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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1264

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 23/22, Urteil v. 26.10.2022, HRRS 2022 Nr. 1264


BGH 2 StR 23/22 - Urteil vom 26. Oktober 2022 (LG Gera)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (symptomatischer Zusammenhang: Vorliegen, Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat, vorausgegangener Angriff des Tatopfers, abgeschlossener Angriff; Gefahrenprognose).

§ 64 StGB

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 22. Oktober 2021 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Entscheidung über den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf sich der Angeklagte regelmäßig seit Ende des Jahres 2020 mit dem späteren Tatopfer R. in dessen Wohnung, um dort gemeinsam große Mengen an Alkohol zu konsumieren. Frau R. war seit vielen Jahren Alkoholikerin, stand unter zivilrechtlicher Betreuung und litt unter Atembeschwerden und unter einer Herzleistungsschwäche. Der Angeklagte trank regelmäßig seit Beginn der 2000er Jahre Bier, wobei sich der Konsum allmählich steigerte und er bei geselligem Beisammensein acht, durchaus aber auch zehn bis zwölf Flaschen Bier zu sich nahm. Nach der Trennung von seiner Ehefrau Anfang/Mitte des Jahres 2020 trank er „erhebliche Mengen an Alkohol“, wobei sich seine Toleranz steigerte. Er verlor die Kontrolle über seinen Konsum, er beging diverse Zechprellereien. Zur Tatzeit war er ohne Beschäftigung, hatte Mietschulden, war faktisch obdachlos und befand sich damit in einer ihm ausweglos erscheinenden Lebenssituation.

2. Am Tattag, dem 28. Februar 2021, hielt sich der Angeklagte in der Wohnung des 60-jährigen Tatopfers auf. Bis ca 23.00 Uhr tranken beide gemeinsam Alkohol. Frau R. ereiferte sich über ihren Betreuer und schimpfte auf diesen. Der Angeklagte versuchte, sie zu beruhigen, er war von dem mitunter wirren Gerede genervt und wollte nur seine Ruhe haben. Zudem war er über seine eigene Lebenssituation frustriert. Gegen 23.30 Uhr ergriff das Tatopfer plötzlich einen ansonsten zur Öffnung von Bierfässchen verwendeten Hammer und ging damit überraschend und grundlos schimpfend auf den Angeklagten los. Dieser sprang auf, ergriff die Hand von R. und drückte so fest zu, dass der Hammer zu Boden fiel. Verärgert und wütend darüber, dass er grundlos angegriffen worden war, und zudem frustriert über seine eigene Situation packte und schüttelte er sie. Schließlich griff er mit seiner rechten Hand so an ihren Hals, dass ihr Kehlkopfhorn brach. In der Folge würgte er sie mit beiden Händen am Hals, mindestens eineinhalb, eher jedoch zwei Minuten. Frau R. wurde spätestens nach 40 Sekunden bewusstlos, was den Angeklagten, der dies bemerkt hatte, nicht vom weiteren Würgen abhielt. Erst als sie zu Boden stürzte, ließ er von ihr ab. Aufgrund der erheblichen Vorerkrankungen trat bei Frau R. bereits ca. fünf Minuten nach dem Beginn des Würgevorgangs der Tod ein. Der Angeklagte hatte nicht beabsichtigt, sie zu töten, nahm aber bei seinem Würgevorgang ihren Tod letztlich billigend in Kauf. Trotz seiner erheblichen Alkoholisierung von maximal 3,12 Promille war der Angeklagte nicht in seiner Einsichtsfähigkeit beschränkt, auch seine Steuerungsfähigkeit war bei dem vorliegenden mittelgradigen Alkoholrauschzustand nicht erheblich beeinträchtigt.

II.

Die zulässig erhobene Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

2. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3. Auch der Maßregelausspruch (sowie die Anordnung eines Vorwegvollzugs von Freiheitsstrafe) begegnet entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht bei dem an einer Alkoholabhängigkeitserkrankung leidenden Angeklagten einen Hang angenommen, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen.

b) Nicht zu beanstanden ist im Ergebnis auch, dass die Strafkammer mit knappen Erwägungen einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem festgestellten Hang des Angeklagten und der von ihm begangenen Tat angenommen hat.

Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist, mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzeln findet. Ein solcher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat. Es ist danach nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 23. April 2019 - 2 StR 61/19, NStZ-RR 2019, 244; Beschluss vom 28. April 2020 - 2 StR 95/20, juris).

Gemessen daran ist der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und der Tötungshandlung noch hinreichend belegt. Die Strafkammer geht sachverständig beraten davon aus, dass die „Abhängigkeitsproblematik“ eine wesentliche Ursache der ihm aktuell vorgeworfenen Handlung darstelle. Die ihm zur Last gelegte Tat stehe in symptomatischer Beziehung zu seiner Alkoholintoxikation, diese wiederum im Zusammenhang mit seiner Abhängigkeitserkrankung und seinem Aufenthalt im Alkoholikermilieu. Damit ist dargetan, dass die Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit (als Folge der Abhängigkeitserkrankung) - auch wenn diese nicht zur Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit geführt hat - jedenfalls mitursächlich für die Tatbegehung geworden ist. Das Landgericht hat insoweit zudem an anderer Stelle ausdrücklich ausgeführt, der Angeklagte habe sich in einem „mittelgradigen Alkoholrauschzustand mit alkoholkonsumbedingter Enthemmung und Stimmungslabilität“ befunden, er habe „alkoholbedingt enthemmt“ gehandelt. Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat reicht aus; dass auch andere Faktoren die Tat konstelliert haben, ist insoweit ohne Bedeutung (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 15. August 2013 - 2 StR 225/13, juris zu einer Persönlichkeitsakzentuierung als Mitursache der Tatbegehung; ferner: Fischer, StGB, 69. Aufl., § 64 Rn. 12 mit w.N.). Angesichts der ausdrücklich festgestellten Mitursächlichkeit des Alkoholgenusses bedurfte es hier keiner ausdrücklichen Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass der Tat ein Angriff des Tatopfers vorausgegangen war (vgl. Senat, Beschluss vom 23. November 2021 - 2 StR 380/21, NStZ-RR 2022, 41). Dieser Angriff war abgeschlossen, als der Angeklagte dieses seinerseits attackierte. Dieses Handeln wurde nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Strafkammer begünstigt durch „alkoholbedingte Enthemmung und Stimmungslabilität“, was die Mitursächlichkeit der Alkoholintoxikation belegt. Dass Ausgangspunkt dieses Übergriffs ein Verhalten des Tatopfers war, schließt damit weder die Mitursächlichkeit des Hangs des Angeklagten aus noch machte es angesichts der Feststellungen weitere Ausführungen des Landgerichts erforderlich.

c) Schließlich weist auch die Gefahrenprognose des Landgerichts keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Insoweit hat die Strafkammer unter Hinweis auf die gehörte Sachverständige dargelegt, dass „ohne die Befähigung des Angeklagten zu einer stabilen alkoholabstinenten Lebensweise … ein Suchtmittelrückfall und ein erneutes Abgleiten des Angeklagten in konsumierendes Verhalten und die Begehung damit im Zusammenhang stehender Straftaten ... sehr wahrscheinlich“ seien. Ergänzend hat sie angefügt, dass „bei einem Fortsetzen des süchtigen Alkoholkonsums von dem Angeklagten weitere Betrugsstraftaten, aber zunehmend auch Körperverletzungsdelikte im sog. Alkoholikermilieu zu erwarten“ seien. Damit ist knapp, aber noch ausreichend belegt, dass der Angeklagte in Zukunft jedenfalls mit einer nahe liegenden Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige (hangbedingte) Taten begehen wird. Einer Erörterung der Tatsache, dass Ausgangspunkt der Tat des Angeklagten ein Übergriff des Tatopfers gewesen ist, bedurfte es angesichts der progredienten Kriminalitätsentwicklung des alkoholholabhängigen Angeklagten entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts genauso wenig wie eine Auseinandersetzung mit den Umständen, dass der Angeklagte trotz langjährigen übermäßigen Alkoholkonsums erstmals im August 2020 straffällig geworden ist und vor der verfahrensgegenständlichen Tat Aggressionsdelikte nicht begangen hat.

d) Da auch auch die Erfolgsaussicht einer Unterbringung rechtsfehlerfrei begründet worden ist, hat die Maßregelanordnung Bestand.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1264

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede