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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1269

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 61/22, Beschluss v. 27.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1269


BGH 2 StR 61/22 - Beschluss vom 27. September 2022 (LG Erfurt)

Bundeszentralregister (Verwertungsverbot: keine Berücksichtigung von tilgungsreifen Vorstrafen zum Nachteil des Angeklagten).

§ 51 BZRG

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 15. Juli 2021, soweit es ihn betrifft,

a) im Strafausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben,

b) in der Einziehungsentscheidung dahingehend abgeändert, dass die Einziehung von 2,32 Gramm Kokain-Tetramisolmischung angeordnet wird.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung „sämtlicher sichergestellter Betäubungsmittel“ angeordnet. Dagegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Hingegen hält der Strafausspruch revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Landgericht dem Angeklagten unter Verstoß gegen § 51 Abs. 1 BZRG seine Vorstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 23. September 2015 bei der Zumessung der Einzelstrafen angelastet hat, obwohl diese im Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils am 15. Juli 2021 bereits tilgungsreif war.

a) Die Tilgungsfrist für die nach § 4 Nr. 1 BZRG zentralregisterpflichtige Vorahndung zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung betrug nach § 46 Abs. 1 Nr. 1c BZRG fünf Jahre. Die nach § 47 Abs. 1 i.V.m. § 36 Satz 1 BZRG mit dem Tag des ersten Urteils am 23. September 2015 beginnende Tilgungsfrist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2019 - 3 StR 68/19) ist am 22. September 2020 abgelaufen. Andere Verurteilungen, die einer Tilgung nach § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG entgegenstehen könnten, sind nach den Feststellungen im Register nicht eingetragen.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dieser Rechtsfehler auf die Sachrüge zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 1972 - 3 StR 66/72, BGHSt 24, 378 Rn. 9; Senat, Urteil vom 10. Januar 1973 - 2 StR 451/72, BGHSt 25, 100 Rn. 3; BGH, Beschlüsse vom 23. März 2006 - 4 StR 36/06, juris Rn. 4; vom 29. Oktober 2015 - 3 StR 382/15, juris Rn. 2; vom 5. Dezember 2019 - 4 StR 301/19, juris Rn. 10; vom 23. September 2021 - 1 StR 329/21, juris Rn. 7; a.A. BGH, Beschluss vom 16. September 2020 - 5 StR 314/20, juris Rn. 4; Mosbacher, StraFo 2021, 312, 318 f.; ElGhazi JR 2021, 412, 413 ff.). Bei § 51 Abs. 1 BZRG handelt es sich um ein Vorhalte- und Verwertungsverbot. Die getilgte oder tilgungsreife Vorstrafe darf nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden. Dieser Strafschärfungsgrund ist materiellrechtlich nicht rechtsfehlerfrei dargelegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Dezember 2019 ? 4 StR 301/19, juris Rn. 9; vom 23. September 2021 - 1 StR 329/21, juris Rn. 7). Insoweit bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Die auf § 33 Satz 2 BtMG, § 74 Abs. 2 StGB gestützte Einziehungsanordnung bedarf der Korrektur.

a) Eine Einziehungsanordnung hat die einzuziehenden Gegenstände so genau zu bezeichnen, dass bei allen Beteiligten und der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht; im Falle von Betäubungsmitteln gehört dazu die Angabe von Art und Menge des einzuziehenden Rauschgifts, die sich aus dem Urteilstenor ergeben müssen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27. Januar 2021 - 6 StR 468/20, juris Rn. 2 mwN).

b) Diesen Anforderungen genügt die Einziehung „sämtliche(r) sichergestellten Betäubungsmittel“ nicht. Da die erforderlichen Angaben in den Urteilsgründen enthalten sind ? bei dem Angeklagten wurde im Rahmen seiner Festnahme 2,32 Gramm Kokain-Tetramisolmischung sichergestellt ? kann der Senat die Einziehungsentscheidung abändern (vgl. Senat, Beschluss vom 17. April 2019 - 2 StR 114/19, juris Rn. 3 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1269

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede