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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 401/99, Urteil v. 22.12.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 401/99 - Urteil v. 22. Dezember 1999 (LG Dortmund)

BGHSt 45, 363; Entbindung eines Arztes von der Schweigepflicht; Verwertung dieser Tatsache.

§§ 53 Abs. 1 Nr. 3, 261 StPO

Leitsätze

1. Verweigert ein umfassend schweigender Angeklagter die Entbindung eines Zeugen von der Schweigepflicht, darf hieraus kein belastendes Indiz gegen ihn hergeleitet werden (Ergänzung zu BGHSt 20, 298 f.). (BGHSt)

2. Steht in Frage, ob eine Person bei einem Arzt in Behandlung war, so hat dieser ein Zeugnisverweigerungsrecht, gleich ob er die Frage bejahen oder verneinen müßte. Über die Entbindung von der Schweigepflicht hat der mutmaßliche Patient zu entscheiden, gleich ob er tatsächlich in Behandlung war oder nicht. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 7. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit einer Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Die Revision des Angeklagten macht mit der Sachrüge Fehler bei der Beweiswürdigung geltend; sie hat Erfolg.

Nach den Feststellungen wurde der Geschädigte Mahmut K., der in der Türkei seine Kampftätigkeit für die PKK aufgegeben und sich nach Deutschland begeben hatte, hier von Angehörigen der PKK unter dem Vorwurf der Fahnenflucht bis zu einer Entscheidung des kurdischen "Volksgerichtshofes" unter Bewachung gestellt. Seiner Schwester Gülistan K. wurde vorgeworfen, sie habe ihn bei der Ausreise nach Deutschland unterstützt, weshalb sie dafür bestraft werden müsse. Sie wurde zu Dienstleistungen im Kurdischen Zentrum in Bi. gezwungen und dabei auch einmal mit einer Ohrfeige gewaltsam am Verlassen dieser Einrichtung gehindert.

An den Repressalien gegen die Geschwister Mahmut und Gülistan K. war ein Kurde, der unter dem Namen "B." aufgetreten war, maßgeblich beteiligt. Die Überzeugung der Strafkammer, daß der Angeklagte mit "B." identisch sei, beruht jedoch auch auf einer unzulässigen Schlußfolgerung.

Der Angeklagte hat Angaben zur Sache umfassend verweigert. Die Geschädigte Gülistan K. konnte nicht gehört werden, da sie unbekannten Aufenthalts ist. Der Zeuge Mahmut K. hat in der Hauptverhandlung angegeben, bei dem Angeklagten handle es sich nicht um "B.". Die Strafkammer geht jedoch davon aus, daß er aus Angst vor weiteren Repressalien den Angeklagten deckt. Ihre Überzeugung von der Identität mit "B." stützt sie auf Übereinstimmungen, insbesondere eine auffällige Armverletzung, zwischen den von den Geschädigten bei der Polizei abgegebenen Personenbeschreibungen und dem Aussehen des Angeklagten. Schließlich ergebe sich aus der Aussage des Polizeibeamten S. , daß in Bi. nur eine Person mit dem Namen "B." bekannt sei und "B." in einem abgehörten Telefongespräch einen Gesprächspartner gebeten habe, einen Termin beim Arzt Dr. M. in Bi. abzusagen. Da aber der Angeklagte diesen Arzt nicht von -seiner Schweigepflicht entbunden habe und ein solches Recht nur einem Patienten zustehe, lasse dies den Schluß zu, daß der Angeklagte Patient dieses Arztes gewesen sei.

1. Diese Folgerung ist rechtlich unzulässig. Die Strafkammer durfte bei dem zur Sache umfassend schweigenden Angeklagten den Umstand; daß er von seinem prozessualen Recht Gebrauch gemacht hat, einen ärztlichen Zeugen von seiner Schweigepflicht nicht zu entbinden, nicht als belastendes Indiz verwerten. Die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 StPO findet ihre Grenze an dem Recht eines jeden Menschen, nicht gegen seinen Willen zu seiner Überführung beitragen zu müssen (Grundsatz des "Nemo tenetur se ipsum prodere"; vgl. Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 249). Dieses Abwehrrecht eines Beschuldigten gegen staatliche Eingriffe wird durch Artikel 2 Abs. 1 GG gewährleistet (BVerfGE 56, 37, 49).

Danach ist ein Angeklagter im Strafverfahren grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv zur Sachaufklärung beizutragen (BGHSt 34, 324,326). So steht es ihm frei, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, § 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Macht er von seinem Aussageverweigerungsrecht umfassend Gebrauch, so ist allgemein anerkannt, daß daraus für ihn keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden dürfen (vgl. BGHSt 32, 140, 144; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 261 Rdn. 16 m.w.Nachw. ).

