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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 88/03, Beschluss v. 11.03.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 88/03 - Beschluss vom 11. März 2003 (LG Stralsund)

Rücktritt vom Versuch (fehlgeschlagener Versuch; Freiwilligkeit; Rücktritt bei mehreren Beteiligten); Beweiswürdigung (Erörterungsmangel); Erstreckung der Revision auf Mitangeklagte / Nichtrevidenten.

§ 24 StGB; § 267 StPO; § 261 StPO; § 357 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Sieht der Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von der weiteren Verfolgung seines erpresserischen Vorhabens ab, schließt dies die Freiwilligkeit nicht aus (st. Rspr.; BGHSt 35, 184, 186). Nichts anderes gilt hinsichtlich des Umstandes, dass der Angeklagte erst auf die Aufforderung eines Mitangeklagten an seinem ursprünglichen Vorhaben nicht mehr festhielt (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 3, 6).

2. Es kann ausreichend sein, wenn ein Beteiligter mit dem die Tatvollendung verhindernden Rücktritt eines anderen einverstanden ist (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 2 Verhinderung 2).

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 19. August 2002 mit den Feststellungen aufgehoben

1. soweit es den Angeklagten betrifft,

a) im Schuldspruch wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung,

b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch,

2. soweit es die Mitangeklagten L. und O. betrifft, insgesamt.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer "Einheitsjugendstrafe" von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; von der Einbeziehung eines rechtskräftigen früheren Urteils hat es abgesehen. Die - nicht revidierenden - Mitangeklagten O. und L. hat es jeweils der Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung schuldig befunden; gegen O. hat es deshalb eine Jugendstrafe von einem Jahr verhängt; L. hat es verwarnt und eine Geldauflage (§ 15 Abs. 1 Nr. 4 JGG) erteilt. Ferner hat es das von dem Angeklagten benutzte Tatmesser eingezogen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlußformel ersichtlichen Teilerfolg, der gemäß § 357 StPO auch zur Aufhebung der Verurteilung der Mitangeklagten führt.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen den Beschwerdeführer benachteiligenden Rechtsfehler ergeben, soweit ihn das Landgericht des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung für schuldig befunden hat. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. Februar 2003, die durch das Vorbringen im Schriftsatz des Verteidigers vom 7. März 2003 nicht entkräftet werden.

2. Im übrigen kann das Urteil aber nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte von dem Versuch der schweren räuberischen Erpressung strafbefreiend zurückgetreten ist, obwohl sich diese Prüfung hier aufdrängte.

a) Nach den Feststellungen sah der Angeklagte in der Tatnacht in G., als er mit den Mitangeklagten und einem weiteren Beteiligten unterwegs war, den später Geschädigten Harry T. an einer Bushaltestelle stehen und eine Zigarette rauchen. Spontan fasste er den Entschluß, von diesem Zigaretten zu fordern. Dementsprechend äußerte er zu seinen Begleitern: "Los, den schnappen wir uns". Gemeinsam gingen sie nunmehr in dem Bewusstsein, dadurch eine "Bedrohungssituation" zu schaffen, auf den Geschädigten zu. Der Angeklagte zog sodann ein Kampfmesser, das er aus der Wohnung des O. mitgenommen hatte, heraus, hielt es dem Geschädigten unter das Kinn und forderte ihn auf: "Gib Kippen her". Der Einsatz des Messers war nicht zuvor abgesprochen, sondern "stand im Gegensatz zum Willen und Wollen der übrigen Angeklagten". L. äußerte in dieser Situation zu dem Angeklagten: "Lass das, ich habe selber Zigaretten". Weiter heißt es in dem Urteil: "Aufgrund dieser für den Angeklagten S. nicht vorausgesehenen Situation und der Tatsache, daß er wohl nicht an die erhofften Zigaretten kommen würde, rammte er aus Verärgerung über das Scheitern seines Planes das Messer mit Schwung in die rechte Brustregion" des Geschädigten (UA 12).

b) Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft die Prüfung strafbefreienden Rücktritts nach § 24 StGB unterlassen. Der Versuch der schweren räuberischen Erpressung war unbeendet, so daß der Angeklagte durch bloßes Aufgeben seines Plans, von dem Geschädigten die Herausgabe von Zigaretten zu erzwingen, Strafbefreiung erlangen konnte. Ausgeschlossen wäre die Anwendung von § 24 StGB nur dann, wenn der Versuch fehlgeschlagen, der Taterfolg also aus objektiven oder subjektiven Gründen aus der Sicht des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1999, 395 f.) nicht mehr erreichbar gewesen wäre (vgl. Tröndle/ Fischer StGB 51. Aufl. § 24 Rdn. 6 f.). Hiervon ist das Landgericht möglicherweise ausgegangen. Doch hat es dabei - wie der Gebrauch des Wortes "wohl" nahe legt - nicht bedacht, daß die Frage der tatsächlichen Voraussetzungen des Rücktritts nach dem Zweifelsgrundsatz zu beantworten ist (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 26). Es ist aber nicht ersichtlich, wodurch sich der Angeklagte gehindert gesehen haben sollte, weiter auf den Geschädigten einzuwirken, um von ihm Zigaretten zu erlangen. Im übrigen steht die Annahme, der Angeklagte habe auf den Geschädigten eingestochen, weil er seinen Erpressungsversuch als gescheitert angesehen habe, nicht in Einklang mit der Erwägung im Rahmen der Erörterung niedriger Beweggründe, der Angeklagte habe "sein Motiv, Zigaretten zu erlangen, plötzlich und spontan (geändert), um aus einer plötzlichen Gefühlsregung heraus auf den Geschädigten einzustechen" (UA 17). Daß der Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von der weiteren Verfolgung seines erpresserischen Vorhabens absah, schließt die Freiwilligkeit nicht aus (st. Rspr.; BGHSt 35, 184, 186). Nichts anderes gilt hinsichtlich des Umstandes, daß der Angeklagte nach den Feststellungen erst auf die Aufforderung des Mitangeklagten L. an seinem ursprünglichen Vorhaben nicht mehr festhielt (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 3, 6).

3. Über den Vorwurf der versuchten schweren räuberischen Erpressung ist deshalb insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden.

a) Dies hat bei dem Beschwerdeführer die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs zur Folge. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf § 105 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 3 JGG hin (vgl. BGH NStZ 2000, 469, 470), auch wenn es hier fern liegt, daß die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt die Verhängung von Jugendstrafe entbehrlich macht.

b) Die Aufhebung des Urteils gegen den Angeklagten im Schuldspruch wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung ist zugleich gemäß § 357 StPO auf die Mitangeklagten L. und O. zu erstrecken, die keine Revision eingelegt haben. Denn die unterlassene Prüfung strafbefreienden Rücktritts vom Versuch der schweren räuberischen Erpressung, und damit derselbe Rechtsfehler, der bei dem Beschwerdeführer zur (teilweisen) Aufhebung des Urteils führt (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 357 Rdn. 14), betrifft auch die Verurteilung der Mitangeklagten L. und O. Das gilt hinsichtlich des Angeklagten L. schon mit Blick auf seine Aufforderung an den Beschwerdeführer, von dem Geschädigten abzulassen, kann aber auch bei dem Angeklagten O. zutreffen, weil es ausreichend sein kann, wenn ein Beteiligter mit dem die Tatvollendung verhindernden Rücktritt eines anderen einverstanden ist (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 2 Verhinderung 2). Dies führt bei den Mitangeklagten L. und O. zur Aufhebung ihrer Verurteilung insgesamt.

Externe Fundstellen: StV 2003, 615

Bearbeiter: Ulf Buermeyer