Fall II. B der Urteilsgründe bemerkt der Senat ferner:

Sollte die neue Verhandlung wiederum ergeben, dass die Eheleute P. den Angeklagten festzuhalten versuchten und dieser sie attackierte, um eine polizeiliche Überprüfung des Diebstahlsverdachts zu verhindern, wird gegebenenfalls zu prüfen sein, ob das Verhalten des Angeklagten als erforderliche Verteidigungshandlung im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff der Eheleute P. auf seine Fortbewegungsfreiheit zu bewerten ist. Andererseits könnte deren Verhalten durch das Festnahmerecht des § 127 StPO gedeckt sein, was ein Notwehrrecht des Angeklagten insgesamt ausschließen würde. Dabei wird insbesondere auf das Tatbestandsmerkmal der frischen Tat Bedacht zu nehmen sein (vgl. dazu LR-StPO/Hilger, 26. Aufl., § 127 Rn. 13 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 998

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel