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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 872

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 192/10, Beschluss v. 03.08.2010, HRRS 2010 Nr. 872


BGH 4 StR 192/10 - Beschluss vom 3. August 2010 (LG Saarbrücken)

Beweisantragsrecht (Gebot, Beweisanträge nur noch über seinen Verteidiger zu stellen); Darlegungsvoraussetzungen der Verfahrensrüge; Konkurrenzen beim Betrug (Tatserie; Maßgeblichkeit des eigenen Tatbeitrages).

§ 244 Abs. 3 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 299 StPO; § 263 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Bei der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses in Fällen der Beteiligung mehrerer Mittäter an einer Deliktsserie ist für jeden von ihnen gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Straftaten der Serie in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Maßgeblich ist hierbei der Umfang des Tatbeitrages bzw. der Tatbeiträge jedes Mittäters. Erfüllt er hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeldelikte seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Zur Kennzeichnung des Schuldumfangs ist dies im Schuldspruch grundsätzlich als gleichartige Tateinheit kenntlich zu machen (BGHSt 49, 177, 182 f., 185).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 5. Oktober 2009 im Schuldspruch dahin abgeändert, dass dieser Angeklagte des Betrugs in 21 Fällen, eines Betrugs in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und des versuchten Betrugs in fünf Fällen schuldig ist. Die gegen ihn wegen der Taten II. 27 und 29 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen entfallen.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten F. und die Revision des Angeklagten L. gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen.

3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

4. Die Anträge des Angeklagten L. und seines Verteidigers auf Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist zur Anbringung zulässiger Verfahrensrügen werden als unzulässig verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Betruges in 24 Fällen und wegen versuchten Betruges in fünf Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von fünf Jahren und neun Monaten (Angeklagter L.) bzw. zwei Jahren und sechs Monaten (Angeklagter F.) verurteilt. Gegen das Urteil richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten. Der Verteidiger des Angeklagten L. sowie dieser selbst haben zudem mehrere Verfahrensrügen erhoben. Ferner haben der Angeklagte L. (mehrfach) und sein Verteidiger Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist zur Anbringung zulässiger Verfahrensrügen beantragt. Das Rechtsmittel des Angeklagten F. hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

Die Revision des Angeklagten L. ist insgesamt erfolglos; seine Wiedereinsetzungsanträge und der seines Verteidigers sind unzulässig.

I.

Die vom Verteidiger des Angeklagten L. erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

1. Die Rüge der "Verletzung der §§ 244 II, III, 246 StPO" (Seiten 1 bis 5 der Revisionsbegründung vom 2. Februar 2010) ist bereits deshalb unzulässig, weil die mit den Ermittlungsersuchen übersandten bzw. dort in Bezug genommenen Schriftstücke nicht mitgeteilt werden. Hierbei handelt es sich nicht - wie der Verteidiger in der Gegenerklärung vom 18. Mai 2010 meint - um eine "reine Förmelei". Die Kenntnis vom Inhalt dieser Schriftstücke ist vielmehr für die Prüfung erforderlich, ob sich das Landgericht zu der Beweiserhebung gedrängt sehen musste oder ob diese - worauf die Vorsitzende in der Hauptverhandlung hingewiesen hatte - "nicht mehr" geboten war.

2. Die Rüge der "Verletzung der § 254 III, 246 StPO" (Seiten 5 bis 7 der Revisionsbegründung vom 2. Februar 2010), mit der eine Beeinträchtigung des Rechts des Angeklagten, Beweisanträge stellen zu können, geltend gemacht wird, hat ebenfalls keinen Erfolg. Denn dieses Recht wurde nicht dadurch verletzt, dass die Vorsitzende es nicht gestattet hat, dass der Angeklagte über die zahlreichen, am 23. September 2009 bereits gestellten Anträge (Anlagen 51 bis 76 zum Hauptverhandlungsprotokoll dieses Tages) hinaus an diesem Sitzungstag weitere Beweisanträge stellen kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 238 Rn. 5; KK-Schneider, StPO, 6. Aufl., § 238 Rn. 3).

Soweit der Revisionsführer mit dieser Verfahrensrüge beanstandet, die Strafkammer habe sich nicht an die am 23. September 2009 von der Vorsitzenden abgegebene Zusage gehalten, der Angeklagte könne die am 23. September 2009 angekündigten - später teilweise wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnten - Anträge "ohne Rechtsverlust" am 24. September 2009 stellen, bleibt auch dies ohne Erfolg. Legt man hierzu die in der Revisionsbegründung fehlenden Ausführungen des Angeklagten in dessen Gegenerklärung vom 18. Mai 2010 zugrunde, wonach die ihm für die Stellung von Beweisanträgen gesetzte Frist bis zum 14. September 2010 lief, bezog sich der von der Vorsitzenden angesprochene "Rechtsverlust" nicht auf diese Frist, sondern allein darauf, dass die Beweisanträge statt am 23. erst am 24. September 2009 gestellt werden durften. Hieran hat sich die Strafkammer indes gehalten; einen Rechtsverlust durch die nur einen Tag spätere Antragstellung hat der Angeklagte nicht erlitten.

3. Die Rüge der "Verletzung der § 244 Abs. III, 246 StGB" (Seiten 7 bis 10 der Revisionsbegründung vom 2. Februar 2010), mit der geltend gemacht wird, dass das Landgericht mehrere Beweisanträge des Angeklagten zu Unrecht wegen Prozessverschleppung abgelehnt habe, ist unzulässig. Denn die Revisionsbegründung teilt hierzu entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO weder die Anordnung der Vorsitzenden vom 8. September 2009 mit, mit der den Verfahrensbeteiligten eine Frist für die Stellung von Beweisanträgen gesetzt wurde, noch die Ankündigung dieser Fristsetzung am 31. Juli 2009. Auch die hierzu nach dem vom Verteidiger erhobenen Widerspruch ergangene Entscheidung des Gerichts wurde nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vorgetragen.

4. Die Rüge, mit der der Verteidiger des Angeklagten geltend macht, das Gericht habe die Verteidigung des Angeklagten unzulässig beschränkt (Seiten 11 bis 13 der Revisionsbegründung vom 2. Februar 2010), ist jedenfalls unbegründet.

Vor dem Hintergrund der bis dahin vom Angeklagten gestellten fast 300 Beweisanträge, die von der Strafkammer großteils wegen Bedeutungslosigkeit zurückgewiesen wurden, und der zuletzt - wie der Verteidiger in der Revisionsbegründung selbst darlegt (S. 12) - "erneut" gestellten Anträge, in denen sich der Angeklagte "ausführlich mit dem bisherigen Sach- und Streitstand auseinandergesetzt hat", durfte die Strafkammer ohne zuvor nach § 257a StPO zu verfahren dem Angeklagten auferlegen, Beweisanträge nur noch über seinen Verteidiger zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 1991 - 4 StR 252/91, BGHSt 38, 111; KK-Fischer aaO § 244 Rn. 113).

II.

Die vom Angeklagten L. selbst zu Protokoll des Urkundsbeamten erhobenen Verfahrensrügen haben ebenfalls keinen Erfolg. Sie sind teilweise jedenfalls unbegründet, im Übrigen sind sie unzulässig.

(1) Die vom Angeklagten beantragte Vernehmung eines Auslandszeugen (Rüge 1) hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei abgelehnt. Insbesondere hat sie - im Rahmen der dabei gebotenen vorweggenommenen Beweiswürdigung - nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen die beantragte Beweiserhebung keinen Einfluss auf die Feststellungen haben würde.

Die vom Angeklagten beantragte Verlesung einer "Quellenschutzvereinbarung" (Rüge 2) hat das Landgericht zwar zunächst mit Beschluss vom 29. April 2009 abgelehnt. Sie hat eine solche "Quellenschutzvereinbarung" jedoch - wie sich aus dem vom Verteidiger mit einer (anderen) Verfahrensrüge vorgelegten Hauptverhandlungsprotokoll ergibt - am 23. September 2009 zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Auf der vom Angeklagten behaupteten Gesetzesverletzung bei der Ablehnung des Antrags beruht das Urteil daher nicht.

Auch die auf Ladung und Vernehmung eines Interpol-Mitarbeiters in Washington (Rügen 3 und 4) gerichteten Anträge hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei abgelehnt. Im Hinblick auf die offensichtlich jeglicher konkreten Grundlage entbehrenden Spekulationen des Angeklagten, der Interpol-Mitarbeiter habe - unter anderem - weder eine Anfrage des Bundeskriminalamts erhalten, noch habe er diese beantwortet bzw. habe dabei lediglich die "AOL Suchmaschine" benutzt, musste sich die Strafkammer auch unter Berücksichtigung des bis dahin gewonnenen Beweisergebnisses zu der Beweiserhebung nicht gedrängt sehen. Die auf die Ladung und Vernehmung weiterer Auslandszeugen gerichteten Anträge (Rügen 5, 7, 10, 11) hat die Strafkammer ebenfalls rechtsfehlerfrei abgelehnt. Auch die Zurückweisung des Antrags auf Einholung einer Handelsregisterauskunft (Rüge 9) weist keinen Rechtsfehler auf, zumal sich das Gericht schon deshalb nicht zu der Beweiserhebung gedrängt sehen musste, weil das vom Angeklagten genannte Unternehmen nach der bereits erholten Auskunft keine Geschäftstätigkeit entfaltet hat (UA 34).

Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte beanstandet, dass er Beweisanträge nur noch über seinen Verteidiger stellen durfte (Rüge 12), ist aus den oben dargelegten Gründen erfolglos. Hinsichtlich der Verfahrensrüge ist zwar die Ablehnungsentscheidung der Strafkammer bedenklich, soweit dort auf die (Nicht-)Existenz einer Gesellschaft namens "G., M. & Partner" abgestellt wird. Jedoch verweist die Strafkammer zutreffend darauf, dass in dem Antrag kein Beweismittel angegeben ist. Vor dem Hintergrund, dass der in dem Antrag genannte Zeuge Gö. in der Hauptverhandlung vernommen wurde, drängte sich eine weitere Beweiserhebung jedenfalls aber nicht auf.

(2) Die Verfahrensrügen 6 und 8 sind dagegen (jedenfalls) unzulässig.

Bei Rüge 6 ist die Gesprächsnotiz vom 8. September 2007, bei Rüge 8 ist die "E-Mail des Zeugen Thomas R." nicht mitgeteilt.

III.

1. Die vom Angeklagten F. erhobene Sachrüge hat teilweise Erfolg.

Bei ihm liegt in den Fällen II. 27 bis 29 der Urteilsgründe ein Betrug in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen vor. Denn bei der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses in Fällen der Beteiligung mehrerer Mittäter an einer Deliktsserie ist für jeden von ihnen gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Straftaten der Serie in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Maßgeblich ist hierbei der Umfang des Tatbeitrages bzw. der Tatbeiträge jedes Mittäters. Erfüllt er hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt er dagegen - wie nach den Urteilsfeststellungen hier (UA 29 f.) - im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeldelikte seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Zur Kennzeichnung des Schuldumfangs ist dies im Schuldspruch grundsätzlich als gleichartige Tateinheit kenntlich zu machen (BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 182 f., 185).

§ 265 StPO steht einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen; denn der Angeklagte F. hätte sich gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.

Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der in den Fällen 27 und 29 verhängten Einzelstrafen. Die im Fall 28 (insofern ist der Strafkammer auf UA 39 f. ein Schreibfehler unterlaufen) verhängte Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten bleibt dagegen bestehen; der Senat kann insofern ausschließen, dass der Tatrichter bei richtiger Bewertung des Konkurrenzverhältnisses eine geringere Strafe verhängt hätte. Auch einer Aufhebung des Ausspruchs über die gegen den Angeklagten F. verhängte Gesamtstrafe bedarf es nicht. Denn durch das Zusammenfassen mehrerer Taten zu jeweils einer einzigen Tat ändert sich deren Schuldgehalt nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 9. März 2010 - 4 StR 592/09 m.w.N.). Der Senat schließt daher - auch im Hinblick auf den unverändert gebliebenen Gesamtschaden - aus, dass die verhängte Gesamtstrafe bei zutreffender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses niedriger ausgefallen wäre.

2. Im Übrigen weist das Urteil keinen sachlich-rechtlichen Fehler zum Nachteil des Angeklagten F. oder des Angeklagten L. auf, sind deren Rechtsmittel also unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere belegen die Feststellungen (UA 19, 29, 38) ein gewerbsmäßiges Handeln der Angeklagten; das Landgericht vermochte insofern lediglich nicht festzustellen, wie (genau) die von den Angeklagten betrügerisch erlangten Gelder zwischen ihnen aufgeteilt wurden (UA 30).

3. Der nur geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels des Angeklagten F. rechtfertigt es nicht, ihn auch nur teilweise von den Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entlasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

IV.

Die vom Angeklagten L. und seinem Verteidiger gestellten Wiedereinsetzungsanträge haben keinen Erfolg. Sie sind jedenfalls schon deshalb unzulässig, weil die nach Ansicht der Antragsteller versäumten Handlungen bis heute nicht nachgeholt wurden.

Der Senat weist insofern ergänzend darauf hin, dass der (inhaftierte) Angeklagte seine Revision zwar wirksam zu Protokoll des Urkundsbeamten des Landgerichts Saarbrücken begründen konnte (vgl. LR-Hanack, StPO, 25. Aufl., § 299 Rdn. 1). Einen Anspruch auf Vorführung vor diesem Gericht hatte er aber nicht; dieser Anspruch besteht vielmehr lediglich zu dem nach § 299 StPO zuständigen Amtsgericht. Dort hat der Angeklagte indes bislang eine Vorführung zur Nachholung zulässiger Revisionsrügen nicht beantragt, was einer (weiteren) Wiedereinsetzung entgegenstehen würde, zumal ihm - jedenfalls seit einiger Zeit - die Regelung des § 299 StPO bekannt ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 872

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2010, 384

Bearbeiter: Karsten Gaede