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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 875

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 124/16, Urteil v. 16.06.2016, HRRS 2016 Nr. 875


BGH 3 StR 124/16 - Urteil vom 16. Juni 2016 (LG Hannover)

Rechtsfehlerhafte Verneinung des „doppelten Gehilfenvorsatzes“ (psychische Hilfeleistung; Rückschluss auf den Vorsatz aus äußeren Umständen; Widerspruch zu den Feststellungen); Bewertung einer Äußerung als Bedrohung (Auslegung; Begleitumstände der Tatsituation; Inaussichtstellen eines Verbrechens; objektiver Eindruck der Ernstlichkeit; Überprüfung durch das Revisionsgericht); keine sukzessive Mittäterschaft nach Beendigung der gefährlichen Körperverletzung.

§ 15 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB; § 224 StGB; § 241 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ob einer Äußerung in objektiver und subjektiver Hinsicht die Bedeutung einer Bedrohung i.S.d. § 241 StGB beizumessen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, bei der auch die Begleitumstände der Tatsituation Bedeutung erlangen können. Erforderlich ist das ausdrücklich erklärte oder konkludent zum Ausdruck gebrachte Inaussichtstellen eines Verbrechens, das seinem Erklärungsgehalt nach objektiv geeignet erscheint, den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken.

2. Diese Auslegung einer Äußerung als mögliche Bedrohung i.S.v. § 241 StGB obliegt als tatsächliche Würdigung dem Tatrichter; dem Revisionsgericht ist eine eigene Bewertung der Äußerung versagt. Es hat die Auslegung des Tatgerichts jedoch nach revisionsrechtlichen Grundsätzen darauf zu überprüfen, ob sie Rechtsfehler enthält. Das ist etwa dann der Fall, wenn sie lückenhaft ist und die Urteilsgründe sich nicht mit allen nach den Umständen naheliegenden Möglichkeiten auseinandersetzen sowie eine umfassende Würdigung des Inhalts, des Zwecks und der Tendenz der Äußerung vermissen lassen.

3. Eine durch die Abgabe eines Schusses begangene gefährliche Körperverletzung ist regelmäßig unmittelbar nach der Schussabgabe beendet, so dass danach eine sukzessive Mittäterschaft ausscheidet.

Entscheidungstenor

Das Urteil des Landgerichts Hannover vom 19. Oktober 2015 wird mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

auf die Revision der Staatsanwaltschaft, soweit der Angeklagte O. W. im Fall II. 2. a) der Urteilsgründe freigesprochen worden ist,

auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers hinsichtlich des Angeklagten S. .

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, zurückverwiesen



hinsichtlich des Angeklagten S. an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts.

Die weitergehende Revision des Nebenklägers wird verworfen.

Insoweit hat der Nebenkläger die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten O. W. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 4. Die Revisionen der Angeklagten L. und K. W. werden verworfen.

Diese Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten L. und K. W. jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe verurteilt, den Angeklagten L. W. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten, den Angeklagten K. W. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten; das Landgericht hat außerdem eine Adhäsionsentscheidung getroffen und die Angeklagten L. und K. W. gesamtschuldnerisch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 € an den Nebenkläger Mu. A. verurteilt. Die Angeklagten O. W. und S. hat das Landgericht freigesprochen; beiden Angeklagten war - ebenso wie den Angeklagten L. und K. W. - versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers, dem Angeklagten O. W. außerdem tatmehrheitlich dazu eine Bedrohung vorgeworfen worden.

Mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Freisprüche, hinsichtlich des Angeklagten O. W. gemäß der Revisionsbegründung indes nur, soweit dessen Verurteilung wegen Bedrohung unterblieben ist. Der Nebenkläger erstrebt mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision nach dem Inhalt der Revisionsbegründung eine Verurteilung der Angeklagten O. W. und S. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Angeklagter O. W.) bzw. Beihilfe hierzu (Angeklagter S.). Der Angeklagte L. W. wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung, der Angeklagte K. W. hat seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt; gegen die Adhäsionsentscheidung wendet er sich, soweit das dem Nebenkläger zuerkannte Schmerzensgeld einen Betrag von 8.000 € übersteigt.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers führen zur Aufhebung des Freispruchs des Angeklagten S., die Revision der Staatsanwaltschaft hat außerdem hinsichtlich des Angeklagten O. W. Erfolg. Das weitergehende Rechtsmittel des Nebenklägers ist ebenso unbegründet wie die Revisionen der Angeklagten L. und K. W. .

I. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen war es im Dezember 2014 zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Bruder des Nebenklägers, dem Zeugen Me. A., und dem Angeklagten K. W. gekommen, in deren Verlauf Me. A. den Angeklagten K. W. erheblich verletzt hatte. Am 30. April 2015 begegneten sich Me. A. und der Angeklagte O. W., der in Begleitung des Angeklagten S. unterwegs war, nachmittags zufällig im Stadtgebiet von H. ; O. W. ist ein jüngerer Bruder von K. W. Zwischen Me. A. und O. W. kam es zu einem Gespräch über den Vorfall im Dezember 2014, das zunächst sachlich verlief, alsbald aber in gegenseitige Beleidigungen und Beschimpfungen überging. Schließlich zog O. W. unvermittelt ein Klappmesser aus einer Tasche seiner Bekleidung hervor, das er allerdings nicht aufklappte, sodass die Klinge nicht zum Vorschein kam. Er fragte Me. A. sodann, was er „mit ihm machen“ solle, ob er ihn „abstechen“ oder „aufschlitzen“ solle. Daraufhin mischte sich S. beschwichtigend in den Disput ein; er bewirkte, dass O. W. von Me. A. abließ (Fall II. 2. a) der Urteilsgründe).

Nachdem O. W. seinen Bruder K. telefonisch von seinem Aufeinandertreffen mit Me. A. berichtet hatte, beschloss K. W., gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder L. W. zu O. W. und S. hinzuzustoßen, um Me. A. sodann zu viert in einem Geschäft, in dem sie ihn vermuteten, aufzusuchen und „zur Rede zu stellen“. Da K. und L. W. bei einer Auseinandersetzung mit Me. A. „gewappnet“ sein wollten, nahm K. W. im Einverständnis mit L. W. eine mit acht Patronen geladene Pistole mit. Auf dem Weg zu dem Geschäft übergab K. W. die Pistole an L. W. und forderte ihn auf, zunächst abzuwarten, wie sich das Geschehen entwickele. Nachdem die Angeklagten wider Erwarten nur den Bruder von Me. A., den Nebenkläger Mu. A., in dem Geschäft angetroffen hatten, kam es im weiteren Verlauf vor dem Geschäft zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den Angeklagten und Mu. A. L. W. hielt sich dabei entsprechend der ihm von K. W. erteilten Anweisung einige Meter von den anderen Angeklagten entfernt.

