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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 166/00, Beschluss v. 13.06.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 166/00 - Beschluß v. 13. Juni 2000 (LG Halle)

Begriff der Tat im prozessualen Sinne bei sexuellem Mißbrauch von Kindern; Vergewaltigung (Eindringen mit einem Finger); Tateinheit von Freiheitsberaubung und Vergewaltigung

§ 264 StPO; § 176 Abs. 1 StGB; § 177 Abs. 1, Abs. 3 StGB; § 239 StGB; § 52 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Setzt der Angeklagte zur Erzwingung der sexuellen Handlungen dasselbe Nötigungsmittel ein, liegt nur eine Handlung im Rechtssinne vor (vgl. BGH NStZ 1999, 83; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10 jew. m. N.). Damit liegt trotz der mehrfachen Verwirklichung der Straftatbestände der §§ 176, 177 StGB nur eine Tat im Rechtssinne vor (BGH, Beschlüsse vom 16. November 1999 - 4 StR 504/99 und vom 9. März 2000 - 4 StR 513/99).

2. Der Tatbestand der Freiheitsberaubung tritt nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter dem der Vergewaltigung zurück, weil die Freiheitsberaubung über das zur Tatbestandsverwirklichung der Vergewaltigung Erforderliche hinausging (BGH NStZ 1999, 83 m.N.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 28. Mai 1999 im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung und mit Freiheitsberaubung, schuldig ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung, zu einer Einheitsjugendstrafe von acht Jahren verurteilt.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Änderung des Schuldspruchs im Fall II 2 der Urteilsgründe. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO; der Senat nimmt insoweit auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinem Verwerfungsantrag vom 17. April 2000 Bezug.

1. Im Fall II 2 der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil Stephanie H.) liegt nur eine Tat im Sinne des sachlichen Rechts vor.

a) Zutreffend hat das Landgericht die sexuellen Handlungen als sexuellen Mißbrauch eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) und - auch, soweit es das Eindringen mit dem Finger in die Scheide des Tatopfers betrifft (vgl. BGH NStZ 2000, 367 mit Anm. Renzikowski) - als Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB) gewertet. Allerdings hat es, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang - insbesondere auch aus der Liste der angewendeten Vorschriften - ergibt, insoweit übersehen, daß die Verwendung des Messers bei der Tat den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB erfüllt. Zudem hat der Angeklagte, wie ihm in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 23. Februar 1999 zur Last gelegt worden ist, auch den Straftatbestand der Freiheitsberaubung verwirklicht; eine Beschränkung der Strafverfolgung, nach § 154 a StPO ist ausweislich des Protokolls nicht erfolgt.

b) Die vom Angeklagten erzwungenen Sexualakte können aber entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht als zwei rechtlich selbständige Straftaten angesehen werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob allein das mehrfache Ausnutzen derselben schutzlosen Lage, jedenfalls dann, wenn der Täter wie hier von Anfang an vorhatte, das Tatopfer über einen längeren Zeitraum festzuhalten und es in dieser Zeit mehrfach zu vergewaltigen, zur Annahme nur einer Tat führen kann (vgl. BGH, Beschluß vom 6. Juli 1999 - 1 StR 216/99). Hier liegt den erzwungenen Sexualakten, jedenfalls soweit es die angewendeten Tatmittel der Gewalt und der Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben betrifft, ein einheitliches Tun des Angeklagten zugrunde (vgl. BGH, Beschluß vom 9. März 2000 - 4 StR 513/99). Sowohl die durch die Freiheitsberaubung, in der hier eine Gewaltanwendung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB liegt (vgl. BGH NStZ 1999, 83; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10), und durch die Fesselung ausgeübte Gewalt als auch die - durch das erneute Verwenden des Messers am nächsten Morgen lediglich bestärkte Drohung wirkten während des gesamten Tatgeschehens fort. Dies nutzte der Angeklagte, der "von Anfang an vorhatte, Stephanie H. über einen längeren Zeitraum festzuhalten und sie in dieser Zeit mehrfach zu vergewaltigen", auch am Morgen des 19. November 1999 zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs aus.

Der Angeklagte hat danach, soweit es die angewendete Gewalt und die Drohung betrifft, zur Erzwingung der sexuellen Handlungen dasselbe Nötigungsmittel eingesetzt, so daß nur eine Handlung im Rechtssinne (vgl. BGH NStZ 1999, 83; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10 jew. m. N.) und damit, trotz der mehrfachen Verwirklichung der Straftatbestände der §§ 176, 177 StGB, nur eine Tat im Rechtssinne vorliegt (BGH, Beschlüsse vom 16. November 1999 - 4 StR 504/99 und vom 9. März 2000 - 4 StR 513/99), die als Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes und mit Freiheitsberaubung zu werten ist. Der Tatbestand der Freiheitsberaubung tritt hier nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter dem der Vergewaltigung zurück, weil die Freiheitsberaubung über das zur Tatbestandsverwirklichung der Vergewaltigung Erforderliche hinausging (BGH NStZ 1999, 83 m.N.).

Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil der Vorwurf der tateinheitlich begangenen Freiheitsberaubung bereits von der Anklage erfaßt wird und sich der Angeklagte, der den Anklagevorwurf bestritten hat, im übrigen auch gegen die Annahme nur einer Tat nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht der hier vorgenommenen Schuldspruchänderung nicht entgegen.

2. Der Strafausspruch wird durch die (das Konkurrenzverhältnis betreffende) Schuldspruchänderung nicht berührt, da sich der Unrechtsgehalt der Taten und das Ausmaß der in ihnen hervorgetretenen schädlichen Neigungen, auf die das Landgericht bei der Bemessung der Jugendstrafe abgestellt hat, und die hier ebenfalls gegebene Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG nicht geändert haben.

3. Die Urteilsausführungen zur rechtlichen Würdigung der Taten geben Anlaß zu dem Hinweis, daß die Gründe des Strafurteils gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO die zur Anwendung gebrachten Strafgesetze bezeichnen müssen. Die Liste der angewendeten Vorschriften (§ 260 Abs. 5 StPO) vermag die Angabe der Vorschriften in der Urteilsbegründung nicht zu ersetzen (Kleinknecht/ Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 267 Rdn. 17). Auch die Verwendung lediglich der gesetzlichen Überschriften der angewendeten Vorschriften in den Urteilsgründen reicht jedenfalls dann nicht aus, wenn sie - wie etwa § 177 StGB mehrere Begehungsweisen mit Strafe belegen. Vielmehr ist der jeweilige Paragraph des Gesetzes anzuführen und dabei - etwa durch Nennung des Absatzes, Satzes und der Nummer - klarzustellen, in weicher Form der Tatbestand nach Auffassung des Gerichts erfüllt worden ist (vgl. Kroschel/Meyer-Goßner, Die Urteile in Strafsachen, 26. Aufl., S. 143).

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2001, 19

Bearbeiter: Karsten Gaede