Nichts anderes kann für das sonstige prozessuale Verhalten eines umfassend schweigenden Angeklagten gelten, insbesondere wenn er eine Mitwirkung an der Sachaufklärung verweigert, etwa Zustimmungs- oder Entbindungserklärungen nicht erteilt; auch hieraus darf kein belastendes Indiz gegen ihn hergeleitet werden (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 23, Aufl. § 261 Rdn. 79; Schlüchter in SK-StPO 13. Erg.Lfg. § 261 Rdn. 36; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 2. Aufl. Rdn. 899; Rogall aa0 S. 59 f.). So hat es die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einem schweigenden Angeklagten für unzulässig erachtet, die in Beweisanträgen des Verteidigers enthaltenen Tatsachenbehauptungen als eine der Beweiswürdigung unterliegende Teileinlassung des Angeklagten (BGH NStZ 1990, 447 f.), oder die Formulierung, mit der er eine Einlassung zur Sache verweigert hat (BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 14), zu verwerten. Danach war es nicht zulässig, daß die Strafkammer die Verweigerung einer Entbindungserklärung im Rahmen der Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt hat. Ein Angeklagter, der bei der Abgabe prozessualer Erklärungen mit nachteiligen Schlußfolgerungen rechnen müßte, könnte von seinem Recht auf Aussage- und Mitwirkungsfreiheit nicht mehr unbefangen Gebrauch machen; dieses wäre unzulässig beschränkt.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung in BGHSt 20, 298 f., wonach aus der Weigerung eines Angeklagten, bei der Aufklärung eines bestimmten Punktes mitzuwirken, jedenfalls dann ein ihm nachteiliger Schluß gezogen werden dürfe, wenn er sich im übrigen zum Anklagevorwurf eingelassen habe. In der Begründung wurde entscheidend darauf abgestellt, daß sich der Angeklagte durch seine Einlassung zur Sache selbst zu einem Beweismittel gemacht und so seine Erklärungen der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter unterstellt habe. Bei dieser Sachlage könne es dem Tatrichter nicht verwehrt sein, Schlüsse daraus zu ziehen, daß der Angeklagte sich zwar in einer bestimmten Weise zum Hergang eines Gespräches mit seinem Rechtsanwalt geäußert, indes die Überprüfung dieser Darstellung dadurch verhindert hat, daß er seinen Gesprächspartner nicht von der Verschwiegenheitspflicht entbunden hat. Die Begründung der Entscheidung spricht im Gegenteil dafür, daß auch der damals erkennende Senat das Aussageverhalten bei einem umfassend schweigenden Angeklagten anders beurteilt und eine Beweisverwertung der Verweigerung der Entbindungserklärung als unzulässig angesehen hätte.

2. Unabhängig von diesem Beweisverwertungsverbot beruht die der Schlußfolgerung des Landgerichts zugrundeliegende Prämisse, ein Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes habe nur dann bestanden, wenn der Angeklagte tatsächlich bei ihm Patient gewesen war, auf einer Verkennung der rechtlichen Tragweite des ärztlichen Schweigerechts und ist daher auch aus diesem Grund sachlichrechtlich fehlerhaft.

Die Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient erstreckt sich auch auf die Anbahnung des Beratungs- und Behandlungsverhältnisses. Demgemäß ist anerkannt, daß sich die Befugnis des Arztes zur Verweigerung des Zeugnisses auch auf die Identität des Patienten und die Tatsache seiner Behandlung bezieht (BGHSt 33, 148, 152 m.w.Nachw.). Steht in Frage, ob ein Angeklagter bei einem bestimmten Arzt in Behandlung war, hat der Arzt, der nicht von seiner Schweigepflicht entbunden worden ist, ein Zeugnisverweigerungsrecht, gleich ob er den Patienten tatsächlich behandelt hatte oder nicht. Ähnlich wie bei der Frage nach dem Bestehen eines Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO (vgl. dazu BGHR StPO § 55 I Auskunftsverweigerung 3; BVerfG StV 1999, 71) ist auch hier die Möglichkeit einer Bejahung und Verneinung der Frage in gleicher Weise in Betracht zu ziehen, da anderenfalls der Sinn des ärztlichen Zeugnisverweigerungsrechts verfehlt werden würde.

Denn nach der Logik der Argumentation der Strafkammer könnte die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegende Frage, ob ein Angeklagter bei einem bestimmten Arzt in Behandlung war, unabhängig von einer Entbindungserklärung des mutmaßlichen Patienten geklärt werden. Hätte nämlich ein Behandlungsverhältnis nicht bestanden, wäre der Arzt nach dieser Ansicht mangels eines ein Schweigerecht begründenden Patientenvertrages verpflichtet, diese Tatsache ohne jegliche Entbindung als Zeuge zu bekunden; hätte es dagegen bestanden, dürfte er zwar das Zeugnis verweigern, doch könnte allein aus dieser Erklärung der zu beweisende Umstand gefolgert werden. Daß hierbei die ärztliche Schweigepflicht unterlaufen werden würde, liegt auf der Hand.

Wenn daher in Frage steht, ob eine Person bei einem Arzt in Behandlung war, so hat der Arzt ein Zeugnisverweigerungsrecht, gleich ob er die Frage bejahen oder verneinen müßte. Über die Entbindung von dieser Schweigepflicht hat der mutmaßliche Patient zu entscheiden, gleich ob er tatsächlich in Behandlung war oder nicht.

3. Das Urteil kann auf dem dargelegten Mangel beruhen. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten allerdings auch noch aus anderen Umständen geschöpft. Das Revisionsgericht kann jedoch nicht von sich aus entscheiden, ob diese anderen Indizien für sich allein der Strafkammer für eine Verurteilung genügt hätten.

Externe Fundstellen: BGHSt 45, 363; NJW 2000, 1426; NStZ 2000, 328; StV 2000, 234

Bearbeiter: Rocco Beck