Als der Streit zunehmend lauter und aggressiver wurde, trat L. W. zu den anderen Angeklagten hinzu. Nachdem Mu. A. in Erwartung einer körperlichen Auseinandersetzung sein Oberhemd ausgezogen, seine Brille darin eingewickelt und das Hemd durch die offen stehende Tür in den Windfang des Geschäfts geworfen hatte, zog L. W. die Pistole aus seinem Hosenbund, um Mu. A. damit zu drohen. Mu. A. reagierte aber nicht so, wie L. W. es erwartet hatte, weil er die Pistole nicht für eine scharfe Waffe hielt. Daraufhin zog L. W. den Schlitten der Pistole durch, um sie durchzuladen, und gab aus einer Entfernung von zwei bis zweieinhalb Metern mit Tötungsvorsatz einen Schuss auf den Oberkörper von Mu. A. ab. Da Mu. A. sich vor der Schussabgabe zur Seite gedreht hatte, traf ihn der Schuss nicht im Oberkörper, sondern im linken Unterarm. Er drehte sich nun weiter um und lief durch den Windfang in die Geschäftsräume hinein. Als K. W. sah, dass Mu. A. am Leben geblieben war, entschloss er sich, in dem Geschäft „zu Ende zu bringen“, was L. W. „begonnen hatte, nämlich Mu. A. zu töten“. Er nahm L. W., der das Vorgehen seines Bruders billigte, die Pistole aus der Hand und lief in den Windfang des Eingangsbereichs. Dort zerrte er mehrfach an dem Schlitten der Pistole, als wolle er sie nochmal durchladen. Schließlich betrat K. W. das Geschäft durch eine gläserne Zwischentür, die den Windfang von den Geschäftsräumen abgrenzt und nach dem Öffnen von selbst wieder zufällt. In den Geschäftsräumen gab er vier gezielte Schüsse in Richtung von Kopf und Oberkörper von Mu. A. ab, der von zwei Schüssen am linken Arm bzw. im Vorderbauch getroffen wurde.

Bereits während K. W. das erste Mal auf Mu. A. anlegte, betrat S. den Windfang, drückte die sich schließende gläserne Zwischentür auf und hielt sie mit der rechten Hand offen, „um K. W. den schnellen Rückzug aus dem Geschäft zu ermöglichen und ihm während der Abgabe der Schüsse beizustehen“. Nachdem auch L. W. die Geschäftsräume betreten und K. W. zugerufen hatte, dass „es reiche“, hörte K. W. auf, weitere Schüsse auf Mu. A. abzugeben. Er lief durch die nach wie vor von S. offen gehaltene Zwischentür hinaus, und S. sowie L. W. folgten ihm (Fall II. 2. b) der Urteilsgründe).

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Der Freispruch des Angeklagten S. von dem Vorwurf, an der von K. W. zum Nachteil von Mu. A. begangenen Tat beteiligt gewesen zu sein, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat insoweit im Rahmen der rechtlichen Würdigung ausgeführt, dass S. weder Mittäterschaft noch Beihilfe nachgewiesen werden könne. S. habe zwar durch das Offenhalten der Zwischentür objektiv Beihilfe geleistet, weil er K. W. dadurch psychisch unterstützt und dessen Flucht physisch erleichtert habe. Auf den erforderlichen doppelten Gehilfenvorsatz von S. könne allein aus den äußeren Umständen aber nicht geschlossen werden. Denn S. habe sich dahin eingelassen, dass er über das Vorgehen von K. W. schockiert gewesen und wie angewurzelt stehen geblieben sei, und diese Einlassung habe nicht widerlegt werden können. Außerdem habe S. auch kein besonderes eigenes Interesse an der Tat zum Nachteil von Mu. A. gehabt.

Diese Rechtsausführungen stehen im Hinblick auf eine Beteiligung des Angeklagten S. in Form der Beihilfe (§ 27 StGB) an der zum Nachteil von Mu. A. begangenen Tat nicht in Einklang mit den von der Jugendkammer getroffenen Feststellungen. Zutreffend hat das Landgericht darin, dass S. die Tür offen hielt, um K. W. die Flucht zu erleichtern und bei der Tatausführung beizustehen, eine zumindest psychische Hilfeleistung gesehen. Denn K. W. konnte sich dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt sehen und ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit vermittelt bekommen (vgl. dazu BGH, Urteile vom 21. Juli 1993 - 2 StR 282/93, NStZ 1993, 535; vom 3. November 1994 - 3 StR 62/94, BGHSt 40, 307, 315 f.; Beschluss vom 17. März 1995 - 2 StR 84/95, NStZ 1995, 490, 491). Mit seiner Erwägung, dass es S. am doppelten Gehilfenvorsatz gefehlt habe, weil seine Einlassung, über das Verhalten von K. W. völlig schockiert gewesen und wie angewurzelt stehen geblieben zu sein, nicht habe widerlegt werden können, setzt sich das Landgericht dann aber in Widerspruch zu seinen eigenen Feststellungen. Danach hatte S. aus nächster Nähe wahrgenommen, dass L. W. auf Mu. A. geschossen hatte und dass K. W. die Pistole anschließend an sich genommen und im Windfang mehrmals an dem Schlitten der Pistole gezogen hatte, „als wolle er sie nochmal durchladen“. S. hatte sich währenddessen selbst in den Windfang begeben und hielt die Zwischentür offen. Wenn er dies während der folgenden Schussabgabe durch K. W. weiterhin tat, „um“ diesem „den schnellen Rückzug aus dem Geschäft zu ermöglichen und ihm während der Abgabe der Schüsse beizustehen“, so ist hiermit sein doppelter Gehilfenvorsatz ohne Weiteres belegt. Dem steht auch nicht entgegen, dass S. kein eigenes Interesse an der Tat zum Nachteil von Mu. A. gehabt habe. Das hindert allenfalls die Annahme von Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB).

Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen kann der Freispruch des Angeklagten S. mithin keinen Bestand haben. Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

2. Der Freispruch des Angeklagten O. W. von dem Vorwurf der Bedrohung (§ 241 StGB) im Fall II. 2. a) der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.

a) Das Landgericht hat dazu ausgeführt, dass die Äußerung von O. W. gegenüber Me. A. durch ihre Formulierung als Frage eine gewisse Unentschlossenheit und damit auch noch kein den Eindruck der Ernstlichkeit erweckendes Inaussichtstellen eines Verbrechens beinhaltet habe. Auch die Tatsache, dass O. W. während seiner Äußerung ein ungeöffnetes Messer in der Hand gehalten habe, enthalte weder für sich gesehen noch in Verbindung mit der an Me. A. gerichteten Frage einen eigenen Erklärungswert, der objektiv als Ankündigung eines Verbrechens aufzufassen sei. Überdies könnten prahlerische Redensarten, wie etwa jemanden „kaltzumachen“, als jugendtümliche Wichtigtuerei den Eindruck der Ernstlichkeit vermissen lassen und die Formulierung „aufschlitzen“ anders als „abstechen“ für sich allein gesehen auch lediglich das Inaussichtstellen einer gefährlichen Körperverletzung beinhalten, bei der es sich indes nicht um ein Verbrechen handele.

b) Dies beanstandet die Staatsanwaltschaft mit Recht.

aa) Ob einer Äußerung in objektiver und subjektiver Hinsicht die Bedeutung einer Bedrohung beizumessen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, bei der auch die Begleitumstände der Tatsituation Bedeutung erlangen können (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; OLG Köln, Beschluss vom 19. Januar 2007 - 83 Ss 110/06, NJW 2007, 1150, 1151). Diese Auslegung obliegt als tatsächliche Würdigung dem Tatrichter; dem Revisionsgericht ist eine eigene Bewertung der Äußerung versagt. Es hat die Auslegung des Tatgerichts jedoch nach revisionsrechtlichen Grundsätzen darauf zu überprüfen, ob sie Rechtsfehler enthält. Das ist etwa dann der Fall, wenn sie lückenhaft ist und die Urteilsgründe sich nicht mit allen nach den Umständen naheliegenden Möglichkeiten auseinandersetzen sowie eine umfassende Würdigung des Inhalts, des Zwecks und der Tendenz der Äußerung vermissen lassen (vgl. zu allem BGH, Urteil vom 15. November 1967 - 3 StR 4/67, BGHSt 21, 371, 372; OLG Köln, aaO; MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 337 Rn. 32).

