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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 951

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 63/15, Urteil v. 01.07.2015, HRRS 2015 Nr. 951


BGH 2 StR 63/15 - Urteil vom 1. Juli 2015 (LG Frankfurt a. M.)

Missachtete Kognitionspflicht.

§ 264 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; sie wirkt auch zu Gunsten des Angeklagten und bedingt insoweit auch die Aufhebung des Strafausspruchs.

I.

Der Angeklagte führte mit der Nebenklägerin etwa eineinhalb Jahre lang eine Beziehung; im März 2014 trennte sie sich von ihm. Er wollte die Trennung nicht akzeptieren und stellte ihr immer wieder nach. Am Morgen des 23. Mai 2014 beschloss er, sich der Nebenklägerin zu bemächtigen und sie in seine Wohnung zu bringen. Er trank Bier und Wein, schnupfte Kokain und wartete ab 5.00 Uhr morgens vor der Wohnung der Geschädigten. Dabei führte er eine geladene Schreckschuss- und Gaspistole und ein Küchenmesser mit sich, um seine ehemalige Freundin in seinem Sinne gefügig zu machen.

Gegen 6.00 Uhr morgens begab die Geschädigte sich zu ihrem Auto. Der Angeklagte trat an das Fahrzeug heran, richtete die Pistole auf die Nebenklägerin und sagte: „Ich mein´s diesmal ernst, steig ein“. Aus Angst vor dem Angeklagten stieg die Nebenklägerin in ihr Fahrzeug und fuhr mit ihm zu seiner Wohnung. Gemeinsam gingen sie hinein, der Angeklagte verschloss die Tür und nahm den Schlüssel an sich, nachdem die Nebenklägerin versucht hatte, diese zu öffnen, um zu fliehen. Er schubste sie von der Tür weg, packte sie umgehend am Hals und drückte sie zu Boden. Dabei hielt er ihr mit einer Hand schmerzhaft den Mund zu, mit der anderen Hand, in der er nach wie vor die Pistole hielt, drückte er mittig in Kehlkopfhöhe für wenige Sekunden den Hals zu. Er ängstigte dadurch die Nebenklägerin, ohne sie allerdings in Lebensgefahr zu bringen. Ihre Versuche, sich zu wehren, verliefen erfolglos. Der Angeklagte schlug die Nebenklägerin ins Gesicht und zog sie ins Wohnzimmer. Ihre Gegenwehr unterband er auch dort, indem er sie wiederholt schubste bzw. an ihr zog.

Schließlich entkleidete er sich und äußerte, dass er nunmehr Sex wolle und sie vergewaltigen werde. Die Nebenklägerin erklärte, dies nicht zu wollen. Er zog ihre Hand zu seinem Penis und wiederholte seine Forderung. Er begann, an ihrer Kleidung zu zerren, um sie auszuziehen. Der Versuch der Zeugin, ihn wegzuschieben, und ihr Flehen, von ihr abzulassen, blieben ohne Erfolg. Aus Angst vor dem Angeklagten, dem sie in der verschlossenen Wohnung ausgeliefert war und der während des Gesamtgeschehens die Pistole in Griff und Sichtweite behielt, fügte sich die Nebenklägerin schließlich, da sie für sich keine Möglichkeit sah, sich gegen den körperlich überlegenen Angeklagten zu wehren. Sie entkleidete sich, setzte sich kniend auf den am Boden in Rückenlage befindlichen Angeklagten und vollzog den ungeschützten Vaginalverkehr bis zum Samenerguss. Danach gestattete er ihr, sich wieder anzukleiden. Er war bestürzt über sein Tun, entschuldigte sich und zeigt Reue. Die Geschädigte ging auf seine Entschuldigung ein und versuchte, ihn weiter zu beruhigen, indem sie versicherte, nicht zur Polizei gehen zu wollen. Schließlich verließen beide die Wohnung, wobei der Angeklagte das Messer, das die Nebenklägerin bis dahin nicht als Drohmittel bemerkt hatte, und die Pistole mit sich nahm. Sie fuhren gemeinsam zu einer Tankstelle, wo sie sich trennten.

Der Angeklagte hat die Tat im Wesentlichen eingeräumt und dabei auch den Einsatz der Gas- und Schreckschusspistole als Drohmittel bestätigt. In Übereinstimmung mit den Angaben der Nebenklägerin hat er angegeben, beim Geschlechtsverkehr keine Gewalt angewendet zu haben.

