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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 1078

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 292/12, Beschluss v. 23.10.2012, HRRS 2012 Nr. 1078


BGH 4 StR 292/12 - Beschluss vom 23. Oktober 2012 (BGH)

Völlig ungeeignete und daher unzulässige Ablehnungsgesuche gegen (ehemalige) Richter des 4. Strafsenats im Kontext des Besetzungsstreits am Bundesgerichtshof (gesetzlicher Richter; Besorgnis der Befangenheit; Doppelvorsitz).

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 19 Abs. 4 GG; § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO analog; § 31 Abs. 1 BVerfGG; 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der im Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs seit dem 1. Januar 2012 dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann zugewiesene Vorsitz des 2. und des 4. Strafsenats verstößt weder gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 noch gegen Art. 19 Abs. 4 GG (BVerfG NJW 2012, 2334).

2. Gemäß § 31 Abs. 1 i.V.m. § 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG binden Tenor und tragende Gründe dieser Entscheidung über die von der Rechtskraft Betroffenen hinaus alle staatlichen Hoheitsträger in vergleichbar gelagerten Parallelfällen (st. Rspr.). Soweit ein Antragsteller sein Gesuch auf die Mitwirkung der abgelehnten Richter an der Umsetzung dieses Präsidiumsbeschlusses stützt, ist der Vortrag einer sachlichen Prüfung durch den Senat entzogen und zur Begründung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet.

Entscheidungstenor

Die Befangenheitsanträge der Angeklagten vom 18. und 22. September 2012 gegen die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer, Cierniak, Dr. Franke, Prof. Dr. Schmitt und Dr. Quentin werden als unzulässig verworfen.

Gründe

Das Landgericht Wuppertal hat die Angeklagten mit Urteil vom 3. April 2012 wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Nötigung und weiteren Straftaten zu Freiheits- bzw. Geldstrafen verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt, ferner ein Kraftfahrzeug eingezogen und Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB angeordnet.

I.

Gegen dieses Urteil haben alle drei Angeklagten Revision eingelegt. Sie rügen die Verletzung materiellen Rechts. Der Angeklagte M. C. hat sein Rechtsmittel wirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Ferner rügen die Angeklagten die Besetzung der zur Entscheidung über ihre Rechtsmittel berufenen Spruchgruppe des Senats. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ist zu dieser Entscheidung dessen Spruchgruppe 2 berufen, der neben Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer als stellvertretendem Vorsitzenden die Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Dr. Quentin und Reiter angehören.

Mit im Wesentlichen gleichlautenden, am 18. bzw. am 22. September 2012 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schriftsätzen ihrer Verteidiger haben alle Angeklagten die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer, Cierniak, Dr. Franke, Prof. Dr. Schmitt und Dr. Quentin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung ihrer Ablehnungsgesuche haben sie im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Kein Vorsitzender eines (Straf-)Senats des Bundesgerichtshofs könne seine mit dieser Stellung im Senat verbundenen Aufgaben in einer Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG genügenden Weise wahrnehmen, wenn ihm gleichzeitig der Vorsitz in zwei Senaten übertragen werde. Daher verletze der Beschluss des Präsidiums des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 2011, durch den dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand mit Wirkung zum 30. Juni 2012 der Vorsitz im 2. und im 4. Strafsenat übertragen wurde, die Gewährleistung des gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Indem die abgelehnten Richter an der wegen dieses Präsidiumsbeschlusses erforderlich gewordenen Änderung der internen Geschäftsverteilung des 4. Strafsenats mitwirkten, hätten sie sich an der Verschleierung eines gesetzeswidrigen Zustandes beteiligt. Sie hätten darüber hinweggetäuscht, dass Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann wegen seiner "Doppelfunktion" entgegen dem Wortlaut des Präsidiumsbeschlusses entweder in einer Vielzahl von Fällen an den Beratungen und Verhandlungen des 4. Strafsenats nicht würde teilnehmen oder die Vorsitzendenfunktion im 2. Strafsenat nur zum Schein würde ausüben können. Die Mitwirkung an einem solchen Vorgang rechtfertige die Besorgnis der Angeklagten, die abgelehnten Richter würden bei der Entscheidung über ihre Revisionen ebenfalls gegen Gesetz und Recht verstoßen. Ferner ergebe sich die Besorgnis der Befangenheit gegenüber den abgelehnten Richtern aus der Begründung dreier Beschlüsse des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 9. Mai 2012, durch die unter Mitwirkung der abgelehnten Richter Befangenheitsgesuche gegen Mitglieder des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zurückgewiesen worden seien.

II.

1. Der Ablehnungsantrag gegen Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt ist unzulässig.

Die von den Antragstellern besorgte Befangenheit der abgelehnten Richter, also auch die des Richters am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt, bezieht sich, wie sich aus den Antragsbegründungen ergibt, auf die anstehende Sachentscheidung des Bundesgerichtshofs, also auf die "Entscheidungsfindung" über die Revisionen der Angeklagten. An dieser Entscheidung wird Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt indes nicht mitwirken. Das Präsidium des Bundesgerichtshofs hat Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt durch Beschluss vom 11. September 2012 mit Wirkung vom 15. September 2012 mit seiner vollen Arbeitskraft wieder dem 2. Strafsenat zugewiesen; eine der in diesem Beschluss genannten Ausnahmen ist im Hinblick auf das vorliegende Verfahren nicht gegeben. Soweit die Ablehnungsgesuche Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt betreffen, gehen sie also ins Leere (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 1994 - 3 ARs 41/93, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 6; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 24 Rn. 2 mwN).

2. Aber auch die Ablehnungsgesuche gegen die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer, Cierniak, Dr. Franke und Dr. Quentin sind unzulässig. Die gegen diese Richter vorgebrachten Ablehnungsgründe sind zur Begründung einer Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO analog.

a) Im Hinblick auf den Präsidiumsbeschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 2011 hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 23. Mai 2012 (2 BvR 610/12 und 625/12, NJW 2012, 2334) entschieden, dass der im Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs seit dem 1. Januar 2012 dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann zugewiesene Vorsitz des 2. und des 4. Strafsenats weder gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 noch gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstößt. Gemäß § 31 Abs. 1 i.V.m. § 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG binden Tenor und tragende Gründe dieser Entscheidung über die von der Rechtskraft Betroffenen hinaus alle staatlichen Hoheitsträger in vergleichbar gelagerten Parallelfällen (st. Rspr.; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975 - 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88, 93 f.; Hopfauf in SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 12. Aufl., Art. 94 Rn. 53 u. 56, jeweils mwN). Soweit die Antragsteller ihre Gesuche auf die Mitwirkung der abgelehnten Richter an der Umsetzung dieses Präsidiumsbeschlusses stützen, ist ihr Vortrag einer sachlichen Prüfung durch den Senat entzogen und zur Begründung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet, zumal Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann bereits vor dem Eingang des Revisionsverfahrens beim Bundesgerichtshof in den Ruhestand getreten ist, die seine Mitwirkung betreffenden Änderungen der Geschäftsverteilung deshalb für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung sind.

b) Völlig ungeeignet zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit sind die Ausführungen der Antragsteller aber auch insoweit, als sie sich auf die Begründung der Beschlüsse des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 9. Mai 2012 beziehen, an denen die abgelehnten Richter mitgewirkt haben. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem dortigen Verfahrensgegenstand und der vorliegenden Revisionsstrafsache, in der über die Rechtsmittel anderer Angeklagter auf der Grundlage eines anderen prozessualen Tatgeschehens zu entscheiden ist, ist weder dargetan noch ersichtlich.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 1078

Bearbeiter: Karsten Gaede