bb) So verhält es sich hier. Das Landgericht ist zwar im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass eine Bedrohung im Sinne des § 241 StGB das ausdrücklich erklärte oder konkludent zum Ausdruck gebrachte Inaussichtstellen eines Verbrechens erfordert, das seinem Erklärungsgehalt nach objektiv geeignet erscheint, den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; LK/Schluckebier, StGB, 12. Aufl., § 241 Rn. 10), wobei das in Aussicht gestellte Verhalten als Verbrechen im Sinne des § 12 StGB zu werten sein muss (BGH, Urteil vom 3. Juli 1962 - 1 StR 213/62, BGHSt 17, 307, 308). Es hat sich jedoch nicht mit allen nach den Umständen des Falles naheliegenden Möglichkeiten der Auslegung der Äußerung des Angeklagten O. W. auseinandergesetzt. Dieser hatte Me. A. gefragt, ob er ihn „abstechen“ oder „aufschlitzen“ solle. Soweit die Jugendkammer davon ausgegangen ist, dass O. W. Me. A. durch das alternativ zum „Abstechen“ in Betracht gezogene „Aufschlitzen“ möglicherweise nicht die Beibringung tödlicher Verletzungen, sondern nur eine gefährliche Körperverletzung und dementsprechend nicht unbedingt ein Verbrechen im Sinne des § 12 StGB in Aussicht stellen wollte, hat sie nicht berücksichtigt, dass die umgangssprachliche Bedeutung der Begriffe „Abstechen“ und „Aufschlitzen“ in Bezug auf Menschen weitgehend identisch ist. Während der Begriff „Abstechen“ im Sinne eines „Totstechens“, also der Beibringung einer tödlichen Stichverletzung verwendet wird, wird unter dem Begriff „Aufschlitzen“ die Zufügung einer den Bauch eröffnenden und mithin in der Regel ebenfalls tödlichen Schnittverletzung verstanden (vgl. dazu www.duden.de/rechtschreibung/abstechen; www.duden.de/rechtschreibung/aufschlitzen). Die Jugendkammer hat auch nicht bedacht, dass der Begriff des „Aufschlitzens“ nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern unter Berücksichtigung der Gesamtsituation gewürdigt werden muss. In Anbetracht dessen liegt es indes nahe, dass O. W. die Begriffe „Abstechen“ und „Aufschlitzen“ tatsächlich gleichbedeutend im Sinne einer Tötung gemeint hat und dass Me. A. sie auch so verstehen sollte, zumal O. W. sein Klappmesser - wenngleich noch nicht geöffnet - bereits offen sichtbar in der Hand hielt, während er sich gegenüber Me. A. äußerte. Vor diesem Hintergrund ergeben sich daraus, dass O. W. seine Äußerung in die Form einer Frage kleidete, entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht ohne Weiteres Zweifel an der Ernstlichkeit der Ankündigung; es liegt vielmehr nahe, dass O. W. die erkennbar rhetorische Fragestellung allein dazu diente, Me. A. in besonders demütigender und herablassender Weise einzuschüchtern.

III. Die Revision des Nebenklägers hat aus den oben genannten Gründen Erfolg, soweit sie sich gegen den Freispruch des Angeklagten S. richtet. Soweit sich der Nebenkläger darüber hinaus gegen den Freispruch des Angeklagten O. W. im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe wendet, ist sein Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Soweit sich in der Revisionsbegründung des Nebenklägers Ausführungen zur Strafbarkeit der Angeklagten L. und K. W. wegen versuchten Totschlags im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe finden, hat der Nebenklagevertreter in der Revisionshauptverhandlung klargestellt, dass es sich dabei lediglich um eine Stellungnahme zu der von der Staatsanwaltschaft zunächst auch zuungunsten dieser Angeklagten eingelegten und seinerzeit noch nicht zurückgenommenen Revision handeln, das Rechtsmittel des Nebenklägers sich indes von vornherein nur gegen die Angeklagten S. sowie O. W. richten und durch die Ausführungen in der Revisionsbegründung nicht auf die Angeklagten L. sowie K. W. erstreckt werden sollte. Das steht in Einklang damit, dass der Nebenkläger schon bei der Einlegung der Revision nur die Angeklagten S. und O. W. als diejenigen Angeklagten bezeichnet hatte, auf die sich sein Rechtsmittel beziehen sollte.