Das Landgericht ist von einer Strafbarkeit gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit § 223 Abs. 1 StGB ausgegangen und hat einen minder schweren Fall nach § 177 Abs. 5 StGB angenommen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat den Unrechtsgehalt der Tat nicht vollständig ausgeschöpft und damit seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) nicht genügt.

a) Der Angeklagte bemächtigte sich der Nebenklägerin, als er ihr vor ihrer Wohnung die Pistole vorhielt und sie dadurch dazu brachte, mit ihm in seine Wohnung zu fahren. Dort kam es zum nicht einverständlichen Geschlechtsverkehr, nachdem er der Nebenklägerin unter anderem mit der Pistole gedroht hatte. Bei diesem Geschehensablauf hätte sich das Landgericht damit auseinandersetzen müssen, ob der Angeklagte auch einer Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 2. Halbsatz StGB schuldig ist, indem er die durch die Entführung geschaffene Lage der Nebenklägerin durch eine Drohung mit dem Tod zum Erzwingen des Geschlechtsverkehrs ausgenutzt hat (zur Tathandlung insoweit vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239b, Rn. 5).

b) Der Angeklagte führte während der Autofahrt vor der eigentlichen Tat und auch danach eine geladene Schreckschuss- und Gaspistole mit sich, mit der er die Nebenklägerin auch in der Wohnung bedrohte. Mit der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Waffe außerhalb seiner Wohnung hätte der Angeklagte sich des unerlaubten Führens einer Schreckschuss- bzw. Reizstoffwaffe nach § 52 Abs. 3 Nr. 2a WaffG i.V.m. § 2 Abs. 2 WaffG i.V.m. Anlage 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 WaffG strafbar gemacht, wenn er dafür keine Erlaubnis besessen hat. Hiermit hätte sich das Landgericht auseinander setzen und entsprechende weitere Feststellungen treffen müssen.

c) Diese Verletzungen der Kognitionspflicht führen zur Aufhebung der - gegebenenfalls tateinheitlich verwirklichten - besonders schweren Vergewaltigung, auch wenn der Schuldspruch insoweit an sich rechtlich nicht zu beanstanden ist.

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs bedingt ohne Weiteres den Wegfall des Strafausspruchs, der allerdings auch für sich gesehen nicht unbedenklich ist. So ist den Urteilsgründen trotz eines Hinweises darauf, dass schon bloßes Beisichführen einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs mit erhöhter Strafe von mindestens drei Jahren geahndet wird, nicht zu entnehmen, ob das Landgericht die Sperrwirkung der Strafrahmenuntergrenze des § 177 Abs. 2 StGB beachtet hat. Im Hinblick auf eine mögliche Prüfung des an sich nicht fernliegenden minder schweren Falls nach § 177 Abs. 5 Satz 2 StGB durch den neuen Tatrichter weist der Senat vorsorglich auf sein Urteil vom 25. November 2011 - 2 StR 66/11 hin.

3. Die Revision der Staatsanwaltschaft wirkt hinsichtlich des Strafausspruchs auch zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO). Das Landgericht hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass bei der Tatausführung mehrere Tatbestände des § 177 Abs. 1 StGB verwirklicht worden seien, indem der Angeklagte mehrere Nötigungsmittel zu Lasten der Nebenklägerin eingesetzt habe. Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Dass der Angeklagte mehrere „Tatbestände“ des § 177 Abs. 1 StGB verwirklicht hat, wird von den Feststellungen nicht getragen. Er hat eingeräumt, zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs mit der Pistole gedroht zu haben; ob er darüber hinaus auch mit finaler Gewalt gegen die Nebenklägerin vorgegangen ist, lässt sich den Feststellungen nicht zweifelsfrei entnehmen und hängt davon ab, ob „Schubsen“ bzw. „An-Ihr-Ziehen“ als Gewalt zur Überwindung eines entgegenstehenden Willens angesehen werden kann. Dass der Angeklagte zudem „unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage“ gehandelt haben könnte, liegt angesichts des Einsatzes der Pistole als Nötigungsmittel fern (vgl. BGH NStZ 2015, 211 mit Anm. Piel). Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, genauere Feststellungen zu den einzelnen Tathandlungen des § 177 Abs. 1 StGB zu treffen.

Soweit das Landgericht zudem die „Verwendung von Messer und Pistole“ straferschwerend gewertet hat, lässt dies mit Blick auf die Pistole einen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB besorgen. Im Übrigen ist gerade nicht festgestellt, dass der Angeklagte auch das Messer bei der Tat „verwendet“ hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 951

Externe Fundstellen: NStZ 2016, 147

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel