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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 127

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 465/04, Urteil v. 14.12.2004, HRRS 2005 Nr. 127


BGH 4 StR 465/04 - Urteil vom 14. Dezember 2004 (LG Neubrandenburg)

Tötungsvorsatz bei Messerstichen (voluntatives Element; besonders gefährliche Gewalthandlungen; keine vertrauensbegründenden Umstände; nur vages Vertrauen; Abgrenzung zur Fahrlässigkeit; persönlichkeitsfremde Spontantat).

§ 212 StGB; § 15 StGB

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 4. Mai 2004 wird verworfen.

2. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen. Er hat jedoch die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung sachlichen Rechts.

Das Rechtsmittel ist unbegründet. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Anlaß zu weiteren Erörterungen gibt lediglich die Frage, ob das Landgericht zu Recht einen bedingten Tötungsvorsatz bejaht hat. Dies ist der Fall.

1. Es hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Nach einem - durch das Verhalten des Angeklagten provozierten - Streit des Angeklagten mit dem Nebenkläger schubste Martin L., der Begleiter des Angeklagten, den Nebenkläger, wodurch dieser zu Fall kam. Zwischen L. und dem Nebenkläger entwickelte sich eine körperliche Auseinandersetzung. Während L. mit dem unter ihm am Boden liegenden Nebenkläger rang, stach der Angeklagte in kniender Position, kräftig ausholend und "ungebremst" mit einem mitgeführten Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 7,5 cm mehrfach vor allem in Richtung des Oberkörpers und des Kopfes des Nebenklägers ein. Er versetzte ihm, bevor er vom Nebenkläger getrennt werden konnte, sechs Stiche, wobei er ihn am Hinterkopf, zweimal im linken Nackenbereich, an der Stirn sowie im hinteren Schulterblattbereich und am Oberschenkel traf. Der Stich in die Schulter eröffnete die Brusthöhle des Nebenklägers und war lebensgefährlich. Die übrigen Stiche führten zu eher oberflächlichen Wunden. Der Angeklagte, der zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 2,55 ‰ aufwies und deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war, wußte, daß die Stiche tödliche Verletzungen hervorrufen konnten und nahm diesen Erfolg billigend in Kauf.

2. Die Erwägungen, die der Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes zugrundeliegen, begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie lassen insbesondere nicht besorgen, daß die Strafkammer wesentliche Umstände, die einen bedingten Tötungsvorsatz, vor allem das voluntative Moment in Frage stellen könnten, bei der gebotenen Gesamtbetrachtung außer acht gelassen hat (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 51).

Die vom Tatgericht aus der besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung gezogene Schlußfolgerung, der Angeklagte habe die Möglichkeit der Zufügung tödlicher Verletzungen erkannt, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte stach mehrfach auf das Tatopfer ein und verletzte es - mittels eines Stiches lebensgefährlich - an besonders gefährdeten Körperstellen. Bei Stichen in den Oberkörper, in den Kopf und die Nackenseite, mithin in unmittelbare Nähe der Halsschlagader, liegt die ernstzunehmende Möglichkeit, daß es zu tödlichen Verletzungen kommt, auf der Hand. Daß beim Angeklagten trotz seiner erheblichen Alkoholisierung ein entsprechendes Bewußtsein vorlag, wird im Urteil auch dadurch belegt, daß er nach der Tat gegenüber einer Zeugin äußerte, er habe zweimal auf den Geschädigten eingestochen und diesen einmal am Kopf und einmal am Bein getroffen.

Darüber hinaus ergeben die Feststellungen des Urteils aber auch, daß der Angeklagte die Möglichkeit der Zufügung tödlicher Stichverletzungen billigend in Kauf genommen hat. Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, daß er trotz der - von ihm erkannten - Lebensgefährlichkeit seines Tuns ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 3, 24, 51) darauf vertraut haben könnte, das Tatopfer werde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch nicht nahe.

Vielmehr weist nicht nur die Bemerkung des Angeklagten gegenüber einem Begleiter des Nebenklägers ("Lass mich, der Kunde ist dran, der hat mich angemacht") darauf hin, daß dem Angeklagten trotz der Kenntnis der Lebensgefährlichkeit seines Angriffs, die Folgen seiner Tat gleichgültig waren, er vielmehr zur Erreichung seines Ziels, den Nebenkläger kampfunfähig zu machen, auch einen tödlichen Ausgang in Kauf nahm. Auch das festgestellte Nachtatverhalten zeigt, daß der Angeklagte bei Tatbegehung schwerwiegende Folgen des Angriffs in Betracht gezogen hat.

Der Umstand, daß es sich um eine eher persönlichkeitsfremde Spontantat gehandelt, der Angeklagte die Tat unter erheblicher alkoholischer Beeinflussung begangen hat und deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen ist, spricht bei der hier gegebenen Sachlage und insbesondere unter Berücksichtigung des massiven Vorgehens des Angeklagten nicht gegen die Billigung des Todes des Nebenklägers.

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 127

Bearbeiter: Karsten Gaede