IV. Die Revision des Angeklagten L. W. ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf insoweit lediglich Folgendes:

Die Verurteilung dieses Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter dem Gesichtspunkt der gemeinschaftlichen Tatbegehung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen belegen nicht, dass L. und K. W. insoweit als Mittäter gehandelt haben (§ 25 Abs. 2 StGB).

Das Landgericht hat dazu ausgeführt, dass L. und K. W. die Tat aufgrund eines gemeinsamen Tatplans arbeitsteilig ausgeführt hätten. Es sei jeweils von sukzessiver Mittäterschaft auszugehen. So habe K. W. seinem Bruder die Waffe aus der Hand genommen, um die von L. W. zwar begonnene, aber noch nicht beendete Tat zum Nachteil des Nebenklägers „zu Ende zu führen“, und L. W. habe „die Fortsetzung“ durch seinen Bruder seinerseits gebilligt, sodass spätestens jetzt ein gemeinsamer Tatplan vorgelegen habe. Beide Angeklagten hätten auch Tatherrschaft gehabt, weil sie jeweils Schüsse auf den Nebenkläger abgegeben hätten.

Die Annahme des Landgerichts, dass L. und K. W. aufgrund eines gemeinsamen Tatplans gehandelt haben, wird von den Feststellungen indes nicht getragen. Ihnen lässt sich nicht entnehmen, dass L. und K. W. von vornherein vorhatten, dem Nebenkläger mit der Pistole Schussverletzungen zuzufügen. Den Feststellungen zufolge nahmen sie die Waffe lediglich mit, um für den Fall einer körperlichen Auseinandersetzung mit Me. A. „gewappnet“ zu sein. Sie rechneten nicht damit, anstelle von Me. A. lediglich dessen Bruder in dem Geschäft anzutreffen, und es war aus ihrer Sicht noch gar nicht absehbar, dass es anschließend zu einer Auseinandersetzung mit diesem kommen würde. L. W. entschloss sich sodann spontan dazu, einen Schuss auf den Nebenkläger abzugeben, weil er darüber „erbost“ war, dass der Nebenkläger die Bedrohung mit der Waffe nicht ernst genommen hatte. K. W. fasste erst danach den Entschluss, nun seinerseits mit der Pistole auf den Nebenkläger zu schießen. Darin kann indes keine sukzessive Mittäterschaft an der von L. W. zum Nachteil des Nebenklägers begangenen Körperverletzung gesehen werden, weil der Verletzungserfolg aufgrund des von L. W. abgegebenen Schusses bereits eingetreten und dessen Tat damit beendet war (vgl. dazu BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 248/07, NStZ 2009, 34). Nach Beendigung der Tat kommt eine sukzessive Mittäterschaft jedoch nicht mehr in Betracht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17. Januar 2012 - 3 StR 449/11, juris Rn. 2). Dementsprechend kann der Schuss, den L. W. auf den Nebenkläger abgegeben hatte, K. W. nicht zugerechnet werden.

Ebenso wenig können die Schüsse, die K. W. anschließend abgab, ihrerseits L. W. zugerechnet werden. Denn die Feststellungen belegen auch insoweit nicht, dass ein gemeinsamer Tatplan vorlag. Danach nahm K. W. seinem Bruder die Waffe aus der Hand, um seinerseits damit auf den Nebenkläger zu schießen. Zu diesem Zweck folgte er dem Nebenkläger sodann in das Geschäft, während L. W. unmittelbar danach seinerseits das Geschäft betrat, um K. W. aufzufordern, keine weiteren Schüsse auf den Nebenkläger abzugeben. Eine sukzessive Mittäterschaft kann darin nicht gesehen werden, weil L. W. nach dem Beginn der von K. W. zum Nachteil des Nebenklägers begangenen Körperverletzung gerade nicht zwecks gemeinschaftlicher weiterer Ausführung in das tatbestandsmäßige Geschehen eingegriffen hat.

Die fehlerhafte Bejahung des Qualifikationstatbestandes gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB wirkt sich auf den Schuldspruch des Angeklagten L. W. wegen gefährlicher Körperverletzung indes nicht aus, weil das Landgericht rechtsfehlerfrei die Qualifikationstatbestände im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB als erfüllt angesehen hat.

Auch der Strafausspruch bleibt von dem Rechtsverstoß unberührt. Es kann ausgeschlossen werden, dass die gegen L. W. verhängte Jugendstrafe ohne ihn geringer ausgefallen wäre. Die Jugendkammer hat gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG auf den zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und fünf Monate alten Angeklagten rechtsfehlerfrei Jugendstrafrecht angewendet und beachtet, dass die Bemessung der Jugendstrafe nach § 18 Abs. 2 JGG in erster Linie an erzieherischen Gesichtspunkten auszurichten ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 8. Januar 2015 - 3 StR 581/14, NStZ-RR 2015, 154, 155). Sie hat der Strafzumessung den „Strafrahmen des §§ 38 Abs. 1 Satz 1, 105 Abs. 3 Satz 1 JGG“ zugrunde gelegt, dabei jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass danach eine Jugendstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu verhängen sei, während das Höchstmaß der Jugendstrafe tatsächlich zehn Jahre betrug. Das beschwert den Angeklagten indes nicht.

Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten L. W. ergeben.

V. Die Revision des Angeklagten K. W. ist ebenfalls unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Zwar hat das Landgericht auch in Bezug auf ihn rechtsfehlerhaft den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB bejaht. Das lässt den gegen ihn ergangenen Schuldspruch jedoch schon deshalb unberührt, weil er sein Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung wird durch den Fehler bei der Subsumtion nicht in Frage gestellt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28. Januar 2016 - 3 StR 347/15, juris Rn. 35 mwN). Die Beschränkung des Rechtsmittels hat überdies zur Folge, dass die fehlerhafte Bejahung des Qualifikationstatbestandes gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB auch bei der Ãœberprüfung des Strafausspruchs bedeutungslos ist. Denn durch die Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch wird das Revisionsgericht nicht nur an die tatsächlichen Feststellungen zur Schuldfrage, sondern auch an die sie betreffende rechtliche Würdigung im angefochtenen Urteil gebunden (BGH, Urteil vom 28. Januar 2016 - 3 StR 347/15, juris Rn. 30). Dieser Grundsatz führt hier dazu, dass der Senat bei der Ãœberprüfung des Strafausspruchs von der rechtlichen Bewertung des Landgerichts auszugehen hat, wonach nicht nur die Qualifikationstatbestände des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB, sondern auch derjenige des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllt sind. Ãœberdies hat die Jugendkammer im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten K. W. ohnehin nur „die Abgabe von vier gezielten Schüssen“, mithin lediglich die vier von ihm selbst abgegebenen, berücksichtigt.

Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten K. W. ergeben.

VI. Im Umfang der Aufhebung verweist der Senat die Sache hinsichtlich des Angeklagten S. gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 74 Abs. 2 Nr. 5 GVG nicht an eine andere Jugendkammer, sondern an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück, weil sich das weitere Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28. April 1988 - 4 StR 33/88, BGHSt 35, 267) und das Schwurgericht gegenüber der Jugendkammer kein Gericht höherer Ordnung ist (BGH, Urteile vom 25. August 1975 - 2 StR 309/75, BGHSt 26, 191; vom 4. Dezember 2002 - 4 StR 103/02, NJW 2003, 836, 838 mwN). Hinsichtlich des Angeklagten O. W. verweist der Senat die Sache gemäß § 354 Abs. 3 StPO i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 25 Nr. 2 GVG an das Amtsgericht Hannover zurück, weil insoweit nur noch der Vorwurf der Bedrohung (§ 241 Abs. 1 StGB) in Rede steht und damit die Zuständigkeit des Strafrichters begründet ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 875

Bearbeiter: Christian Becker